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U.S. Mission / Eric Bridiers / flickr / CC BY-ND 2.0

Länderberichte

Aktuelles aus den Genfer Organisationen zu COVID-19 | 13. März 2020

Appelle der Weltgesundheitsorganisation, Absagen bei UN-Menschenrechtsrat und Welthandelsorganisation, Ausblicke auf Wirtschaftsfolgen

Die WHO bewertet die vom Corona-Virus ausgelöste Erkrankung COVID-19 als Pandemie - und fordert die Mitgliedstaaten auf, aggressiv und offensiv gegen die Verbreitung vorzugehen. Andere Genfer Organisationen veröffentlichen Berichte über erste weltwirtschaftliche Konsequenzen der Krise. In Genf werden mittlerweile prominente multilaterale Treffen abgesagt.

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WHO stuft COVID-19 als Pandemie ein, fordert Entschlossenheit statt Resignation

Am 11. März stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Verbreitung der vom Corona-Virus ausgelösten Krankheit COVID-19 als Pandemie ein. Für eine solche Einstufung gibt es keine offiziellen Kriterien. Anders als bei der Einstufung als „Gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“ (PHEIC) folgen daraus keine spezifischen Maßnahmen. Die Entscheidung ist als Aufruf der WHO an die Regierungen zu verstehen, deutlich entschiedener gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vorzugehen. Gleichzeitig betonten sowohl der Generaldirektor der WHO, Tedros Ghebreyesus als auch der Leiter der Notfallabteilung Dr. Michael Ryan, dass es sich um eine Pandemie handle, deren Verlauf man steuern könne, wenn entschlossene Maßnahmen ergriffen würden. Am 12. März waren 117 Länder betroffen, insgesamt lag die Zahl der Fälle bei über 125.000.[1]

Erneut appellierte die WHO an die Mitgliedstaaten, aggressiv und offensiv gegen das Virus vorzugehen. Dabei gesteht sie durchaus eine Abwägung zwischen wirtschaftlichen, öffentlichen und gesundheitlichen Erwägungen zu. Gleichwohl zeigte sich die WHO-Führung sehr besorgt über den Grad der Untätigkeit vieler Mitgliedstaaten. Einige Beispiele: kritisiert wurde u.a. die geringe Testrate, da es einer breiteren Überwachung der Verbreitung des Virus bedürfe; es müssten mehr Maßnahmen zum Schutz von Gesundheitspersonal und Fachkräften in Krankenhäusern getroffen werden. Zudem gäben viele Mitgliedstaaten zu schnell die Nachverfolgung der Übertragungsketten auf; Defizite gäbe es auch bei der Isolation von Fällen. Überdies werde die Bevölkerung oft nur unzureichend oder fehlerhaft informiert. Kritik wurde mehrfach an der Kommunikation über den Ursprung, die Ansteckungsgefahr und das Ausmaß der Krise geübt. Diese Kritikpunkte der WHO werden auch von in Genf ansässigen Experten geteilt. Angesichts sehr unterschiedlicher Strategien benachbarter Staaten werden von einigen Beobachtern aber auch klarere Anweisungen von der WHO gefordert, wann wie lange welche Maßnahmen (Schulschließungen, Reisebegrenzungen, etc.) getroffen werden sollten. Bemerkenswert: die WHO verzichtet weiterhin darauf, unzureichend reagierende Staaten beim Namen zu nennen. Hingegen lobte Tedros bewusst China und die Republik Korea für den Umgang mit der Krise, welche zu einer Reduzierung der Fallzahlen und zu einem Abflachen der Infektionskurve geführt haben. Als positives Beispiel wurden die Drive-In-Tests Koreas genannt, die eine erheblich höhere Abdeckung der Bevölkerung ermöglicht hätten. Ryan machte allerdings auch deutlich, dass man sich möglicherweise noch in der Anfangsphase der Epidemie befinde und eine rapide Zunahme von Fällen wahrscheinlich sei. Verstärkt rückt der Umgang mit älteren Menschen und Menschen mit besonderen Erkrankungen in den Fokus, möglicherweise folgen demnächst gesonderte Empfehlungen zum Umgang mit diesen Bevölkerungsgruppen. Für den 13. März sind Informationen seitens der klinischen Einheit der WHO vorgesehen, welche mehr Klarheit zum Umgang mit Patienten mit milderen sowie schwereren Symptomen, kleinen Kindern und schwangeren Frauen vorlegen. Erste Berichte der WHO lassen darauf schließen, dass die Mortalitätsrate bei über 80-Jährigen bei über 20% liegt, bei solchen mit Herzerkrankungen bei 13%. 

Insgesamt ist die Ausrufung einer Pandemie sowohl als dringlicher Appell an die Mitgliedstaaten zu verstehen, die Krise entschlossener anzugehen, als auch als ein Eingeständnis, dass die Ausbreitung und Übertragung unerwartet schnell voranschreiten. Lange hatte die WHO vor dem Schritt gezögert - wohl auch, weil dies diskursiv die letzte mögliche Eskalatationsstufe ist, um die Staaten zu weitreichenderen Maßnahmen zu bewegen. Wichtig: die WHO warnt dringend vor einer resignativen Haltung: Noch sei die Krise steuerbar, der Fokus der Maßnahmen solle auf Eindämmung (containment) liegen und nicht nur auf puren Abwehrmaßnahmen (mitigation)[2].

Einige weitere Beobachtungen: Die juristischen, finanziellen und politischen (Druck-) Mittel der WHO sind begrenzt, sie ist vom guten Willen der Mitgliedsstaaten abhängig. Dennoch: die Krise führt ihre unschätzbare Bedeutung vor Augen – sei es als nüchterne Mahnerin, durch technische Unterstützung und Ausbildung, durch ihre Koordinationsfunktion – nicht zuletzt da viele Länder zu Kurzsichtigkeit oder nationalem Tunnelblick neigen – oder auch durch ihre Ausrufung einer gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite Ende Januar – eine entscheidende Maßnahme, damals noch gegen den Widerstand Chinas.

Bemerkenswert: Nachdem China zu Recht aufgrund erheblicher Defizite bei der Bekämpfung des Virus in der Kritik stand, engagiert sich das Land nun sowohl politisch, materiell als auch finanziell stark bei der Bekämpfung des Coronavirus in anderen Ländern, u.a. auch durch eine großzügige finanzielle Zuwendung gegenüber der WHO. Zudem soll sich die wissenschaftliche Zusammenarbeit mich China verbessert haben; nach der Meinung von Experten gebe es jedoch weiterhin Defizite beim Datenaustausch[3]. Bei allem demonstrativen Lob für China und Korea durch den Generaldirektor: die Wirksamkeit bestimmter Einzelmaßnahmen ist durchaus einschätzbar. Doch noch ist es nicht möglich zu bewerten, welche Staaten die nachahmenswertesten Strategien im Umgang mit der Epidemie gefunden haben. In solch eine Bewertung sollte nicht nur die Reduktion der (offiziellen) Fallzahlen, sondern auch die gesamtgesundheitlichen, gesellschaftlichen, menschenrechtlichen und wirtschaftlichen Kosten einfließen. Für eine abschließende Beurteilung ist es daher mithin noch zu früh.

Erste weltwirtschaftliche Folgen zeichnen sich laut WTO und UNCTAD ab

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) schließt in Folge der Verbreitung des Virus eine schwere Rezession nicht aus. Auf globaler Ebene könne es zu einer Verlangsamung des Wachstums um mehr als 2,5% kommen. In absoluten Zahlen könne der Verlust gegenüber ursprünglichen Projektionen bei ca. einer Billion liegen. Schwerere Verluste seien nicht auszuschließen, wenn es zu einem Vertrauensentzug von Verbrauchern oder Investoren käme. UNCTAD prognostiziert zudem einen signifikanten Rückgang von ausländischen Direktinvestitionen zwischen 5 und 15% für das Jahr 2020.[4]  Der am 11. März erschienene Handelsbarometer der WTO zeigt bereits jetzt eine spürbare Verlangsamung des Wachstums im Dienstleistungssektor auf. Es wird davon ausgegangen, dass der volle Effekt auf den Dienstleistungshandel erst in den kommenden Monaten sichtbar werden wird.[5]

Prominente multilaterale Treffen abgesagt – Menschenrechtsrat, IPU, WTO-Ministerkonferenz

Inzwischen beeinträchtigt COVID-19 auch die Kernarbeit der internationalen Organisationen in Genf massiv. Einige Beispiele: Nach dem Bekanntwerden eines COVID-19-Falls in der Welthandelsorganisation wurden am 10. März alle Treffen in der WTO umgehend bis zum 20. März abgesagt. Am Abend des 12. März wurde zudem nach Rücksprache mit der kasachischen Regierung bekannt gegeben, dass die für 8.-11. Juni vorgesehene Ministerkonferenz in der kasachischen Hauptstadt Nursultan nicht wie geplant stattfinden wird. Über einen Nachholtermin der angesichts zahlreicher dringlicher Dossiers mit Spannung erwarteten Konferenz wird wohl noch ein allgemeiner Rat befinden müssen.  Am 12. März setzte der UN-Menschenrechtsrat seine eigentlich noch bis Ende März vorgesehene Sitzung vorerst aus. Auch die für den 16.-20. April vorgesehene Generalversammlung der Interparlamentarischen Union (IPU), zu der nationale Abgeordnete aus der gesamten Welt anreisen, wurde abgesagt.

 

Die „Genfer Depesche“ geht in Kurzform auf aktuelle Entwicklungen in den Genfer multilateralen Organisationen zu einem aktuellen Thema ein. In den kommenden Wochen stehen die Auswirkungen von COVID-19 und Corona-Virus im Fokus der Berichterstattung.

 

[1] Ein täglicher Situationsbericht ist hier abrufbar: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports

[2] Die WHO unterscheidet vier Szenarien und empfiehlt entsprechend unterschiedliche Reaktionen: https://www.who.int/publications-detail/critical-preparedness-readiness-and-response-actions-for-covid-19

[3] Ein Interview mit Einschätzungen der Co-Direktorin des in Genf ansässigen Global Health Centres, Suerie Moon, finden Sie hier: https://www.letemps.ch/monde/suerie-moon-coronavirus-etatsunis-courent-desastre

[4] https://unctad.org/en/PublicationsLibrary/diae_gitm34_coronavirus_8march2020.pdf

[5] https://www.wto.org/english/news_e/news20_e/wtoi_11mar20_e.htm

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Kontakt

Andrea Ellen Ostheimer

Andrea Ostheimer

Leiterin des Multilateralen Dialogs Genf

andrea.ostheimer@kas.de +41 79 318 9841

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