Die NEI und die deutsche Frage
Unklar war dabei lange, ob dieses Problem nur thematisch behandelt oder mit der Einladung deutscher Repräsentanten auch ein Zeichen gesetzt werden sollte. Der Entschluss, deutsche Politiker einzuladen, war definitiv keine Selbstverständlichkeit, denn das Leid, das Deutsche während der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs über Europa gebracht hatten, lag erst wenige Jahre zurück und war immer noch sehr präsent.
Problematisch war zudem, dass es einen deutschen Staat zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab. Die inzwischen neu gegründeten deutschen Länder standen weiterhin unter der Besatzungsherrschaft der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion. Allerdings waren bereits christlich-demokratische Parteien entstanden, an die nunmehr Einladungen ergingen. Somit kamen nach Luxemburg nun Vertreter der neu gegründeten überkonfessionellen Parteien CSU, in der Person des Vorsitzenden Josef Müller, sowie der CDU. Deren Hauptrepräsentanten waren Jakob Kaiser, der gerade aus seinem Amt entlassene frühere Vorsitzende der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone, und Konrad Adenauer, der Vorsitzende der CDU in der britischen Besatzungszone
Adenauers Rede
Konrad Adenauer fiel die Aufgabe zu, als Leiter der deutschen Delegation vor der der Versammlung zu sprechen. In seiner Rede bekannte er, mit einer „gewissen Befangenheit“ und in dem Bewusstsein der „Pflicht zur Wiedergutmachung“ nach Luxemburg gereist zu sein. Jedoch, so fuhr er fort: „Umso angenehmer sind wir berührt von der freundlichen Aufnahme, die wir auf der Tagung der NEI gefunden haben.“
Für Konrad Adenauer war diese Konferenz ein bedeutendes und weitreichendes Ereignis, denn er traf bei dieser Konferenz in Luxemburg zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg mit internationalen Politikern zusammen. Unter diesen waren – frühere, gegenwärtige und zukünftige – einflussreiche Persönlichkeiten wie der ehemalige Premierminister von Belgien, Paul van Zeeland, der Vorsitzende der MRP Maurice Schumann, der zukünftige italienische Regierungschef Guilio Andreotti und der amtierende Parlamentspräsident Luxemburgs Emile Reuter.
Konrad Adenauer nutzte diese Chance, sich nicht alleine als Vertreter der Christdemokraten in den westdeutschen Ländern und Besatzungszonen einen Namen in der internationalen Arena zu machen, sondern sich zugleich öffentlich und letztlich programmatisch zur Westorientierung zu bekennen. Selbstbewusst erklärte er, im aufziehenden Kalten Krieg bildeten „CDU/CSU das einzige zuverlässige Bollwerk gegen den Kommunismus“. Außerdem verkündete er, „dass die Lösung des deutschen Problems aufs engste verknüpft ist mit dem Problem des Neuaufbaus Europas“, der wiederum auf einer „freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland“ gegründet werden müsse.
Resolution und weitere Politik
Die offizielle Resolution der Tagung der NEI in Luxemburg nahm diese Rede sehr positiv auf und hielt fast gleichlautend fest: „La solution du problème allemand dépend de la restauration générale de l`Europe, et réciproquement.“
In den darauf folgenden Jahren widmeten sich die in der NEI zusammengeschlossenen christlich-demokratischen Politiker konsequent dem Wiederaufbau Europas. Die Möglichkeit, sich in diesem Rahmen eher inoffiziell zu besprechen und auszutauschen, ermöglichte oft der offiziellen Politik entscheidende Weichenstellungen. Dementsprechend wirkten die NEI unterstützend an der europäischen Integration mit, die mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952 und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 auf den Weg gebracht wurde.
Letztlich war es dieser Erfolg und damit die Erreichung ihres Hauptziels, der den NEI in den darauffolgenden Jahren immer mehr ihre Bedeutung raubte. 1965 erfolgte die Umorganisation und Umbenennung in Europäische Union Christlicher Demokraten (EUCD), die wiederum später in der Europäische Volkspartei (EVP) aufging.
Literatur:
- Michael Gehler/Wolfram Kaiser: Transnationale Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten. Dokumente 1945–1965, München 2004, bes. S. 107–121.
- Heribert Gisch: Die europäischen Christdemokraten (NEI), in: Wilfried Loth (Hg.): Die Anfänge der europäischen Integration 1945–1950, Bonn 1990, S. 227–236.