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Interviews

"Leni Riefenstahl gehörte zu den wichtigsten Propagandisten des Nationalsozialismus"

von Dr. Heike B. Görtemaker

Dr. Heike B. Görtemaker im Interview über den Kinofilm „Riefenstahl“, die Bedeutung der Regisseurin für das NS-Regime, die historische Forschung und die Erinnerungspolitik

Sie ist bekannt für ihre Filme über die NSDAP-Parteitage und die Olympischen Spiele von 1936. Doch zeitlebens leugnete Leni Riefenstahl ihr Wirken für die nationalsozialistische Propaganda. 21 Jahre nach ihrem Tod widmet sich jetzt ein neuer Film der hundertjährigen Lebensgeschichte der umstrittenen Regisseurin: „Riefenstahl“ versucht, die Wechselwirkungen und Widersprüche, in die sich Riefenstahl selbst verstrickt, aufzuzeigen. Die Produzenten Sandra Maischberger und Andres Veiel nennen sie „die größte Manipulatorin ihrer Zeit“. Über den Film, das Verhältnis von Kunst und Politik im Nationalsozialismus sowie die Bedeutung Riefenstahls für den NS, die suggestive Macht der Bilder in ihren Filmen und die deutsche Erinnerungspolitik sowie ihre eigenen Riefenstahl-Forschungen haben wir mit Heike B. Görtemaker gesprochen. Sie ist Historikerin und Expertin für die NS-Elite sowie Frauen im Nationalsozialismus. Görtemaker erforscht zurzeit Riefenstahls Nachlass, der auch Grundlage für den Film war, und arbeitet an einer neuen Biografie über die Regisseurin.

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Das Gespräch führte Stefan Stahlberg, Referent für Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Propagandafoto von Leni Riefenstahl bei Aufnahmen zum Propagandafilm „Triumph des Willens“ über den NSDAP-Parteitag in Nürnberg 1934. Bundesarchiv / Bild 183-R80430 / Fotograf: ohne Angabe
Propagandafoto von Leni Riefenstahl bei Aufnahmen zum Propagandafilm „Triumph des Willens“ über den NSDAP-Parteitag in Nürnberg 1934.

 

Geschichtsbewusst: Frau Dr. Görtemaker, warum haben Sie beschlossen, Leni Riefenstahl zu erforschen und eine Biografie über sie zu schreiben?

Görtemaker: Als ich 2019 hörte, dass ihr Nachlass an die Staatsbibliothek in Berlin abgegeben worden war, da war ich sofort interessiert. Leni Riefenstahl gehörte zu den wichtigsten Propagandisten des Nationalsozialismus und muss neben Figuren wie Heinrich Hoffmann oder Joseph Goebbels genannt werden. Ihre NSDAP-Parteitagsfilme ‒ „Sieg des Glaubens“ von 1933, „Triumph des Willens“ von 1934, im Grunde der wichtigste oder am meisten rezipierte Film Riefenstahls, aber auch „Tag der Freiheit! Unsere Wehrmacht“ von 1935 ‒, prägen unser Bild vom „Dritten Reich“, vom „Führer“ und seiner willigen, begeisterten Volksgemeinschaft bis heute. Sie werden in Ausschnitten auch im Film von Sandra Maischberger und Andres Veiel gezeigt. Riefenstahl gehört deshalb zu denen, die den Kult um Hitler beförderten, ihn ins Kino brachten und als genialen väterlichen „Führer“ inszenierten, dessen Kraft und Volksnähe ihn zu einem einzigartigen Hoffnungsträger der Deutschen machten. Keine andere Frau im NS-Staat hatte eine vergleichbare Karriere aufzuweisen wie sie. Dennoch kommt sie in Hitler-Biografien kaum vor ‒ ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Frauen im Kreis um Hitler teilt, seien es persönliche Freundinnen, Gönnerinnen oder Aktivistinnen, deren Bedeutung von der Geschichtswissenschaft bisher zumeist verkannt wurde. Da ich mich schon früher mit Frauenfiguren im Umkreis von Hitler beschäftigt habe, war mein Interesse an Riefenstahl und ihrer Rolle deshalb auch vor diesem Hintergrund naheliegend.
 

Können Sie uns von Ihren Forschungen berichten, was macht den Nachlass von Riefenstahl aus?

Der Nachlass ist ebenso umfangreich wie schwierig. Allein der literarische Nachlass umfasst etwa 700 Archivkästen. Dazu kommen noch die Filme und Bilder. Allerdings wurde der Bestand von Riefenstahl selbst durchgesehen und gesäubert. Sie hat einmal gesagt, sie habe zu lange gelebt. Das gilt auch hier: Sie hatte genügend Zeit, sich immer wieder mit ihrem Nachlass zu beschäftigen und Notizen oder Korrespondenzen zu entfernen ‒ was übrigens fast alle machen, die solche Nachlässe bewahren, vor allem Menschen, die sich selbst für bedeutsam halten und natürlich ein Interesse daran haben, ihre Biografie in einem besonderen Licht erscheinen zu lassen. Das ist also nichts Neues. Bei Riefenstahl kommen jedoch nicht nur einzelne Korrespondenzen, sondern ganze Korrespondenzpartner nicht mehr vor. Gleichwohl findet sich bei einem derart umfangreichen Nachlass immer etwas, was bei der Durchsicht vielleicht übersehen wurde. Die Frage bei Riefenstahl ist, weshalb sie bestimmte Dinge hinterlassen hat, die ein anderes Bild von ihr zeigen als das, was sie in ihren Memoiren gezeichnet hat, und die zulassen, dass Behauptungen über ihr Leben, die sie dort aufgestellt hat, durch ihren Nachlass eine Korrektur erfahren.

Fotokästen aus dem Riefenstahl-Nachlass Majestic Filmverleih
Fotokästen aus dem Riefenstahl-Nachlass

„Von daher ragt Riefenstahl mit ihrer Karriere und ihrer Person aus ihrer Zeit heraus.“

Was macht Riefenstahls Geschichte und Leben so besonders?

Zu ihrem Leben vor dem Nationalsozialismus und danach haben wir bis heute vor allem Riefenstahls eigene Erzählung. Sie hat 1987 ihre Memoiren veröffentlicht, aus denen fast alle Autoren, die sich mit ihr beschäftigt haben, ausgiebig zitieren. Da man bisher keinen Zugang zu ihrem Nachlass hatte, werden zumeist nur diese persönlichen Erinnerungen referiert. Das sind etwa 800 Seiten, in denen Riefenstahl selbst den Weg vorgibt. Aber bei dem, was sie über ihre Familie, ihre Erziehung und ihre Schulen schreibt, bleibt Vieles im Dunkeln. Ihre Memoiren werfen daher mehr Fragen auf, als sie Antworten geben.

Das Besondere an Riefenstahls Leben ist, dass sie durch ihre Karriere als Filmemacherin im „Dritten Reich“, aber auch durch ihre Nachkriegskarriere als Fotografin eine herausragende Frauenpersönlichkeit im 20. Jahrhundert war. Außerdem war sie bereits in den 1930er und 1940er Jahren eine Ikone der Frauenbewegung. Frauen haben sich an ihr orientiert und sie für ihr Selbstbewusstsein bewundert, für ihre Arbeit und dafür, dass sie sich schon in den 1920er Jahren mit ihren Bergfilmen in einer Männerdomäne durchgesetzt hatte. In diesen Filmen war sie oft die einzige Frau, sehr sportlich und hart gegen sich selbst, die Dinge unternahm, die sich bis dahin nur Männer zugetraut hatten. Schon deshalb war sie – ganz ohne Wertung und abseits des Politischen – eine spannende Figur. Und dann machte sie noch eine große Karriere im nationalsozialistischen Staat, in dem Frauen hohe Funktionen eigentlich verwehrt waren, in dem Frauen keine Führungspositionen übernehmen konnten, vor allem keine politische Führungspositionen, und in dem Frauen auch in vielen anderen Berufen nicht reüssieren durften. Von daher ragt Riefenstahl mit ihrer Karriere und ihrer Person aus ihrer Zeit heraus.
 

Und jetzt gibt es einen neuen Dokumentarfilm über sie und ihr Leben. Wie werden Riefenstahl und die Personen der NS-Elite hier dargestellt?

Zunächst einmal freue ich mich sehr darüber, dass es schon jetzt auf der Basis ihres Nachlasses einen Dokumentarfilm über Riefenstahl gibt. Es sind jede Menge Bilder von ihr selbst zu sehen, auch unbekannte, Ausschnitte aus ihren Filmen, von privaten Zusammenkünften, die sie filmen ließ. Das ist spannend anzusehen, ebenso wie die gezeigten Interviews mit Riefenstahl, ihre Telefongespräche mit Albert Speer, die sie aufzeichnete. Der Film ermöglicht einen guten Einblick in die narzisstische Persönlichkeit, die sie war. Der Schwerpunkt liegt aber auf ihrer NS-Vergangenheit und ihrem eigenen Umgang damit. Von den Nazigrößen treten in diesem Film jedoch nur Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Julius Streicher und Albert Speer auf. Das ist sozusagen das Personal. Das ist sehr reduziert, und wir erfahren auch nicht, in welcher Beziehung Riefenstahl zu diesen Männern stand. Zwar erzählt sie ein wenig über Goebbels und ihre offenbar schwierige Beziehung zu ihm. Aber das kann der Zuschauer nicht einordnen, weil nicht klar ist – ich denke insbesondere an jüngere Zuschauer –, wer Goebbels oder Julius Streicher eigentlich waren. Gerade Letzteren kennt kaum noch jemand. Von daher ist es für den Zuschauer schwierig zu verstehen, welche Rolle diese Männer im Nationalsozialismus spielten und wie Leni Riefenstahl im „Dritten Reich“ zu verorten ist.

Propagandafoto vom Treffen Leni Riefenstahls mit Adolf Hitler (Bildmitte) und Joseph Goebbels (im Bild links) anlässlich der "Welturaufführung" des Propagandafilms "Olympia - Fest der Völker" in Berlin am 20.04.1938 - dem Tag von Hitlers Geburtstag. Bundesarchiv / Bild 183-R80425 / Fotograf: ohne Angabe
Propagandafoto vom Treffen Leni Riefenstahls mit Adolf Hitler (Bildmitte) und Joseph Goebbels (im Bild links) anlässlich der "Welturaufführung" des Propagandafilms "Olympia - Fest der Völker" in Berlin am 20.04.1938 - dem Tag von Hitlers Geburtstag.

Der Film verzichtet größtenteils auf einen Erzähler und unterlässt eine Beschreibung der NS-Diktatur und ihrer Funktionsweise. Was ist aus ihrer Sicht wichtig, was müssten die Zuschauer über das System wissen, um den Film und Riefenstahls Rolle besser einordnen zu können?

Der Film versucht, Quellen sprechen zu lassen, und natürlich ist Leni Riefenstahl eine wichtige Quelle. Das funktioniert in diesem Fall aber nicht, weil der NS-Staat nur durch Ausschnitte aus Riefenstahls Propagandafilmen visualisiert wird. Die Lebenswirklichkeit von Männern und Frauen im Nationalsozialismus wird nicht gezeigt. Der Zuschauer erfährt zum Beispiel nicht, dass das offizielle Frauenbild der NS-Propaganda, zu dem Hitler im September 1934 in einer Rede vor der NS-Frauenschaft erklärte, die Welt der Frau seien „ihr Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus“, wenig mit der Realität zu tun hatte. Vor allem galt dies für die Frauen der NS-Elite und deren Leben. Wenn man dies nicht weiß, kann man auch Riefenstahl nicht wirklich einordnen. Denn ihre Karriere stand ebenfalls in einem diametralen Gegensatz zum Propagandabild. Man sieht in dem Film nur, dass sie offenbar eine Nationalsozialistin war. Aber welche Bedeutung hatte sie im NS? Welche Rolle hat sie tatsächlich gespielt? Welche Beziehungen besaß sie zu den führenden Nationalsozialisten? Und wie kam sie dazu, Parteitagsfilme zu drehen?

 

„Wichtig ist zu verstehen, dass der Film eines der mächtigsten Propagandamittel im Nationalsozialismus war.“

Riefenstahl sagt im Film, 90 Prozent der Menschen seien von Hitler überzeugt gewesen und fragt rhetorisch: „Sollte ich eine Widerstandskämpferin gewesen sein, oder was?“ Wie lässt sich das Wirken von Leni Riefenstahl für das NS-Regime bewerten?

Die Frage, welche Rolle Riefenstahl im NS wirklich spielte, ist immer noch offen. Wir wissen viel weniger als wir denken. Wie wichtig sie für das Regime war und in welcher Form sie auch für das Regime gearbeitet hat, wird noch zu zeigen sein. Im Film erscheint sie als eine singuläre Figur. Sie wird nicht eingeordnet beispielsweise in das Wirken anderer Frauen, die im „Dritten Reich“ ebenfalls eine Rolle spielten, wie die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink oder die Architektin Gerdy Troost. Tatsächlich sind Riefenstahls Beziehungen, ihre Netzwerke bis heute nicht ausreichend erforscht.

Auch die Filmbranche allgemein bleibt unerklärt. Wichtig ist zu verstehen, dass der Film eines der mächtigsten Propagandamittel im Nationalsozialismus war. Hitler wusste um die Macht der Bilder, ebenso wie andere Propagandisten, die ihn umgaben. Eine große Rolle spielte dabei Heinrich Hoffmann, sein enger Freund, Berater und Vertrauter, der ihn überhaupt erst als „Führer“ bildlich im Gedächtnis der Deutschen verankerte, der den Führerkult befeuerte und Hitler in seinen wirkmächtigen Propaganda-Bildbänden, die in Deutschland ab 1932 in Millionen-Auflagen erschienen, mit einer Biografie versorgte. Denn Hitler war eigentlich ein Gescheiterter, hatte keine abgeschlossene Schulausbildung, keinen Beruf, war über viele Jahre von Gönnern finanziert worden. Das alles kommt in Hoffmanns Bildbänden nicht vor. Darin wird Hitler vielmehr als Schüler, Soldat und Politiker, vielleicht noch als Arbeiter, porträtiert und zum „Führer“ erklärt, als Führerfigur etabliert. Und im Film jener Zeit wird diese Erzählung in einem neuen Medium publikumswirksam fortgeführt.

 

„Diese Bilder hatten (…) eine unglaublich suggestive Macht.“

Das bildete jedoch nicht die Wirklichkeit ab. Die Filme, die Riefenstahl produzierte, waren keine Dokumentarfilme, wie sie behauptete, sondern zeigten nur, wie man sich idealerweise den NS-Staat vorstellte. Der makellose, geniale „Führer“ und die Massen: das waren Träume der Nationalsozialisten, Kunstbilder, genauso wie die Führerfigur Hitler lediglich eine Kunstfigur war, weil Hitler den „Führer“ eigentlich nur „spielte“. Denn diesen „Führer“ gab es nicht. Die Person Hitler, die hinter dieser öffentlichen Figur verschwand, war in Wirklichkeit eine völlig andere. Deswegen darf man nicht nur die Kulissen abbilden; man muss dahinter schauen.

Tatsächlich bediente sich der NS, durchaus mit Erfolg, in vieler Hinsicht solcher Kulissen, um über die Realität hinwegzutäuschen. Albert Speer, der eng mit Hitler befreundet war, ist dafür ein gutes Beispiel. Er begann auch als Baumeister von Kulissen – in seinem Fall für die Reichsparteitage. Speer war also ebenfalls ein Propagandist, der zeigte, was es eigentlich gar nicht gab. So sollte das Bild einer idealen Gesellschaft entstehen, eines idealen Menschen, in dem der „arische Prototyp“ überhöht und als perfekter „Übermensch“ dargestellt wurde, den es natürlich nicht gibt. Wenn man sich Riefenstahls Olympia-Film und ihre Parteitagsfilme ansieht, in denen Menschenmassen den Führer als Retter des Volkes bejubeln, wird diese Absicht deutlich. Aber diese Bilder hatten, wie Sie richtig sagen, eine unglaublich suggestive Macht.
 

Lässt sich das auch allgemein auf das Verhältnis von Politik und Kunst im Nationalsozialismus ausweiten?

Kunst und Politik waren im Nationalsozialismus untrennbar miteinander verbunden. Die Kunst hatte eine propagandistische, aber auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Immer sollte die Kunst Ausdruck einer nationalsozialistischen Weltanschauung sein und der nationalen und internationalen Öffentlichkeit die Großartigkeit des neuen Deutschlands vor Augen führen. Was Kunst war, bestimmte jedoch allein das NS-Regime. Zugelassen waren nur Künstlerinnen, Künstler und Kunstwerke, die dem Kunstverständnis des Nationalsozialismus entsprachen. Jüdische Künstler, denen im NS-Staat die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, waren von Anfang an vom Kunstbetrieb ausgeschlossen.

Hitler, der sich selbst als Künstler verstand, erläutert in seinem Buch „Mein Kampf“, wie wichtig die Kunst für ihn war. Er spricht von einem „Reinemachen unserer Kultur“, das in Deutschland stattfinden müsse, und davon, dass die Kultur die Funktion habe, ein gleichmäßig verbindendes Band um die ganze Nation zu schlingen. Hitler ging es also um Deutschtum, um Germanisierung, um eine nationale Kultur, eine nationalsozialistische Kultur, die etabliert werden sollte.

„Ein unabhängiges Künstlertum, ein privates Schaffen, wie Riefenstahl es oft darstellt, gab es im Nationalsozialismus nicht.“

Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer, zu Besuch bei Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937). U.S. National Archives
Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer, zu Besuch bei Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937).

Deswegen wurde zum Beispiel moderne Kunst von den Nationalsozialisten als „entartet“ definiert, verboten und zerstört: in der Literatur, im Film, in der Musik, im Theater. Und was man auch wissen muss: Jeder Künstler war eingegliedert in eine Reichskulturkammer als ein zentrales Lenkungsorgan des NS-Regimes. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen. So musste jeder, der in der Filmbranche arbeiten wollte, wie Leni Riefenstahl, Mitglied der Reichsfilmkammer sein. Menschen, die als politisch unzuverlässig galten, konnten nicht Mitglied werden, sondern wurden abgelehnt, was praktisch einem Berufsverbot gleichkam. Man durfte dann in der Filmbranche nicht arbeiten.

Besonders betroffen waren Juden. So wurden jüdische Mitarbeiter vielfach sofort nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 entlassen. Es fand eine völkisch-rassistische Säuberung der Filmbranche statt. Tausende Filmschaffende verließen nun Deutschland, wie Fritz Lang oder Billy Wilder, die in die USA gingen: ein Exodus, nach dem der NS-Staat bald die gesamte Filmbranche kontrollierte. Eine zentrale Rolle spielten dabei das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels und die Filmkreditbank GmbH, über die regimetreue Produktionen finanziert wurden. Finanziell, aber auch organisatorisch, gab es keine Freiheiten. Ein unabhängiges Künstlertum, ein privates Schaffen, wie Riefenstahl es oft darstellt, gab es im Nationalsozialismus nicht.
 

Wieso sind die Debatten um Riefenstahl für die deutsche Erinnerungspolitik und Gesellschaft wichtig – und welche Rolle spielen solche Filme wie der jüngste Riefenstahl-Film dabei?

Das neu erwachte Interesse am Nationalsozialismus und seinen Protagonisten hat vor allem eine politische Komponente. Mit Erinnerung wird Politik gemacht: Erinnerungspolitik. Dabei sollte es doch um die Frage gehen, wer die Nationalsozialisten wirklich waren: Wie und weshalb wurde man ein Nazi? Welche Umstände haben in den 1920er und 1930er Jahren so viele Menschen dazu getrieben, sich der NSDAP zu verschreiben? Warum sind sie Hitler bis 1945 treu geblieben und ihm schließlich in den Untergang gefolgt? Im Riefenstahl-Film bleiben diese Fragen allesamt unbeantwortet. Dabei wird heute doch gern verglichen: Sind unsere 2020er Jahre wie die 1920er? Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Politiker im In- oder Ausland – vorzugsweise Putin oder Trump – als „Nazi“ bezeichnet und mit Hitler verglichen wird. Mit historischem Wissen hat dies jedoch nichts zu tun. Wissen ist noch nicht einmal beabsichtigt. Das Wort „Nazi“ ist zu einem politischen Kampfbegriff geworden: mit Hitler als Ikone des Bösen, der im Kampf gegen rechte populistische Bewegungen wie eine Chiffre benutzt wird. Der Nationalsozialismus und der völkisch-rassistische Vernichtungskrieg, den die Nationalsozialisten ‒ im Innern wie nach außen ‒ führten, werden dabei verharmlost. Geschichte wird instrumentalisiert, aber nicht verstanden.
 

Welche Funktion hat dann ein Film wie „Riefenstahl“, was macht er mit unserer Debatte?

Es findet jedenfalls wenig Aufklärung statt. Der Film hat vielleicht eine Botschaft, die sich jedoch aus sich selbst heraus nicht wirklich erschließt. Es scheint, als ob wir alles schon wüssten: was der Nationalsozialismus ist, was Hitler war, was die Riefenstahl war: Alles ist klar. Riefenstahl, so der Film, war eine Nationalsozialistin, eine Faschistin. Letzteres sicher schon mal nicht. Aber war sie eine Nationalsozialistin? Woran macht sich das fest? An den Bildern? Daran, dass sie gelogen hat? Daran, dass sie Propagandafilme gedreht hat? Sie war nicht Mitglied der NSDAP, soviel ist sicher. Das wissen wir. Aber wie kam sie zu ihrer Karriere? Wie war es möglich, dass eine Tänzerin, dann eine Schauspielerin in Bergfilmen, plötzlich zu einer Regisseurin von NS-Filmen und damit zu einer Propagandistin des Regimes avancieren konnte. Dies bleibt völlig unklar. Selbst ihre Filmkarriere als Schauspielerin wird nur kurz dargestellt. Im Film heißt es dazu lediglich, dass sie von Arnold Fanck gleich eine Hauptrolle gefordert habe. Aber weshalb? Auf welcher Grundlage? War sie überhaupt in der Lage, etwas zu fordern? Und wenn ja, warum? Tatsächlich schaffte Riefenstahl ja nicht einmal den Sprung vom Stummfilm zum Tonfilm, weil ihr die Stimme fehlte. Aber wie kam es dann zu ihrer Weltkarriere im „Dritten Reich“? Wodurch zeichnete sich diese Frau aus, dass ihr dieser Aufstieg gelang? Waren es eigene Fähigkeiten? Oder gab es andere Faktoren, die ihre Karriere bestimmten? Es bleiben also nach wie vor viele unbeantwortete Fragen, was Riefenstahl angeht.

Frau Dr. Görtemaker, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Dr. Heike B. Görtemaker ist Historikerin und forscht zum Nationalsozialismus. Sie veröffentlichte u.a. Monografien zu Eva Braun sowie zu Hitlers engstem Personenkreis, seinem Hofstaat. Zurzeit arbeitet sie an einer neuen Biografie über Leni Riefenstahl.

 

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Videotrailer zum Kinofilm "Riefenstahl"

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