Veranstaltungsberichte
Weg vom Minutentakt und hin zu Einstufung nach Pflegebedürftigkeit
Fachkonferenz in Freudenstadt gibt Einblicke in die kommende Pflegegesetzreform
„Der Staat ist für die Menschen da. Auch mit einem Pflegewesen, das dem Rechnung trägt“
betonte der Parlamentarische Staatssekretär und Bundestagsabgeordnete der Region, Hans-
Joachim Fuchtel gleich bei der Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Eine
sorgfältige Reform zum Wohle der Menschen sei daher vom noch in diesem Jahr zu
beschließenden „Zweiten Pflegestärkungsgesetz“ zu erwarten. Dessen Neuerungen standen im
Mittelpunkt der Veranstaltung mit Multiplikatoren, Praktikern und allgemein interessierten
Bürgerinnen und Bürger am Samstagmorgen im Klinikum Hohenfreudenstadt.
Als Referent konnte das Politische Bildungsforum Baden-Württemberg der Konrad-
Adenauer-Stiftung Herrn Bernhard Fleer begrüßen, Diplom-Pflegewirt und als Fachberater
im Team Pflege beim Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
(MDK) tätig. Mit ihm konnte ein ausgewiesener Experte für die Thematik der Einordnung in
Pflegestufen –bzw. zukünftig Pflegegrade und den Bedürftigkeitsbegriff für die Veranstaltung
im Nordschwarzwald gewonnen werden.
Experte Fleer stellte gleich zu Beginn klar: Das neue Begutachtungsassessment und die neuen
Pflegegrade stellen eine der größten Veränderungen, die es bisher im Pflegebereich gab, dar.
Es sind jedoch signifikante Verbesserungen für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte zu
erwarten. Zudem wird in aller Regel ein Anstieg der Leistungen, die voraussichtlich zum 01.
Januar 2017 in das System der fünf neuen Pflegegrade erfolgen wird, erwartet. Dazu wird
voraussichtlich der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,3 Prozent werden, was jedoch nicht
die bereits erfolgten Mehrausgaben in den letzten Jahren und die zu erwartenden neuen
Gelder für die Pflegebedürftigen auffangen kann.
Zentrale Veränderung im Ansatz ist der Fokus auf einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff:
„nicht Minuten sondern der Grad der Selbstständigkeit“ seien nach der Reform entscheidend
für die Einstufung in Pflegegrade. „Was kann die Person noch selbst?“ Dabei sind die
„Erwartungen hoch und auch die Veränderungen von Rahmenbedingungen müssen
gewährleistet werden“. Dennoch sei dieser Schritt wichtig, so Fleer, denn das „Schlagwort
‚Minutenpflege‘ ist nicht nur nicht positiv besetzt“, sondern das bestehende System sei
zunehmend nicht mehr praktikabel, in der Praxis entstünden Probleme zum Beispiel durch
den hohen bürokratischen Aufwand so Fleer vor Gästen nicht nur aus dem Kreis
Freudenstadt.
Die anschließende Diskussion wurde vom Landtagsabgeordneten des Wahlkreises
Freudenstadt Norbert Beck moderiert. Er verwies auf die Expertise vieler in der Region
tätiger Fachkräfte und betonte die Wichtigkeit struktureller Reformen, um besonders diese
ländliche Region für den aktuellen und kommenden Pflegebedarf „fit“ zu machen. Der hohe
Bedarf an Pflegekräften werde erhalten bleiben: „Wo sollen diese herkommen?“ Neben der
Anwerbung Ländern der Europäischen Union müsse auch das Berufsbild attraktiver und die
Möglichkeiten der Branche bekannter gemacht werden.
Diskussionsbeiträge aus dem Feld der Teilnehmerinnen und Teilnehmer betonten unter
anderen, das viele Betroffene und Angehörige vom bürokratischen Aufwand und den
rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich Pflege überfordert sind. Hier müssten der
Gesetzgeber, Behörden, Krankenkassen und Pflegedienstleister vorweg gehen und Wege
finden, um ein größeres Bewusstsein zu schaffen und Aufklärungsarbeit zu leisten – gerade mit Hinblick auf ein neues und zumindest zunächst als hochkomplex wahrgenommenes Begutachtungs- und Einstufungssystem.
In Reaktion auf die Beiträge aus den Reihen interessierten Publikums war sich Fleer sicher:
Das neue System bringe eine „gerechtere Einstufung der Pflegebedürftigen“, dazu seien aber
„viele weitere Bemühungen nötig, an denen wir alle gemeinsam arbeiten müssen.“
Die Konferenz war die zweite Veranstaltung einer Reihe, die ihre Fortsetzung im Januar
2016 finden wird. Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung wie zur kommenden in der
Reihe der Pflegekonferenzen finden Sie unter www.kas.de/bw.
Text: Jonas Gasthauer