„Politik besteht aus Sache, Kopf, Bauch“
Herkunft und Ausbildung
Roland Koch wurde in ein politisches Elternhaus hineingeboren. Sein Vater Karl-Heinz, Rechtsanwalt und Notar, war von 1970 bis 1987 Mitglied des Hessischen Landtages. 1987 bis 1991 gehörte Karl-Heinz Koch als Justizminister unter Ministerpräsident Walter Wallmann der ersten christdemokratischen Landesregierung in Hessen an.
Nach dem Abitur 1977 und dem Grundwehrdienst begann Roland Koch 1979 an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität ein Studium der Rechtswissenschaften, das er 1982 mit dem ersten juristischen Staatsexamen beendete. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen 1985 und seiner Zulassung als Rechtsanwalt gründete Koch in Eschborn eine Anwaltskanzlei mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht, in die 1991 auch sein Vater nach dem Ende seiner Amtszeit als Justizminister eintrat. Den Anwaltsberuf übte Roland Koch bis 1999 aus.
Netzwerkbildung und politischer Aufstieg
Geprägt von seinem politischen Elternhaus – „Ich habe manches schon am Frühstückstisch erfahren, was andere erst mühsam lernen mussten“ (Koch im Gespräch mit Die Welt am 21. Juli 1997) – gründete der Gymnasiast bereits im Alter von 14 Jahren eine Ortsgruppe der Jungen Union in seiner Heimatstadt Eschborn. Wie sein Vater engagierte sich Koch Junior in der Kommunalpolitik und absolvierte die klassische „Ochsentour“: 1977 wurde er Mitglied der Eschborner Stadtverordnetenversammlung, im gleichen Jahr zog er in den Kreistag des Main-Taunus-Kreises ein. Hier war er von 1989 bis 1997 Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion. Der CDU-Kreisverband Main-Taunus wählte den erst 21-jährigen Studenten 1979 zu seinem Vorsitzenden – und damit zum jüngsten Vorsitzenden eines Kreisverbandes überhaupt.
Schon zu Beginn seiner politischen Karriere zählte der ehrgeizige Koch zu den „jungen Wilden“ in der Partei. Systematisch bemühte er sich um den Aufbau innerparteilicher Netzwerke. So gehörte er seit der Gründung 1979 zum sagenumwobenen „Andenpakt“, einer informellen Interessengruppe damals aufstrebender CDU-Politiker, zu der unter anderen auch Volker Bouffier und Franz Josef Jung gezählt wurden. 1983 bis 1987 war er stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union. 1987 kandidierte er erstmals für den Hessischen Landtag, dem er bis 2010 angehörte. Siebenmal in Folge gewann Koch für seinen Wahlkreis Main-Taunus I das Direktmandat.
Im Landtag machte sich der junge Abgeordnete schnell einen Namen als angriffslustiger Debattenredner. Koch beherrschte wie kaum ein anderer die Kunst der freien Rede und scheute keine klaren Worte. Für die Fraktion, deren umweltpolitischer Sprecher er 1989 wurde, profilierte er sich als Gegenpart zum grünen Umweltminister Joschka Fischer. 1990 wählte die CDU-Landtagsfraktion den gerade 32jährigen Koch dann zu ihrem Vorsitzenden. Dieses Amt musste er zwar nach wenigen Monaten im Zuge der Landtagswahl 1991 an Manfred Kanther abgeben, blieb aber dessen Stellvertreter. Nachdem Kanther als Bundesminister 1993 nach Bonn wechselte, kehrte Koch wieder an die Spitze der Landtagsfraktion zurück.
In der Rolle des Oppositionsführers fuhr Koch einen harten Kurs gegen die rot-grüne Landesregierung unter Hans Eichel. Vor allem deren Wirtschaftspolitik und Defizite bei der Inneren Sicherheit nahm er vehement ins Visier. Zunehmend unverzichtbar für die Landespartei, rückte er ins Präsidium der Hessen-CDU auf. Die Landtagsfraktion wählte ihn nach der Landtagswahl 1995 erneut zu ihrem Vorsitzenden. Auch auf bundespolitischer Ebene scheute Koch weder vor Kritik an der eigenen Partei noch an der von Helmut Kohl geführten Bundesregierung zurück. Als Mitglied der CDU-Steuerkommission forderte er einen entschiedeneren Umbau von Steuersystem und Sozialstaat, 1997 gar eine Umbildung der Bundesregierung. Seinem engen, väterlich-freundschaftlichen Verhältnis zu Helmut Kohl schadete das nicht. Der Kanzler der Einheit sah in dem „jungen Wilden“ einen möglichen Nachfolger.
Nach dem Rückzug von Manfred Kanther aus der Landespolitik wurde Koch im Januar 1998 mit fast 98 Prozent neuer CDU-Landesvorsitzender. Im Juli 1998 wählte die Partei ihn folgerichtig zum Spitzenkandidaten für die kommende Landtagswahl.
Den Wahlsieg bei der Landtagswahl am 7. Februar 1999 errang Koch nicht zuletzt durch eine umstrittene aber sehr deutlich mobilisierende Unterschriften-Kampagne gegen die von der rot-grünen Bundesregierung geplante doppelte Staatsbürgerschaft. Diese verstärkte seinen Ruf als kühl kalkulierender Machttaktiker.
Hessischer Ministerpräsident
Bei den Landtagswahlen wurde die CDU mit 43,3 Prozent stärkste Partei und konnte in einer Koalition mit der FDP die rot-grüne Landesregierung ablösen. Roland Koch wurde am 7. April 1999 zum Hessischen Ministerpräsidenten gewählt und war damit jüngster deutscher Landeschef. Umgehend nahm der zielstrebige Modernisierer entschiedene Kurskorrekturen vor: wirtschaftsfreundlicheres Klima, Schul- und Hochschulpolitik, Innere Sicherheit – Koch wollte, dass Hessen zu den erfolgreichen „Südländern“ Bayern und Baden-Württemberg aufschließen sollte. Spätestens jetzt avancierte der dem konservativen Flügel der CDU zuzuordnende Koch zu einem der möglichen Aspiranten für das Amt des Bundeskanzlers.
Unter Druck geriet er durch die im Januar 2000 bekannt gewordene Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU. Obwohl die politische Glaubwürdigkeit des Juristen unter der Affäre litt – Kochs Versprechen der „brutalstmöglichen Aufklärung“ machte bundesweit Schlagzeilen – konnte er mit Unterstützung seiner Partei und des Koalitionspartners im September 2000 eine Vertrauensabstimmung im Landtag überstehen.
Kochs solide Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie die Neuausrichtung in der Bildungspolitik und bei Fragen der Inneren Sicherheit überzeugte die Mehrheit der Hessen: Bei der Landtagswahl am 2. Februar 2003 erreichte die CDU mit 48,8 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze im Hessischen Landtag und konnte erstmals alleine regieren. Auch in Kochs zweiter Amtszeit dominierten die Themen Wirtschaft, Bildung und Kriminalitätsbekämpfung die landespolitische Agenda.
In der Bundespolitik machte der Hesse seinem Image als konservativer Hardliner durch zahlreiche Initiativen alle Ehre: Seine Vorschläge für Mehrarbeit ohne Lohnausgleich, zur Neuordnung der Sozialhilfe, zum Abbau von Subventionen oder zur deutschen Leitkultur stießen in der deutschen Öffentlichkeit regelmäßig auf heftige Reaktionen. Trotz seiner vermeintlichen Rivalität mit Angela Merkel war Koch im Mai 2005 jedoch der erste Spitzenpolitiker seiner Partei, der Merkel offen zur Kanzlerkandidatin ausrief. Als fortan loyaler Unterstützer der Parteichefin und Bundeskanzlerin wurde er auf dem CDU-Parteitag 2006 zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.
Bei der Landtagswahl am 27. Januar 2008 konnte Koch seinen Erfolg nicht wiederholen. Nach Verlusten erzielte die CDU trotz leichtem Stimmenvorsprung nur ein parlamentarisches Patt mit der SPD. Deren Spitzenkandidatin Andreas Ypsilanti scheiterte jedoch mit ihrem Plan einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Duldung der Linken. Somit blieb Kochs Landesregierung gemäß hessischer Verfassung kommissarisch im Amt.
Bei den Neuwahlen, die durch Selbstauflösung des Landtages herbeigeführt wurden, profitierte Koch von der schweren Krise der SPD. Nachdem er im Mai 2008 als Parteivorsitzender bestätigt worden war, konnte er nach leichten Gewinnen gemeinsam mit der erstarkten FDP eine deutliche Koalitionsmehrheit erringen. Am 5. Februar 2009 wurde er zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt. Dem politisch bereits als abgeschrieben geltenden Koch gelang damit ein unerwartetes Comeback – „auch politisch Totgesagte können ausnahmsweise länger leben“, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 4. Februar 2009. Einmal mehr bestätigte Koch damit seinen Ruf als nervenstarker Taktiker.
Rückzug aus der Politik
Für einen Paukenschlag bei Freund und Feind sorgte Koch nur ein Jahr später, als er seinen Rückzug aus der Politik und allen politischen Ämtern ankündigte. Er begründete seine Entscheidung auf einer Pressekonferenz am 25. Mai 2010: „Diese Entscheidung ist richtig für meine Partei und sie ist auch richtig für mich. […] Ein Wechsel nach mehr als einem Jahrzehnt gehört zu den Voraussetzungen dafür, dass Politik lebendig bleibt.“ Und weiter: „Politik ist ein sehr faszinierender Teil meines Lebens. Aber Politik ist nicht mein Leben.“
Folgerichtig trat Koch beim CDU-Landesparteitag am 12. Juni 2010 nicht mehr als Landesvorsitzender an. Nachfolger als Parteichef und auch als Ministerpräsident wurde sein enger Weggefährte Volker Bouffier. Die hessische CDU wählte Koch mit 96 Prozent zum Ehrenvorsitzenden.
Nach seinem Rücktritt wechselte er als Vorstand in die Bauwirtschaft und als Aufsichtsrat in die Banken- und Telekommunikationsbranche.
Außerdem lehrt Koch seit November 2017 als Professor an der Frankfurt School of Finance and Management.
Am 27. November 2020 wählte die Ludwig-Erhard-Stiftung Roland Koch zu ihrem neuen Vorsitzenden.
Dass das Bild des polarisierenden Vollblutpolitikers dem Menschen Roland Koch nur begrenzt gerecht wird, zeigt dessen persönliche Seite. Der langjährige Freund des Dalai Lama gilt als sensibler und aufgeschlossener Gesprächspartner. Gemeinsam mit seiner Frau Anke hat der Vater zweier Söhne die Schirmherrschaft des Vereins Tuberöse Sklerose Deutschland e.V. übernommen und 2012 die Deutsche Tuberöse Sklerose Stiftung gegründet.
Lebenslauf
- 1977 Abitur
- 1977–1978 Wehrdienst
- 1977–1989 Mitglied des Kreistages im Main-Taunus-Kreis
- 1979–1982 Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main
- 1982 1. Juristisches Staatsexamen
- 1983–1987 stellvertretender JU-Bundesvorsitzender
- 1985 2. Juristisches Staatsexamen
- 1985–1999 selbständiger Rechtsanwalt
- 1987–2010 MdL Hessen
- 1989–1997 Vorsitzender der CDU-Fraktion im Kreistag des Main-Taunus-Kreises
- 1990–1991 und 1993–1999 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion
- 1998–2010 Landesvorsitzender der CDU-Hessen, anschließend Ehrenvorsitzender
- 1999–2010 Hessischer Ministerpräsident
- 2006–2010 stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender
- 2011–2014 Vorstandsvorsitzender der Bilfinger SE
- 2011–2021 Aufsichtsratsvorsitzender der UBS Deutschland AG, nach der Fusion der UBS Europe SE
- seit 2015 Mitglied im Aufsichtsrat der Vodafone Deutschland GmbH
- seit 2017 Professor of Management Practice in Regulated Environments an der Frankfurt School of Finance and Management
- 2017 Ehrendoktorwürde der Rechtshochschule Hanoi
- 2018 Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der European Business School Wiesbaden
- seit 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung
- seit 2022 Co-Direktor des von ihm mitbegründeten Frankfurt Competence Center für German and Global Regulation (FCCR)
Veröffentlichungen
•Gemeinsam Chancen nutzen: Reden und Aufsätze des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, Frankfurt am Main 2002.
Literatur
- Hugo Müller-Vogg: Beim Wort genommen. Roland Koch im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg, Frankfurt am Main 2002.
- Hajo Schumacher: Roland Koch. Verehrt und verachtet, Frankfurt am Main 2004.
- Pit van Bebenburg und Matthias Thieme: Ausgekocht. Hinter den Kulissen hessischer Machtpolitik, Frankfurt am Main 2010.