Länderberichte
Am 25. Juni stand Costa Rica still. In mehr als 30 Städten und Orten des Landes folgten zehntausende Costa-Ricaner dem Aufruf von Gewerkschaften und sozialen Gruppen und demonstrierten friedlich gegen die verfehlte Politik der sozialdemokratischen Regierung von Laura Chinchilla. Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und andere staatliche Einrichtungen blieben geschlossen. Einige Staatsbetriebe, z.B. der größte Hafen des Landes in Limón, standen zeitweise still. Ein Verkehrschaos war die Folge. In der Hauptstadt San José endete der Protestzug beim Amtssitz der Präsidentin.
Demonstrationen verliefen friedlich
Einige wenige Demonstranten warfen Steine und Holzlatten auf die anwesenden Journalisten. Die Gewalt ging jedoch von einer kleinen Gruppe junger Leute aus, die im Allgemeinen von Polizei und Medien als „Anarco-Punks“ bezeichnet werden und wohl vorwiegend das besondere Erlebnis suchen, denn eine politische Botschaft vermitteln wollen. Mit Ausnahme dieser Unruhestifter verliefen die Manifestationen äußerst friedlich.
Anlass der Proteste war die Frage nach dem Streikverbot von Beamten und Angestellten in essentiell wichtigen Bereichen wie etwa dem Gesundheitssektor. Zwischen Regierung und Gewerkschaften bestehen unterschiedliche Auffassungen, welche Angestelltengruppen streiken dürfen und welche nicht. Die Gewerkschaften, allen voran die Lehrergewerkschaft, lehnen ein Gesetzesvorhaben, das eine Reform des Streikrechts vorsieht, ab und fürchten dessen übertriebene Ausweitung.
Den Demonstrationen schloss sich kurzfristig ein buntes Potpourri an gesellschaftlichen Gruppen an: Taxi-, Bus- und Motorradfahrer, Hafenarbeiter, Angestellte im Gesundheitswesen und Studenten nahmen ebenso teil wie Vereinigungen für lokale Entwicklung oder Homosexuellengruppen, die allesamt für ihre verschiedenen Anliegen warben.
Hauptsächlich protestierten die Bürger gegen Korruption und Misswirtschaft, die verfehlte Wirtschaftspolitik und ein Gesetz gegen die Vergabe von Konzessionen bei öffentlichen Aufträgen. Besonders die Vergabe von Aufträgen an ausländische Unternehmen stößt auf Ablehnung. Die Sorge, man „verkaufe“ Costa Rica an das Ausland, teilen viele Bürger des Landes.
Fälle von Korruption nehmen zu
Vor wenigen Monaten kam es bereits zu heftigen Protesten gegen ein Straßenbauprojekt im Zentraltal des Landes, wo etwa die Hälfte der 4,5 Millionen Einwohner des Landes wohnt. Die brasilianische Firma OAS erhielt den Zuschlag, eine Schnellstraße auszubauen. Die Finanzierung sollte in Teilen über die obligatorische Zahlung durch das Verkehrsministerium und ein Mautrecht für OAS gesichert werden. Die immensen Kosten legten jedoch nahe, dass bei der Vergabe der Konzession Korruption mit im Spiel war. Zudem wurde nicht bekanntgegeben, wie hoch die Mautgebühren ausfallen würden. Schnell schlossen sich betroffene Bürger zu dem „Foro Occidental“ zusammen, das die Aussetzung des Vorhabens erreichte. Im aufgeheizten Klima des Misstrauens folgten Bürger der Stadt Cartago diesem Beispiel und stoppten den Ausbau der Straße von San José nach Cartago. Bekannt geworden ist ebenso Misswirtschaft im Fall eines Straßenbauprojekts entlang der Grenze mit Nicaragua. Hier wurde bereits der Löwenanteil des veranschlagten Budgets verausgabt. Doch außer einer Schotterpiste sind bislang keine nennenswerten Baufortschritte erzielt worden.
Politische Analysten vermuten einen Zusammenhang zwischen dem Engagement der chinesischen Regierung in Costa Rica und dem Streit um den costa-ricanisch-nicaraguanischen Grenzfluss San Juan, den Nicaragua eventuell für den Bau eines Schifffahrtskanals ausbaggern möchte. Das Kanalprojekt wird durch China unterstützt, ebenso die Pläne eines „Trockenen Kanals“, d.h. einer atlantisch-pazifischen Eisenbahnlinie sowohl in Honduras als auch in Guatemala.
Abgesehen von den Motiven der Volksrepublik China, sehen viele Costa-Ricaner das chinesische Engagement deswegen mit Unbehagen, weil bei Investitionsvorhaben ausländischer Unternehmen bzw. Staaten in Costa Rica kein ausreichendes Maß an Transparenz und Bürgerbeteiligung vorherrschen und sich so schnell ein Korruptionsverdacht erhärtet.
Mangelnder Dialog mit den Bürgern
Zielscheibe der Proteste war die Staatspräsidentin Chinchilla, obwohl sie bei den Wahlen im Februar 2014 verfassungsgemäß nicht erneut kandidieren darf. Die Amtszeit der Sozialdemokratin ist von vielen Pannen, Missgeschicken und Skandalen gezeichnet, die sie zudem medial schlecht managte. Mit ihren Aussagen schuf sie oftmals den Eindruck, sie nehme die Sorgen und Nöte der Bürger nicht ernst. Dem Dialog mit verschiedenen Protestbewegungen hat sie sich meist verweigert.
In einem Land, das Pazifismus zum nationalen Charakterzug erklärt - und es an keiner Stelle ausgelassen wird dies zu betonen – und wo aufgrund der kleinen Größe des Landes der soziale Kontakt besonders wichtig ist, ist die Ablehnung von Dialogbereitschaft eines Politikers alles andere als populär. Volksferne wird schnell als Arroganz ausgelegt.
Hinzu kommen Fälle von Misswirtschaft, Korruption und persönlicher Vorteilsnahme, die das allgemeine Vorurteil, Politikern ginge es nur um Selbstbereicherung, zu bestätigen scheint.
Zunehmende Relevanz sozialer Netzwerke
Zwar hatten die Demonstrationen einen spezifischen Anlass, wuchsen jedoch schnell zu einem Massenprotest mit vielfältigen Forderungen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen heran. Wichtig bei der Verbreitung des Protestaufrufs waren die sozialen Netzwerke. Deren Nutzungsgrad und die Abdeckung mit Internetanschlüssen sind in Costa Rica recht gut. Gleichzeitig ist die Medienlandschaft aufgrund der geringen Größe des Landes überschaubar und unterliegt einer hohen Konzentration in der Besitzstruktur. Informationen verbreiten sich daher schnell durch Mundpropaganda per Internet. Kein Politiker und keine Partei kann es sich mittlerweile in Costa Rica leisten, das Geschehen im Internet außer Acht zu lassen.
Keine „brasilianischen Verhältnisse“
Die Proteste können als Ausdruck einer großen Unzufriedenheit mit der Regierung und der politischen Elite gewertet werden, die in den vergangenen Monaten und Jahren eine Zunahme erfahren hat. Im Land gibt es eine Fülle an ungelösten sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen und institutionellen Problemen, die von den Regierenden nicht mit der notwendigen Entschlossenheit angepackt werden.
Einen Zusammenhang mit den Protesten in Brasilien herzustellen, scheint jedoch übertrieben. Einen „Ansteckungseffekt“ oder „überspringenden Funken“ hat es nicht gegeben. Anlass war der Aufruf der Gewerkschaften und sozialer Gruppen gegen ein Gesetzesvorhaben. Der Bürgersinn in Costa Rica ist im lateinamerikansichen Vergleich relativ stark ausgeprägt, weshalb der Anspruch an die Regierenden höher ist als in anderen Staaten der Region. Zudem gab es in Costa Rica kein außergewöhnlich hohes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren wie in Brasilien, von dem die Oberschicht überproportional profitiert hätte. Armut und Ungleichheit ist nach wie vor ein Problem, doch erreichen sie nicht die Ausmaße anderer lateinamerikanischer Länder.
Kritik am Bau einer Ölraffinerie
Protestiert wurde auch gegen andere Großprojekte der Regierung Chinchilla. Das letzte große Infrastrukturprojekt, das vorübergehend ausgesetzt wurde, ist der geplante Bau einer Ölraffinerie an der Karibikküste. Bei dem kürzlich erfolgten Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping erklärte dieser, dass China vergünstigte Kredite für den Bau der Raffinerie und den Ausbau der Schnellstraße von Limón nach San José – eine der Haupttransportrouten des Landes, vor allem für die einheimische Exportindustrie – an Costa Rica vergeben würde.
Oppositionsparteien und Umweltgruppen übten scharfe Kritik an dem Vorhaben, das das Ziel einer CO2-neutralen Energiepolitik konterkarieren würde. Als der Direktor des staatlichen Ölunternehmens RECOPE (Refinadora Costarricense de Petróleo) in einer Pressekonferenz keine Aussagen über die veranschlagten Kosten des Baus und des erwarteten Ertrags der Raffinerie treffen konnte, war dies Wasser auf die Mühlen der Gegner des Projekts.