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Olaf Kosinsky über https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2019-04-11_Matthias_Zimmer_CDU_MdB_by_Olaf_Kosinsky-9631.jpg

Nachruf

„Nur eines ist sicher: Meinen Mund werde ich nicht halten!“

von Michael Borchard

Nachruf auf Matthias Zimmer

Glaubwürdigkeit, Mut und Herz zeichneten den langjährigen Vorsitzenden der CDA Hessen aus.

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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung trauern um ihren ehemaligen Kollegen, um ihren Altstipendiaten, ihren geschätzten Berater und Freund Matthias Zimmer, der nach langer schwerer Krankheit gestorben ist.

Man mag sich, wenn man ihn gut kannte, nach dieser traurigen Nachricht vorstellen, wie Matthias Zimmer mit seinem ganz besonderen Sinn für Humor, für feine Ironie und mit der heiteren Gelassenheit, die ihn ausgezeichnet hat, gegenwärtig „auf seiner Wolke“ sitzt und mit einem Schmunzeln auf seinem Gesicht auf die freundlichen Nachrufe blickt, die nach seinem viel zu frühen und schmerzlichen Tod erscheinen.  Und man hört förmlich wie er einen spöttisch-gutmütigen Kommentar in diesem Sinne abgeben würde: Das sei alles übertrieben und gegen Kritik könne man sich bekanntlich wehren, aber bei Lob und Würdigungen da sein man machtlos, erst recht nach dem Tod.

Es gibt allerdings gute Gründe seinen ungewöhnlichen Werdegang entlang der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik zu würdigen. Matthias Zimmer war nach dem Studium der Politikwissenschaft, der Neueren Geschichte und des Völkerrechts in Trier, Indiana (Pennsylvania) und in München und parallel zu seinem Promotionsverfahren an der Universität Hamburg zu Beginn der 1990er Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter des damaligen Forschungsinstitutes der Konrad-Adenauer-Stiftung und zunächst als Wissenschaftler tätig, bis 1998 als DAAD-Associate German Studies Professor an der Universität von Alberta in den USA. Mit dem Ende der 1990er Jahre begann seine politische Tätigkeit in Frankfurt im Umfeld der damaligen Oberbürgermeisterin Petra Roth, zuletzt dort als Leiter der Stabsstelle Wirtschaft im Frankfurter Römer. Die Wissenschaft lässt Matthias Zimmer, der auch in der Politik stets versucht hat, die Dinge zu reflektieren, zu durchdringen, zu hinterfragen und auf ihren Kerngehalt zu bringen, aber auch hier nicht wirklich los. Neben seinem Frankfurter Job im Rathaus habilitierte er sich in Köln mit einer Arbeit über die Weltordnung, die sich nach dem Westfälischen Frieden etabliert hat und welche Auswirkungen auf die Debatte über Multilateralismus und Menschenrechte diese „westfälische“ Ordnung hatte. Seine reiche publizistische Tätigkeit umfasste eine ganze Fülle von Themen, sie lässt aber zugleich aufscheinen, wie wichtig ihm das C im Parteinamen der CDU ist, wie wichtig ihm aber auch sein eigener katholischer Glaube war. Die zunehmende Entfremdung von Kirche und Politik schmerzte und sorgte ihn bis zuletzt sehr.

2009 errang er für die CDU, deren Mitglied er seit 1979 war, das Direktmandat im Wahlkreis Frankfurt/Main I, den er dann sowohl 2013 als auch 2017 erneut erobern konnte und zog in das deutsche Parlament ein. Schnell erwarb er sich im Bundestag Anerkennung, so dass er bereits in seiner zweiten Legislaturperiode in den Ältestenrat gewählt wurde. Sein besonderes Augenmerk galt indes dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem er während seiner ganzen Zeit im Deutschen Bundestag angehörte und in dem er Akzente setzte.  

Matthias Zimmer war einer der profiliertesten Sozialpolitiker der CDU, bis vor kurzer Zeit noch als Landesvorsitzender der CDA Hessen und als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDA, wurde er weit über die Grenzen Hessens hinaus für seinen engagierten Einsatz geschätzt. Dabei war er nie nur auf den engeren Begriff der Sozialpolitik beschränkt. Ihm waren diejenigen wichtig, die schwach waren, was konkret bedeutet hat, dass ihm nicht nur der umstrittene Mindestlohn am Herzen lag, zu dessen Zustandekommen er sehr beigetragen hat, sondern auch Menschen mit Behinderungen, für die er sich nicht zuletzt bei der Gestaltung des Bundesteilhabegesetzes eingesetzt hat, die Demenzerkrankten, die Pflegebedürftigen und jene, deren basalen Grund- und Menschenrechte bedroht sind.

Seine Zeit als Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte, das zweite Thema, das ihn so sehr geprägt hat, währte zwar nur kurz, aber er überzeugte in einer Zeit, in der das Thema durch die Entwicklungen in Syrien und im Irak, nicht zuletzt durch die Greueltaten der IS-Terroristen an den Jesiden neue Relevanz erhielt, durch seine ebenso bestimmte wie unaufgeregte Art an der Spitze dieses so wichtigen Gremiums. Instrumentalisieren ließ er sich dabei nicht. Exemplarisch war beispielsweise sein Agieren als die Linkspartei mit klarer Absicht eine Expertenanhörung zur Menschenrechtslage in Israel angesetzt hatte. Hier bewirkte er durch kluge Leitung der Sitzung, dass das offensichtliche Ziel, das Land auf die Anklagebank zu setzen, nicht erfolgreich war und am Ende ein differenziertes Bild der Lage entstand. Für ihn war die Arbeit in diesem Ausschuss, das bekannte er immer einmal wieder, auch so etwas wie eine „Erdung“ und der Hinweis darauf, dass der Schutz des Lebens und der Freiheits- und Menschenrechte am Ende wichtiger sind als das politische Klein-klein.

Immer wieder fiel der streitbare Politiker in den zwölf Jahren seiner Abgeordnetentätigkeit durch ungewöhnliche Redebeiträge auf, die nicht nur rhetorische Brillanz aufwiesen, sondern auch mit einem Überraschungsmoment aufwarteten. In einer Bundestagsdebatte über die Armut in Deutschland beispielsweise reihte er sich nicht hinter diejenigen ein, die sich Zahlen und Fakten zur Armut wechselseitig vorbeteten, sondern schlug einen anderen Weg ein: Er weitete den Armutsbegriff auf die „moralische Armut“ aus, die er bei der AfD ausmachte, deren Politik er leidenschaftlich bekämpft hat. Es sind Reden wie diese und engagierte Debatten in den Sozialen Medien, die ihm Anerkennung eintrugen, über Parteigrenzen hinweg, aber auch die gelegentliche Kritik aufscheinen lassen, er gehöre zu denjenigen die zu einer Polarisierung der politischen Debatte beitragen würden.

In den letzten Jahren seines Lebens, vor allem nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag stellte er seine überragenden intellektuellen Fähigkeiten, seine Formulierungskunst und seinen Wortwitz zunehmend in den Dienst der Literatur. Es mag auch andere ehemalige Abgeordnete und Politiker geben, die sich mehr oder minder erfolgreich an Romanen versucht haben, aber dass Matthias Zimmer mit Morandus, mit „der tote Bundestagsabgeordnete“ und mit Calixit gleich drei Romane geschrieben hat, die allesamt von der Kritik gefeiert wurden, zeigt die Vielseitigkeit von Matthias Zimmer, aber auch sein großes Talent im Umgang mit dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort.

Der verstorbene Publizist Roger Willemsen, der für sein Buch „das hohe Haus“ ein Jahr lang die Debatten im Bundestag verfolgt hatte, beschrieb zugespitzt, wie streitbar Matthias Zimmer war, aber wie sehr er die oberflächliche Debatte verachtet und immer nach den tieferen „Sedimentschichten“ gesucht hat. Auf die Frage, ob Willemsen in diesem Jahr (2014) einmal die berühmte „Sternstunde des Parlaments“ erlebt habe, antwortete er in einem Interview: „Ausgerechnet ein CDU-Mann, Matthias Zimmer, hält die beste Rede, die philosophischste Rede, eine im Vokabular und der Gedankenführung analytisch valide Rede zur Kritik der Wachstumsideologie. Ich lobe da eine durchaus multiple Person, denn derselbe Zimmer hat auch ein paar der hässlichsten Sachen gesagt.“ Für seine Rede, so konstatierte Willemsen habe Matthias Zimmer von allen Applaus erhalten nur nicht von der eigenen Partei. Letzteres verweist darauf, dass Matthias Zimmer als Freund und Kollege extrem verlässlich und menschlich integer war, dass er ein offener zugewandter Mensch, der sich in Gesellschaft wohlgefühlt hat, der für seine Überzeugungen, erst recht für seine sozialpolitischen Ansichten leidenschaftlich gekämpft hat, der voller Überzeugung zu seiner CDU gestanden und sich immer um Kompromisse bemüht hat, aber niemals Lust hatte, sich einfach nur in ein Kästchen einordnen zu lassen und Erwartungen anderer zu erfüllen – auch dann, wenn er damit riskiert hat, in seinem Wahlkreis nicht wieder für den Bundestag aufgestellt zu werden.

Wenngleich er zwar zugestanden hat, dass politische Mandate keine Erbhöfe sind, so war doch spürbar, wie sehr es ihn getroffen und in der Form, in der das geschah, auch verbittert hat, dass er bei der Wahlkreisdelegiertenversammlung der CDU 2021 nach zwölf Jahren Bundestag nicht wieder aufgestellt worden ist. Es war typisch für den gradlinigen Politiker, dass er damals die Feststellung er sei in Mithaftung genommen worden für die Merkel Ära mit einem trotzigen „und das völlig zu Recht!“ kommentiert hat. „Die Kritiker behaupten, in dieser Zeit sei „CDU pur“ verlorengegangen. Ich habe denen immer wieder geantwortet: „CDU pur“ das bekommt man nur in der Opposition.“  Dabei waren Grundsätze und Pragmatik für ihn kein Gegensatz, aber am Ende stünde die Entscheidung. Es sei nun mal schwieriger, nach langem Ringen eine komplizierte Entscheidung zu fällen und zu kommunizieren, als einfach nur dagegen zu sein und das überall herumzutrompeten. Das „Trompeten“ war seine Sache nicht. Gestritten hat er leidenschaftlich gerne, klar und zugespitzt hat er formuliert, polarisiert hat er auch, wirklich laut hat man Matthias Zimmer aber nie erlebt, niemals absichtsvoll verletzend und ins Persönliche gehend. Er hatte, so sagte er selbst, „die feste Überzeugung, dass ‚konservativ‘ Maß und Mitte bedeutet und eine gewisse Zivilisierung im zwischenmenschlichen Verhalten nach sich zieht.“  „Leisetreterei“, mit seinen Überzeugungen hinter dem Berg halten, entsprach allerdings auch nicht seinem christlich-sozialen Sendungsbewusstsein. Er wollte gehört werden, nicht der Person, sondern der Sache wegen.

Als er nach seiner gescheiterten Nominierung gefragt worden ist, wie es denn nun für ihn weitergehe, antwortete er: „Nur eines ist sicher: Meinen Mund werde ich nicht halten! Ich werde mich weiter sehr dezidiert für christlich-soziale Positionen in der CDU einsetzen. Jetzt erst recht.“ 2021 konnte er nicht ahnen, wie wenig Zeit ihm dafür noch bleiben würde. Die Tatsache, dass er trotz seiner schweren Krankheit und seinem damit verbundenen Rückzug aus der aktiven Politik auch die aktuelle Grundsatzprogrammdiskussion mit eigenen publizistischen Aktivitäten und mit einem von ihm publizierten umfangreichen und gewichtigen Plädoyer in Buchform für die christlich-sozialen Grundsätze begleitet hat, das erst vor wenigen Monaten im Herder-Verlag erschienen ist, zeigt, wie wichtig ihm bis zuletzt dieser Einsatz für seine Überzeugungen war. 

Seine kluge und eindringliche Stimme wird fehlen, nicht nur jenen, die ihn geschätzt haben, auch jenen, die mit seinem so dezidierten Einsatz für die christlich-sozialen Wurzeln der CDU wenig anfangen konnten, die andere Meinungen vertreten haben, die aber konzedieren mussten, dass es Matthias Zimmer nie an Glaubwürdigkeit, an Mut und an Herz und an persönlicher Integrität gefehlt hat und die ihn als Mensch geschätzt und respektiert haben. Wir werden ihm in der Adenauer-Stiftung, für die er gerne in den 1990er Jahren als Mitarbeiter tätig war, die er wie seine CDU geschätzt, deren Arbeit – ob im sozialpolitischen oder im internationalen Bereich – er leidenschaftlich unterstützt hat und mit der er gelegentlich auch gehadert hat, zu der aber immer gestanden und mit der er immer wieder eng zusammengearbeitet hat, ein ehrendes Andenken bewahren. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.

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