Ulrike Draesner hat das Herz in der Sache. Genauer gesagt, im Erzählen. Sie schreibt Romane, Gedichte, Essays über Identität und Geschlecht. Über Sprache und Liebe im Anthropozän. Über große und kleine Geschichte. Und immer wieder über Flucht und Vertreibung, über den unglaublichen Mut von Frauen, die ihnen zugefügte Gewalt und die erstaunliche Widerstandskraft. Für ihre Romane und Erzählungen erhielt sie in Weimar den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der wird seit 1993 an Autorinnen und Autoren verliehen, die der Freiheit das Wort geben. Unter anderem an Sarah Kirsch, Herta Müller, Daniel Kehlmann, Lutz Seiler. Aus Ulrike Draesners Werken strahlt auf ganz besondere Weise die Idee der Freiheit des Wortes. Deren zentraler Text sei unser vor 75 Jahren beschlossenes Grundgesetz, unterstrich der Vorsitzende der Stiftung, Norbert Lammert, der über 300 Gäste im Musikgymnasium Schloss Belvedere begrüßte.
Ulrike Draesners „Nebelkinder“-Trilogie, die aus den Romanen „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“, „Schwitters“ und „Die Verwandelten“ besteht, erzählt von den unverarbeiteten Traumata der Kriegsenkel, die im Schweigen der Großeltern und der Eltern groß wurden. Damit bringe die Autorin, so der Laudator Frieder von Ammon, Menschenwissen und Literatur auf Augenhöhe, „gleichberechtigt, sich gegenseitig durchdringend und bereichernd“, mit meisterlicher Einfühlungskraft und feiner rhythmisch-sprachlicher Kunst. Im Schreiben lichte Ulrike Draesner den Nebel des Gedächtnisses der Gewalt.
Die Preisträgerin sprach darüber, was das klassische Weimar und der nationalsozialistische Teil seiner Geschichte für sie bedeuten. Und auf welche Weise Literatur heute lebendig wird. So wirke eine Erzählung nicht als Gebrauchsanweisung, sondern als Geschichte. Es brauche dabei Mut, sich im Erzählen und Schreiben „nah und verletzlich zu zeigen. Und Kraft, Diversität, die uns als Vokabel leicht über die Lippen kommen mag, im eigenen Leben wirklich zuzulassen.“ Worum es im Schreiben gehe, betonte die Autorin so: „Verbundenheit erkennen. Verbindungen herstellen. Verbindlichkeit denken. Um die Gemeinschaft der VIELEN zu stärken.“
Musikalisch umrahmt wurde die Preisfeier von einem ehemaligen Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Paul Simon Kranz. Magdalena Kleinjung, Schülerin am Musikgymnasium, wurde mit einer Zuwendung aus der nach dem Ideengeber des Literaturpreises benannten Bernhard-Vogel-Stiftung ausgezeichnet. Und Ulrike Draesner öffnete das „Herz“: in die Sprache des Nachbarn: „Bei meiner Recherche für Die Verwandelten lernte ich polnische Redewendungen. ‚Mir sitzt die Seele auf dem Arm‘, sagt man, wenn man sich fürchtet. Im Deutschen rutscht da eher das Herz in die Hose. Das ist körperlich genau, Sie kennen das Gefühl, ich auch, und leicht komisch ist es ebenfalls. Das Seelenbild indessen berührt mich: ich spüre, dass Angst so stark sein kann, dass man sich selbst verlässt.“
Literaturpreisverleihung
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