In der Debatte über die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise wurde bereits mehrfach die Forderung nach einem Lastenausgleich laut. Der Begriff ist positiv besetzt, denn in der Bundesrepublik gab es bereits einmal einen Lastenausgleich: In der Phase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg sollte damit ein solidarischer Ausgleich der Kriegsschäden zwischen stärker und weniger stark betroffenen Bevölkerungsgruppen sowie die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen bewirkt werden. Der Lastenausgleich war ein bedeutsamer Akt der Solidarität und stärkte damit den sozialen Zusammenhalt. Für sich allein gesehen, wäre der Erfolg des Lastenausgleichs jedoch nicht möglich gewesen, nur im Zusammenhang mit einer nach marktwirtschaftlichen Prinzipien ausgerichteten Wirtschaftspolitik konnte er seine Wirkung entfalten – ein Grundsatz, an dem man sich auch im Umgang mit den Folgen der Corona-Krise erinnern sollte.
Ausgangslage
Die Überwindung der Folgen von Krieg und Diktatur zählte zu den großen politischen Herausforderungen der Nachkriegsgesellschaft. Neben der Versorgung der Kriegsopfer und der Wiedergutmachung betraf dies auch die Eingliederung und materielle Entschädigung der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie derjenigen, die durch den Krieg beträchtliche Sachverluste, z.B. infolge von Bombenangriffen, erlitten hatten. Die Dimension der sozialen Probleme, für die die Politiker Lösungen finden mussten wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass 1950 in der Bundesrepublik 7,9 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge sowie 1,6 Millionen Zuwanderer aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) lebten; gemessen an ihrem jeweiligen Anteil an der Wohnbevölkerung waren dies 16,5 bzw. 3,3 Prozent. Bis 1956 stieg die Zahl der Vertriebenen sogar noch weiter an, sie betrug schließlich 8,8 Millionen Menschen. Dies entsprach einem Anteil von 17,5 Prozent an der Wohnbevölkerung der Bundesrepublik. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik betrugen die Schäden im Wohnungsbestand etwa 20 Prozent im Vergleich zur Situation vor dem Krieg, dagegen waren nur ca. 15 Prozent des Vermögens von Industrie- und Dienstleistungsvermögen zerstört sowie 1 bis 2 Prozent des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens. Diese Zahlen zeigen, wie ungleich verschiedene Gruppen der Bevölkerung von Vermögensverlusten betroffen waren.
Bereits die Besatzungsmächte der westlichen Besatzungszonen erkannten, dass die ungleiche Verteilung der kriegsbedingten Vermögensschäden eine Hypothek für den Wiederaufbau darstellte. Im sogenannten Währungsgesetz („Erstes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens vom 20. Juni 1948“) forderten sie deshalb die „deutschen gesetzgebenden Stellen“ auf, die Regelung eines Lastenausgleichs in die Wege zu leiten. Als Frist hierfür setzten die Alliierten den 31. Dezember 1948 an. Angesichts der mit einem Lastenausgleich verbundenen administrativen und politischen Schwierigkeiten war dies jedoch viel zu kurz bemessen. Als einstweilige Maßnahme, die bis zur Umsetzung einer umfassenden Regelung die größte Not der Betroffenen abmildern sollte, erließ der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets am 8. August 1948 deshalb das Soforthilfegesetz. Es veränderte die Stellung der Kriegsgeschädigten insofern entscheidend, als sie nun anstelle der bisherigen Fürsorgezahlungen Sozialleistungen erhielten, auf die sie einen Rechtsanspruch hatten. In Ihrer Anlage nahmen die Bestimmungen des Soforthilfegesetzes die Regelungen des späteren Lastenausgleichs bereits vorweg.
„Ziel und Zweck des Soforthilfegesetzes war es, den in Westdeutschland lebenden, durch die Kriegsereignisse besonders in Not geratenen Menschen möglichst rasch zu helfen. Angesichts der damals nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten konnte die Soforthilfe allerdings nur dort eingreifen, wo die Not am größten war. Die Leistungen nach dem Soforthilfegesetz orientierten sich daher an den Grundbedürfnissen der Geschädigten und wurden ausschließlich nach Bedürftigkeitsgesichtspunkten gewährt. Es waren vorläufige Leistungen im Rahmen eines Notprogrammes, das später durch eine umfassende Lastenausgleichsregelung abgelöst werden sollte. Anträge konnten von Vertriebenen, SBZ-Flüchtlingen, Kriegssachgeschädigten, Währungsgeschädigten, Verfolgten des NS-Regimes und Spätheimkehrern gestellt werden.“
Weitere Informationen: www.badv.bund.de
Der Weg zum Lastenausgleichsgesetz
Die grundsätzliche Bereitschaft zu einem Lastenausgleich war in der Nachkriegszeit parteiübergreifend vorhanden, Unterschiede gab es jedoch in der Auffassung darüber, wie er im Detail ausgestaltet sein sollte und auf welchem Weg die Finanzierung zu leisten sein würde. Konrad Adenauer äußerte sich hierzu in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler am 20. September 1949 vor dem Deutschen Bundestag:
„Der Wiederaufbau unserer Wirtschaft ist die vornehmste, ja einzige Grundlage für jede Sozialpolitik und für die Eingliederung der Vertriebenen. Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastungen aus dem Lastenausgleich auf die Dauer tragen. Nur sie kann auf die Dauer das Steueraufkommen bringen, das die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden, die immer aus der Gesamtschau heraus betrachtet werden müssen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.“
Damit benannte Adenauer sehr deutlich den Zielkonflikt zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik, vor dem die Politiker in der Nachkriegszeit standen und vor dem auch die Politiker stehen, die heute Verantwortung tragen. Einerseits war die Regierung Adenauer verantwortlich für die Sicherung des sozialen Friedens, andererseits durften sozialpolitische Maßnahmen den wirtschaftlichen Wiederaufbau nicht behindern. Die Union begegnete diesem Dilemma grundsätzlich, indem sie ihre Politik an dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ausrichtete, also einer Ordnungsidee, die „dem Ziel dient, eine marktwirtschaftliche Ordnung einerseits – also das Prinzip der freien wirtschaftlichen Betätigung der Individuen und ihre Koordination durch Angebot und Nachfrage – mit den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit andererseits in Einklang zu bringen“ (G. Schulz).
Federführend bei der Ausgestaltung des Lastenausgleiches zur Bewältigung der Kriegsfolgen war das Bundesfinanzministerium, das in der ersten und zweiten Legislaturperiode unter der Leitung von Fritz Schäffer (CSU) stand. Bereits im Dezember 1949 legte das Ministerium einen Bericht mit dem Titel „Der endgültige Lastenausgleich“ vor. Es dauerte dann aber noch mehr als zwei Jahre bis zur Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes. Politisch umstritten war vor allem die Frage, nach welchen Kriterien die Auszahlung der Lastenausgleichsmittel erfolgen sollte: Sollte dies eher nach „quotalen“ Gesichtspunkten geschehen, also als Anteil an dem Gesamtschaden, den man im Krieg erlitten hatte, oder nach „sozialen“ Gesichtspunkten, also unter dem Aspekt der Bedürftigkeit? Die Debatte um den Lastenausgleich beschränkte sich dabei von vornherein auf die individuellen Verluste privater Personen und hier wiederum auf Kriegssachschäden, Vertreibungsschäden und die sogenannten „Ostschäden“. Die Vermögensschäden infolge der Währungsreform 1948, von denen ein noch weit größerer Teil der Bevölkerung betroffen war, wurde formell hiervon getrennt und schließlich mit dem Altsparergesetz vom 14. Juli 1953 geregelt.
Unter den Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien neigten die Vertreter der Regierungskoalition aus CDU/CSU, FDP und DP eher zu einem quotalen Ausgleich, während die Abgeordneten der SPD eher einen sozialen Ausgleich befürworteten, der überwiegend auf Eingliederungshilfen beschränkt sein sollte. Im Detail gab es jedoch von der jeweiligen Mehrheitsmeinung abweichende Positionen, auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion. „Gestaltende Kraft“ auf die Lastenausgleichsgesetzgebung gewann vor allem der CDU-Abgeordnete Johannes Kunze, der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für den Lastenausgleich. Auch die Verbände der Vertriebenen, die eher für einen quotalen Ausgleich plädierten, beeinflussten mit ihren Stellungnahmen den Gesetzgebungsprozess.
Die Bundesregierung beschloss am 19. Dezember 1950 schließlich einen Entwurf für das Lastenausgleichsgesetz, der drei Tage später dem Bundesrat zugeleitet wurde, in dem jedoch die SPD-regierten Länder eine Mehrheit bildeten. Am 19. Januar 1951 sprach sich der Bundesrat für die Aufgabe der im Regierungsentwurf vorgesehenen Hauptentschädigung aus – ein zentrales Element des quotalen Ausgleichs – und plädierte stattdessen für eine stärkere Berücksichtigung der Elemente eines sozialen Ausgleichs. Den Verzicht auf die Hauptentschädigung lehnte die Bundesregierung allerdings ab. Nach der Anrufung des Vermittlungsausschusses und der Änderung von einzelnen Bestimmungen (z.B. über die Höhe des zu berücksichtigenden Vermögens für die Hauptentschädigung) einigten sich Bundestag und Bundesrat letztlich in Sitzungen am 10. bzw. 18. Juli 1952. Daraufhin wurde das Lastenausgleichsgesetz am 14. August 1952 verkündigt und es trat am 1. September 1952 in Kraft. Im Laufe der Zeit erfuhr das Gesetz insgesamt 35 Novellierungen.
Im Ergebnis stellte das Lastenausgleichsgesetz einen Kompromiss zwischen einem sozialen und einem quotalen Lastenausgleich dar. Dem Lastenausgleichsgesetz vorausgegangen war der Erlass eines Feststellungsgesetzes, mit dem die Kriterien bestimmt wurden, nach denen das verlorene oder beschädigte Vermögen festzustellen und zu bewerten war. Vom Grundsatz her wurde dabei auf Einheitswerte zurückgegriffen.
Leistungen und Finanzierung des Lastenausgleiches
Die Leistungen, die das Lastenausgleichsgesetz vorsah, lassen sich in solche unterteilen, für die ein Rechtsanspruch bestand, und in Leistungen ohne Rechtsanspruch.
Leistungen mit Rechtsanspruch waren:
- Hauptentschädigung
- Kriegsschadenrente
- Hausratentschädigung
- Währungsausgleich für die Sparguthaben Vertriebener
Leistungen ohne Rechtsanspruch waren:
- Eingliederungsdarlehen
- Wohnraumhilfen
- Leistungen aus einem Härtefonds
- Leistungen aufgrund sonstiger Fördermaßnahmen
Mit der Hauptentschädigung, die allerdings 1957 erst anlief, sollten Verluste an Haus- und Grundvermögen und an Betriebsvermögen sowie nicht in den Währungsausgleich einbezogene Geldvermögen und immaterielle Vermögenselemente entschädigt werden. Die Voraussetzung hierfür war die Feststellung der Vermögensverluste, wobei bei Vertreibungs- und Ostschäden prinzipiell von Totalschäden ausgegangen wurde. Die Höhe der Entschädigung erfolgte jedoch nicht proportional zum Verlust, sondern nach einem stark degressiven Tarif.
Finanziert wurde der Lastenausgleich durch Ausgleichsabgaben, die sich aus einer Vermögensabgabe, einer Hypothekengewinnabgabe und einer Kreditgewinnabgabe zusammensetzten; Zuschüsse der öffentlichen Haushalte, die aus einem Teil der Einnahmen der Vermögenssteuer, aus allgemeinen Steuermitteln und aus einer im Zusammenhang mit dem Wertpapierbereinigungsschlussgesetz verbliebenen Summe aufgebracht wurden. Weitere Finanzquellen waren Mittel, die 1990 aufgrund der Restitution von Grundstücken, Häusern und Betrieben in den neuen Bundesländern in den Lastenausgleich zurückgezahlt werden mussten sowie Mittel aus Überbrückungskrediten.
Die Vermögensabgabe wurde auf Basis des am Stichtag der Währungsreform vom 21. Juni 1948 in den drei Besatzungszonen vorhandenen Vermögens mit einem Abgabesatz von 50 Prozent erhoben; dabei gab es kleinere Freibeträge. Für diese Abgabeschuld waren im Gesetz Ratenzahlungen bis zum Jahr 1979 vorgesehen.
„Eine echte Vermögensabgabe im Sinne einer Umverteilung des über den Krieg geretteten Vermögens war der Lastenausgleich nicht, vielmehr waren die Abgaben in ihrer tatsächlichen Wirkung Steuern, die aus den Vermögenserträgen zu entrichten waren.“ (W. Rüfner)
Für die Verwaltung des Lastenausgleichs wurde eine eigene Behördenstruktur geschaffen. Auf Bundesebene wurde das Bundesausgleichsamt als Bundesoberbehörde eingerichtet, das unter der Dienstaufsicht des Bundesministers der Finanzen stand. Das Bundesausgleichsamt verwaltete den Ausgleichsfond, ein Sondervermögen des Bundes, in das alle Einnahmen des Lastenausgleichs flossen. In den Ländern wurden Ausgleichsämter und Landesausgleichsämter eingesetzt, die für die Auszahlungen der Leistungen zuständig waren. Rund 600 Ausgleichsämter mit etwa 25 000 Beschäftigten existierten in den 1950er und 1960er Jahren.
Die Kosten des Lastenausgleichs beliefen sich im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes auf 3,401 Millionen DM, das entsprach einem Anteil von 2,3 Prozent am Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik. 1957, am Ende der zweiten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags, verausgabten die Ausgleichsämter Mittel in Höhe von 3,673 Millionen DM. Das waren bezogen auf das Bruttosozialprodukt 1,8 Prozent. Obwohl die Belastungen aus dem Lastenausgleich in den Jahren danach stetig weiter anwuchsen, nahmen sie, in Relation zum Bruttosozialprodukt berechnet, immer weiter ab. Der Grund hierfür war das starke Wirtschaftswachstum. Vor der Ablösung der D-Mark durch den Euro am 1. Januar 2002 bezifferte das Bundesausgleichsamt die Gesamtleistungen des Lastenausgleichs im Zeitraum 1949 (eingerechnet der Leistungen durch das Soforthilfegesetz) bis 2001 auf 127 Mrd. DM. Den größten Anteil an den Leistungen hatten Rentenzahlungen und die Hauptentschädigung.
Resümee
Der Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg war ein außerordentlicher Akt der Solidarität mit den besonders vom Krieg Geschädigten. Er leistete einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Bundesrepublik, indem er den sozialen Zusammenhalt stärkte und die Eingliederung der Vertriebenen erleichterte. Historiker betonen besonders die positiven Aspekte des Lastenausgleichs für den Wohnungsbau und die Wohnungsversorgung für die Vertriebenen. Auch die Stärkung der Binnennachfrage und die finanzielle Entlastung der Kommunen sind als positive Wirkungen hervorzuheben.
Eine grundsätzliche Umverteilung der Vermögen war mit dem Lastenausgleich nicht verbunden und auch nicht beabsichtigt. Alle, die mit ihren Steuern und Abgaben zur Finanzierung des Lastenausgleichs beitrugen, profitierten gleichzeitig vom wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik. Der Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg muss insofern auch vor dem Hintergrund des Ordnungsrahmens der Sozialen Marktwirtschaft gesehen werden. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft, der die Unionsparteien in den Anfangsjahren der Bundesrepublik zum Durchbruch verhalfen, bildete die eigentliche Grundlage für die erfolgreiche Sozialpolitik der Ära Adenauer und damit auch für den Lastenausgleich.
Da der Lastenausgleich der Nachkriegszeit darauf ausgerichtet war, Vermögensverluste von Privatpersonen abzumildern, eignet er sich nur bedingt als Blaupause für die Bewältigung der Corona-Krise, denn dabei wird es vor allem um die Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen, Gewerbe und selbstständigen Dienstleistern gehen. Der Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik zeigt dabei, dass es zuallererst eine an ordnungspolitischen Grundsätzen orientierte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik war, die stets den Wohlstand der Bevölkerung sicherte – weder eine reine Umverteilungspolitik noch Sozialpolitik ohne wirtschaftspolitische Bodenhaftung konnten und können dies leisten. Auch im Umgang mit den Folgen der Corona-Krise wird es also darauf ankommen, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Konzepte zu mobilisieren, die sich in den vergangenen Jahrzehnten im Umgang mit Krisen bewährt haben.