Länderberichte
Seit dem Ende des Koreakrieges 1953 ist der Besuch von Präsident Moon Jae-in vom 18. bis zum 20. September 2018 die erst dritte Visite eines südkoreanischen Staatsoberhauptes in Pjöngjang überhaupt. Zuvor waren nur die Präsidenten Kim Dae-Jung (2000) und Roh Moo-Hyun (2007) zu Gipfeltreffen nach Pjöngjang gereist. Erstmals hat es in Südkorea eine Live-Übertragung der Ereignisse in Pjöngjang gegeben. Das konnte Seoul in den Verhandlungen durchsetzen. Damit wollte die Administration von Präsident Moon für Transparenz sorgen und sowohl beim kritischen Teil der eigenen Bevölkerung wie auch international Vertrauen gewinnen. In den Medien des Nordens blieb es bei der traditionell zeitversetzten Berichterstattung. Im Vorfeld und noch am ersten Besuchstag gab es nur wenige Informationen in den ausschließlich staatlichen Medien. Dann allerdings folgte eine breite und positive Berichterstattung über den Gipfel. Selbst den offiziellen Titel von Präsident Moon („Präsident der Republik Korea“) haben die Medien in Nordkorea, anders als früher, verwandt. Auch Ehrenformation und Salutschüsse haben das innerkoreanische Treffen erstmals zu einem Staatsbesuch aufgewertet.
Die Atmosphäre in den Gesprächen war den Berichten zufolge durchweg positiv. Die Bilder vom „großen Bahnhof“ kommen der südkoreanischen Administration sehr gelegen; sind sie doch Zeugnis einer erfolgreichen Annäherungspolitik. Die dreitägige Zusammenkunft der Staatsführungen der beiden Koreas in Pjöngjang 2018 stand unter der gemeinsam gewählten koreanischen Leitlinie "Frieden und (neue) Zukunft". Auch in Pjöngjang ist die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel das zentrale Thema.
Die inhaltlichen Differenzen und vor allem die Unsicherheit über die weitere Entwicklung, die nach dem Treffen zwischen Kim Jong-un und Donald Trump in Singapur zu spüren war, bleiben auch nach diesem Gipfel. Und das trotz gewisser Fortschritte. Moon versucht sich als Vermittler zwischen Pjöngjang und Washington - eine für ihn zunehmend größere Herausforderung. In den Tagen und Wochen vor der Reise hat es auf Arbeitsebene intensive Abstimmungen zwischen Südkorea und den USA gegeben.
Der Druck auf den „Vermittler“ Moon hat zugenommen. Er musste versuchen, bei seinen Gesprächen in Nordkorea substantielle Fortschritte zu erzielen, um den Gesprächsfaden zwischen Kim und Trump nicht abreißen zu lassen. Nach dem letzten Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo in Pjöngjang hatte es wechselseitige Vorwürfe gegeben. Es drohte ein Stillstand, nachdem US-Präsident Trump eine weitere Mission Pompeos kurzfristig und wie stets via Twitter abgesagt hatte, weil Nordkorea keine ausreichenden und konkreten Maßnahmen in Richtung Denuklearisierung auf den Weg bringen würde. In dieser Situation musste Moon in Pjöngjang Druck ausüben, um Zugeständnisse zu erreichen. Der Norden müsse Details für konkrete Abrüstungsschritte auf den Tisch legen.
Im Kern unterstützt die südkoreanische Regierung die amerikanische Seite hinsichtlich der Choreographie für die Verhandlungen. Moon hat stets betont, dass die Denuklearisierung am Anfang des Prozesses stehen müsse – mit dem Ziel eines „irreversiblen Friedens“ auf der Halbinsel.
Der Konflikt in Korea hat eine lange Geschichte. Das ist einer der Gründe, warum es einfache und schnelle Lösungen kaum geben kann. Bis heute beeinflusst der Koreakrieg und sein Ergebnis das Leben und den Lebensstil der Menschen. Und bis in die 80er Jahre war die Auseinandersetzung zwischen Süd und Nord vorwiegend ideologisch geprägt. In den frühen 90er Jahren erst rückten mit Blick auf die zunehmende Bedrohung Sicherheitsfragen in den Vordergrund. Besonders problematisch war in diesem Zusammenhang der Austritt Nordkoreas aus dem Atomwaffensperrvertrag im Jahr 1993. Im nächsten Jahr folgte dann prompt die erste „Nuklearkrise“. Das bleibt die nach wie vor ungelöste Kernfrage.
Formell betrachtet hält bis heute nur ein Waffenstillstandsabkommen die Beteiligten von Kampfhandlungen ab. Die Frage eines Friedensvertrages ist deshalb ein wesentlicher Punkt in den laufenden Gesprächen. Die Nordkoreaner wünschen sich dieses Abkommen zu Beginn der Verhandlungen, die Amerikaner sehen in einem Friedensvertrag eher das Ende des Annäherungsprozesses. Eine „harte Nuss“ für Vermittler Moon, der gleichermaßen das tiefe Misstrauen zwischen Pjöngjang und Washington sowie das nicht minder schwierige innerkoreanische Verhältnis im Blick behalten muss.
Ein „neues Nordkorea“? Was verändert sich?
Alle UNO-Resolutionen zu Nordkorea, die seit 2014 vom UN-Sicherheitsrat auf den Weg gebracht worden sind, haben das gegen Nordkorea gerichtete Sanktionsregime weiter verschärft. Zur Frage der Wirksamkeit der Sanktionen gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Das Ziel der Sanktionen, Nordkorea zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, konnte jedenfalls bisher nicht erreicht werden. Auch, wenn es in diesem Jahr weder Atom- noch Raketentests gegeben hat. Das „System Nordkorea“ hat bisher durchgehalten.
Möglicherweise gibt es aber an anderer Stelle Veränderungen, die mit den verhängten Sanktionen zusammenhängen. So hat die Bedeutung der Jangmadang, der lange illegalen und heute vielfach geduldeten privaten Märkte deutlich zugenommen. Mittlerweile spielen sie eine zentrale Rolle in der nordkoreanischen Wirtschaft. Die Funktionsweise der Jangmadang ist aktuell weit fortgeschritten. Und weil das rein sozialistische Verteilungssystem seit der Hungerkatastrophe in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nicht mehr funktioniert, gehen viele Beobachter von einer unumkehrbaren Entwicklung aus.
Die prägende Erfahrung des Hungers hat das Vertrauen in die eigene Führung erheblich beeinträchtigt. Eine Folge war die notwendige Hinwendung zu den Jangmadang. Nur diese konnten die Versorgung der Bevölkerung noch sicherstellen. Die Bedeutung der Jangmadang hat also zugenommen. Ein Versuch, die Märkte zurückzudrängen oder gar zu schließen, könnte deshalb unter bestimmten Voraussetzungen für die Staatsführung gefährlich werden. Dennoch sind dem Wachstum der Jangmadang-Märkte Grenzen gesetzt. Denn die Produkte, die auf den Märkten verkauft werden, sind häufig illegal importiert. Eigene Produktion von nachgefragten Produkten findet kaum statt. Die Rolle der Jangmadang ist also wichtig, wird aber strukturell begrenzt bleiben.
Südkoreanische Medien berichteten jüngst, dass der nordkoreanische Immobilienmarkt seit der Machtübernahme Kim Jong-uns im Jahr 2011 stark wächst. Den „Boom“ auf dem Wohnungsmarkt kann man zum Beispiel in den Städten und Ortschaften entlang der chinesischen Grenze in Hyesan oder Sinŭiju sowie natürlich auch in Pjöngjang beobachten. Weil es unmöglich ist, die rund 1420 Kilometer lange nordkoreanisch-chinesische Grenze vollständig zu kontrollieren, lässt sich diese Entwicklung insbesondere in der Grenzregion gut beobachten. Genauso gilt das für den Schmuggel und den regen Warenverkehr. Und das obwohl die Sanktionen gegen Nordkorea in den zurückliegenden Jahren mehrfach verschärft worden sind.
Die Wiederaufnahme des wirtschaftlichen Austausches zwischen beiden Koreas war das zweite große Gipfelthema. Präsident Moon hat deshalb zahlreiche hochrangige Wirtschaftsvertreter mit in den Norden genommen. Zu Moons rund 200-köpfiger Delegation gehörten die großen koreanischen Wirtschaftskapitäne, zum Beispiel der einflussreiche Vize-Chef von Samsung Electronics (Lee Jae-yong), der Präsident von SK (Choi Tae-woon), der Präsident von LG (Koo Kwang-mo) und weitere 17 führende Unternehmer. Anlässlich der Präsidentenreise haben sich die südkoreanischen Wirtschaftsvertreter in einem separaten Gespräch mit Lee Yong-nam, in der nordkoreanischen Regierung als Vizepremierminister zuständig für die Wirtschaft, während eines Treffens ausgetauscht. Lee Jae-yong war zuvor bereits auf Auslandsreisen mit dem Präsidenten unterwegs. In Indien und in Vietnam haben ihn die Verantwortlichen aufgefordert, doch in ihren Ländern zu investieren. Das wird Nordkorea inspiriert haben. Das zeigt, wie sehr sich die Regierung in Seoul für die innerkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen einsetzt und wie viel sie sich davon erhofft.
Nach einer Denuklearisierung und dem Ende der Sanktionen, so Präsident Moon, könne sich die südkoreanische Wirtschaft mit massiven Investitionen in Nordkorea engagieren. Eine große Herausforderung, nicht nur wegen der Sanktionen.
Moon: „Kein Krieg mehr in Korea, Beginn einer neuen friedlichen Zeit“
Die Pjöngjang-Erklärung umfasst sechs Punkte. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Gipfel-Textes hat in Südkorea wie üblich die kontroverse Debatte um Bedeutung und Folgen begonnen. Die Erklärung soll die Ende April in Panmunjom geschlossene Vereinbarung umsetzen und weiter konkretisieren. Im Mittelpunkt stehen erneut die Denuklearisierung, die militärische Entspannung und die wirtschaftliche Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel. Doch viele Details bleiben offen.
So ist zum Beispiel immer noch unklar, wann und wie die nukleare Abrüstung erfolgen soll, wie Inspektionen und Kontrollen stattfinden sollen. Die USA und Nordkorea erwarten vom jeweils anderen den ersten Schritt: Denuklearisierung oder Aufhebung der Sanktionen. Es geht um die bessere Ausgangsposition. Weitere harte Gespräche stehen bevor. Am Ende werden sich beide Seiten bewegen müssen. Sonst bleibt es beim ewigen Kreislauf aus Dialog, Druck und Sanktionen.
Aus Sicht der Präsidialadministration in Seoul ist die Gipfelbilanz positiv. Es müsse gelingen, die wiederaufgenommene Kommunikation zwischen Süd und Nord im Sinne des Wunsches der Bürgerinnen und Bürger voranzutreiben und das Verhältnis zwischen den beiden Koreas weiter zu verbessern. Bei einer kurzen Ansprache im Stadion „Erster Mai“ in Pjöngjang bezog sich Präsident Moon vor über 100.000 Zuschauern auf die lange gemeinsame Geschichte. Die Koreaner hätten 5000 Jahre zusammen und 70 Jahre getrennt gelebt. Die Zeit der Trennung und der feindlichen Beziehungen müsse überwunden werden. Die koreanische Halbinsel müsse einen gemeinsamen Weg des Friedens und des Wohlstands gehen. Die Ansprache gilt in ganz Korea als Sensation. Es war die erste Rede eines Präsidenten der Republik Korea vor der Bevölkerung Pjöngjangs. Das Umfeld des Präsidenten ist sich sicher, dass die Worte seiner Rede von den Zuschauern weitergetragen werden. Auch darin liegt die außerordentliche Bedeutung der Ansprache. Und es gab eine weitere Premiere in Pjöngjang. Zum ersten Mal hat Kim Jong-un mit eigener Stimme von der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel gesprochen.
Das waren also zwei symbolhafte Schritte. Doch kann die Entwicklung schon zufrieden stellen? Selten stellt sich ein Erfolg bereits nach dem ersten Versuch ein. Viel häufiger ist es ein längerer Weg. Eine koreanische Redewendung beschreibt die derzeitige Situation der Halbinsel eigentlich sehr treffend: „Wenn man großen Hunger hat, ist man nach dem ersten Löffel noch nicht satt.“
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