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Luise Rehling, Portraitfoto Luise Rehling, Portraitfoto © KAS/Peter Bouserath

Luise Rehling (geb. Dieckerhoff)

Lehrerin, Bundestagsabgeordnete Dr. phil. 20. November 1896 Bochum-Harpen 29. Mai 1964
von Ulrike Hospes

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Eine evangelische Pfarrerstochter und -frau

Am 20. November 1896 wird Luise Rehling als jüngstes von vier Kindern des Pfarrers Gustav Dieckerhoff in Bochum-Harpen geboren. Wie so häufig in jenen Jahren bestimmt die Weltgeschichte den persönlichen Lebenslauf: Nachdem Luise Schule und Abitur erfolgreich bewältigt hat, besteht sie 1917 die pädagogische Prüfung. Doch weil der Erste Weltkrieg die Lehrer an der Front verbraucht, springt sie zwei Jahre als Lehrerin ein und beginnt erst 1919 mit ihrer Hochschulausbildung. In Marburg, Bonn, München und Münster studiert sie Geschichte, Englisch und Erdkunde. 1924 schließt sie mit der Promotion zum Thema „Deutschland, England und das Orientproblem in den 1890er Jahren“ ab. Der Doktorvater Prof. Wätjen bewertet die kritische Studie der deutschen Außenpolitik Ende des 19. Jahrhunderts mit summa cum laude und lobt: „Wenn ich Sie nicht so gut kennen würde, Fräulein Dieckerhoff, würde ich glauben, ein Mann habe diese Arbeit geschrieben.“ Der Vergleich mit einem Mann als höchstes Lob? Solche Bemerkungen setzen sich in der seit dem Ersten Weltkrieg politisch sehr interessierten jungen Frau fest.

Aber zunächst schlägt sie den traditionellen Weg als Ehefrau und Mutter ein. Nach der Heirat mit Pfarrer Kurt Rehling 1925 zieht sie im Laufe der Jahre drei Kinder groß, übernimmt ab 1928 vielfältige Aufgaben in dessen neuer Kirchengemeinde im Hagener Bahnhofsviertel, lernt dabei die enorme Arbeitslosigkeit kennen, hilft mit Obdach und Essen, empfängt gleichzeitig die Honoratioren und geistlichen Freunde ihres Mannes. Warmherzig und selbstlos, mit viel Engagement stellt sie sich ihren vielfältigen Aufgaben.

 

Zeit der Bewährung

Schon bald beginnt in den 1930er Jahren die Zeit des Nationalsozialismus. Das junge Ehepaar sorgt sich ob des politischen Wandels, des Verfalls der politischen Kultur, nicht zuletzt ob des Drucks auf die christlichen Kirchen. In Predigten macht Pfarrer Rehling seine Kritik öffentlich; 1934 opponiert er gegen seine Strafversetzung. Er engagiert sich weiterhin in der Bekennenden Kirche überall im Reich; Vorladungen vor die Gestapo und vor diverse Staatsanwälte bleiben nicht aus. Auch seine Ehefrau setzt sich zur Wehr. 1934 zerreißt sie unter dem Pseudonym „Dr. phil. R.“ im evangelischen Gemeindeblatt das vom Reichspropagandaminister empfohlene Theaterstück „Wittekind“. Die Nationalsozialisten sind außer sich, können den Verfasser letztendlich jedoch nicht ermitteln.

1939 wird Kurt Rehling zur Wehrmacht einberufen. Luise Rehling übernimmt Frauenhilfe- und Jugendstunden, den religiösen Unterricht, kümmert sich ganz selbstverständlich um die Gemeinde, aber auch um die Verfolgten wie jüdische Deutsche, polnische Zwangsarbeiter, holländische Internierte.

 

Wiederaufbau und Einstieg in die Politik

Im Mai 1945 ist der Zweite Weltkrieg vorbei. Luise Rehling ist 48 Jahre alt. Auch ihr Mann und ihre drei Kinder haben überlebt. Ein Wunder an sich in jenen Zeiten! Das Leben konnte gerettet werden, die Kirche liegt in Trümmern. Die Familie haust zeitweise mit 40 polnischen Fremdarbeitern in einem Kindergarten. Luise und Kurt Rehling blicken nach vorn und organisieren mit Freunden eine Volksküche für 500 Essen in Hagen.

Die Verfolgung der Christen hat auch bei Luise Rehling Spuren hinterlassen. Ganz im Gründungsgeist der CDU setzt sie auf die Kooperation beider christlicher Konfessionen. Der Schritt zur Mitgründung der CDU in Hagen ist für die mitten im Leben stehende Frau ein logischer. Nie wieder will sie diese Art der Verführung in ihrem Land erleben, will beim Wiederaufbau helfen. Der Leitfaden für ihre politische Arbeit lautet:

 

  • Zusammenarbeit beider Kirchen
  • Wiedergewinnung des politischen Ansehens für Deutschland
  • Eintreten für mehr Mitgestaltung und Verantwortung.
Im Herbst 1945 wird sie in den Hagener Stadtrat gewählt. Sie engagiert sich für den Wiederaufbau der Stadt, im Ausschuss für Erwachsenenbildung und als Vorsitzende des Schulausschusses. Luise Rehling wird 1947 Mitglied des Zonenausschusses der CDU in der britischen Besatzungszone, Landesvorsitzende der Frauenvereinigung der CDU Westfalen-Lippe, Mitglied der Frauenarbeitsgemeinschaft der CDU/CSU und der kommunalpolitischen Vereinigung. 1949 folgt der Einzug in den ersten Deutschen Bundestag. 1956 wird sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt.

 

Im Einsatz für Deutschland und Europa

Kein persönlicher Ehrgeiz treibt sie an, sondern die Auffassung, dass die großen politischen Entscheidungen nur aufgrund einer sittlichen Überzeugung getroffen werden können. Christen beider Konfessionen haben ihren Teil dazu beizutragen. Luise Rehling nimmt die neuen Herausforderungen an.

Einfach und verständlich, offen und mit Augen und Ohren für die sozialen Probleme spricht sie zu den Menschen. Bereits 1950 setzt sie sich für ein Mutterschutzgesetz ein. 1952 tritt es in Kraft. Luise Rehling verschließt die Augen nicht vor dem gesellschaftlichen Wandel; sie kämpft für die materielle Besserstellung der Familie, für einen wirksamen Schutz der Jugend sowie für eine zeitgemäße und qualifizierte Ausbildung der Mädchen. Daneben gründet sie einen Arbeitskreis, um die mit der zunehmenden Berufstätigkeit der Frauen verbundenen Herausforderungen zu erfassen.

Nicht in Konkurrenz, sondern in guter Zusammenarbeit mit den Männern will Luise Rehling ihre Aufgaben in der Politik erledigen. Doch resolut und entschieden tritt sie auf, scharfzüngig in ihrer Argumentation, ohne Anbiederung. Sogar Konrad Adenauer nimmt sie ernst: „Wenn Luise Rehling spricht, schweige ich und höre zu.“ Sie setzt sich für die Mitarbeit von Frauen im öffentlichen Leben ein, bis hinauf bei der Besetzung höherer Posten, ohne einseitig oder kleinlich auf deren Interessen zu beharren. Als im November 1952 die große Gleichberechtigungsdebatte einsetzt, sieht Luise Rehling die Notwendigkeit einer Anpassung der Rechtsstellung der Frau an die veränderten soziologischen Verhältnisse. Nicht vergessen hat sie die Rolle der Frauen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren, als diese „ihren Mann“ standen!

„Auf der anderen Seite vertreten sehr viele Männer auch heute noch gern den Standpunkt, die Frau gehöre hinter den Kochtopf, und es ist leider nicht von der Hand zu weisen, daß ein großer Teil der Frauen ähnlich denkt und die Politik als eine Art Geheimwissenschaft betrachtet (…). Sinn und Aufgabe der Politik ist doch nichts anderes als der Versuch, das Leben der Menschen in der Gemeinschaft eines Volkes oder der Völker untereinander zu ordnen. Zum Wesen des demokratischen Staates gehört es, daß er einerseits dem einzelnen das größtmögliche Maß persönlicher Freiheit gewährt, andererseits aber auch ein Höchstmaß von Verantwortungsbewußtsein und Einsatzbereitschaft von jedem Staatsbürger erwartet (…). Zudem sollten wir uns darüber klar sein, daß niemand sich den Auswirkungen der Politik entziehen kann. (…) Christliche Frauen sollten überdies dessen eingedenk sein, daß Gott sie nicht hineingestellt hat in einen luftleeren Raum, sondern in die Gemeinschaft ihres Volkes mit dem Auftrag, ihr zu dienen. (…)

Nicht diskutabel ist auch der Gedanke, daß man eine allgemeine Frauenpartei gründen solle. Frauen haben keine im Grundsätzlichen von der der Männer abweichende Aufgabe in der Politik. Sie wollen ihre Arbeit auch nicht in Konkurrenz zum Manne tun, sondern in guter Zusammenarbeit mit ihm versuchen, das zerstörte deutsche Haus wieder aufzurichten und der kommenden Generation ein festes Dach über dem Kopf zu schaffen. Gewiß werden sie die Anliegen der Frau immer besonders im Auge haben, aber sie sind in keiner Weise ‚Interessenvertreterinnen‘ und haben, wie ihre männlichen Kollegen, stets auf das Wohl des gesamten Volkes bedacht zu sein.“

(Quelle: Luise Rehling: Die Mitarbeit der Frau im öffentlichen Leben, in: Wir Frauen im Staat, hg. von Oberin Hulda Zarnack, Gelnhausen und Berlin-Dahlem 1953, S. 32–38.)

 

Neben der Sozialpolitik hat sie bereits seit ihrer Promotion die Außenpolitik im Blickfeld. 1950 wird Luise Rehling delegiertes Mitglied im Europarat und 1953 im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Deutschen Bundestages. Sie setzt sich sowohl für die Freundschaft zu Frankreich als auch zu den Vereinigten Staaten von Amerika ein. Wichtig ist ihr der Austausch der europäischen Staaten, die Vertiefung kultureller Kontakte. Sie initiiert ein europäisches Jugendtreffen, erlebt das eigentliche Treffen im Herbst 1964 aber nicht mehr.

Sicherheitspolitisch kämpft sie für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und für einen deutschen Beitrag zu einer europäischen Armee, für die Wiederaufrüstung und den Beitritt zur NATO. Als Protestantin in der damaligen Zeit wahrlich keine leichte Haltung! Viele Anfeindungen muss sie ertragen, Freundschaften zerbrechen. Umso mehr Anerkennung erlangt sie im Ausland. Sie hilft, das Misstrauen gegenüber Deutschland abzubauen.

 

Aus dem Leben gerissen

Hagen, Bonn und Straßburg sind Luise Rehlings Wirkungsstätten. Pendeln mit dem Zug, 16-Stunden-Tage sind keine Seltenheit. Die Familie steht hinter ihr, aber als Mutter bleibt ihr wenig Zeit. Voller Verantwortungsgefühl und Pflichtbewusstsein zehrt sie ihre Kräfte auf. Im April 1964 wird sie noch zur stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag gewählt. Doch von einer Reise nach Athen im Mai 1964 kehrt sie todkrank zurück. Mit 67 Jahren stirbt sie am 29. Mai 1964 an einem Herzinfarkt. Eine riesige Trauergemeinde – darunter Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer, Bundeskanzler Ludwig Erhard, fünf amtierende und zahlreiche ehemalige Minister – würdigt am 3. Juni 1964 ihre Verdienste für ihre Mitmenschen. Gedenkstunden und Bonn und Straßburg folgen. Luise Rehling – eine Frau der ersten Stunde für Deutschland und Europa.

„(…) diese großartige Frau, vom Äußeren her Typ der Westfälin, bei der hohe Begabungen mit den Tugenden einer umsichtigen und starken, mit beiden Füßen in den Lebenswirklichkeiten stehenden, mütterlichen Pfarrersfrau so glücklich gepaart waren. In ihrem So-sein und So-wirken, behutsam in der Behandlung von Menschen, in ihnen stets in Gerechtigkeit den Nächsten sehend, aber auch den Andersdenkenden als ‚Bruder‘ behandelnd, strahlte sie eine Würde aus, die jene große Hochachtung auslöste, wo immer ihr Menschen begegneten.“

(Quelle: Ingeborg Marx (Nachruf für Luise Rehling), in: Frau und Politik, 10. Jg., Nr. 6, Bonn 1964, S. 2–3.)

„Ihr wacher Verstand und ihre von Verantwortungsgefühl getragene politische Auffassung sicherten ihr den Respekt der Politiker. Ihre warme, humorvoll menschliche Art schenkte ihr wirkliche Freunde. Sie verkörperte die Synthese von Intelligenz, Lebensklugheit und Fröhlichkeit. Niemand fühlte sich in ihrer Nähe bedrückt, auch wenn sie ohne viel Umschweife das sagte, was sie für richtig hielt. Sie zeigte sich nicht überlegen, sie war souverän. Ganz gewiß kam diese Sicherheit ausstrahlende, Ruhe vermittelnde Wesensart von Luise Rehling nicht zuletzt aus ihrem tiefen Glauben.“

(Quelle: Aenne Brauksiepe (Nachruf für Luise Rehling), in: Frau und Politik, 10. Jg., Nr. 6, Bonn 1964, S. 3.)

 

Würdigungen:

Die Stadt Hagen benannte eine Realschule nach Luise Rehling, auch aufgrund ihres Einsatzes im kommunalen Schulausschuss für den Aufbau der Schullandschaft. Der CDU-Kreisverband Hagen führt seit 2005 seine Kreisgeschäftsstelle als „Luise-Rehling-Haus“.

 

Nachlass:

Bundesarchiv Koblenz

Lebenslauf

  • Volksschule in Harpen, Lyzeum und Oberlyzeum in Bochum
  • 1916 Abitur
  • 1917–1919 Lehrerin am Lyzeum in Bochum
  • 1919–1924 Studium der Fächer Geschichte, Englisch und Erdkunde in Marburg, Bonn, München und Münster
  • 1924 Promotion
  • 1945–1964 Stadtverordnete in Hagen
  • 1947 Mitglied des Zonenausschusses der CDU in der britischen Besatzungszone und des Kulturpolitischen Ausschusses der KPV der CDU, Landesvorsitzende der Frauenvereinigung der CDU Westfalen-Lippe
  • 1949–1964 MdB
  • 1964 Wahl zur stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion
  • 1950–1964 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates

 

Veröffentlichungen

 

Literatur

  • Kaff, Brigitte: Luise Rehling (1896-1964). Bundestagsabgeordnete aus Westfalen, in: Günter Buchstab, Brigitte Kaff, Hans-Otto Kleinmann (Hg.): Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union, Freiburg i. Br. 2004, S. 411-416.
  • Lenz, Marlene: Luise Rehling, in: Christliche Demokraten der ersten Stunden, hg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung für politische Bildung und Studienförderung e.V., Bonn 1966, S. 295-312.
  • Marx, Ingeborg und Aenne Brauksiepe (Nachruf für Luise Rehling), in: Frau und Politik, 10. Jg., Nr. 6, Bonn 1964, S. 2–3.
  • Rönsch, Hannelore: Mutter Westfalens: Luise Rehling (1896-1964), in: Renate Hellwig (Hg.): Die Christdemokratinnen – Unterwegs zur Partnerschaft, Stuttgart/Herford 1984, S. 164-175.

 

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