Länderberichte
Staatspräsident Michel Temer (PMDB) hatte nach seiner Amtsübernahme angekündigt, er wolle den durch 13 Regierungsjahre der linken Arbeiterpartei (PT) verursachten freien Fall der brasilianischen Wirtschaft stoppen und die Bedingungen für den Privatsektor verbessern, um auf diese Weise mehr Arbeitsplätze und höhere Einkommen zu schaffen. Das hohe Haushaltsdefizit wollte er vor allem mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst in den Griff bekommen. Zudem versprach Temer weit-reichende Reformen des Rentensystems und des Arbeitsrechts. Die Austeritätspolitik seiner Regierung war in der Bevölkerung von Anfang an ausgesprochen unbeliebt. Temer war nach dem im Land sehr umstrittenen Impeachment der ehemaligen Staatspräsidentin Dilma Rousseff (PT) auf Grund der Nachfolgeregelung am 1. September 2016 endgültig an die Macht gelangt.
Pünktlich zu Beginn des Wahljahres 2018 ist es an der Zeit, eine Bilanz über die wirtschaftspolitischen Maßnahmen Temers zu ziehen. Was hat der umstrittene Präsident in seiner 17-monatigen Amtszeit erreicht? Wird er es schaffen, die viel diskutierte Rentenreform noch vor den Wahlen durch den Senat zu bringen? Was sagt die aktuelle Wirtschaftsentwicklung Brasiliens über die Regierung Temers aus? Befindet Brasilen sich tatsächlich auf dem Weg der langfristigen Erholung und am Beginn eines neuen Wachstumszyklus?
Um festzustellen, wie es der brasilianischen Wirtschaft zu Beginn des Jahres 2018 geht und was von dem laufenden Jahr zu erwarten ist, werden in diesem Länderbericht verschiedene Wirtschaftsindikatoren analysiert. Auf diese Weise soll die Wirtschaftslage Brasiliens mit Blick auf die Maßnahmen Temers sowie auf die zukünftige Entwicklung des fünftgrößten Landes der Erde bewertet werden.
1. Bruttoinlandsprodukt
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Brasilien gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) die acht-größte Volkswirtschaft der Welt. Nach einer Phase des außergewöhnlichen Wachstums gab es 2011 die ersten Zeichen eines Konjunkturabschwungs. Im Jahr 2015 geriet das Land in eine starke Rezession und durchlebte daraufhin die schwerste Wirtschaftskrise, die bisher in Brasilien registriert wurde. 2015 wurde ein negatives Wachstum von -3,8% und 2016 von -3,6% verzeichnet.
Mit Jahresbeginn 2017 setzte nach acht Quartalen abnehmender Wirtschaftsleistung erstmals wieder ein langsamer Erholungsprozess ein. Das BIP wuchs im ersten Quartal 2017 um 1,0% im Vergleich zum letzten Quartal des Vorjahres 2016. Der IWF verbesserte diese Woche die aktuellen Wachstumsprognosen für Brasilien. Demnach wird es im Jahr 2018 einen Anstieg des BIPs um 1,9% geben. Für das Jahr 2019 rechnet der IWF mit einem erneuten Wachstum des BIPs um 2,1%.
Wirtschaftsexperten zeigen sich bezüglich der Wirtschaftsentwicklung Brasiliens optimistisch. Sie weisen jedoch darauf hin, dass die Diskussionen über die Rentenreform sowie die politische Instabilität infolge des Wahljahres 2018 für Unsicherheit am Finanzmarkt sorgen könnten. Die Nachhaltigkeit des brasilianischen Wirtschaftswachstums hängt laut Expertenmeinung vorrangig von dem Voranschreiten der notwendigen Reformen ab.
2. Inflation
Im Gegensatz zu den Jahren 2015 und 2016, in denen die Inflation die Kaufkraft der brasilianischen Bevölkerung beschränkt hatte, war das Jahr 2017 von einem starken Desinflationsprozess geprägt. Nachdem die Inflation 2015 auf 10,67% gestiegen war, sank sie bereits 2016 wieder auf 6,29% und befand sich Ende 2017 auf einem historischen Tiefstand von 2,95%. Für das Jahr 2018 sagen Experten eine leichte Erhöhung der Inflation voraus, allerdings wird diese den Zielwert der Zentralbank von 4,5% voraussichtlich nicht überschreiten. Trotz des gestiegenen Konsums der Familien wird die erhöhte Nachfrage nicht ausreichen, um einen erneuten Anstieg der Preise auszulösen. Der IWF rechnet für das Jahr 2018 mit einer Inflationsrate von 4%.
Der Desinflationsprozess wurde von einer Rekordernte der Agrarindustrie eingeleitet, der den Sektor im ersten Quartal 2017 um 13,4% anwachsen ließ. Die durch günstige Klimabedingungen ausgelöste Superernte gab den Impuls für das unerwartet hohe Wachstum des BIP und verhinderte infolge sinkender Lebensmittelpreise einen weiteren Anstieg der Inflation. Die Lebensmittelpreise machen in Brasilien 25% der Ausgaben der Privathaushalte aus und waren somit entscheidend für den Rückgang der Inflations-raten. Laut Einschätzungen der GTAI (Germany Trade and Invest) wird das Wirtschaftswachstum im Jahr 2018 nicht erneut von der Agrarindustrie getragen, da diese infolge schlechterer Klimabedingungen geringere Ernteerträge erzielen dürfte. Die Konjunktur wird im kommenden Jahr voraussichtlich durch den Anstieg der Industrieproduktion (+3%) und durch das Wachstum im Dienstleistungssektor (+2,2%) an-gekurbelt.
3. Zinssatz
Infolge der niedrigen Inflation setzte die Zentralbank 2017 den Leitzins Selic auf einen neuen historischen Tiefstand von 7% herab. Innerhalb eines Jahres wurde der Leitzins somit von ursprünglich 14,25% (2016) um mehr als die Hälfte reduziert (-50,8%). Das Zinsniveau wird im Jahr 2018 von den erwarteten Schwankungen des US-Dollars abhängen. Da viele in Brasilien verkaufte Produkte mit importierten Bauteilen produziert werden, könnte ein Anstieg des US-Dollars Druck auf die Inflation ausüben. In diesem Fall ist die Anhebung des Zinsniveaus das wesentliche Instrument der Zentralbank, um die Inflation niedrig zu halten. Der Verlauf der Zinssätze wird nach der Einschätzung von Experten zudem von dem Fortschreiten der Reformvorhaben und somit vom Wahlszenario 2018 abhängen. Ausgehend von einem positiven Inflationsniveau und einem stabilen Wechselkurs sind bis Ende 2018 weitere Zinssenkungen auf bis zu 6,75% möglich.
Präsident Temer erklärte, der niedrige Stand des Leitzins Selic sei eine direkte Folge der wirtschaftlichen Maßnahmen seiner Regierung. Diese hätten die Bedingungen für die Zentralbank zur Senkung der Zinsen geschaffen.
4. Arbeitsmarkt
Zum Zeitpunkt der Amtsübernahme Temers lag die Arbeitslosenquote bei 11,3%. Im ersten Quartal 2017 war die Arbeitslosenquote auf einen neuen Rekordwert von 13,7% angestiegen (14,2 Mio.). Damit hatte sich die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt. Als Grund für den Anstieg der Arbeitslosenquote An-fang 2017 nennen Wirtschaftsexperten die hohe Unsicherheit, die weiterhin auf dem Arbeitsmarkt bestand. Viele brasilianische Unternehmen warteten vergebens auf klare Signale, dass die schwere Krise der Vorjahre tatsächlich überwunden war, und verzichteten deshalb vorerst auf Neuanstellungen. Obwohl die Arbeitslosenquote gegen Ende 2017 wieder zu sinken begann, wird sich der Arbeitsmarkt laut Einschätzung der Experten voraussichtlich erst 2018 beruhigen. Kritisiert wurde, dass es sich bei der großen Mehrheit der neu geschaffenen Arbeitsplätze um informelle Arbeitsverhältnisse handelte. Laut Daten der GTAI wird 2018 ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf 11,8% erwartet . Jedoch werde die vollständige Erholung des Arbeitsmarktes nur sehr langsam ablaufen und erst 2022 zum Vorkrisenniveau zurückfinden.
Angesichts der alarmierenden Arbeitslosen-zahlen zu Beginn des Jahres 2017 setzte Temer im August 2017 eine umstrittene Arbeitsmarktreform im Senat durch. Durch die Gesetzesänderung sollte es Unternehmen erlaubt werden, flexiblere Regeln zu Arbeitsstunden und Urlaubstagen anzuwenden. Zudem wurden die verpflichtenden Gewerkschaftsbeiträge abgeschafft. Der Präsident erklärte, das neue Gesetz diene der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und werde für eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit des Landes sorgen. Das Gesetz wurde von der Opposition scharf kritisiert. Sie warf der Regierung vor, ausschließlich Arbeitgeberinteressen zu verfolgen und Arbeitnehmerrechte zu stark einzuschränken.
5. Konsumverhalten
Die Konjunktur wurde im Jahr 2017 vor allem vom Konsum der brasilianischen Haushalte angekurbelt. Ausschlaggebend für den Anstieg des privaten Verbrauchs waren die geringe Inflation, niedrige Zinsen und leichte Verbesserungen auf dem brasilianischen Arbeitsmarkt.
Im Dezember 2016 hatte Michel Temer außerdem die Freigabe der inaktiven Konten aus dem Arbeitnehmerfonds FGTS für alle Arbeitnehmer beschlossen. Zuvor waren nur Arbeitnehmer, die über drei Jahre durchgehend arbeitslos gemeldet waren, dazu berechtigt, Geld aus dem Arbeitnehmerfonds abzuheben. Die Maßnahme Temers verhalf vielen Brasilianern kurzfristig zu mehr Kauf-kraft und trug zur Anregung des Konsums bei. Insgesamt wurden 2017 durch den Arbeitnehmerfonds FGTS R$ 215 Billionen in den Wirtschaftskreislauf gepumpt, 2016 waren es nur R$ 190 Billionen – 13,1% weniger. Allein aus den inaktiven Konten wurde eine Summe von insgesamt R$ 44 Billionen an die Arbeitnehmer ausgezahlt. Nach Angaben der Caixa Bank wurden die Abhebungen vor allem im Einzelhandel und zur Begleichung von Schulden verwendet. Es bleibt abzuwarten, ob sich die von der Regierung geschaffenen Impulse langfristig positiv auf die Kaufkraft der brasilianischen Haushalte auswirken.
Auch für das Jahr 2018 kündigte die Regierung Temer weitere Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft an. Finanzminister Henrique Meirelles betonte, dass es sich aus-schließlich um Maßnahmen handeln dürfe, die nicht zu Lasten der Staatsfinanzen und des öffentlichen Haushalts fallen. Laut der Bewertung der Goldman Sachs Group wird der gestiegene Konsum 2018 gemeinsam mit der brasilianischen Währungspolitik zu einer Erholung der Wirtschaftslage führen.
6. Industrieproduktion
Im November letzten Jahres überraschte der brasilianische Industriesektor zum dritten Mal in Folge mit Wachstum. Im Vergleich zum Oktober war die Industrieproduktion um 0,2% angestiegen. Gegenüber November 2016 war die Produktionsleistung sogar um 4,7% gewachsen. Die Industrieproduktion profitierte von den niedrigen Inflations- und Zinsraten, die den Konsum ankurbelten.
Besonders das verarbeitende Gewerbe verzeichnete 2017 einen Anstieg der Produktion und nutzte zunehmend neue Exportchancen. Aus vielen Branchen gab es 2017 positive Nachrichten: Die Kfz-Industrie verbuchte eine besonders starke Produktionsleistung und auch der Öl- und Gassektor erholte sich langsam. Zu den wieder wach-senden Branchen gehörte außerdem die Energiewirtschaft, Land- und Forstwirtschaft sowie die Nahrungsmittelindustrie. Die Erholung der Maschinenbauindustrie und der Bauwirtschaft schritt im Vergleich langsamer voran.
7. Investitionen
Die staatliche Förderbank BNDES hat 2017 sowohl so wenig Kredite an Unternehmen vergeben als auch Kreditanfragen erhalten wie zuletzt vor 14 Jahren. Mit einem Rekordtief von 16% des BIP gehört Brasilien zu den Ländern mit den niedrigsten Investitionsquoten weltweit. Die Ursachen für das mangelnde Kreditgeschäft – vor allem im Industrie- und Infrastrukturbereich – sind vielfältig. Das Ausbleiben von Investitionen lässt sich hauptsächlich auf die Unsicherheit zurückführen, die von der angespannten politischen Lage ausgeht. Auch die weiterhin niedrige Kapazitätsauslastung der Industrie spielt eine entscheidende Rolle. Eine Gefahr für die brasilianische Wirtschaft, da fehlende Investitionen einen erneuten Anstieg der Inflation auslösen könnten. Im Wahljahr 2018 wird erstmals wieder ein leichter Anstieg der Bruttoanlageinvestitionen erwartet. Laut Angaben der GTAI könnte sich die gänzliche Erholung der Investitionen noch bis zum Jahr 2024 hinauszögern .
Im Rahmen des Programa de Parcerias de Investimentos (PPI) plant die Regierung unter Michel Temer für 2018 die Privatisierung des brasilianischen Energiekonzerns Eletrobras und die Konzessionierung von sechs Stromverteilungsunternehmen. Auf diese Weise sollen ausländische Investoren gewonnen und mehrere Milliarden Euro erlöst werden. Zudem sollen mehrere Flughäfen sowie große Getreide- und Benzinumschlag-plätze teilprivatisiert werden. Auch für den Betrieb von großen Überlandstraßen, Wasserkraftwerken und von bisher staatlichen Firmen wie den Abwasserentsorger in Rio de Janeiro können Investoren zukünftig bieten. Aufgrund des maroden Staatshaushaltes ist es gut möglich, dass die Infrastrukturprojekte auch nach der Wahl über Investitionspartner ausgeführt werden. Die Investitionen der Konzessionäre in Brasiliens Infrastruktur ziehen jedoch nur langsam an. Von einem bedeutenden Anstieg der Investitionen in der brasilianischen Wirtschaft kann deshalb noch nicht gesprochen werden. Dem Staat fehlen die Mittel für Investitionen oder Sozialprogramme. 95% des Staatshaushaltes sind festgeschrieben, 57% allein für die Rentenversicherung. Die politischen Richtungsentscheidungen der nächsten Monate sind daher ausschlaggebend für Brasiliens Zukunft.
8. Außenhandel
Der starke Anstieg des brasilianischen Außenhandels leistete 2017 einen wichtigen Beitrag zum erneuten Wachstum des Landes. Brasiliens Handelsbilanz verzeichnete im letzten Jahr einen Rekordüberschuss von 67 Milliarden US-Dollar. Die Agrarexporte wuchsen sowohl dank der Rekordernte zu Beginn des Jahres, als auch aufgrund höherer Rohstoffpreise. Infolge der vergleichs-weise niedrigen Inlandsnachfrage stellten Unternehmen der unterschiedlichen Industriesektoren verstärkt auf Export um. Die Produkte, die am meisten zum Anstieg der Exporte betrugen, waren Soja, Fleisch, Zellulose, Getreide, Mehl und Produkte aus dem Zucker- und Alkoholsektor. China war auch im Jahr 2017 der Hauptabnehmer der brasilianischen Exportprodukte und erweiterte seine Beteiligung von 24,5 auf 27,7%.
Die Regierung Temer versucht den Außenhandel durch eine Entbürokratisierung der Verfahren zu fördern. Als Folge langjähriger protektionistischer Maßnahmen bildet Brasilien als geschlossenste Volkswirtschaft noch immer das Schlusslicht der G20-Staaten. Hoffnung legen Experten daher in das ge-plante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay). Die Verhandlungen sollen dieses Jahr endlich abgeschlossen werden.
9. Öffentliche Ausgaben und Reformvorhaben
Die größte Herausforderung der Regierung Temer war von Beginn an die Bekämpfung des Haushaltsdefizits, das während der Präsidentschaft Rousseffs auf etwa 10% gewachsen war. Eine der ersten Maßnahmen Temers war daher das Einfrieren öffentlicher Gelder. Seit der Einführung einer Ausgabenobergrenze (teto de gastos) Ende 2016 darf der Anstieg der Regierungsausgaben nicht mehr höher als der Anstieg der Inflationsrate des Vorjahres sein. Opposition und Zivilgesellschaft kritisierten, dass aufgrund dessen Gelder für wichtige Investitionen im Bereich Gesundheit und Bildung fehlen würden.
Den höchsten Anteil am Staatshaushalt hat die viel diskutierte Rentenversicherung. Seit seiner Amtsübernahme kämpft Temer daher gegen viel Widerstand aus der Opposition für die Reform des defizitären Rentensystems. Hierbei befindet sich der Präsident in einem Wettlauf gegen die Zeit, bei dem eine Verabschiedung der Rentenreform vor den Wahlen im Herbst 2018 immer unsicherer wird. Die Regierung schaffte es zuletzt nicht, ihren Vorschlag wie geplant noch vor Jahresende 2017 durchsetzen. Die Hoffnungen liegen nun auf den für Ende Februar angesetzten Verhandlungen. Die Reform des Rentensystems ist zwingend notwendig, um die Konsolidierung des Staatshaushalts zu bewältigen. Sollte die Rentenreform nicht beschlossen werden, dürften die Prognosen über das Wirtschaftswachstum 2018 deutlich nach unten korrigiert werden.
10. Börse
Die Börse in São Paulo startete innerhalb der ersten Januarwoche mit dem Anstieg des brasilianischen Leitindex Bovespa um etwa 10% überaus positiv in das neue Jahr 2018. Im Vorjahr war der Index des brasilianischen Aktienmarktes um 48% gestiegen. Die Ursachen für die gute Stimmung sind nicht offensichtlich: Es besteht zwar weiterhin die Möglichkeit, dass Temer seine Rentenreform noch vor den Wahlen durchsetzt, doch die dafür notwendigen Abmachungen und politischen Tauschgeschäfte werden den Haushalt und die Verschuldung langfristig belasten. Der allgemeine Optimismus an den internationalen Aktienmärkten dürfte sich dagegen positiv an der brasilianischen Börse wiederspiegeln.
Für Aufruhr sorgte zuletzt die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Brasiliens durch die US-Ratingagentur Standard & Poor´s (S&P). Die Bonitätsnote des Landes wurde durch S&P von „BBB“ auf „BBB-„ gesenkt. Somit befindet Brasilien sich an der Schwelle zu den Staaten, in denen die Ratingagentur Investitionen als riskant bewertet. S&P be-gründete seine Entscheidung mit den mageren Prognosen zu Brasiliens Wirtschaftswachstum, sowie mit den bestehenden Haushaltsrisiken und der politischen Instabilität. Zudem wurden das langsame Voran-schreiten der Reformvorhaben und der erneute Anstieg der Staatsverschuldung kritisiert.
Fazit
Die Analyse der verschiedenen Wirtschaftsindikatoren zeigt auf, dass Brasilien sich langsam auf dem Weg aus der Krise befindet. Im Jahr 2017 nahm das Land bei niedriger Inflation, geringen Zinsen und steigendem Konsum nach mehr als zwei Jahren schwerster Rezession endlich wieder Kurs auf Erholung. Auch von Arbeitsmarkt, Industrie und Börse wurden im letzten Jahr überwiegend positive Signale gesendet. Schwachpunkt der brasilianischen Wirtschaft bleibt die nach wie vor niedrige Investitionsquote.
Trotz dieser guten Nachrichten liegen die Beliebtheitswerte von Staatspräsident Temer mit Werten um 5% am Boden. Entlassungen im Staatsdienst, Begrenzung der öffentlichen Ausgaben, Privatisierungsprogramme, Änderung der Arbeitsgesetzgebung sowie der Kampf um die noch ausstehende Rentenreform stoßen in großen Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis und Widerstand. Die Regierung Temer wäre deshalb sicher gut beraten gewesen, diese Maßnahmen von Anfang an besser zu kommunizieren bzw. ihr langfristiges positives Potenzial besser zu erklären. Denn sie sind unerlässlich, soll die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Landes gesichert werden.
Die Kommunikationsdefizite erklären den fehlenden Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung allerdings nur teilweise. Temer hatte aufgrund der gegen ihn und andere Kabinettsmitglieder vorliegenden Korruptionsvorwürfe von Anfang an mit einem erheblichen Legitimationsverlust seiner Regierung zu kämpfen. Dies schränkte seine Handlungsfähigkeit bezüglich der notwendigen Reformvorhaben in nicht unerheblichem Maße ein.
Die aktuellen Wirtschaftszahlen sprechen in der Sache dennoch für die Politik des Präsidenten und es ist zu hoffen, dass die von Temer angestoßenen Maßnahmen auch langfristig greifen. Viele Experten sind der Meinung, dass das Erbe der Regierung Temer nunmehr mit dem Schicksal der Rentenreform steht oder fällt. Sollte die Reform scheitern, wird die Regierung als reine Übergangsregierung in die Geschichte ein-gehen.
Allerdings könnten die Wirtschaftsdaten theoretisch noch viel besser ausfallen: Brasilien wird sein Potenzial erst dann voll aus-schöpfen können, wenn sich die politische Lage im Land stabilisiert. Insofern ist das harte, konsequente und juristisch sauber gearbeitete Strafurteil zweiter Instanz gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Lula da Silva (PT) vom 24. Januar 2018 wegen Korruption und Geldwäsche ein wichtiger Meilenstein. Über lange Zeit hat der Korruptionsskandal „Lava Jato“ Brasilien innen- wie auch außenpolitisch völlig gelähmt und zu einem enormen Vertrauensverlust seitens der Investoren sowie der internationalen Gemeinschaft geführt. Die Zukunft Brasiliens hängt davon ab, ob sich Brasilien durch die Aufarbeitung dieser Skandals politisch erneuern kann und die Politik ihre Ressourcen daraufhin wieder den vielen drängenden Themen widmen kann.
Baustellen gibt es genug: Brasilien befindet sich aufgrund seiner Rohstofforientierung nach wie vor in großer Abhängigkeit von Öl- und Gaspreisen sowie der chinesischen Nachfrage. Zudem gibt es im Land erhebliche strukturelle Probleme, die auf jahrelangen Protektionismus, fehlende Diversifizierung, lähmende Bürokratie, mangelnde Investitionen in Infrastruktur und Bildung sowie eine hohe Zoll- und Steuerlast zurück-zuführen sind. Auch die enormen sozialen Ungleichheiten sowie das Konfliktpotential der inneren Sicherheitslage belasten das Land schwer.
Brasilien benötigt dringend eine nicht von ständigen Korruptionsvorwürfen lahmgelegte und somit handlungsfähige Regierung, um endlich wichtige Richtungsentscheidungen in den genannten Problembereichen zu treffen. Die Analyse der volkswirtschaftlichen Kennzahlen belegt, dass sich Brasilien zurzeit auf Erholungskurs befindet – doch ohne ein rasches Ende der politischen Unwägbarkeiten wird die brasilianische Wirtschaft ihr großes Potenzial nicht ausschöpfen können.