Herkunft und Werdegang
Herbert Gruhl wurde am 22. Oktober 1921 in Gnaschwitz in der Oberlausitz (heute ein Ortsteil von Doberschau-Gaußig im Landkreis Bautzen) unweit des Sudetenlandes geboren. Nach dem Besuch der örtlichen Volksschule und einer landwirtschaftlichen Fachschule arbeitete er vier Jahre lang in der Landwirtschaft. Gruhl war von 1941 bis 1945 Soldat in der Wehrmacht, zunächst in Russland, dann zum Kriegsende im Westen. Aus einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Belgien floh er nach Kriegsende. Er erwarb das Abitur, auf das er sich bereits vor dem Krieg im Selbststudium vorbereitet hatte, um dann an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin und, nach deren Gründung und der Flucht vieler Lehrkräfte in den Westen, an der Freien Universität Berlin Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren. Gruhl wurde im Jahr 1957 mit einer Arbeit mit dem Titel „Hugo von Hofmannsthal. Die existenziellen Grundlagen und die geistesgeschichtlichen Bezüge seines Werkes“ promoviert. Diese Ausbildung hatte ihm seine Frau Marianne ermöglicht, die er 1951 geheiratet hatte und die während seiner letzten Studienjahre als Lehrerin arbeitete.
Erste Jahre in der CDU und in Barsinghausen
Herbert Gruhl trat bereits 1954 und noch in Berlin in die CDU ein. Bei der Organisationsmaschinen Vertrieb GmbH in Hannover absolvierte er – im Streben nach größtmöglicher Vielseitigkeit – nach seinen abgeschlossenen Studien eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete danach als Angestellter in der elektronischen Datenverarbeitung. In dieser Zeit übersiedelte er 1959 in das nahe bei Hannover gelegene Barsinghausen. Dort saß Gruhl von 1961 bis 1972 im Stadtrat und war von 1964 bis 1969 Vorsitzender der CDU-Fraktion. Von 1965 bis 1974 war Gruhl Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Hannover-Land.
In der Bundespolitik
1969 wurde er in den im Deutschen Bundestag gewählt, wo er in den Jahren 1969–1970 Mitglied im Innenausschusses war. In dieser Funktion beschäftigte er sich mit Fragen der inneren Sicherheit vor dem Hintergrund des Linksradikalismus in der jungen Generation. 1970 wurde er Sprecher der Fraktion in Umweltfragen und blieb dies bis zur Bundestagswahl 1976. 1972 wurde er Vorsitzender der „Arbeitsgruppe für Umweltvorsorge“ der CDU/-CSU-Fraktion. Aus dieser Arbeitsgruppe ging unter maßgeblicher Mitwirkung Gruhls und Richard von Weizäckers, den der Bundes- und Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel für das noch zu schaffende Amt eines Umweltministers vorgesehen hatte, das „Konzept der CDU für Umweltvorsorge“ hervor.
Seine in engagierten Reden zur Umweltpolitik und zur Ökonomie vorgetragenen Thesen – er war ein Kritiker der Kernenergie – machten Gruhl auch über die Parteigrenzen hinaus bekannt. 1975 veröffentlichte er sein wohl bekanntestes Buch, „Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik“, in dem er den Raubbau an den natürlichen Ressourcen und das Streben nach stetig steigendem Wirtschaftswachstum kritisierte und forderte, „von den Grenzen unserer Erde ausgehend [zu] denken“. Sein Buch erreichte eine Auflage von 400.000 Exemplaren und stieß vor allem außerhalb der Partei auf positive Resonanz. 1975 wurde Gruhl Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands e.V. (BUND) und gründete 1976 u.a. mit Unterstützung des Zoodirektors und Tierfilmers Bernhard Grzimek den BUND-Landesverband Hessen. Obwohl Gruhl nun zum gefragten Redner wurde, geriet er durch sein außerparlamentarisches Engagement zunehmend mit seiner Partei in Konflikt und blieb dort weitgehend isoliert.
Bereits im Herbst 1977 bekannte Gruhl gegenüber dem Journalisten Franz Alt, dass ihm die CDU keine politische Heimat mehr sei. Nachdem sein gestörtes Verhältnis zur CDU Gegenstand öffentlicher Berichterstattung geworden war, rief ihn der niedersächsische CDU-Vorsitzende Wilfried Hasselmann ultimativ und verbunden mit der Drohung eines Parteiausschlussverfahrens auf, sich bis Monatsende zu entscheiden, ob er weiterhin Mitglied der CDU bleiben wolle. Nachdem er dieses Ultimatum zuerst hatte verstreichen lassen, trat Gruhl am 11. Juli 1978 aus der Partei aus, behielt jedoch sein Bundestagsmandat bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 1980. Seinen Austritt begründete er vor allem mit der aus seiner Sicht wirtschafts- und umweltpolitischen Falschausrichtung der Partei, griff aber auch prominente CDU-Politiker und den Parteivorsitzenden Helmut Kohl an.
Mitbegründer der Grünen
Am 13. Juli 1978 und damit nur einen Tag nach seinem Parteiaustritt gründete Gruhl die Grüne Aktion Zukunft (GAZ). Eine seiner Kernforderungen war das Erreichen eines Nullwachstums. Dies sei notwendig, um einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern. Die GAZ ging später gemeinsam mit anderen Gruppen in der Partei Die Grünen auf. Im Juni 1979 trat die im März gegründete Wählergruppe „Sonstige politische Vereinigung Die Grünen“ zur Wahl zum Europaparlament an. Während Herbert Gruhl im Vorstand saß, waren so unterschiedliche Personen wie Petra Kelly und Joseph Beuys oder das ehemalige NSDAP-Mitglied Baldur Springmann Spitzenkandidaten. Aufgrund der Unterschiede in der politischen Ausrichtung der bei den „Grünen“ mitarbeitenden Gruppen nahmen insbesondere nach verstärkten Eintritten von Personen aus dem Umfeld des ehemaligen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), das heißt aus den sogenannten K-Gruppen, die Konflikte bei der innerparteilichen politischen Willensbildung zu. Aufgrund inhaltlicher Differenzen verzichtete Gruhl bei der Bundesversammlung im März 1980 in Saarbrücken auf eine Wahl in den Vorstand. Nachdem er es abgelehnt hatte, sich auf die Linie festlegen zu lassen, die sich vor allem durch das Einwirken der K-Gruppen abzeichnete, fiel er im Juni in Dortmund bei der Vorstandswahl durch und lehnte auch ein Angebot aus Baden-Württemberg ab, für den Bundestag zu kandidieren.
Mitgründer der ÖDP
Im Januar 1981 trat Gruhl aus der Partei Die Grünen aus. Als sich im Oktober 1981 in Bayern die Ökologisch-Demokratische-Partei gründete und sich die Partei im März 1982 konstituierte, wurde Herbert Gruhl zum Vorsitzenden gewählt. Nachdem die ÖDP bei den bayerischen Landtagswahlen 1982 nicht erfolgreich war, verzichtete Gruhl wegen Überlastung darauf, sich bei der Bundestagswahl 1983 um ein Mandat zu bewerben.
1986 wurde Gruhl auf dem Bundesparteitag der ÖDP als Vorsitzender bestätigt. Nachdem die Partei bei der Bundestagswahl 1987 0,3 Prozent der Stimmen erreicht hatte, schaffte sie 1988 bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg mit 1,4 Prozent ihr bestes Ergebnis. Persönliche Differenzen zwischen Gruhl und dem Bundesvorstand, die bereits 1988 erkennbar waren, führten auf dem Bundesparteitag im Februar 1989 zu heftigen Auseinandersetzungen über den künftigen politischen Kurs der Partei, die zunächst zum Rücktritt Gruhls vom Vorsitz führten. Der Streit hatte sich unter anderem an Gruhls ablehnender Haltung gegenüber einem Grundsatzbeschluss zur Abgrenzung von rechtsradikalen Parteien entzündet und war auch wegen eines Auftritts von Gruhl bei einer Veranstaltung des umstrittenen „Vereins zur Wahrung deutscher Interessen“ so weit eskaliert, dass Parteivertreter öffentlich diskutierten, Gruhls Parteiaustritt durch einen Parteiausschluss zuvorzukommen.
Gruhl kündigte die Gründung eines eigenen Arbeitskreises an und lehnte den Vorschlag des neuen Vorsitzenden Hans-Joachim Ritter, künftig „Vordenker“ und „intellektueller Streiter“ für die ÖDP zu sein, ab. Im Dezember 1990 trat Gruhl aus der ÖDP aus. Er warf der Partei Sektierertum vor. Ihm wiederum wurde vorgeworfen, sich durch rechtsradikale Positionen in nationalen Fragen von der Parteibasis entfernt zu haben. Gruhl schloss sich mit seinem „Arbeitskreis Ökologische Politik“ der rechtsradikalen überparteilichen Organisation Unabhängige Ökologen Deutschlands an.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte er auf einem Bauernhof im oberbayerischen Marktschellenberg, den er 1978 erworben hatte.
Er starb am 26. Juni 1993 im Alter von 71 Jahren in der Universitätsklinik Regensburg an den Folgen eines Schlaganfalls. Er hinterließ seine Ehefrau Marianne und vier Kinder (Andreas, Harald, Christina und Rüdiger).
Lebenslauf
- 1933–1940 Landwirt
- 1941–1945 Soldat im Zweiten Weltkrieg
- 1947–1952 Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Berlin, Promotion
- 1954 Eintritt in die CDU
- 1965–1974 Kreisvorsitzender CDU Hannover-Land
- 1969–1980 MdB
- 1972 Vorsitzender der „Arbeitsgruppe für Umweltvorsorge“
- 1975 Veröffentlichung des Bestsellers „Ein Planet wird geplündert“
- 1975 Vorsitzender des BUND
- Juli 1978 Austritt aus der CDU und Gründung der Partei Grüne Aktion Zukunft (GAZ)
- Januar 1979 Mitbegründer der Partei Die Grünen
- Januar 1981 Austritt aus der Partei Die Grünen
- Oktober 1981 Gründung der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), seit März 1982 deren Vorsitzender
- Februar 1989 Rücktritt als Vorsitzender der ÖDP
- Dezember 1990 Austritt aus der ÖDP, danach schriftstellerisch tätig
Veröffentlichungen
- Hugo von Hofmannsthal – Die existenziellen Grundlagen und die geistesgeschichtlichen Bezüge seines Werkes. Berlin 1957.
- Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik. Frankfurt/Main 1975.
- Das irdische Gleichgewicht – Ökologie unseres Daseins. Düsseldorf 1982.
- Die Überlebensnotwendigkeit ökologischer Politik – Grundsatzrede auf d. Gründungsparteitag der Ökologisch-Demokratischen Partei (6. März 1982) in Bad Honnef. Bonn 1982.
- Häuptling Seattle/Gruhl, Herbert [Übers.]: Häuptling Seattle hat gesprochen – der authentische Text seiner Rede mit einer Klarstellung: Nachdichtung und Wahrheit. Düsseldorf 1984.
- Gruhl, Herbert [Hg.]: Glücklich werden die sein… – Zeugnisse ökologischer Weltsicht aus 4 Jahrtausenden. Düsseldorf 1984.
- Das irdische Gleichgewicht – Ökologie unseres Daseins. Stuttgart 1984.
- Der atomare Selbstmord. München/Berlin 1986.
- Zehn Jahre „Plünderung des Planeten“ – Fortschreibung der „Schreckensbilanz“. Bonn 1987.
- Überleben ist alles – Erinnerungen. Berlin/München 1987.
- Himmelfahrt ins Nichts – der geplünderte Planet vor dem Ende. München 1992.
- Aphorismen: Menschliches, Ökologie und Politik. Aus dem Nachlass herausgegeben – mit einem Vorwort von Konrad Adam. Bad Schussenried 2021.
Literatur
- Hüllen, Rudolf van: Ideologie und Machtkampf bei den Grünen. Bonn 1990.
- Wüst, Jürgen: Konservatismus und Ökologiebewegung. Eine Untersuchung im Spannungsfeld von Partei, Bewegung und Ideologie am Beispiel der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Frankfurt/Main 1993.
- Alt, Franz/Waechter, Antoine: 20 Jahre ödp – Anfänge, Gegenwart und Perspektiven ökologisch-demokratischer Politik. Rimpar 1999.
- Naturkonservativ heute. Jahrbuch der Herbert-Gruhl-Gesellschaft e. V. Bd. 1 – 6, Essen 2001–2006; Bd. 7 – 8, Bad Schussenried 2007 –2009.
- Hildebrand, Daniel: Herbert Gruhl und die ökologische Protestbewegung. In: Historisch-Politische Mitteilungen 10/2003, S. 325–332.
- Kempf, Volker (Hg.): Herbert Gruhl – Unter den Karawanen der Blinden. Schlüsseltexte, Interviews und Reden (1976–1993). Frankfurt/Main u.a. 2005.
- Kempf, Volker: Herbert Gruhl - Pionier der Umweltsoziologie. Im Spannungsfeld von wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Realität. Graz 2008.
- Kempf, Volker (Hg.): Der Umweltschützer mit Liebe zu Deutschland. Gedächtnisschrift für Herbert Gruhl. Bad Schussenried 2023.