Asset-Herausgeber

Bundestag ermöglicht Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht

von Michael Hansmann
Am 26.02.1954 beschließt der Deutsche Bundestag eine Ergänzung zum Grundgesetz, die die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht ermöglicht.

Asset-Herausgeber

 

„Das Recht auf Verteidigung“ und „Weiter auf dem Weg nach Europa“ so titelte der Informationsdienst „Union in Deutschland“ am 5. März 1954 zur Diskussion um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und der rechtlichen Klärung der Voraussetzungen für einen deutschen Verteidigungsbeitrag durch die Änderung des Grundgesetzes am 26. Februar 1954.

 

Gesetzliche Grundlage

Mit dem Wehrergänzungsgesetz sollte der Bund das Recht erhalten, die Gesetzgebung in Bezug auf die Landesverteidigung auszuüben und entsprechende Gesetze zu verabschieden. Gemeint war hiermit unter anderen die Ergänzung des Grundgesetzes, um die allgemeine Wehrpflicht im Rahmen der Wehrhoheit wieder zu ermöglichen.

Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 26. Februar 1954 mit 334 gegen 144 Stimmen und damit mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit das Wehrergänzungsgesetz, das nach Zustimmung des Bundesrates am 26. März durch den Bundespräsidenten verkündet wurde und am nächsten Tag in Kraft trat. Die praktische Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik erfolgte mit dem Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956.

 

Vorgeschichte: Ein Staat ohne Armee

Nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und dem Beschluss der vier Besatzungsmächte zur vollständigen Demilitarisierung Deutschlands wurde am 30. August 1946 die Wehrmacht auch rechtlich durch das Kontrollratsgesetz Nr. 34 aufgelöst. Damit fand auch die Wehrpflicht de jure ein vorläufiges Ende.

Nachdem eine gemeinsame Deutschlandpolitik der Siegermächte gescheitert war, nahm die deutsche Teilung konkrete Züge an. Die sich stärker abzeichnende Blockbildung zwischen Ost und West führte zum Auftrag in den westlichen Besatzungszonen, eine Verfassung für einen Bundesstaat zu erarbeiten. Das am 23. Mai 1949 verabschiedete und in Kraft getretene Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthielt keine ausdrücklichen Regelungen, aus denen auf eine Wehrhoheit geschlossen werden konnte. Die an der Ausarbeitung des Grundgesetzes Beteiligten sahen keine Armee vor, schlossen sie aber auch nicht kategorisch für die Zukunft aus. In dem am 12. Mai 1949 verkündeten Besatzungsstatut verblieb die oberste Gewalt bei den westlichen Besatzungsmächten. Kernpunkt des Kontrollrechts waren beispielsweise die Bereiche Abrüstung und Demilitarisierung.

Die gerade gegründete Bundesrepublik baute demzufolge keine eigenen Streitkräfte für den Schutz des Bundesgebietes auf. Für die Verteidigung waren die Besatzungsmächte bzw. die Stationierungskräfte der USA, Frankreichs und Großbritanniens zuständig. Das Grundgesetz enthielt stattdessen Selbstbeschränkungen in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen. Das Verbot eines Angriffskrieges und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wurden in das Grundgesetz aufgenommen. Gleichwohl wurde das Recht eingeräumt, sich zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit anzuschließen.

 

Pläne zur Einführung von Streitkräften

Der sich verschärfende Kalte Krieg und der Ausbruch des Korea-Krieges 1950, der als Bedrohung Westeuropas aufgenommen wurde, gaben den Gedanken um einen deutschen Verteidigungsbeitrag (nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Bemühungen um die staatliche Souveränität) Auftrieb. Diese Gedanken führten in den nächsten Jahren zu heftigsten innenpolitischen Diskussionen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Auch innerhalb der CDU gab es Bedenken, wie es beispielsweise Eugen Gerstenmaier in der Debatte um das Wehrergänzungsgesetz kundtat.

In der „Himmeroder Denkschrift“, die von deutschen Militärexperten 1950 im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet wurde, waren Fragen der Wiederbewaffnung sowie der Organisation und Ausrüstung neuer deutscher Streitkräfte die Themen. Bereits hier war die Möglichkeit einer Wehrpflicht bzw. Dienstpflicht angedacht, da ohne diese eine entsprechend geplante Truppenstärke nicht erreichbar gewesen wäre. Der Streit um die Form des Wehrsystems in der Bundesrepublik war elementar mit der Frage nach dem Personalumfang der künftigen Streitkräfte verknüpft. Die im Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft vom 27. Mai 1952 geplante Anzahl von Verbänden, die rechnerisch auf eine Truppenstärke von bis zu 500.000 Soldaten wies, konnte nicht mit Berufssoldaten und Freiwilligen aufgestellt werden. Dies stellte auch die SPD in der Person von Fritz Erler nicht in Abrede. Die kommenden Diskussionen richteten sich daher eher an der Frage aus, welchen Umfang die künftigen Streitkräfte besitzen sollten. Hier spielte auch die Frage nach dem Einsatz taktischer Atomwaffen insofern eine Rolle, dass der potentielle Einsatz dieser Waffen eine geringere konventionelle Stärke ermöglichte und somit eine Wehrpflicht unter Umständen verzichtbar machte. Die Etablierung einer kombinierten Berufs- und Milizarmee war eine weitere Option, die aber rasch verworfen wurde. Ausschlaggebend für die von der Bundesregierung unter Konrad Adenauer favorisierte Lösung der Wehrpflicht war schließlich der EVG-Vertrag, der eben diese vorsah. Im Hinblick auf die Unterzeichnung des EVG-Vertrages erfolgte die Ergänzung des Grundgesetzes am 26. Februar 1954. Damit wurde eine Klärung der rechtlichen Voraussetzungen für den deutschen Verteidigungsbeitrag vorgenommen. Mit der Neufassung des Artikels 73 Nr. 1 wurde explizit die Möglichkeit einer Wehrpflicht für Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an in das Grundgesetz aufgenommen.

Der EVG-Vertrag scheiterte allerdings am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung und machte für einen deutschen Verteidigungsbeitrag eine neue Form erforderlich. Auf der Londoner Neunmächtekonferenz wurde am 3. Oktober 1954 die Londoner Akte beschlossen, die u.a. einen Beitritt der Bundesrepublik zur NATO ermöglichte. Um eine europäische Einbindung zu gewährleisten, sah sie einen Beitritt zum Brüsseler Pakt vor, aus dem sich die Westeuropäische Union (WEU) bildete.

 

Die Einführung der Wehrpflicht

Der Beitritt der Bundesrepublik in die NATO erfolgte nach der Unterzeichnung der Pariser Verträge am 6. Mai 1955. Die ersten Freiwilligen der damals noch namenlosen deutschen Streitkräfte wurden am 21. November 1955 vereidigt – am 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst, eines Verfechters der Wehrpflicht als Bürgeraufgabe. Der Name Bundeswehr wurde am 22. Februar 1956 im Rahmen der Debatte über das Soldatengesetz festgeschrieben.

Nach Verabschiedung der Wehrverfassung am 22. März 1956 erfolgte am 21. Juli das Wehrpflichtgesetz. Es wurde eine Wehrpflichtdauer von zunächst 12 Monaten festgelegt. Die ersten Wehrpflichtigen traten am 1. Januar 1957 ihren Dienst an. Untrennbar verknüpft mit der Gründung der Bundeswehr und der Einführung der Wehrpflicht ist der Grundsatz des „Bürgers in Uniform“ und der Begriff der „Inneren Führung“ Die Wehrpflicht sollte das Bindeglied zwischen Staatsbürger und Streitkräften sein und im Gegensatz zur Reichswehr der Weimarer Republik stehen, die als Berufsarmee quasi einen Staat im Staat gebildet hatte.

 

Literatur:

  • Die Wehrpflicht: Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung (hrsg. Roland G. Foerster), München 1994.
  • Franz W. Seidler / Helmut Reindl, Die Wehrpflicht – Dokumentation zu Fragen der Allgemeinen Wehrpflicht, der Wehrdienstverweigerung und der Wehrgerechtigkeit, Geschichte und Staat Band 145/155, München 1971.
  • Darum Wehrpflicht! Zur aktuellen Debatte um die Zukunft der deutschen Wehrpflicht, Forum Innere Führung Band 32, 2010.

 

Asset-Herausgeber

Kontakt

Michael Hansmann

Michael Hansmann bild

Leiter Schriftgutarchiv

michael.hansmann@kas.de +49 2241 246-2209 +49 2241 246-2669
Essay
16. März 2022
Jetzt lesen