Ernst Theodor Eichelbaum wurde am 23. Juni 1893 in Berlin geboren. Sein Vater, der Jurist und spätere Richter am Leipziger Reichsgericht, Julius Jacob Eichelbaum, entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Ostpreußen, war jedoch evangelisch getauft. 1911 legte Ernst Eichelbaum das Abitur an der Leipziger Thomasschule – seiner späteren Wirkungsstätte als Lehrer – ab und meldete sich nach einem Studium der Germanistik, Geschichte, Philosophie und evangelischen Theologie im Juli 1914 freiwillig zum Militärdienst.
Der politische Beobachter
Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte Eichelbaum, der als Artillerieoffizier an beiden Fronten gekämpft hatte und 1916 in der Schlacht an der Somme schwer verwundet worden war desillusioniert zurück. Die Monarchie hatte in seinen Augen durch ihren widerstandslosen Zusammenbruch ihre Legitimation eingebüßt. Aber auch für die entstehende Weimarer Republik hatte er nichts als Verachtung übrig. Im Dezember 1919 bestand er seine Prüfung für das höhere Lehramt und wurde Studienrat für Deutsch, Geschichte und Religion an der Thomasschule.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit radikalisierte sich Eichelbaum. Seine neue politische Heimat fand er bei der extremen, antidemokratischen Rechten. Innerhalb der heterogenen Landschaft aus Geheimbünden, Parteien und Clubs am rechten Rand der Republik kann er im Umfeld des „Juni-Klubs“ und der „Konservativen Revolution“ um Ernst Jünger, Eduard Stadtler und Arthur Moeller van den Bruck verortet werden. Wie diese lehnte Eichelbaum nicht nur die neue Demokratie, sondern auch das in seinen Augen rein materialistische Kaiserreich der Vorkriegszeit ab.
Der Ausgestoßene
1933 war Eichelbaum noch immer als Lehrer an der Thomasschule tätig. Er hoffte, dass die NSDAP dazu beitragen würde, den von ihm verachteten Status Quo zu überwinden. Die von ihm erwünschte „Beschleunigung“ der Ereignisse fand in den ersten Monaten nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten tatsächlich statt. Doch schon mit dem am 7. April 1933 erlassenen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ begann sich die Revolution der Nationalsozialisten gegen ihn zu richten. Nach den 1935 in den Nürnberger Gesetzen aufgestellten Kategorien war Eichelbaum „Halbjude“. Zunächst zwar durch seinen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg vor Entlassung geschützt, erlebte er in den folgenden Monaten, dass seine ebenfalls als Lehrerin tätige Schwester entlassen wurde und langjährige Freunde den Kontakt zu ihm abbrachen. Obwohl Eichelbaum manche Aspekte des nationalsozialistischen Staats- und Gesellschaftsumbaus durchaus kritisierte, hielt er diese doch zunächst lediglich für eine „unnötige Begleiterscheinung“ der nationalsozialistischen Revolution.
Auf dem Gebiet der Religion zeigte sich ab der zweiten Jahreshälfte 1933 jedoch eine wachsende Distanz des gläubigen evangelischen Christen zum Nationalsozialismus. Nach dem Sieg der „Deutschen Christen“ bei den Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 kritisierte Eichelbaum in seinen Briefen die Infragestellung zentraler Aspekte des Christentums scharf.
Durch die Nürnberger Gesetze geriet er ab 1935 unter stetig wachsenden Druck. „Halbjuden“ besaßen eine diffuse rechtliche Sonderstellung im Nationalsozialismus, sie waren nicht Teil der „Volksgemeinschaft“, sollten aber zunächst nicht in derselben Weise verfolgt werden wie „Volljuden“. Die daraus entstehenden Handlungsspielräume wurden offenbar vom Rektorat der Thomasschule dazu genutzt, Eichelbaum über die 1935 vorgesehene Entlassung aller „Halbjuden“ aus dem Schuldienst hinaus bis 1943 weiter zu beschäftigen. Gleichwohl blieb seine Lage unsicher und bei jedem Vergehen drohten potentiell unabsehbare Folgen.
Eichelbaum setzte sich dennoch dem Risiko aus, nonkonformistisch zu handeln. Tatsächlich schloss er sich, vermutlich im Jahr 1935, der „Bekennenden Kirche“ an, für die er unter anderem in seinem Religionsunterricht und in den von ihm geleiteten Andachten der Schule wirkte. Zudem versuchte er – so berichtet es ein ehemaliger Schüler - im Geschichtsunterricht über historische Gleichnisse vor dem nationalsozialistischen Regime zu warnen. Hierdurch leistete Eichelbaum zwar keinen aktiven Widerstand gegen das NS-Regime, begab sich aber sichtlich in Opposition zum Regime, was besonders aufgrund seines Status als „Halbjude“ großen persönlichen Mut erforderte.
1943 schließlich wurde er aus dem Schuldienst entfernt und in das Amt für Kriegssachschäden der Stadt Leipzig versetzt, wo er bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft blieb.
Der Bürgermeister
Nachdem die Kontrolle Leipzigs im Zuge der Einrichtung alliierter Besatzungszonen von den USA auf die Sowjetunion übergegangen war, gründete Eichelbaum am 4. August 1945 gemeinsam mit einem Kreis Leipziger Bürger eine christlich-demokratische Partei, die am 22. August unter dem Namen „Christlich-Demokratische Union Deutschlands‘ Stadt Leipzig“ offiziell registriert und in die Struktur der CDU in der SBZ eingeordnet wurde. Ruft man sich in Erinnerung, welche politischen Überzeugungen Ernst Eichelbaum während der Weimarer Republik innehatte, fällt auf, wie fundamental sie sich in zwölf Jahren Diktatur verändert hatten. Auch wenn sich nicht belegen lässt, an welchem Punkt er seine Überzeugungen änderte, so ist doch erkennbar, dass sein christlicher Glaube dabei die entscheidende Rolle spielte.
1945 erneut als Lehrer an der Thomasschule angestellt, führte er bei den im Herbst 1946 stattgefundenen Landtags- und Kommunalwahlen die Liste der CDU in Leipzig an. Trotz massiver Manipulationen und Beeinflussungen seitens der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) im Vorfeld, kam es in Leipzig zu einer knappen „bürgerlichen“ Mehrheit aus CDU und LDP vor der SED, die stärkste Einzelpartei blieb. Infolgedessen erhielten auch Vertreter der LDP und CDU wichtige Ämter in der kommunalen Verwaltung. Die höchste dieser Positionen bekleidete Ernst Eichelbaum als zweiter Bürgermeister der Stadt. Er war unter dem Oberbürgermeister Erich Zeigner tätig, mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband. Von Beginn seiner Amtszeit an war Eichelbaum von einem engmaschigen Netz aus Überwachung und Kontrolle seitens der SMAD und der SED umgeben, die auch in Eichelbaums Dezernat bereits Schlüsselstellen besetzt hatten.
Als Leiter des Sozialdezernats war er mit der Aufgabe betraut, die Aufnahme der Heimatvertriebenen zu organisieren. Die alltägliche politische Arbeit bedeutete für ihn wie viele andere Politiker von CDU und LDP einen beständigen Kampf gegen das enger werdende Netz kommunistischer Repression.
Der Erfurter Parteitag der CDU im September 1948 und die Wahl Otto Nuschkes bildeten den Schlusspunkt der Existenz der CDU als eigenständiger politischer Kraft in der SBZ. Gleichzeitig ging die SMAD gegen die noch verbliebenen „reaktionären Zentren“ der Partei vor, zu denen auch Leipzig gezählt wurde. Nachdem Eichelbaum im September 1948 jegliche politische Betätigung verboten wurde, flüchtete er Mitte Oktober 1948 über Berlin nach Bonn.
Der Flüchtling
Als Eichelbaum im Rheinland eintraf, war er 55 Jahre alt. Er wurde von seiner Partei zwar nicht direkt in ein politisches Amt gehoben, aber Konrad Adenauer, mit dem er mehrfach zusammentraf, sorgte dafür, dass in den Schuldienst von Nordrhein-Westfalen übernommen wurde. Ab 1949 war er als Direktor des staatlichen Gymnasiums Wuppertal tätig. Im selben Jahr heiratete er seine Frau Maria, die ebenfalls als CDU-Politikern aus Leipzig geflohen war und 1951 stellvertretende Vorsitzende des neugegründeten Bundesfrauenausschusses der CDU wurde.
Eichelbaum betätigte sich weiter aktiv innerhalb der CDU. So war er seit 1948 als Sprecher der Landsmannschaft Sachsen in der Exil-CDU aktiv und gehörte seit 1952 dem Evangelischen Arbeitskreis an. Die Flüchtlinge aus der SBZ/DDR im Mittelpunkt von Eichelbaums politischer Tätigkeit. Am 13. Dezember 1953 wurde er bei der Gründungsversammlung des „Gesamtverbandes der Sowjetzonenflüchtlinge e.V.“ zum ersten Vorsitzenden gewählt. In der Folge setzte Eichelbaum sich für eine rechtliche Besserstellung und höhere Versorgungsleistungen der aus politischen Gründen Geflohenen ein. Die von Eichelbaum als „Missionare der Wiedervereinigung“ bezeichneten Mitglieder setzen sich gegen eine Normalisierung der deutschen Teilung und eine allmähliche Akzeptanz der Existenz der DDR ein. In Abkehr von seinen politischen Überzeugungen der 1920er Jahre, wandte er sich aktiv gegen eine nationalistische, revisionistische Ausrichtung des Gesamtverbandes.
Der Parlamentarier
Innerhalb der CDU setzte sich unter anderem Johann Baptist Gradl 1957 dafür ein, Eichelbaum als Vertreter der Flüchtlinge für den Bundestag zu nominieren. Obwohl innerhalb des Landesverbands Rheinland Vorbehalte gegen den Leipziger Protestanten bestanden, wurde er als Kandidat für die Bundestagswahl aufgestellt und zog nach dem Wahlsieg von CDU und CSU am 15. September 1957 als Abgeordneter in den Bundestag ein.
Im Bundestag war Eichelbaum unter anderem im Ausschuss für Vertriebene und Flüchtlinge sowie im Ausschuss für den Lastenausgleich tätig. Im Rückblick kommentierte er selbst, dass sein Thema „freilich nichts Verlockendes an sich hatte“. Er verfügte als Quereinsteiger über keinen großen Rückhalt in der Fraktion und kämpfte für Sozialausgaben, deren tatsächliche Höhe wegen der Unvorhersehbarkeit der Flüchtlingszahlen nicht seriös geschätzt werden konnte. Zudem betrachteten Vertreter der Heimatvertriebenen seine Versuche, die Versorgung der DDR-Flüchtlinge aus bestehenden Ausgleichsmitteln zu verbessern, als unwillkommene Konkurrenz. Von Vorteil war für ihn neben persönlichen Freundschaften zu Johann Baptist Gradl und Heinrich Krone auch sein außerparlamentarischer Rückhalt als Vorsitzender des größten DDR-Flüchtlingsverbands.
Eichelbaums erste Legislaturperiode endete mit kleineren Erfolgen bei der rechtlichen Besserstellung der Flüchtlinge und einem begrenzten Leistungsausbau, aber auch mit der Niederlage der Ablehnung seiner Vorlage eines Beweissicherungsgesetzes. Es sollte eine zukünftige Entschädigung von DDR-Flüchtlingen vorbereiten. Innerhalb des Gesamtverbandes sah er sich zunehmend von weitreichenden sozialpolitischen Forderungen der Sozialdemokraten getrieben. Sowohl aus Gründen der Fraktionsdisziplin als auch aufgrund seiner eigenen politischen Überzeugung, nicht durch zu weitreichende Versorgungsanreize eine „Entleerung“ der DDR zu verursachen, sah Eichelbaum sich außerstande, die im Gesamtverband geweckten Erwartungen zu erfüllen.
Seinen letzten und zugleich größten parlamentarischen Erfolg erreichte Eichelbaum mit der Verabschiedung des Feststellungs- und Beweissicherungsgesetzes durch den Bundestag am 25. März 1965. Darüber hinaus gelang es ihm während seiner acht Jahre im Bundestag, mit beharrlichem Einsatz eine graduelle rechtliche und finanzielle Besserstellung der DDR-Flüchtlinge zu erreichen. Sein schrittweises Vorgehen und der Verzicht auf große, plakative Forderungen führten jedoch im Lauf der vierten Wahlperiode, besonders nach dem Mauerbau 1961, zu einem persönlichen Machtverlust. Eichelbaum weigerte sich, den Mauerbau als Zäsur für die Flüchtlingspolitik anzuerkennen. Das auch von seinem Verband und seiner Partei vorgetragene Argument, nun nach dem Versiegen des „Flüchtlingsstroms“ die Leistungen für Flüchtlinge aus der DDR massiv auszuweiten, sah er als Verrat an den in der DDR Verbliebenen und befürchtete, durch eine solche Politik würde die Spaltung zwischen den beiden Staaten in Deutschland endgültig zementiert. Mit dem Verlust des Amtes des Bundesvorsitzenden des Gesamtverbandes 1963 verlor Eichelbaum auch seinen Einfluss innerhalb der Fraktion und wurde 1965 nicht wieder aufgestellt. Seine Grundüberzeugung, es gelte bei der westdeutschen Gesetzgebung auch und immer deren Auswirkungen auf die Bevölkerung der DDR zu bedenken, wurde immer weniger verstanden, je stärker sich die Teilung im Bewusstsein der Bundesrepublik abseits ritualisierter Gedenkveranstaltungen normalisierte.
Eichelbaum beendete seine Karriere inmitten der verschiedentlich als „Scharnierjahrzehnt“ bezeichneten 1960er Jahre, deren neue außen- und deutschlandpolitischen Ansätze er zeitlebens ablehnte. Noch bis zum Beginn der 1980er Jahre blieb er von der Angst erfüllt, die bundesrepublikanische Gesellschaft werde nicht mehr lange in der Lage sein, ihre Abwehrbereitschaft gegenüber dem sowjetischen Machtblock aufrecht zu erhalten. 1989/90 war es ihm allerdings noch vergönnt, den Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten und die darauf folgende deutsche Wiedervereinigung zu erleben.
Ernst Theodor Eichelbaum starb am 16. April 1991 in Sankt Peter-Ording. Seine Biografie zeichnet sich durch viele Wendungen und Widersprüche aus. In all ihrer Komplexität zeigt seine Lebensgeschichte somit die Verwicklungen und Brüche der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.
Lebenslauf
- 23.06.1893 geboren in Berlin
- 1911 Abitur an der Thomasschule Leipzig
- 1911–1914 Studium der Germanistik, Geschichte, Philosophie und evangelischen Theologie in München, Leipzig und Berlin
- 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, ausgeschieden als Leutnant der Artillerie
- 1919 Prüfung für das Lehramt an den Höheren Schulen, Leipzig
- 1919–1943 Studienrat für Deutsch, Geschichte und evangelische Theologie, Thomasschule Leipzig
- 1932–1933 Vorsitzender des „Vereins der Lehrer der höheren Schulen Leipzigs“
- 1935–1945 Angehöriger der „Bekennenden Kirche“
- 1945 Mitgründer der CDU, Leipzig
- 1945–1948 Zweiter Kreisvorsitzender des CDU-Stadtverbands Leipzig
- 1946–1948 Zweiter Bürgermeister von Leipzig
- 1948 Flucht aus der SBZ
- 1948 Sprecher der Landsmannschaft Sachsen in der Exil-CDU
- 1949 Heirat mit Maria Eichelbaum, geb. Gadow
- 1949–1957 Direktor des Staatlichen Naturwissenschaftlichen Gymnasiums Wuppertal-Elberfeld
- 1952 Mitglied des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU
- 1953–1963 Vorsitzender des „Gesamtverbands der Sowjetzonenflüchtlinge e.V.“
- 1957–1965 Mitglied des Deutschen Bundestages
- 16.04.1991 gestorben in St. Peter-Ording