Nach der moralischen und militärischen Katastrophe der Hitlerdiktatur war 1945 ein völliger Neuanfang in Deutschland unabdingbar. In der „Stunde Null“ der deutschen Gesellschaft wurde die Union gegründet. In ihr verbanden sich die politischen Traditionen der katholischen Zentrumspartei mit wirtschaftsnahen Vorstellungen aus dem deutschen Liberalismus, so dass die junge Partei in den ersten Jahren ihres Bestehens um eine einheitliche wirtschaftspolitische Linie ringen musste.
Eine verbreitete Erwartung in der unmittelbaren Nachkriegszeit war, dass nach dem Debakel der NS-Diktatur die Konzeption eines demokratischen Sozialismus am besten geeignet sei, den Wiederaufbau voranzubringen und ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit zu verwirklichen. Die meisten Menschen glaubten, der neue demokratische Staat müsse eine zentrale Rolle auch in der Wirtschaft und im sozialen Leben übernehmen. Die ersten programmatischen Aussagen der verschiedenen regionalen CDU-Verbände waren stark von der christlichen Soziallehre geprägt. Befürworter eines „christlichen Sozialismus“ fanden vor allem in der Union im späteren Nordrhein-Westfalen Zustimmung. Im Februar 1947 beschloss der Zonenausschuss der Union im britischen Besatzungsgebiet das „Ahlener Programm“, das unter dem Motto stand: „Die CDU überwindet Kapitalismus und Marxismus“.
In der noch lockeren Arbeitsgemeinschaft der CDU-Verbände gab es vor allem aus Süddeutschland Widerspruch. Damit wurde eine gemeinsame Standortbestimmung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu einer dringenden Aufgabe. Der Volkswirt und spätere Staatssekretär Alfred Müller-Armack war davon überzeugt, dass die Zeit für eine fruchtbare Verbindung von erneuertem liberalen und christlich-sozialen Denken gekommen war. In der praktischen Wirtschaftspolitik war mit Ludwig Erhard als Direktor der Wirtschaftsverwaltung der Bizone ein standfester Vertreter wirtschaftsliberaler Vorstellungen in einer Schlüsselstellung. Dies war allerdings eine Minderheitenposition, da die alltägliche Erfahrung von galoppierender Inflation und schwarzem Markt eine Preisbindung und Warenbewirtschaftung attraktiv erscheinen ließ.
Mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 wurde in den Westzonen die D-Mark eingeführt, die sich schnell zu einer der härtesten Währungen der Welt entwickelte. Durch den Währungsschnitt und die von Erhard gegen den Willen der Amerikaner durchgesetzten neuen wirtschaftlichen Freiheiten füllten sich die Auslagen der Geschäfte über Nacht, es kamen gehortete Vorräte in die Märkte und es setzte eine starke Dynamik in der Produktion ein. Die Entscheidung für die Marktwirtschaft rückte von jetzt an in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen in den Westzonen. Mit einer großen Rede vor dem 2. Parteitag der CDU in der britischen Zone am 28. August 1948 gewann Ludwig Erhard über den Tag hinaus einen nachhaltigen Einfluss auf die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Orientierung der Unionsparteien. Die Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaftspolitik zwischen Erhard und Adenauer prägte in den folgenden fünfzehn Jahren die Entwicklung im Westen Deutschlands maßgeblich.
In der CDU erstellte eine Kommission unter der Leitung von Franz Etzel mit den „Düsseldorfer Leitsätzen“ ein neues Programm für eine freiheitliche und soziale Wirtschaftspolitik, das am 15. Juli 1949 einmütig von den Gremien der Union in den westlichen Besatzungszonen beschlossen wurde. Neben Etzel hatte noch u.a. der an der Universität Frankfurt lehrende Kartellrechtler Franz Böhm ein Jahr lang am Entwurf der „Düsseldorfer Leitsätze“ mitgearbeitet. Dieses Konzept der Sozialen Marktwirtschaft wurde am 15. Juli auf einer Pressekonferenz verkündet, an der mit Johannes Albers und Jakob Kaiser auch Vertreter des Gewerkschaftsflügels der CDU teilnahmen.
Das Schlüsselwort der „Düsseldorfer Leitsätze“ war die „Soziale Marktwirtschaft“. Die wichtigsten zentralen Begriffe für eine künftige Wirtschaftsverfassung lauteten:
- Förderung des privaten Eigentums,
- fairer und freier Leistungswettbewerb,
- marktgerechte Preise,
- Ablehnung der Planwirtschaft,
- unabhängige Monopolkontrolle,
- zentrale Aufsicht über das Geldwesen zum Schutz der Währung,
- Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit,
- Senkung des überhöhten Einkommenssteuertarifs,
- soziale Sicherheit für die wirtschaftlich Schwachen,
- Lohnfindung durch Tarifverträge.
Vom „Ahlener Programm“ wurden im Wesentlichen die Forderungen nach freier Arbeitsplatzwahl, Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben und ihre Mitbeteiligung am Produktivvermögen übernommen.
Die „Düsseldorfer Leitsätze“ sind der erste in sich geschlossene wirtschaftliche Ordnungsentwurf in der Programmgeschichte der CDU. Das hierin enthaltene Programm der Sozialen Marktwirtschaft ist Ausfluss der christlich-demokratischen Idee. CDU und CSU stützen sich in wirtschaftspolitischer Hinsicht auf den Ordoliberalismus, der eine Antwort auf das Scheitern des klassischen Liberalismus in der Zwischenkriegszeit darstellt. In der Sozialen Marktwirtschaft verbinden sich ordoliberale und kartellrechtliche Vorstellungen, wie sie in der „Freiburger Schule“ in Opposition zur NS-Kommandowirtschaft entwickelt wurden, mit den ethischen Forderungen der christlichen Soziallehre.
Die Alternative „Soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft“ bestimmte maßgeblich die Auseinandersetzung vor der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949. Ludwig Erhard zog zwei Jahrzehnte später im Rückblick das Resümee: „In jenem ersten Wahlkampf waren Soziale Marktwirtschaft und CDU zu einer Identität geworden.“