Die Amtszeit von Hannelore Rönsch als Bundesministerin für Familie und Senioren war durch die Fortführung der aktiven Seniorenpolitik ihrer Amtsvorgängerin Ursula Lehr gekennzeichnet. Besondere Herausforderungen stellten die Notwendigkeit der Angleichung der Lebensverhältnisse von Familien in West- und Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung und die Neuregelung des § 218 StGB dar.
Herkunft, Ausbildung und erste berufliche Tätigkeit
Geboren wurde sie als Hannelore Heinz am 12. Dezember 1942 in Wiesbaden-Schierstein. Nachdem ihr Vater in sowjetischer Kriegsgefangenschaft verstorben war, musste ihre Mutter sie, ihren Bruder und vier andere Kinder, deren Eltern Opfer des Krieges geworden waren und die sie aufgenommen hatte, alleine durchbringen. Aufgrund der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen sie aufwuchs, lernte sie bereits als Kind, diszipliniert zu sein. Im Rückblick auf ihre Kindheit sagte sie: „Wir sind als Kinder zu Leistung, Sparsamkeit und Rücksichtnahme erzogen worden.“ Da das von ihr angestrebte Lehramtsstudium aus finanziellen Gründen nicht möglich war, besuchte Rönsch nach der Mittleren Reife die Höhere Handelsschule und trat 1960 als Angestellte in das Wiesbadener Bundeskriminalamt ein. 1962 wechselte sie zum Gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen „Nassauische Heimstätte“, wo sie bis 1983 tätig war. Den Schwerpunkt ihrer Arbeit dort bildete die Beantwortung von Mieterfragen.
Der Weg in die Politik – von der kommunalen Ebene in den Deutschen Bundestag
1963 trat sie in die CDU ein. Mit ihrem Ehemann Claus Rönsch, den sie 1963 geheiratet hatte, und der 1965 geborenen Tochter Viola zog sie 1967 als eine der ersten Mieter in eine Neubausiedlung in Wiesbaden-Klarenthal. Hier begann sie schon bald, sich für die Menschen in ihrer Nachbarschaft einzusetzen. Sie leistete politische Basisarbeit und kümmerte sich um die alltäglichen Schwierigkeiten der Bewohner der neu errichteten Siedlung. Das Ehepaar Rönsch gehörte zu den Gründungsmitgliedern des CDU-Stadtverbands Wiesbaden-Klarenthal.
1974 wurde Hannelore Rönsch als Abgeordnete in die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung gewählt, 1980 wurde sie Stadträtin im Magistrat der Stadt. Bei der Bundestagswahl 1983 gelang es ihr, die Vorherrschaft der SPD im Wahlkreis Wiesbaden zu brechen und mit 46,6 Prozent das Direktmandat für die CDU zu gewinnen. Bis 1998 vertrat sie den Wahlkreis Wiesbaden direkt. Bei Bundestagswahlen verteidigte sie den Wahlkreis mehrfach gegen die SPD-Politikerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Zuletzt zog Rönsch über die hessische Landesliste in den Deutschen Bundestag ein. Von 1994 bis 2002 war sie stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Im Jahr 2002 gab sie ihr Abgeordnetenmandat aus persönlichen Gründen auf.
Bundesministerin für Familie und Senioren
Zu Beginn des Jahres 1991 teilte Bundeskanzler Helmut Kohl das Bundesministerium für Jugend, Frauen, Familie und Gesundheit in drei eigenständige Ressorts auf: Gerda Hasselfeldt (CSU) übernahm das Bundesministerium für Gesundheit, Angela Merkel (CDU) das Bundesministerium für Frauen und Jugend. Hannelore Rönsch, die mehrere Jahre in den Parlamentsausschüssen für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie Jugend, Familie und Gesundheit tätig gewesen war, wurde als Bundesministerin für Familie und Senioren ins Kabinett berufen. Die Zeit als Bundesministerin war der Höhepunkt von Hannelore Rönschs politischer Karriere.
Einen wichtigen Aspekt ihrer Arbeit bildete die durch die Wiedervereinigung gemäß Artikel 31 des Einigungsvertrages notwendig gewordene rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB). Aufgrund der bis dahin unterschiedlichen Entwicklung der Rechtslage in West- und Ostdeutschland und wegen bereits bestehender Meinungsunterschiede zwischen verschiedenen Parteien und Gruppen kam es zu einer heftigen gesellschaftspolitischen Kontroverse. Im Vordergrund stand hier für Rönsch immer der Schutz des ungeborenen Lebens. Eine Fristenlösung – die bisher in der DDR gegolten hatte – lehnte sie dezidiert ab, ebenso sah sie eine Beratungspflicht für Frauen als obligatorisch an. Sozial flankierende Maßnahmen sollten helfen, den Konflikt, in dem Frauen sich durch eine ungewollte Schwangerschaft befinden konnten, zu entschärfen. 1990 schon war der „Hilfsfonds für schwangere Frauen in Not“ ins Leben gerufen worden, der 1993 in die „Bundesstiftung Mutter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens“ überführt wurde. Erst im Juni 1995 konnte in der Debatte um den § 218 StGB ein Kompromiss erzielt werden, der bis heute Gültigkeit hat.
Neben dem Schutz des ungeborenen Lebens waren Hannelore Rönsch die Unterstützung von Alleinerziehenden sowie eine verbesserte Betreuung und die Integration von Senioren in der Gesellschaft wichtige Anliegen. 1992 wurde von ihrem Ministerium der Bundesaltenplan“ als gezieltes Förderinstrument der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Seniorenhilfe und Seniorenarbeit ins Leben gerufen.
„Die zentrale familienpolitische Herausforderung“ – so schrieb Hannelore Rönsch in einem Artikel 1993 – liege in der „Diskrepanz zwischen subjektiven Kinderwünschen und den objektiven Daten des generativen Verhaltens“. Um die Lücke, die zwischen dem Kinderwunsch von Paaren und der tatsächlichen Zahl der Geburten klaffte, mit gezielten Maßnahmen zu schließen, setzte sie sich für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und die Optimierung der Bedingungen für ein Leben mit Kindern ein. Bei der Schaffung einer familienfreundlicheren Arbeitswelt sah sie alle gesellschaftlichen Gruppen und Tarifparteien gefordert.
In ihrer Amtszeit als Bundesfamilienministerin wurden das Kindergeld und der steuerliche Kinderfreibetrag erhöht sowie der Erziehungsurlaub auf drei Jahre ausgeweitet und das Erziehungsgeld auf zwei Jahre verlängert. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten für die Rentenberechnung pro Kind wurde auf drei Jahre erweitert und die Zahl der Tage, die Eltern für die Freistellung zur Pflege von erkrankten Kindern zustehen, wurde auf zehn Tage pro Jahr erhöht. Ein zentrales Anliegen von Hannelore Rönsch war es, einkommensschwache und kinderreiche Familien durch einen verbesserten Familienlastenausgleich finanziell zu unterstützen. Rönsch trat auch für die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ein, der allerdings erst zum 1. Januar 1996 – nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt – in Kraft trat. Sie engagierte sich für eine familienpolitische Zusammenarbeit über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg, und sie initiierte Informationskampagnen, um für das Leben mit Kindern zu werben.
Auf Widerstand stieß ihr Vorschlag, anlässlich der Novelle des Bundessozialhilfegesetzes Sozialhilfeempfänger und andere Leistungsempfänger zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen. Auch ihre Forderung, Kinderlose durch Sonderabgaben stärker finanziell zu belasten, um mehr finanzielle Mittel für Familien mit Kindern bereitzustellen, wurde nicht umgesetzt.
„Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Finsternis zu klagen“
1994 verzichtete Hannelore Rönsch „nicht leichten Herzens“ auf das von ihr geliebte Ministeramt. Sie wollte Bundeskanzler Kohl bei der geplanten Kabinettsumbildung nicht im Weg stehen. 2001 erklärte sie, dass sie bei der Bundestagswahl 2002 nicht erneut um ein Mandat als Abgeordnete kandidieren werde.
Gemäß ihrem persönlichen Motto „Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Finsternis zu klagen“ (Fragebogen der FAZ, 25. November 1994) engagiert sie sich bis heute im sozialen Bereich. Ihr Einsatz gilt vor allem der Stiftung „Daheim im Heim“, deren Gründung sie noch als Bundesministerin 1992/93 mit initiiert hatte. Von 1992 bis 2010 war sie die Vorsitzende des Stiftungskuratoriums, seit 2011 ist sie dessen Ehrenvorsitzende. Ziel der Stiftung "Daheim im Heim" ist die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen leben. Aktuell kümmert sich die Stiftung vor allem um Demenzkranke. Von 2000 bis 2014 war Hannelore Rönsch Vorsitzende des Landesverbandes Hessen des Deutschen Roten Kreuzes, seit Juni 2015 ist sie Ehrenvorsitzende des Verbandes.
Privat kümmert sie sich voller Begeisterung um ihre Enkelkinder. Schon 1994 antwortete sie im Fragebogen der FAZ auf die Frage, was sie am liebsten sein möchte: „Großmutter“.
Als wichtigste Leistung ihrer Karriere in der Bundespolitik bezeichnet sie die Tatsache, „die Wiedervereinigung ein Stück mit gestaltet zu haben“.
Lebenslauf
- 12.12.1942 Geburt in Wiesbaden
- 1960 Mittlere Reife, Höhere Handelsschule
- 1960-1962 Angestellte im Bundeskriminalamt, Wiesbaden
- 1962-1983 Mitarbeiterin beim Gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen „Nassauische Heimstätte“, Wiesbaden
- 1963 Eheschließung mit Claus Rönsch; Eintritt in die CDU
- 1965 Geburt der Tochter Viola
- 1983-2002 Mitglied des Deutschen Bundestages
- 1991-1994 Bundesministerin für Familie und Senioren
- 1993-2010 Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung „Daheim im Heim“
- 1994-2000 stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
- 2000-2014 Vorsitzende des Landesverbandes Hessen des Deutschen Roten Kreuzes
- seit 2011 Ehrenvorsitzende der Stiftung „Daheim im Heim“
Veröffentlichungen
- Hannelore Rönsch: Leitsätze zum besseren Schutz ungeborener Kinder. In: Eichholz Brief 3 (1991), S. 3–5.
- Hannelore Rönsch: Familienpolitik und Lebenswirklichkeit – Herausforderungen und Perspektiven. In: 40 Jahre Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Rückblick/Ausblick. Festschrift. Hg. vom Bundesministerium für Familie und Senioren. Neuwied u. a. 1993.
- Hannelore Rönsch: Veränderungen im Netzwerk Familie. In: Rita Süssmuth (Hg.): Mut zur Macht in Frauenhand. Herford 2001, S. 155–160.
Literatur
- Irene Gerlach: Familie und staatliches Handeln. Ideologie und politische Praxis in Deutschland. Opladen 1996.
- Irene Gerlach: Rönsch, Hannelore. In: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.): Kanzler und Minister 1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen. Wiesbaden 2001.
- Ursula Münch: Gebremste Innovation und demographische Zwänge – Familien- und Frauenpolitik auf der Suche nach der Balance von Familien- und Erwerbsarbeit. In: Die Ära Kohl im Gespräch. Eine Zwischenbilanz. Hg. von Günter Buchstab, Hans-Otto Kleinmann und Hanns Jürgen Küsters. Köln/Weimar/Wien 2010, S. 205–236.