Orban hatte bereits seit November eine Minderheitsregierung seiner Nationalliberalen Partei (PNL) geführt. Möglich wurde seine Wahl, weil eine politisch diffuse Mehrheit im Parlament Neuwahlen vermeiden wollte. Konstruktive Mehrheiten waren aber praktisch nicht mehr zu finden, sodass die Regierung nur noch durch Notverordnungen und die Vertrauensfrage regieren konnte. Präsident Iohannis hatte deshalb im Januar Neuwahlen anstatt der regulär Ende des Jahres anstehenden Parlamentswahl gefordert. Die Hürden dafür sind nach der Verfassung allerdings hoch und setzten nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum (oder einem Rücktritt der Regierung) zwei weitere Versuche des Präsidenten zur Regierungsbildung voraus. Orban hatte dafür über einen Gesetzentwurf für eine umstrittene Änderung des Kommunalwahlrechts ein Misstrauensvotum herbeigeführt. Damit verbunden war die Absicht, dass der Präsident danach erneut zwei Mal Orban mit der Regierungsbildung beauftragt, dieser im Parlament durch die Enthaltung der eigenen Partei keine Mehrheit erzielt, sodass der Präsident danach Neuwahlen veranlassen kann. Infolgedessen hatte der Präsident Orban bereits am 6.2. erneut mit der Regierungsbildung beauftragt.
Entscheidungen des Verfassungsgerichts hatten diese Pläne seither bereits deutlich kompliziert. So erklärte das Gericht am 24.2. auf eine Klage der Sozialdemokratischen Partei (PSD) die erneute Nominierung Orbans für ungültig. In der zunächst nur kurz gefassten Entscheidung wurde nicht grundsätzlich eine erneute Nominierung Orbans ausgeschlossen. Für verfassungswidrig wurde jedoch erklärt, dass diese mit der expliziten Begründung erfolgt sei, keine parlamentarische Mehrheit finden zu wollen und so Neuwahlen zu ermöglichen. Tatsächlich lässt sich aus dem Verfassungskontext eine klare Präferenz für Stabilität und damit für mögliche Regierungsbildungen vor Neuwahlen ablesen, die nur Ultima Ratio sein sollen. Präsident Iohannis nominierte daraufhin Finanzminister Florin Citu (PNL), einen engen politischen Weggefährten von Orban, als Premier. Obgleich er und die PNL erklärten, sich um eine Mehrheit bemühen zu wollen, blieb damit die Möglichkeit, dass er keine Mehrheit finden könnte und in einem weiteren Anlauf erneut Orban entweder als Premierminister wiedergewählt würde oder ebenfalls die Mehrheit verfehlte und so der Weg zu Neuwahlen erhalten bliebe.
Mit der Verbreitung des Coronavirus verbreitete sich in der Folge aber zunehmend auch die Erkenntnis, dass vorgezogene Neuwahlen unzeitig und das Land wieder eine reguläre anstatt einer nur amtierenden Regierung bräuchte. Ein wichtiger Unterschied liegt darin, dass eine regulär gewählte Regierung über Notverordnungen direkt gesetzgeberisch tätig werden kann. Infolgedessen zeichnete sich ab, dass Citu bei der für den 12.3. angesetzten Abstimmung im Parlament eine Mehrheit erhalten würde. Für die PNL warf dies das Szenario auf, eine Doppelspitze zwischen Orban als Parteichef und Citu als Premierminister aufgezwungen zu bekommen. Citu gab daraufhin nur Stunden vor der Abstimmung den Auftrag zur Regierungsbildung zurück und begründete das damit, dass es in Partei und Regierung einheitlicher und geschlossener Führungsstrukturen bedürfte. Damit verbunden war implizit zwangsläufig das Eingeständnis, dass es sich bei seiner Kandidatur um ein politisches Manöver gehandelt hatte. Präsident Iohannis und die PNL wurden dafür in der Öffentlichkeit und von den anderen politischen Parteien entsprechend deutlich kritisiert. Gleichwohl dürfte die Entscheidung auch und gerade in der Krise folgerichtig gewesen sein, um eine möglichst effiziente Handlungsfähigkeit der Regierung herzustellen, zumal sich die Regierung Orban bislang als Krisenmanager, auch was das Vertrauen der Bevölkerung in die getroffenen Maßnahmen angeht, durchaus bewährt hat. Iohannis nominierte daraufhin am Folgetag erwartungsgemäß erneut Orban mit der Regierungsbildung.
Nahezu zeitgleich hatte das Verfassungsgericht am 10.3. die Begründung zu seiner Entscheidung gegen die erste Re-nominierung Orban veröffentlicht. Obwohl die unmittelbare Folgewirkung begrenzt ist, da die Frage von Neuwahlen mittlerweile ohnehin vom Tisch ist, dürften sich aus der Begründung langfristige verfassungsrechtliche Konsequenzen ergeben; denn während die zuerst veröffentlichte Entscheidung nur darauf abgestellt hatte, dass der Präsident durch die Nominierung eines Premierministers eine Regierungsbildung auch tatsächlich anstreben müsse, bevor es Neuwahlen geben könne, bietet die Begründung eine deutlich darüber hinausgehende Verfassungsinterpretation. Sie etabliert faktisch eine weitgehendes parlamentarisches Konsensgebot als Voraussetzung für Neuwahlen, sodass der Präsident künftig verpflichtet werden könnte, über die in der Verfassung vorgeschriebenen zwei Versuche weitere Anläufe zu Regierungsbildungen vorzunehmen, solange sich keine klare Mehrheit für eine Neuwahl abzeichnet.
Damit werden die Machtverhältnisse zu Lasten des Präsidenten verschoben. In der Verfassung angelegt und durch die bisherige Verfassungspraxis auch bestätigt ist ein Gleichgewicht bei der Regierungsbildung durch das präsidiale Nominierungsrecht für den Premierminister und das dann erforderliche Vertrauensvotum im Parlament. Das hat bislang dazu geführt, dass der Präsident bestehende Mehrheitsverhältnisse berücksichtigt hat, aber nicht jedem Vorschlag einer Mehrheit folgen musste, sondern immer auch einen eigenen Ermessensspielraum hatte, der sich bei unklaren Mehrheitsverhältnissen naturgemäß ausdehnte. Insofern war dies eine Frage politischer Abwägungen, die jetzt durch das Verfassungsgericht rechtlich eingeengt wird; denn wenn der Präsident künftig weitgehend alle Möglichkeiten für eine Mehrheitsbildung ausloten müsste, bedeutet das, dass eine parlamentarische Mehrheit, ob nun konstruktiv und regierungsfähig oder auch ohne jede konstruktive Grundlage und nur gegen Neuwahlen, am längeren Hebel säße. Unbeantwortet bleibt damit die Frage, wie überhaupt noch parlamentarisch regiert werden soll, wenn sich eine Mehrheit zwar Neuwahlen entgegenstellt, aber auch nicht regierungsfähig ist. Insofern stärkt die Entscheidung des Verfassungsgerichts auch weniger das Parlament als die Regierung; denn unter Umständen wie den gegenwärtigen bedeutet es auch, dass die Gesetzgebung über Notverordnungen der Regierung einer (Rückkehr zur) ordentlichen parlamentarischen Gesetzgebung vorgezogen wird.
Unterdessen beschäftigt die Krise um das Coronavirus das Land. Rumänien hat früher als die meisten anderen Länder Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Flug- und andere Reiseverbindungen zu Italien, wo besonders viele Rumänen leben und arbeiten, wurden eingestellt, Regelungen für Quarantäne und Selbstisolation für Einreisen aus besonders betroffenen Gebieten verhängt. Außer aus dem Kreis Heinsberg sind Einreisen aus Deutschland bislang nicht von solchen Einschränkungen betroffen. Das kann sich ändern. Rumänien würde solche Maßnahmen aber voraussichtlich bilateral abstimmen. Veranstaltungen mit über 100 Teilnehmern sind untersagt. Alle Schulen und Universitäten sind seit Mittwoch letzter Woche geschlossen. Nach der Erklärung des Notstandes durch den Präsidenten sind weitere Einschränkungen zu erwarten. Bislang zeigt sich Akzeptanz und Vertrauen in der Bevölkerung für die getroffenen Maßnahmen. Offiziell bestätigt sind derzeit – Stand 16.3. – 139 Fälle. Einer davon betrifft ein Mitglied des Vorstandes der PNL (und des Senats), der zuletzt am vergangenen Montag getagt hat und dessen Mitglieder jetzt in die vorgesehene häusliche Selbstisolation gegangen sind. Premierminister Orban, dessen Test inzwischen negativ ausgefallen ist, die meisten Minister und eine ganze Reihe von Parlamentariern der PNL befanden sich daher in häuslicher Isolation, während das Parlament die Regierung bestätigte. Das Parlament wird seine Sitzungen einstellen und will auf Online-Betrieb umstellen. Die Regierung Orban wird jetzt weitgehend durch Notverordnungen regieren.
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