Macron als Reformer - Schärfung des politischen Profils
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit widmete sich Emmanuel Macron einem der schwierigsten Reformthemen in Frankreich, dem Arbeitsrecht. Die „Methode Macron“ des Mandatsjahres 2017-2018 war es einerseits akribisch die Reformversprechen seines Wahlprogramms abzuarbeiten, andererseits ein Tempo vorzulegen, das Opposition und Gewerkschaften keine Verschnaufpause ließ. Seiner Regierung gelang es, einschneidende Veränderungen im Arbeitsrecht zu erreichen, die die Arbeitsbeziehungen klarer und unbürokratischer regeln, früher jedoch angesichts des Widerstands der Gewerkschaften kaum denkbar gewesen wären. Der komplette Umbau der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie der Mitbestimmung in den Betrieben wird in Frankreich als kulturelle Revolution gewertet.
Zu einer größeren Kraftprobe wurde der wochenlange sogenannte „Perlenstreik“ (grève perlèe) der französischen Bahn, den Staatpräsident, Regierung und Bahnnutzer jedoch aussaßen. Gestützt auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass viele Privilegien der französischen Bahner nicht mehr haltbar sind, gelang Macron eine Bahnreform, an der viele seiner Vorgänger bereits gescheitert waren. Neben der Abschaffung der Frührente mit durchschnittlich 58 Jahren, wird der Personenverkehr ab dem Jahr 2020, wie von der EU beschlossen, liberalisiert.
Mit dem neuen Antiterrorgesetz und einer Reform des Asylrechts schärfte der Staatspräsident zeitgleich das politische Profil seiner En Marche-Bewegung, fuhr sich jedoch auch viel Kritik vom linken Flügel seines Lagers ein. Die Überführung von Teilen des seit den Terroranschlägen von 2015 geltenden Ausnahmezustands in die Gesetzgebung und die Erweiterung der Befugnisse der französischen Sicherheitsbehörden wurden als Signal dafür gewertet, dass Macron auch das Mitte-Rechts-Spektrum für seine Bewegung beansprucht und den klassischen bürgerlich-konservativen Parteien in zentralen Politikfeldern das Wasser abgraben will. In diesem Kontext ist auch das Gesetz „für eine beherrschbare Zuwanderung und ein wirksames Asylrecht“ vom Februar 2018 zu werten, das primär auf eine Verkürzung der Bearbeitungszeit von Asylanträgen und eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Schutzbedürftige abzielt, in den Augen der Kritiker jedoch den Fokus zu stark auf die Abschiebung von illegalen und abgelehnten Asylbewerbern legt.
Ebenfalls auf Kritik von links stießen die Abschaffung der Vermögenssteuer und die Senkung der bislang progressiv gestalteten Kapitalertragssteuer auf 35 Prozent. Beide Maßnahmen brachten Macron dauerhaft den Ruf ein, ein „Präsident der Reichen“ (Président des riches) zu sein. Insbesondere die Gelbwesten-Demonstranten zogen diese Reformen als Beispiel dafür heran, dass Macron die Interessen der „kleinen Leute“ nicht im Blick habe.
Ausblick Reformherbst 2019
Reformmarathon unter dunklen Wolken und Befriedung des linken Lagers
In seiner Rede zur aktuellen politischen Lage am 12. Juni 2019 machte Premierminister Edouard Philippe deutlich, dass Frankreich ein Reformherbst bevorsteht. Nach der großen Reformpause, die insbesondere den Gelbwesten-Demonstrationen geschuldet war, steht die Regierung unter Druck. Sie hat sich ein enges Reformprogramm auferlegt und muss nun dringend liefern. Das Zeitfenster, das der französischen Regierung zur Verfügung steht, ist eng, denn schon im März 2020 finden die frankreichweiten Kommunalwahlen, im September 2020 die Senatswahlen statt.
Aus parteitaktischen Gründen wagt sich Emmanuel Macron an drei Themen heran, die den linken Flügel seiner Bewegung befrieden sollen: den Klima- und Umweltschutz, die Reproduktionsmedizin sowie die Verfassungsreform. Für die Gesetzesvorhaben ist starker Widerstand aus der Opposition zu erwarten. Premierminister Edouard Philippe gewann zwar das Vertrauensvotum der Nationalversammlung im Juni und kann für die Reformen somit auf eine solide Basis im Parlament bauen. Gleichzeitig sieht er sich jedoch einem Senat gegenüber, der durch das bürgerlich-konservative Lager dominiert wird und der Regierung für die anstehenden Reformen den Kampf angesagt hat. Zentral ist hierbei die geplante Reform der Institutionen, die u.a. die Anzahl der Sitze in den beiden Kammern der Legislative deutlich verringern würde.
Reform der Reproduktionsmedizin
Noch vor der Sommerpause wurde das ambitionierte neue Gesetz zur Reproduktionsmedizin, das insbesondere die Öffnung der künstlichen Befruchtung für alleinstehende Frauen und lesbische Paare und die Rückerstattung der Kosten durch die gesetzliche Krankenkasse vorsieht, auf den Weg gebracht. Die Nationalversammlung soll nach derzeitigem Stand dem Gesetz Ende September zustimmen. Diese Liberalisierung des Gesetzes zur künstlichen Befruchtung war bereits vom damaligem Staatspräsidenten François Hollande angedacht, unter dem starken Druck der „Manif pour tous“-Bewegung jedoch nicht durchgesetzt worden. Einschlägige Interessenverbände hatten Staatspräsident Emmanuel Macron in den letzten Monaten vorgeworfen, eines seiner zentralen Wahlversprechen nicht durchzusetzen. Es sind wie bereits bei den Diskussionen rund um die „Ehe für alle“ starke Proteste auf zivilgesellschaftlicher Ebene, vor allem seitens des wertekonservativen Lagers, zu erwarten. Diese scheint Macron jedoch vorerst in Kauf zu nehmen, um den linken Flügel seiner Bewegung zu befrieden. Neben der Liberalisierung der künstlichen Befruchtung sieht das Gesetz folgende Maßnahmen vor:
Autorisierung der Nutzung von Doppelspenden;
Gesetzeserleichterungen für Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen wollen;
Erlaubnis der Forschung an Embryonen in Ausnahmefällen;
Aufhebung der totalen Anonymität von Samenspendern;
anonyme Kreuzung von Organspenden (z.B. Organspenden von Mitgliedern zweier Familien, die jeweils mit dem Empfänger der anderen Familie kompatibel sind)
Nicht in den Gesetzesentwurf aufgenommen wurde erwartungsgemäß die Möglichkeit der Leihmutterschaft, die in Frankreich nach wie vor verboten ist und parteiübergreifend auf starken Widerstand stößt.
Klima- und Umweltschutz
Der Klima- und Umweltschutz war bereits während des Wahlkampfes 2017 eines der zentralen Themen von Staatspräsident Emmanuel Macron. Die „Große Nationale Debatte“ im ersten Halbjahr 2019 hat die Dominanz des Themas in der öffentlichen Wahrnehmung bestätigt. Auf Grundlage der Schlussfolgerungen dieser Debatte soll ein aus 150 Franzosen bestehender Bürgerkonvent bereits im ersten Halbjahr 2020 Vorschläge zum Klimaschutz vorlegen. Diese Vorschläge sollen in konkrete Gesetzesvorschläge überführt und möglicherweise auch in einem Bürgerreferendum vorgelegt werden.
Die Regierung bestätigte zudem die bereits mehrfach angekündigte Schließung des Atomkraftwerks Fessenheim sowie der vier verbliebenen Kohlekraftwerke. Insgesamt soll der Anteil von Atomstrom von heute rund 75 Prozent bis 2035 auf 50 Prozent heruntergefahren werden. Auch die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und Plastikmüll wurde von der Regierung in diesem Kontext als Priorität genannt. Bereits 2020 soll die gesamte französische Verwaltung plastikfrei funktionieren.
Verfassungsreform
Die Verfassungsreform bringt die Regierung in eine missliche Lage. Als zentrales Wahlversprechen von 2017 wurde eine Modernisierung der Institutionen angekündigt, diese musste jedoch bereits zweimal verschoben werden. Für Zähneknirschen im Senat sorgt dabei insbesondere das Vorhaben, die Zahl der Abgeordneten in der Nationalversammlung und der Senatsmitglieder um etwa ein Viertel zu reduzieren. Des Weiteren sollen künftig 15 Prozent der Sitze in der Nationalversammlung im Verhältniswahlrecht vergeben, 85 Prozent der Abgeordneten weiterhin per Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen gewählt werden. Daneben sollen die Hürden für die seit 2008 existierende Volksabstimmung herabgesetzt werden. Bislang ist hierzu eine Unterstützung durch zehn Prozent der Wahlberechtigten, das sind gegenwärtig rund 4,8 Millionen Bürger, erforderlich.
Reform der Arbeitslosenversicherung
Die Änderungen, die von der Regierung angekündigt und von November an schrittweise umgesetzt werden, gelten für französische Verhältnisse als radikal. Sie sollen einerseits Erwerbslose zurück auf den Arbeitsmarkt sowie der hoch verschuldeten Arbeitslosenkasse deutliche Einsparungen bringen. Künftig müssen Erwerbstätige länger arbeiten, um Anrecht auf Arbeitslosengeld zu erhalten: Mussten sie bisher vier Monate innerhalb einer Zeitspanne von 28 Monaten gearbeitet haben, müssen künftig sechs Monate Arbeit binnen 24 Monaten vorgewiesen werden. Deutliche Kürzungen soll es zudem für Besserverdiener geben. Das Arbeitslosengeld soll Führungskräften, die derzeit bis zu 7700€ monatlich beziehen, ab dem siebten Monat um 30 Prozent gekürzt werden. Bei den Arbeitgebern wird jedoch eine andere Maßnahme stark kritisiert: Für befristete Kettenverträge, die insbesondere im Gastronomiebereich genutzt werden, wird künftig ein Malus auf die Sozialversicherungsbeiträge fällig. Positiv wird die Möglichkeit eingeschätzt, als Beschäftigter bei einer Kündigung zur Firmengründung vorerst Arbeitslosengeld beziehen zu können.
Ausblick zweite Mandats-Halbzeit
Mit weiteren wichtigen Sozialreformen will die aktuelle französische Regierung auch in ihrer zweiten Mandats-Halbzeit Impulse setzen und den Weg zur Wiederwahl von Emmanuel Macron 2022 ebnen. Zentral wird dabei neben den genannten Reformprojekten auch die Rentenreform sein. Der genaue Zeitplan soll nach Gesprächen mit den Gewerkschaften, die am 5. und 6. September 2019 stattfanden, vorgelegt werden, die wichtigsten Maßnahmen sind jedoch bereits bekannt. Die bisher über 40 Einzelsysteme für verschiedene Berufsgruppen sollen zu einer einheitlichen Rentenkasse zusammengeführt werden. Auch wird eine Änderung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, das in Frankreich bei 62 Jahren liegt, angestrebt: Zwar soll weiter möglich sein, mit 62 Jahren in Ruhestand zu gehen, Beschäftigte müssten dann aber mit Abschlägen rechnen. Die Regierung geht derzeit davon aus, dass sich das durchschnittliche Rentenalter bei 63-64 Jahren einpendeln wird.
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