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☛ Angehöriger der deutschen Minderheit in Schlesien
☛ Eintritt in die CDU und Abgeordnetentätigkeit
☛ An der Spitze des Bundes der Vertriebenen
Angehöriger der deutschen Minderheit in Schlesien
Herbert Helmut Czaja wurde am 5. November 1914 als Sohn des Notars Albert Czaja und seiner Frau Aloisia in Teschen/Schlesien geboren. Das Herzogtum Teschen gehörte bis 1918 zur Habsburgermonarchie. Nach dem Ersten Weltkrieg beanspruchten sowohl Polen als auch die Tschechoslowakei das Gebiet, was 1920 schließlich zu einer Teilung führte. Der größte Teil fiel an die Tschechoslowakei, der östliche Teil des Herzogtums wurde Polen zugesprochen. Czaja verlebte seine Kindheit und Jugend in Skotschau, das seit 1922 der autonomen Woiwodschaft im polnischen Teil Schlesiens angehörte. Seine Eltern waren tief gläubige Katholiken.
Czaja studierte an den Universitäten Krakau und Wien Germanistik, Philosophie und Geschichte. 1937 bestand er seine Magisterprüfung und sein Examen als Gymnasiallehrer, 1939 wurde er in Krakau promoviert. Seine weitere akademische Karriere scheiterte nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939, denn die Nationalsozialisten untersagten den Lehrbetrieb an der Krakauer Universität. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, war Czaja nun als Deutschlehrer tätig.
Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen bestimmten seine nächsten Lebensjahre: Im Mai 1942 wurde er zur Wehrmacht einberufen. Im September 1943 verlor er infolge einer Verwundung ein Auge. Seine militärische Laufbahn endete im Rang eines Gefreiten, obwohl ihn seine akademische Ausbildung eigentlich zum Offizier qualifiziert hätte. Der Grund hierfür war wohl seine – aus Sicht der Nationalsozialisten – politische Unzuverlässigkeit. Bei Kriegsende geriet Czaja im April 1945 in amerikanische Gefangenschaft, im Herbst 1945 konnte er jedoch in seine Heimat zurückkehren.
Sein weiterer Lebensweg war geprägt von der Erfahrung der Vertreibung der Deutschen aus Schlesien. 1946 entschied sich Czaja dafür, Polen zu verlassen, da er nicht bereit war, sich zum Polentum zu bekennen. Er verließ Skotschau mit einem Vertriebenentransport in Richtung Westen. Seine Eltern ließ er zurück.
Eintritt in die CDU und Abgeordnetentätigkeit
Im Südwesten Deutschlands fand Czaja nach dem Krieg eine Ersatz-Heimat. Ab Herbst 1946 war er in Stuttgart als Lehrer für Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Latein tätig. 1948 wurde er zum Studienrat ernannt, 1950 zum Beamten auf Lebenszeit.
Politisch knüpfte er an seine parteipolitischen Präferenzen aus der Studienzeit an: 1946 trat er in die Junge Union ein, seit 1947 gehörte er der Christlich-Demokratischen Union Nordwürttembergs an. Die Beweggründe für sein politisches Engagement waren ideeller Natur: Aufgrund seiner familiären Prägung war Czaja tief verwurzelt im katholischen Glauben und darum bestrebt, seine moralischen und rechtlichen Überzeugungen politisch zur Geltung zu bringen. Maßgeblich waren für ihn Zeit seines Lebens sein großer Respekt vor der Autorität der katholischen Lehre und der Geistlichkeit als Garanten verbindlicher Werte.
Die CDU vertrat er zunächst auf kommunaler Ebene, als Mitglied des Stuttgarter Stadtrats von 1947 bis 1953. Nach der zweiten Bundestagswahl im September 1953 zog er über die Landesliste Baden-Württemberg in den Deutschen Bundestag ein. Im Mittelpunkt seiner parlamentarischen Tätigkeit standen in den 1950er Jahren Fragen der Sozial- und Wohnungspolitik und des Lastenausgleichs. Da die Vertriebenen von der großen Wohnungsnot und den sozialen Folgen des Krieges besonders betroffen waren, war dies ein Aufgabengebiet, das sich mit Czajas frühem Einsatz für die Belange von Flüchtlingen und Vertriebenen aus Ost- und Mittel- und Südosteuropa verband. In den 1960er Jahren weitete sich sein Bestätigungsfeld auf außenpolitische Fragen aus: Von 1964 an bis zu seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag 1990 war er Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.
An der Spitze des Bundes der Vertriebenen
Am 14. März 1970 wurde Czaja zum Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV) gewählt. Dieses Amt behielt er bis 1994. In seiner Publikation „Unterwegs zum kleinsten Deutschland“ (1996) beschrieb er rückblickend, dass er bereits 1948 zu den Mitgründern einer Kreisgruppe der Landsmannschaft der Oberschlesier in Stuttgart gehört hatte. In dieser Schrift betonte Czaja auch die Bedeutung der Unterstützung der Vertriebenenarbeit durch Vertreter der christlichen Kirchen. Besonders die Vernetzung zwischen den Vertriebenen und katholischen Theologen lag ihm sehr am Herzen.
Von 1969 bis 1995 amtierte Czaja auch als Sprecher der Landsmannschaft der Oberschlesier, einem Mitgliedsverband des Bundesverbands der Vertriebenen. Czaja zählte außerdem zu den Mitgründern der Union der Vertriebenen in CDU und CSU, einer parteipolitischen Sonderorganisation, die als Ansprechpartner für die Interessenverbände der Flüchtlinge und Vertriebenen gedacht war. Die Union der Vertriebenen trat programmatisch für das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen wie auch das Recht auf Heimat ein und bemühte sich um die Pflege des deutschen Kulturerbes in Ostmitteleuropa.
Von der Spitze des BdV aus avancierte Czaja zu Beginn der 1970er Jahre zu einem der schärfsten Kritiker der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Für den BdV als Interessenvertretung, die sich dezidiert für die Wahrung der Volksgruppenrechte der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches einsetzte, war die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze der Republik Polen, wie sie im Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 und dem Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 festgeschrieben wurde, nicht akzeptabel. Hinzu kam, dass im gleichen Maße, wie die gesellschaftliche Integration der Vertriebenen in die Bundesrepublik voranschritt, sich für die Vertriebenenverbände die Existenzfrage stellte. Auch vor diesem Hintergrund erklärte sich die Fundamentalopposition des BdV gegenüber der Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel. Gleichwohl gehörte Herbert Czaja nicht zu denjenigen Vertriebenenpolitikern, die eine Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 forderten: Dokumente aus den 1960er Jahren belegen, dass seine politischen Überlegungen durchaus auf einen Ausgleich mit Polen zielten.
In den 1970er und 1980er Jahren zielte Herbert Czajas Wirken als Vorsitzender des BdV stets darauf, die deutsche Frage offenzuhalten und die Wahrung kultureller Rechte und Eigentumsvorbehalte der vertriebenen Deutschen zu wahren. Er argumentierte dabei von einem engen völkerrechtlich gefassten Standpunkt aus, der sich in den Details auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Ostverträgen vom 7. Juli 1975 stützte. (siehe Infobox). Diese Haltung vertrat er auch, als sich nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 überraschend die Chance zur Wiederherstellung der deutschen Einheit eröffnete.
1990 zeigte Czaja sich enttäuscht von den gemeinsamen Entschlüssen des Bundestags und der Volkskammer zur Anerkennung der polnischen Westgrenzen. Durch sein Festhalten an einer Rechtsposition, die sich mit den historischen und politischen Realitäten jedoch kaum mehr vereinbaren ließ, führte nun allerdings zu einer deutlichen Entfremdung zur Mehrheitsmeinung innerhalb der CDU.
Am Ende des Jahres 1990 schied Herbert Czaja aus dem Bundestag aus. Er wurde jedoch im Juni 1992 erneut als Präsident des BdV bestätigt und amtierte noch bis 1994. Am 18. April 1997 verstarb er im Alter von 82 Jahren in Stuttgart.
Verheiratet war Herbert Czaja mit Eva-Maria, geb. Reinhardt, die Eheleute hatten zusammen neun Kinder.
Lebenslauf
- 1933–1937 Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Krakau und Wien
- 1939 Promotion
- 1942–1945 Kriegsdienst
- 1946 Vertreibung, Schuldienst in Baden-Württemberg, Eintritt in die Junge Union
- 1947 Eintritt in die CDU
- 1947–1953 Stadtrat in Stuttgart
- 1948 Heirat mit Eva-Maria Reinhardt
- 1953–1990 MdB (CDU)
- 1969–1995 Sprecher der Landsmannschaft der Oberschlesier
- 1970–1994 Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen
Literatur
- Matthias Stickler: Die zwei Leben des Dr. Herbert Czaja (1914-1997). Grundzüge eines Lebensbilds, in: Ders. (Hg.), Jenseits von Aufrechnung und Verdrängung. Neue Forschungen zu Flucht, Vertreibung und Vertriebenenintegration. Stuttgart 2014, S. 45-65.