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Der Syrienkrieg ist der „erste wirklich multipolare Konflikt im 21. Jahrhundert“ mit fast einem Dutzend großer Akteure, resümiert Andreas Krüger die „historisch einmalige“ Situation. Krüger war von 2013 bis 2017 deutscher Botschafter für die Verhandlungen zu Syrien und berichtet, dass die Komplexität des Konflikts die Optionen für die Bundesrepublik politisch einzugreifen stark einschränke: „Nach sieben Jahren Krieg ist eine starke Ernüchterung unserer Handlungsmöglichkeiten eingetreten“, sagt Krüger, der derzeit Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik ist (SWP).
„Eine politische Lösung wird es bis auf weiteres nicht geben“
Auch die Vereinten Nationen scheinen frustriert, folgt man Carsten Wieland. Er arbeitet in Genf als Syrien-Experte für Staffan de Mistura, den UN-Sonderbeauftragten für Syrien und zitiert erfahrene UN-Kollegen: „So einen komplexen Konflikt haben wir noch nicht erlebt.“ Auch bei den innersyrischen Gesprächen in Genf „hat sich nichts bewegt“, egal bei welchen Themen, ob Verfassung, Regierung, Wahlen oder Sicherheitspolitik und Terrorismusbekämpfung.
Eine, die sich keinerlei Illusionen hingibt, ist die Journalistin Kristin Helberg. Die Autorin von „Brennpunkt Syrien“ ist sich sicher, dass der Konflikt militärisch entschieden wird: „Eine politische Lösung wird es bis auf weiteres nicht geben.“ Assad habe zwar den Krieg gewonnen, „aber seine Macht an Russland, Iran, Warlords und Geschäftemacher verloren“ – und die hätten kein Interesse an einer politischen Lösung, so Helberg. Und so stellt Wieland die Frage in den Raum: Auch wenn sich Syriens Regimechef als Kriegsgewinner sieht, „wird Assad den Frieden regieren können?“
„Syrer sind die Personengruppe, die am stärksten zurück wollen – und die die meisten Hindernisse haben“
Krüger geht so wie Helberg und Wieland davon aus, dass „über kurz oder lang die Erkenntnis eintritt: Die Systemfrage ist geklärt.“ Die Frage sei also, wie man den leidenden Menschen in Syrien helfen könne – ohne dabei das Regime zu unterstützen. Immerhin könne man trotz des militärischen Siegs von Assad und seiner Verbündeten damit planen, dass das Land auf Jahre instabil bleiben werde, ergänzt Wieland. Dennoch müsse ihm zufolge ein wichtiges Ziel vor Augen bleiben: den geflüchteten Syrerinnen und Syrern eine Rückkehr zu ermöglichen.
Das ganze Gespräch können Sie hier nachhören:
Hier sieht Wieland jedoch große Schwierigkeiten: „Syrer sind die Personengruppe, die am stärksten zurück wollen – und die die meisten Hindernisse haben.“ Die Weltbank hat untersucht, wie stark Syrien zerstört ist: So seien etwa 23 Prozent der Häuser beschädigt worden, neun Prozent völlig zerstört – und im lange Zeit heftig umkämpften Aleppo dürften es weit mehr sein. 2017 schätzte die Weltbank, dass ein Wiederaufbau 180 Milliarden Dollar kosten würde. Zudem will das Assad-Regime die Geflüchteten enteignen und ihre Grundstücke, Gebäude und Wohnungen versteigern oder der öffentlichen Hand übergeben. Das erschwert die Rückkehr für die 5,6 Millionen Syrer, die ins Ausland geflohen sind, und die 6,1 Millionen Binnenvertriebenen umso mehr.
„Wir können die Menschen nicht verelenden lassen“
Doch leider seien wir noch nicht beim Thema Wiederaufbau, merkt Helberg an und forderte, dass Deutschland Assads „zentralistischen Willkürstaat“ dabei auch nicht unterstützen dürfe: Die Menschen seien zwar sicher vor Bomben, nicht aber vor einer Verhaftung. Einigen konnten sich die drei Syrien-Experten auf den Fokus medizinischer Hilfe für die Notleidenden: „Wir können die Menschen nicht verelenden lassen“, warnt Krüger.
Aber kann Deutschland, mit Abstand größter Geldgeber, nur humanitäre Hile leisten? Nein, die Bundesrepublik könne zum Beispiel auch syrische Kriegsverbrechen aufarbeiten, und das in Deutschland. Das hat sich drei Tage nach dem Ramadan-Dialog der Konrad-Adenauer-Stiftung gezeigt gezeigt: Da erwirkte Generalbundesanwalt Peter Frank einen Haftbefehl gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, Jamil Hassan. Der enge Berater von Baschar al-Assad soll von Verbrechen seiner Geheimdienstmitarbeiter zwischen 2011 und 2013 gewusst und diese gebilligt haben. Grundlage des Haftbefehls ist das in Deutschland geltende Weltrechtsprinzip, demzufolge deutsche Strafverfolger auch gegen Täter ermitteln können, die keine Bundesbürger sind und die ihre Taten im Ausland begangen haben.
„Das Land zerfällt in Realitäten“
Doch für Wiederaufbau und Aussöhnung ist noch nicht die Zeit, was sich auch an einer leise geäußerten Befürchtung unter den Panelisten äußerte: Syrien könnte in mehrere Teile zerfallen. Auch wenn die Vereinten Nationen betonen, sie „halten an einer Lösung für ganz Syrien fest“, so Wieland. Die Menschen vor Ort hätten sich jedoch in ihrer ganz persönlichen Wirklichkeit eingerichtet, ergänzt Helberg: „Das Land zerfällt in Realitäten“ Von Heimat ist damit sowohl für die ins Ausland geflohenen als auch für die im Land gebliebenen nicht mehr viel übrig.
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Über diese Reihe
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