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Wahlrechtsreform und politische Krise in Guatemala

Mit einer Reform des Wahlrechtes soll die Demokratisierung in Guatemala weiter vorangetrieben und die Krise der politischen Partizipation behoben werden. Die letzten Reformversuche machen jedoch wenig Hoffnung, dass das Ziel bald erreicht werden kann.

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1. Schwierigkeiten bei Demokratisierung und Wahlrecht

Seit den Anfängen des Demokratisierungsprozesses in den achtziger Jahren haben das Wahlrecht und die damit verbundenen Institutionen im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Mit der Schaffung des "Gesetzes über Wahlen und Politische Parteien" durch die Verfassunggebende Versammlung im Jahr 1985 wurde ein wesentlicher Schritt zu demokratisch legitimierten und zivilen politischen Institutionen unternommen, die das autoritäre Militärregime und dessen Repression ablösten.

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Seit 1985 waren die wichtigsten Pfeiler dieses Prozesses:

  • der Oberste Wahlgerichtshof (Tribunal Supremo Electoral, TSE), dem organisatorische und juristische Kompetenzen in Bezug auf die Wahlprozesse und die politischen Parteien zugesprochen wurden;

  • die relativ hohe Unabhängigkeit des TSE in politischer, administrativer und finanzieller Hinsicht;

  • die ideologische Öffnung des Wahlprozesses für Parteien aller politischen Richtungen, die erst mit den Wahlen 1999 abgeschlossen werden konnte;

  • die staatliche Teil-Finanzierung der politischen Parteien mit 2 Quetzal (heute ca. 0,60 DM) je erreichter Stimme beim Präsidentschaftswahlgang.

Diese Faktoren führten dazu, dass trotz vieler nach wie vor bestehender Probleme bei der Wahldurchführung (zu wenig Wahllokale, nicht aktualisierte Wahlregister, Transportprobleme etc.) den Wahlprozessen immer mehr Glaubwürdigkeit zukam, die wiederum die politischen Institutionen im Demokratisierungsprozess stärkte.

Trotzdem zeigten sich in den letzten Jahren immer deutlicher einige Mängel und somit Reformbedarf für das "Gesetz über Wahlen und Politische Parteien", vor allem hinsichtlich folgender Themen:

  • Die Wahlbeteiligung hat seit 1985 immer stärker abgenommen. (1985: 69% / 1999: 54 %)

  • Das Parteiensystem ist äußerst instabil: Permanent verschwinden Parteien und werden neue gegründet.

  • Die politischen Parteien sind intern nicht nach demokratischen Prinzipien organisiert. In der Regel ist alle Macht in den Händen des Parteichefs konzentriert.

  • Die Parteien hängen sehr stark von privater Finanzierung ab, deren Quellen nicht offengelegt werden müssen und die Einflussnahme Dritter sowie Korruption begünstigen.

  • Das System der Wählerregistrierung ist sehr rückständig und schließt viele potenzielle Wähler aus, während Wahlfälschung (Wahlteilnahme von Verstorbenen u.ä.) begünstigt wird.

  • Es existiert keine direkte Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber dem Wähler, da es keine Wahlkreise gibt und die Wähler "ihren" Abgeordneten nicht kennen. (=> fehlende Accountability)

Viele dieser Defizite wurden auch schon vor Jahren erkannt und deshalb in die Friedensverträge zwischen Regierung und damaliger Guerrilla URNG aufgenommen. Am 7. Dezember 1996 unterzeichneten beide Seiten ein spezielles Abkommen zum Wahlrecht, aus dem eine Reformkommission unter Vorsitz des TSE hervorging, an der Vertreter aller politischen Parteien beteiligt waren. Mitte 1998 legte diese Kommission ihren Bericht vor, der aber vom herannahenden Wahlkampf für die allgemeinen Wahlen im November 1999 verdrängt wurde.

2. Die aktuelle Reformdebatte

Motiviert durch die Arbeit der Reformkommission und die offenkundigen Defizite des gegenwärtigen Systems arbeitete eine Vielzahl von gesellschaftlichen Organisationen und politischen Beratungseinrichtungen (Mayagruppen, Frauengruppen, INCEP, ASIES, FLACSO Acción Ciudadana u.a.) an eigenen Reformvorschlägen. In den letzten Monaten koordinierten sich viele dieser Gruppen, um einen Konsens zu erreichen und nicht zu viele verschiedene Einzelvorschläge zu unterbreiten, die keinerlei Aussicht auf Verwirklichung hätten. Die Vorschläge aus diesen Sektoren zielten auf mehr Partizipationsmöglichkeiten durch Bürgerkomitees, die bisher schon auf kommunaler Ebene mitwirken können. Außerdem wurden Quoten für die bessere Partizipation von Frauen und auch der Maya-Bevölkerung vorgeschlagen. Mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung, mehr parteiinterne Demokratie und effizientere Wahlorganisation gehörten zu den weiteren Vorschlägen aus den Reihen der Zivilgesellschaft.

Auch das neugewählte Parlament nahm im Februar 2000 die Arbeit am Thema Wahlreform wieder auf und setzte eine spezielle Kommission dazu ein, die aus 11 Mitgliedern besteht und in der die Regierungspartei FRG über eine Mehrheit verfügt. Diese Kommission ging Ende Oktober in Klausur, um Konsens über die diversen Themen zu erzielen und damit einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorzulegen, der aufgrund der besonderen Bestimmungen der Verfassung eine Zweidrittelmehrheit im Parlament zu seiner Verabschiedung benötigt.

Die Kommission gelangte anscheinend zu einem Ergebnis, das bis heute nicht öffentlich ist, aber in der Folgezeit über die Presse scheibchenweise lanciert wurde. Laut Pressemeldungen und Forderungen der Oppositionspartei PAN befindet sich das einzige Exemplar in Händen des Kommissionsvorsitzenden. Trotz dieser Ungereimtheiten sind folgende Vorschläge der Kommission an die Öffentlichkeit gedrungen:

  • Erhöhung der staatlichen Finanzierung für die Parteien von bisher 2 auf 10 Quetzal (ca. 3,-- DM) je Wählerstimme;

  • Staatlich finanzierter Transport der Wähler zu den Wahllokalen;

  • Einführung von Wahllokalen an jedem Ort, an dem mehr als 500 Wähler leben;

  • Verkürzung der Amtszeit der Mitglieder des TSE von bisher 6 auf 4 Jahre;

  • Änderung der Finanzierung des TSE in dem Sinne, dass dieser einen Haushaltsentwurf vorlegt und das Parlament einen Haushalt genehmigt. Bisher verfügt der TSE pauschal über 0,5 % der jeweiligen jährlichen Staatsausgaben.

Diese Vorschläge bestechen vor allem durch die Einschränkung der Unabhängigkeit des Obersten Wahlgerichtes TSE, das nach Verabschiedung dieser Reformen jährlich mit dem Parlament um seinen Haushalt verhandeln müsste, womit der parteipolitische Einfluss auf den TSE stark zunehmen würde. Das Gleiche gilt für die Verkürzung der Amtszeit der TSE-Mitglieder von 6 auf 4 Jahren, die damit der Legislatur- und Regierungsperiode von derzeit 4 Jahren angeglichen würde. Eine mögliche Folge könnte die Situation sein, die jetzt schon beim Obersten Gerichtshof vorliegt, nämlich dass jede Regierungspartei die entsprechende Institution während ihrer Amtszeit mit eigenen Leuten besetzt und damit auch die letzten Reste von Gewaltenteilung und "Checks and Balances" wegfallen.

3. Die Aussichten für eine erfolgreiche Reform

Die guten Vorschläge aus der Zivilgesellschaft leiden daran, keine politischen Mehrheiten zu finden, die sie zu geltendem Recht machen könnten. Gleichzeitig sind die Vorschläge der Parteien bzw. des Parlaments davon geprägt, die wesentlichen Defizite im Wahl- und Parteiensystem nicht zu beheben, sondern mit der Tendenz zu mehr Machtkonzentration bei den jeweiligen Parteiführungen eher noch zu verstärken.

Die unterschiedliche Interessenlage von organisierter Zivilgesellschaft und politischer Klasse sowie die fehlende Dialogbereitschaft, die auf beiden Seiten, allerdings stärker bei der politischen Klasse, auszumachen ist, verhindern eine ausgewogene Reform, die die Demokratie in Guatemala stärken könnte. Nach der aktuellen politischen Lage ist es relativ wahrscheinlich, dass die FRG-Mehrheit im Parlament die nötige Unterstützung bei anderen Fraktionen finden wird, um das Reformpaket der Parlamentskommission durchzusetzen. Die Abneigung des FRG gegen einen starken und unabhängigen TSE wird u.a. damit erklärt, dass der FRG-Vorsitzende General a. D. Ríos Montt 1995 mit seiner Präsidentschaftsbewerbung am TSE scheiterte, der gemäß der Verfassung eine Kandidatur des ehemaligen, durch Putsch an die Macht gelangten De-Facto-Staatschefs nicht zuließ.

Mit diesem Paket aus dem Parlament würde zwar das Gesetz reformiert, aber die Krise der politischen Institutionen in Guatemala keineswegs behoben.

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