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Ruprecht Polenz Ruprecht Polenz © Deutscher Bundestag CC BY-SA 3.0.

Ruprecht Polenz

Jurist 26. Mai 1946 Denkwitz/Bautzen
von Jan Philipp Wölbern
Polenz ist lange Kommunalpolitiker in Münster, bis er 1994 erstmals in den Bundestag einzieht. Kurzzeitig amtiert er im Jahr 2000 als Generalsekretär der CDU. Seine Bestimmung als fachlich versierter und über die Parteigrenzen hinweg anerkannter Außenpolitiker findet er als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses von 2005 bis 2013.

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Ein Wahl-Münsteraner mit ostdeutschen Wurzeln

Ruprecht Polenz wird ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Denkwitz nahe der sächsischen Kleinstadt Bautzen geboren und verbringt dort seine Kindheit bis zum sechsten Lebensjahr. Da seine Eltern nicht wollen, dass er in der DDR eingeschult und der ideologischen Indoktrination der SED ausgesetzt wird, flieht die Familie 1952 in den Westen. Sie kommt zunächst bei Verwandten in Bremen unter und zieht dann nach Hafenlohr in Unterfranken. 1956 schlägt der Vater eine Laufbahn als Berufssoldat in der Bundeswehr ein und wird fortan regelmäßig versetzt. Ruprecht Polenz wächst in Randersacker bei Würzburg, Sonthofen im Allgäu und Tauberbischofsheim auf, wo er 1966 am Humanistischen Gymnasium das Abitur ablegt. Seinen Wehrdienst leistet er von 1966 bis 1968 in Regensburg und verlässt die Truppe nach einer Ausbildung zum Reserveoffizier als Leutnant der Reserve.

Er entscheidet sich für das Studium der Rechtswissenschaften und schreibt sich an der Universität Münster ein. Seit diesem Zeitpunkt hat Polenz als „Wahl-Münsteraner“ seinen Lebensmittelpunkt in der traditionsreichen Hansestadt. Das Studium schließt er 1976 als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem zweiten juristischen Staatsexamen ab. Nach dem Studienabschluss arbeitet er als Lehrkraft am Lehrstuhl für Raumplanung und öffentliches Recht sowie als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Steuerrecht der Universität Münster bei Professor Paul Kirchhof, der nach der Jahrtausendwende durch seine Pläne für eine umfassende Steuerreform und im Wahljahr 2005 als Mitglied im Kompetenzteam von Angela Merkel bundesweit bekannt wird. 1980 verlässt Polenz die Universität und wechselt in einen wirtschaftsnahen Beruf: Er übernimmt die Leitung der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Industrie- und Handelskammer zu Münster. Seit 1984 ist er IHK-Geschäftsführer und arbeitet dort bis zu seinem ersten Einzug in den Bundestag 1994.

 

Engagement in der Kommunalpolitik

Auch in Münster kommt es 1968, im Jahr seines Studienbeginns, zu Studentenprotesten, die zeitweise in gewaltsame Ausschreitungen münden. Polenz versteht sich demgegenüber als „alternativer 68er“ und tritt in den RCDS ein. 1969 wird er in den AStA gewählt, der den vorigen links dominierten Ausschuss ablöst – zu dieser Zeit eine eher ungewöhnliche politische Entwicklung. Während seiner Studienzeit ist er von 1969 bis 1972 studentischer Vertreter in der Juristischen Fakultät, im kleinen Senat und im Konvent der Universität Münster. 1973 wird er zum Landesvorsitzenden des RCDS Nordrhein-Westfalen gewählt und von 1974 bis 1980 in den Landesvorstand der Jungen Union Westfalen-Lippe. 1972 tritt er in die CDU ein und gewinnt 1975 sein erstes Mandat im Rat der Stadt Münster.

Polenz‘ aktive politische Laufbahn als Mandatsträger teilt sich recht genau in zwei gleichgroße Hälften. Die ersten 19 Jahre engagiert er sich nebenberuflich in der Münsteraner Kommunalpolitik. Dort ist er von 1975 bis 1994 Abgeordneter im Rat der Stadt. Zehn Jahre lang, von 1984 bis 1994, führt er die CDU-Fraktion. Weitere 19 Jahre ist Polenz Abgeordneter des Deutschen Bundestages, dem er von 1994 bis 2013 angehört.

 

Abgeordneter in Bonn

Nach seiner Wahl zum Abgeordneten im Wahlkreis Münster 1994 wird Polenz Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Er befasst sich dort schwerpunktmäßig mit Sicherheitspolitik und den transatlantischen Beziehungen. Sein besonderes Augenmerk gilt jedoch dem Nahen Osten, dort hauptsächlich den islamischen Ländern wie der Türkei und dem Iran. Als Iran-Berichterstatter der Unionsfraktion äußert er sich mehrfach kritisch zum Streben des Irans nach Atomwaffen, das er als eine „Bedrohung der internationalen Sicherheit“ einschätzt. Statt eines „kritischen Dialogs“ fordert er eine Politik der „aktiven Einwirkung“. Insbesondere müsse der Iran eine konstruktive Rolle im Friedensprozess in Nahost spielen, auf Massenvernichtungswaffen verzichten, die Menschenrechte respektieren und von terroristischen Aktionen im Ausland ablassen. Polenz plädiert 1997 dafür, die vorsichtige Öffnungspolitik des zum neuen Iranischen Staatspräsidenten gewählten Reformers Chatami zu unterstützen.

In Fraktion und Partei macht sich Polenz als liberaler, seinem Glauben fest verbundener Katholik einen Namen. Gemeinsam mit einem Kreis gleichgesinnter, aufstrebender Unionspolitiker darunter Norbert Röttgen , Peter Hintze, Peter Altmaier, und Friedbert Pflüger strebt er nach dem Ende der Ära Kohl eine behutsame Modernisierung der CDU an. Er gilt als Querdenker, beispielsweise setzt er sich als einer der ersten CDU-Parlamentarier für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes in deutscher Sprache ein. Zur Ausbildung der Lehrer müssten ordentliche, d. h. planmäßige und somit staatlich finanzierte Professuren für islamische Theologie errichtet werden. Mit Blick auf das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei plädiert er für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bei gleichzeitiger Aufnahme von Gesprächen zur Lösung des Kurdenkonflikts. In der Staatsbürgerschaftsdebatte spricht er sich für den Doppelpass aus. Polenz eckt mit derlei Positionen zwar beim konservativen Flügel der Union an, gewinnt durch seine umfassenden Kenntnisse und seinen ausgleichenden persönlichen Stil jedoch auch bei den Mitgliedern der anderen Fraktionen rasch an Ansehen.

 

Generalsekretär

Bei der Bundestagswahl 1998 verliert die Union viele Direktmandate. Gegen diesen Trend kann Polenz seinen Erststimmenanteil nicht nur halten, sondern von 40 auf 44 Prozent ausbauen. In der Fraktion verleiht dies seiner Stimme Gewicht. 1999/2000 wirbeln die Spendenaffäre und der Rücktritt Wolfgang Schäubles vom Parteivorsitz die CDU durcheinander. Schäubles designierte Nachfolgerin Angela Merkel schlägt Polenz im Frühjahr 2000 als neuen Generalsekretär vor. Polenz ist von der Offerte überrascht, da er sich nicht auf das Amt beworben hatte und mehr durch sachlich-ausgewogene Beiträge denn gezielte Attacken auf die politische Konkurrenz auf sich aufmerksam gemacht hatte. Es ist die erste wichtige Personalentscheidung Angela Merkels als Parteivorsitzende. Entsprechend komplex sind die Proporz- sowie strategischen Gedanken, die bei seiner Berufung eine Rolle spielen: Als katholischer, verheirateter Familienvater aus dem Westen ergänzt er die protestantische, geschiedene und kinderlose Ostdeutsche Angela Merkel. Zudem gilt er als loyal, ohne Ambitionen auf höhere Ämter und ist von der Spendenaffäre unbelastet.

Auf dem Essener Parteitag im April 2000 wird er mit rund 88 Prozent der Stimmen zum Generalsekretär gewählt. Seine Amtszeit wird von den Folgen der Spendenaffäre überschattet: Medial wie parlamentarisch befindet sich die Partei in der Defensive, denn es drohen hohe Strafzahlungen. Innerparteilich herrscht Verunsicherung über die künftige politische Ausrichtung der Union. Polenz sieht seine Rolle daher schwerpunktmäßig darin, nach innen zu wirken. Die Liste der Aufgaben ist lang: Vor allem muss der Parteihaushalt saniert werden, der Umzug nach Berlin organisiert, die Partei geeint, die Mitglieder neu motiviert und die innerparteiliche Diskussionskultur gefördert werden. Nur durch eine umfassende Parteireform, so Polenz‘ Überzeugung, wird die Union ihre Rolle als Kraft der Mitte wiedergewinnen und bei der Bundestagswahl 2002 Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen können. Polenz will die Union zu einer „Volkspartei neuen Typs“ weiterentwickeln. So schlägt er vor, die Wahlkreis-Kandidaten für Mandate künftig per Urwahl zu bestimmen. Das bereits im Frühjahr 2000 erprobte Instrument der Regionalkonferenzen soll weiter ausgebaut werden, neue, jüngere Mitglieder für die Union gewonnen und die Partei auch für Frauen attraktiver werden. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist der künftige Einsatz neuer Medien. Gemeinsam mit Thomas Heilmann leitet er die Kommission für ein Internet-Entwicklungsprogramm als Teil des vom Parteitag in Auftrag gegebenen Kommunikationskonzepts über die Vernetzung der CDU. Jeder Ortsverein soll binnen eines halben Jahres über eine Internetpräsenz verfügen. Generell soll das Internet wesentlich breiter als bisher für die parteiinterne Kommunikation und Willensbildung sowie für den Wahlkampf genutzt werden. Ein Höhepunkt seiner Amtszeit ist die Einweihung der neuen Bundesgeschäftsstelle der CDU im Juni 2000. Seitdem ist das Konrad-Adenauer-Haus im Ortsteil Tiergarten in Berlin-Mitte mit seiner markanten, den Bug eines Schiffes imitierenden Architektur ein fester Bestandteil der politischen Ikonographie der „Berliner Republik“.

Inhaltlich will Polenz die programmatische Arbeit der Union langfristig weniger von der Führungsspitze nach unten als vielmehr auf der unteren und mittleren Ebene formulieren. Künftig sollen auch Personengruppen und Institutionen außerhalb der Partei in die Programmformulierung miteinbezogen werden. Trotz vieler neuer Ansätze und Impulse in die Partei hinein wird im Herbst 2000 Kritik an seiner Art der Amtsführung laut. Er erfülle die Erwartungen an das Rollenprofil eines Generalsekretärs zu wenig, die „Abteilung Attacke“ komme zu kurz, da er als Mann der leisen Töne agiere. Die Süddeutsche Zeitung beschreibt seinen Stil durchaus treffend als „Knecht Ruprecht, der nicht poltern kann“. Im November 2000 tritt Polenz deshalb nach einer Amtszeit von einem halben Jahr in gegenseitigem Einvernehmen mit der Parteivorsitzenden Angela Merkel zurück. Er selbst gibt bei seinem Rücktritt an, er verstehe sich eher als „Brückenbauer“ denn als „Speerspitze“, eine Fähigkeit, die aber künftig umso mehr gebraucht werde, desto gefestigter die Union im Innern sei und aus ihrer defensiven Position herausfinden könne.

 

Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses

Nach dem Rücktritt konzentriert sich Polenz wieder auf seine Abgeordnetentätigkeit. Seit 2000 ist er Mitglied im ZDF-Fernsehrat, im Juni 2002 wird er mit 92 Prozent der Stimmen zum Vorsitzenden gewählt und bis 2016 mehrmals bestätigt. Im Bundestag gelangt er erneut in den Auswärtigen Ausschuss, dessen Vorsitz er über zwei Legislaturperioden hinweg von 2005 bis 2013 übernimmt. Polenz findet hier zu seiner eigentlichen Bestimmung als fachlich versierter und über die Parteigrenzen hinweg anerkannter Außenpolitiker. Es gibt wenige Themen, mit denen sich Polenz nicht intensiv auseinandersetzt. Zu seinen besonderen Interessen gehört wie schon zuvor die Türkeipolitik. In seinem Buch „Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU“ spricht er sich für einen Beitritt des Landes zur EU aus, vertritt damit allerdings eine Minderheitenposition in der CDU. Der Schwerpunkt seiner Aufmerksamkeit gilt allerdings der Iranpolitik: Im sich verschärfenden Atomstreit mit dem Mullah-Regime warnt er vor militärischen Optionen und setzt sich nachdrücklich für eine diplomatische Lösung des Konflikts ein. Die Europäer und die USA, noch wichtiger aber die internationale Staatengemeinschaft insgesamt, müssten dabei eine gemeinsame Haltung gegenüber Teheran einnehmen, im Gegenzug werde der Iran Kooperationsangebote wirtschaftlicher und technischer Art erhalten. Die langjährigen Verhandlungen, an denen Polenz häufig informatorisch und beratend teilnimmt, münden 2015 schließlich in die Wiener Vereinbarung vom 14. Juli 2015, mit der die Konfliktparteien den Atomstreit friedlich beilegen.

Mit Blick auf Russland weist Polenz darauf hin, man müsse den östlichen Nachbarn „so nehmen, wie er ist; nicht so, wie wir ihn uns wünschen“, denn Moskaus Politik sei wesentlich „von postsowjetischen Phantomschmerzen“ geprägt. 2008 verurteilt er die Annexion der georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien durch Russland und befürwortet die Sanktionen infolge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Nach Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien ist er 2012 einer der ersten, die dazu anregen, Kontingente syrischer Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Zugleich fordert Polenz, den syrischen Präsidenten Assad vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen.

Bei den Bundestagswahlen 2013 kandidiert Polenz nicht erneut, um mit 67 Jahren mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament bleibt Polenz ein gefragter Gesprächspartner in außenpolitischen Fragen, insbesondere für Russland, Iran und den Nahen Osten. Seit November 2015 ist er Sonderbeauftragter über die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte Deutschlands in Namibia.

Literatur

  • Polenz, Ruprecht: Besser für beide: Die Türkei gehört in die EU. Ein Standpunkt. Hamburg 2010.

 

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