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"Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg"

Bundeskanzlerin Angela Merkel in London

Der erneute Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in London in weniger als einem Jahr war begleitet von wesentlich realistischeren Erwartungen als noch im Vorjahr. Formaler Hintergrund war die Vorbereitung des G7 Gipfeltreffens im Juni unter deutscher Präsidentschaft, im Mittelpunkt standen aber europapolitische sowie außen- und sicherheitspolitische Fragstellungen. Überschattet wurde der Besuch (und geriet damit auch in der veröffentlichten Wahrnehmung etwas im Hintergrund) vom grausamen Attentat in Paris.

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Ausgangslage und Erwartungen

Erst rund eine Woche vorher wurde von diesem Besuch überhaupt und durchaus etwas überrascht Notiz genommen. Zwar wurde auf den formalen Hintergrund (G7 Gipfel im Juni) und die gemeinsame Presseerklärung Bezug genommen, allerdings entspann sich dann auch sehr rasch eine breitere Kommentierung in den Medien und zwischen relevanten Akteuren in der britischen Politik über mögliche Implikationen dieses Besuchs für David Cameron, seine Europapolitik, seine innenpolitischen und innerparteilichen Konflikte sowie eventuelle Auswirkungen auf die Unterhauswahlen am 7. Mai 2015. Dabei war diesmal aber auch klar, dass keine weitreichenden Zugeständnisse von deutscher Seite in Sachen Vertragsänderungen zu erwarten sein würden (dies hatte die Bundeskanzlerin letztes Jahr mehrfach deutlich zu verstehen gegeben) und die Personenfreizügigkeit war ebenfalls im Vorfeld als eine „nicht verhandelbare“ Bezugsgrösse herausgestellt worden.

Atmosphärisch und hinsichtlich der konkreten Verhandlungsthemen war sicher auch Camerons Grundsatzrede vom November letzten Jahres ein wesentliches hilfreiches Element, da er sich dort ja auch zu den Grundfreiheiten in der EU bekannt und den Fokus der Migrationsdebatte stärker auf die Beschränkung von Sozialleistungen gelegt hatte.

Stationen des Besuchs

Der Besuch umfasste im Wesentlichen zwei Stationen: Unmittelbar nach der Landung begab sich die Bundeskanzlerin ins Britische Museum, um dort die Ausstellung „Germany - Memories of a Nation“ zu besuchen. Diese verdeutlicht an Hand von ausgesuchten Exponaten 600 Jahre deutsche Geschichte. Die Führung erfolgte durch den Direktor des Museums Neil MacGregor und in Begleitung des britische Premierministers David Cameron.

Im Anschluss begab sie sich zum Regierungssitz, wo eine Pressekonferenz, die nach dem Museumsbesuch, aber noch vor den eigentlichen Gesprächen in der Downing Street No.10 stattfand (und sich damit nur auf den Verhandlungsrahmen und Absichten, nicht jedoch auf Ergebnisse beziehen konnte).

Dort fiel Cameron mit sehr EU-freundlichen Äußerungen sowie einem klaren Bekenntnis zur Personenfreizügigkeit auf. An der Notwendigkeit von Vertragsänderungen und der Bekämpfung von Sozialmissbrauch hielt er jedoch fest. Im letzten Punkt stimmte Merkel mit Cameron überein und betonte, dass im Urteil des europäischen Gerichtshofs eine gemeinsame Basis für Änderungen in nationalen Sozialversicherungssystemen bestehe. Die Bundeskanzlerin signalisierte vorsichtige Bereitschaft, Camerons Forderungen in Sachen Beschränkung von Sozialleistungen zu unterstützen und betonte nochmals, dass Großbritannien ein wichtiger Partner für Reformen der EU sei. Dabei griff sie erneut auf die Formel zurück, die sie schon bei der Pressekonferenz 2014 wählte: „Wo ein Wille ist, ist ein Weg, auch gemeinsame Lösungen zu finden“ und Cameron betonte (für seine Verhältnisse fast schon EU-euphorisch): „I don’t think the right answer is for Britain to leave“.

Dieses Bekenntnis gewinnt vor dem Hintergrund der aktuellen EU-Debatte in Großbritannien, die von zunehmender Skepsis und der Spekulation um eine Vorverlegung des für 2017 geplanten Referendums gekennzeichnet ist, durchaus Bedeutung.

Bewertungen und Reaktionen

Bemerkenswert war, wie schon beim Besuch im letzten Jahr, dass in den britischen Medien dem Besuch insbesondere im Vorfeld wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als von deutscher Seite. Allerdings war auf britischer Seite die Kommentierung diesmal von deutlich mehr Sachlichkeit und Zurückhaltung gekennzeichnet als noch im Februar 2014. Die Pressekommentierung im unmittelbaren Nachgang war logischerweise überschattet vom Terroranschlag in Paris und rückte damit auch in den britischen Medien deutlich in den Hintergrund.

Die britischen Medien berichteten hauptsächlich über die Differenzen zwischen Camerons ursprünglicher Forderung nach einer Einwanderungsbeschränkung und tiefgehenden Reformen der EU und Merkels Position, dass die Personenfreizügigkeit ein unantastbarer Pfeiler der EU sei.

Der Guardian sah zwischen den beiden Regierungschefs ein großes Machtgefälle und beschrieb ihr unterschiedliches Gewicht auf der internationalen Bühne. Merkel sei der dominante Partner, von dem Cameron sich die politische Agenda diktieren lasse. Auch in Bezug auf die Ukraine-Krise sei er nur ein Zuschauer. Lediglich beim Thema Islamischer Staat nehme Großbritannien noch eine Führungsposition ein. Für die Financial Times ist Merkel ebenfalls klar Europas Führungsperson, der Cameron zuhören müsse.

Die britische Presse war sich durchweg einig, dass auch die Kanzlerin mit Problemen zu kämpfen habe. Der Daily Telegraph verwies im Zuge der britischen Einwanderungsdebatte auf die PEGIDA Demonstrationen und der Guardian, sowie die Financial Times machten in der Griechenlandkrise und der europäischen Sparpolitik Merkels eigene Probleme aus.

Darüber hinaus berichteten die britischen Medien, dass Merkel mit ihrer Haltung gegenüber Camerons EU-Plänen ein wichtiger Faktor für die britischen Wahlen am 7. Mai sei. Sie bemerkten jedoch auch, dass Merkel sich aus dem britischen Wahlkampf halten wolle und deshalb mit Oppositionsführer Ed Miliband kein Treffen stattgefunden habe.

Auffallend war noch der Namensartikel des deutschen Europaabgeordneten mit britischem Pass David McAllister im Guardian mit seinem Plädoyer die bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Großbritannien ernst zu nehmen und auf die besonderen Bedürfnisse des Vereinigten Königreiches einzugehen („a fair deal must exist for the UK“).

In den deutschen Medien wurde vorab wenig über Merkels Besuch in London berichtet. Die deutsche Presse war sich aber einig, dass für Merkel die Personenfreizügigkeit nach wie vor eine „rote Linie“ darstelle und von daher auch auf Cameron’s Drängen hin nicht zur Disposition stehen würde.

Cameron suche, so die Kommentatoren, nach gemeinsamen Interessen in der EU-Politik, die er in der Zuwanderungsdebatte und dem Missbrauch von Sozialleistungen durch Einwanderer gefunden habe. Insgesamt überwog in der deutschen Presse eine zurückhaltende bis skeptische Bewertung.

Laut der Frankfurter Allgemeiner Zeitung werde die EU-Frage Camerons Schicksalsthema und entscheide „über seine Zukunft in der konservativen Partei, womöglich über den Machterhalt, wenn im Mai ein neues Unterhaus gewählt wird“. Zur Lösung dieser Frage wären EU-Reformen nötig, welche nur mit der Unterstützung Merkels möglich seien. Ferner wurde betont, dass Großbritannien in Bezug auf Außenpolitik von Deutschland mittlerweile in die zweite Reihe gedrängt worden sei und Merkel bei internationalen Fragen viel wichtiger als Cameron sei.

Die Wirtschaftswoche fokussierte sich ebenfalls auf die britischen Wahlen und berichtet wie die britische Presse erstaunt darüber, dass mit Oppositionsführer Miliband kein Treffen stattgefunden habe, obwohl dieser ab Mai die Geschicke Großbritanniens leiten könnte.

Es kann hervorgehoben werden, dass beide Regierungschefs ein hohes Maß an Bereitschaft erkennen ließen an einem gemeinsamen europäischen Weg zu arbeiten. Politische Probleme oder gar Streitigkeiten (wie noch im Februar 2014) über die Aufnahme der AfD in die ECR Group im Europäischen Parlament oder der heftige Widerstand Camerons gegen die Wahl Junckers zum EU-Kommissionspräsidenten, schienen vergessen oder zumindest keine signifikanten Rolle (mehr) zu spielen.

Dazu wiegen die außenpolitischen Probleme (Russland/Ukraine), sicherheitspolitischen Bedrohungen (IS – durch das Attentat in Paris nochmal in aller Brisanz in Erinnerung gerufen) wirtschaftlichen Herausforderungen (Wirtschaftslage in Europa, Schwächung des Euro, Dringlichkeit TTIP voranzubringen) sowie die anstehenden Wahlentscheidungen (Griechenland, Spanien und nicht zuletzt Großbritannien selbst) zu schwer und legen einen engeren Schulterschluss zwischen Deutschland und Großbritannien insgesamt und zwischen der Bundeskanzlerin und David Cameron (solange er noch im Amt ist oder im Amt bleiben kann) geradezu nahe. In letzterem liegt aber auch ein ehebliche Maß Ungewissheit. Der Ausgang der Unterhauswahlen in Großbritannien ist völlig offen. Ob Labour mit Ed Milliband (den die Bundeskanzlerin in der Tat nicht zum Gespräch traf) oder tatsächlich nochmal die Conservatives (ob weiterhin mit Cameron an der Spitze ist allerdings auch nicht sicher) stärkste Partei wird ist offen. Klar scheint nur, dass keiner eine absolute Mehrheit erzielen wird und damit entweder erneut eine (ungeliebte oder instabile) Koalition oder eine Minderheitsregierung (mit eventueller Neuwahl im Herbst) das Ergebnis sein wird. In jedem Fall droht politische Ungewissheit und eine weiter aufgefächerte politische Landschaft in Großbritannien, was der Debatte um die EU Mitgliedschaft sicher nicht zu Gute kommt und damit die Fragezeichen aus deutscher Sicht eher noch vergrößert.

Da bei diesem Besuch der „Merkel-Hype“ vom Vorjahr im Vorfeld ausblieb und damit die Erwartungen nicht in schwindelerregende und unrealistische Höhen getrieben wurden, ist das Ergebnis dieses Besuches insgesamt positiver zu beurteilen. Die gemeinsamen Interessen sind ebenso klar definiert wie die Unterschiede.

Dadurch dass sich seit Februar 2014 aber auch die Lage in Europa insgesamt und auch in Deutschland geändert hat (Stichworte PEGIDA, EURO Schwächung) und sich die schon erwähnten außen- und sicherheitspolitischen wie wirtschafts- und finanzpolitischen Fragestellungen verschärft haben, ist die Notwendigkeit einer engen Kooperation zwischen Deutschland und Großbritannien in einem geeinten Europa noch gestiegen. Einfacher wird dadurch diese Partnerschaft nicht, aber auch in Deutschland sollte diese Gesamtlage in Europa dazu führen, wie der schon zitierte David McAllister betonte, die Belange und Besonderheiten der Briten sehr ernst zu nehmen.

Wieviel der Erkenntnis und Notwendigkeit einer Kooperation in und mit der EU auf britischer Seite im gerade begonnenen Wahlkampf übrig bleiben wird und wie dieses Panorama in Großbritannien nach dem 7. Mai 2015 aussehen wird, ist allerdings noch völlig unklar.

Den gesamten Länderbericht inklusive Fußnoten lesen Sie im pdf.

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2. Dezember 2014
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Angela Merkel trifft David Cameron | Foto: Number 10/Arron Hoare/Flickr Number 10/Arron Hoare/Flickr

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