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Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon

von Kordula Kühlem
Eine Verfassung sollte es werden, ein Verfassungsvertrag war das Ergebnis. Der Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 beendete eine Phase der Unsicherheit und stellte die Europäische Union trotz des Scheiterns des Verfassungsprojektes auf eine neue stabile Grundlage.

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Scheitern des Europäischen Verfassungsprojekts

Der Frühsommer 2005 beendete vorerst einen Traum, der die europäische Integration von Anfang an begleitet hat: die Verabschiedung einer Verfassung. Schon Mitte der 1950er Jahre war im Rahmen der geplanten Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) unter der Leitung des späteren bundesdeutschen Außenministers Heinrich von Brentano ein Verfassungsausschuss eingesetzt worden. Doch die EPG scheiterte 1954 gemeinsam mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und somit war auch dieser Verfassungsansatz wieder vom Tisch.

Zwar war der Gedanke nie ganz von der Bildfläche verschwunden, aber stets auch nicht präsent genug, um wirklich politische Wirkung entfalten zu können. Dies änderte sich fundamental mit der Einsetzung eines Verfassungskonvents der Europäischen Union im Jahr 2002 unter dem Vorsitz des früheren französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing.

Zunächst sah alles nach einem Erfolg aus: Bereits am 29. Oktober 2004 konnte die Europäische Verfassung von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet werden, doch erst die Ratifikation in jedem einzelnen Mitgliedsstaat hätte sie in Kraft gesetzt. Dazu kam es nicht, weil sich die Bevölkerung in den dafür angesetzten Volksentscheiden in Frankreich und den Niederlanden im Frühjahr 2005 gegen die Verfassung ausgesprochen hatte. Diese Ablehnung durch zwei Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaft löste einen tiefen Schock aus. Auf dieses einschneidende Ereignis folgte eine Denk- und Reflexionsphase, in der einige Länder zwar den Ratifikationsprozess fortsetzten und abschlossen, andere dagegen das Projekt vollständig unterbrachen.

Im Juni 2006 entschied schließlich der Europäische Rat umzudenken. Der Terminus „Verfassung“ wurde aufgeben, da er bei Vielen die Angst vor einem europäischen Superstaat geweckt hatte. Dazu gehörte auch, auf die Festschreibung von Staatssymbolen wie einer Europäische Flagge und einer Europäische Hymne zu verzichten.

Vielmehr strebten die Staats- und Regierungschefs der EU nunmehr einen Reform- oder Verfassungsvertrag an, in dessen Inhalt wiederum der Begriff „Gesetz“ möglichst vermieden und durch „Verordnung“ oder „Richtlinien“ ersetzt werden sollte.

Auf dem Weg nach Lissabon

Deutschland, auf das im ersten Halbjahr 2007 die Ratspräsidentschaft fiel, wurde die wichtige Rolle zuteil, diesen neuen Gedanken eines Verfassungsvertrags voranzubringen. Die Bundesrepublik übte diese besondere Verantwortung aus, indem sie den 50. Jahrestag der Römischen Verträge zum Anlass nahm, auf die „Berliner Erklärung“ vom 25. März 2007 hinzuarbeiten. Diese Erklärung bekannte sich nicht nur zu wichtigen Zielen der geplanten Verfassung, sie endete auch mit dem Aufruf, „die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen“. Ihr besonderes Gewicht erhielt die Erklärung dadurch, dass sie mit Angela Merkel als amtierender Präsidentin des Europäischen Rats, José Manuel Barroso als Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaften sowie Hans-Gert Pöttering als Präsident des Europäischen Parlaments von den höchsten Würdenträgern der Europäischen Union gemeinsam unterzeichnet wurde.

Am Ende der deutschen Präsidentschaft stand im Juni 2007 die Entscheidung des Europäischen Rats, einen Verfassungsvertrag abzuschließen. Im November 2007 wurde bekannt gegeben, dass Angela Merkel 2008 der Karlspreis der Stadt Aachen verliehen werde, um ihr Engagement beim Zustandekommen dieses Vertrags zu würdigen.

Exkurs Grundrechtecharta

Am 12. Dezember 2007, einen Tag vor der Signierung des Vertrags von Lissabon, fand die Unterzeichnung der Grundrechtecharta statt – wieder durch die Präsidenten der höchsten Institutionen: Hans-Gert Pöttering für das Europäische Parlament, José Manuel Barroso für die Kommission und diesmal der portugiesische Premierminister José Sócrates für den Europäischen Rat. Bei der feierlichen Zeremonie im Straßburger Parlament betonte dessen Präsident Hans-Gert Pöttering: „Der Mensch und seine Würde stehen im Mittelpunkt unserer Politik.“

Diese Proklamation beendete einen jahrelangen Schwebezustand. Denn die Charta war bereits seit 1999 von einem Konvent unter der Leitung des Deutschen Bundespräsidenten a. D. Roman Herzog erarbeitet und ein erstes Mal auf der Regierungskonferenz von Nizza am 7. Dezember 2000 veröffentlicht worden. Bis dahin waren die Grundrechte in den Europäischen Gemeinschaften nur zum einen durch die vom Europarat 1950 verabschiedete Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und ab dem Vertrag von Maastricht 1992 durch Verweise in verschiedenen Abkommen gesichert.

Die Aufnahme der Grundrechtecharta in den Vertrag von Lissabon machte diese rechtsverbindlich – zumindest in den meisten der Mitgliedstaaten. Protokoll Nr. 7 hielt für Großbritannien und Polen besondere Bedingungen fest.

Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrags von Lissabon

Am 13. Dezember 2007 war es soweit: Der Vertrag von Lissabon, der als Verfassungsvertrag die geplante Verfassung für die Europäische Union ersetzen sollte, konnte von den 27 Staats- und Regierungschefs unterzeichnet werden, wobei Großbritannien zunächst nur den Außenminister schickte, Premierminister Gordon Brown zeichnete dann am Nachmittag nach.

Der feierliche Staatsakt fand im Hieronymuskloster in Lissabon und damit an einem sinnbildenden Ort statt. Denn hier war nicht nur lange Zeit die Grabstätte für Mitglieder des portugiesischen Königshauses, sondern das Bauwerk diente vor allem auch 1985 als Ort der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

Nachdem die Ratifikation der Europäischen Verfassung gescheitert war, standen die Unterstützer des Vertrags von Lissabon unter besonderem Erfolgsdruck. In einer ersten Phase stimmten einige Länder dem Abkommen ohne Probleme zu, der Bundestag verabschiedete das notwendige Begleitgesetz am 28. April 2008.

Doch am 13. Mai 2008 votierten beim Referendum in Irland 53,4 Prozent der Beteiligten gegen den Lissabonner Vertrag. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 53,1 Prozent drohte damit das wichtige Abkommen an 0,175 Prozent der EU-Bevölkerung oder 862.415 Stimmen zu scheitern. Auch wenn die Iren durch die negative Volksabstimmung am deutlichsten für Probleme im Ratifikationsprozess sorgten, waren sie nicht die einzigen. Einige andere Länder legten ihre Zustimmung umgehend auf Eis und im Juni 2009 forderte selbst in Deutschland das Bundesverfassungsgericht Nachbesserungen in den Begleitgesetzen des Bundes.

Dank einer gemeinsamen Anstrengung gelang es aber, die Ratifikation weiter zu führen und schließlich auch abzuschließen. Dazu trug zum einen die Verabschiedung neuer Begleitgesetzte durch den Deutschen Bundestag am 8. September 2009 bei, wie auch eine erneute Volksabstimmung in Irland. Bei dieser sprachen sich am 2. Oktober 2009 67,1 Prozent bei einer etwas höheren Beteiligung für den Lissabonner Vertrag aus. Somit konnte der Verfassungsvertrag schließlich am 1. Dezember 2009 in Kraft treten – immerhin fast zwei Jahre nach seiner Unterzeichnung.

Ergebnisse von Lissabon

Der Lissabonner Vertrag ist nicht nur in den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Union (AEUV) unterteilt, er enthält außerdem noch die Grundrechtecharta und zahlreiche Protokolle und Anhänge sowie Erklärungen, die aber nicht rechtsverbindlich sind.

Seit dem Inkrafttreten des Verfassungsvertrags kann die Europäische Union als Völkerrechtssubjekt in eigenem Namen internationale Verträge schließen und internationalen Organisationen beitreten. Passend dazu gibt es nunmehr auch einen Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Außerdem bekam der Europäische Rat einen hauptamtlichen Präsidenten, während bei Abstimmung in diesem Gremium die sogenannte doppelte Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten und 65 Prozent der Bevölkerung) für wichtige Fragen eingeführt wurde.

Schließlich erhielt auch das Europäische Parlament mehr Kompetenzen, dazu gehörten nicht nur Rechte in Bezug auf Haushalt, Gesetzgebung und internationale Übereinkommen, sondern auch die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission mit der Mehrheit der Abgeordneten.

Externer Link: Text des Vertrags von Lissabon im Amtsblatt der Europäischen Union

Literatur:

  • Peter Altmaier: Europa - Quo vadis? Zehn Jahre nach Nizza und fünf Monate Vertrag von Lissabon - in Vielfalt geeint?, in: Ralf Thomas Baus/Michael Borchard/Günter Krings (Hg.). Europäische Integration und deutsche Verfassungsidentität. 5. Berliner Rechtspolitische Konferenz. Sankt Augustin/Berlin 2010.
  • Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Berichte und Dokumentation mit einer Einleitung von Jürgen Meyer und Markus Engels. Deutscher Bundestag. Referat Öffentlichkeitsarbeit. Berlin 2001.
  • Olaf Leiße (Hg.): Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon. Wiesbaden 2010.
  • Andreas Marchetti/Claire Demesmay (Hg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung. Baden-Baden 2010.
  • Henrike Müller (Hg.): Ein Recht auf Rechte in Europa? Zur Bedeutung europäischer Grundrechte im Kontext nationaler Praktiken, Münster 2013.
  • Nina Philippi: Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Entstehung, Inhalt und Konsequenzen für den Grundrechtsschutz in Europa. Baden-Baden 2002.
  • Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon und seine Folgen für den europäischen Einigungsprozess. Expertengespräch am 7. September 2009 in Paris der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Fondation Robert Schuman. Paris 2010.

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