Länderberichte
Der Haftbefehl begründet sich auf die Massaker, Menschenrechtsverletzungen und Plünderungen, die MLC-Mitglieder zwischen Oktober 2002 und März 2003 in der Zentralafrikanischen Republik verübten. Um einen bevorstehenden Staatsstreich seines Rivalen General Bozizés zu verhindern, hatte der damalige zentralafrikanische Präsident Ange-Felix Patassé die Truppen der MLC, die Ende Oktober 2002 das Gebiet um Gbadolite an der Grenze zur zentralafrikanischen Republik kontrollierten, zur Hilfe gerufen. Zwar konnten sie das Regime Patassés temporär stabilisieren, verübten gleichzeitig jedoch gravierende Menschenrechtsverletzungen insbesondere gegenüber Frauen und Kindern. Bereits 2004 bat die Regierung Bozizés, die im März 2003 schließlich doch an die Macht gelangte, den Internationalen Strafgerichtshof um Hilfe bei der Strafverfolgung bezüglich der während des Putschversuches erfolgten Verbrechen. Der Internationale Strafgerichtshof eröffnete jedoch erst im Mai 2007, nahezu ein Jahr nach den Wahlen in der DR Kongo einen offiziellen Untersuchungsprozess, an dessen Ende nun der Haftbefehl gegen Jean-Pierre Bemba stand. Dieser ist der erste Tatverdächtige, der auf der Basis des Art 28 des Rom-Statuts (Verantwortlichkeit der Militärführer und anderer herausgehobener Führungspersonen), im Kontext des Verfahrens zur Zentralafrikanischen Republik zur Rechenschaft gezogen wird. Jean-Pierre Bemba reiht sich jedoch in die Gruppe kongolesischer Rebellenführer (Thomas Lubanga, Matthieu Ngujolo und Germain Katanga ) ein, die seit 2006 für die nach dem 1. Juli 2002 in der Demokratischen Republik Kongo verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer Kriegsverbrechen bisher verhaftet und nach Den Haag ausgeliefert wurden, und gegen die der Anklageprozess vorbereitet wird. Mit seiner Verhaftung wurde sicherlich ein Signal gesetzt für insbesondere diejenigen Milizenführer, die im Osten des Kongo in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu und im Distrikt Ituri in der Provinz Oriental noch ihr Unwesen treiben. Selbst wenn das kongolesische Parlament die im Waffenstillstandsabkommen von Goma (Ergebnis der Friedenskonferenz vom Januar 2008) festgehaltene Amnestieregelung in Kraft setzen wird, ist ein General Laurent Nkunda nicht davor geschützt, auf internationaler Ebene aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt zu werden.
Dass Jean-Pierre Bemba schließlich aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in der Zentralafrikanischen Republik und nicht wegen der Kriegsverbrechen, die die Rebellenbewegung MLC in der DR Kongo verübte, angeklagt wird, ist darauf zurückzuführen, dass aufgrund des späten Inkrafttretens des Statuts von Rom (1.7.2002) und seines Art. 24. (Keine Retroaktivität), jegliche vor dem 1. Juli 2002 begangenen Verbrechen lediglich von der nationalen Justiz sanktioniert werden können. Aufgrund der Schwächen der kongolesischen Justiz und vor allem ihrer mangelnden Unabhängigkeit ist eine umfassende Aufarbeitung zum jetzigen Zeitpunkt und ohne externe Unterstützung sehr unwahrscheinlich. Insbesondere die Zuständigkeit der in die Militärhierarchie integrierten Militärgerichtsbarkeit für alle internationalen Verbrechen und solche, die Fragen der nationalen Sicherheit betreffen, stellt deren Unabhängigkeit im Untersuchungsprozess in Frage. Es sind vor allem jedoch die mangelnden Kapazitäten in der Beweissammlung und Prozessaufbereitung, die zur aktuellen Situation einer weitreichenden Straflosigkeit in der DR Kongo beitragen.
Die völlig überraschende Verhaftung Jean-Pierre Bembas zeigt erneut, dass die gesamte Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes und dessen Kooperation mit nationalen Strafverfolgungsbehörden unter einer absoluten Geheimhaltung zu erfolgen hat, um erfolgreich sein zu können. Für Jean-Pierre Bemba und seine Partei brach daher auch just zu dem Zeitpunkt, an dem über seine Rückkehr nach Kinshasa spekuliert wurde, ein politischer Alptraum herein.
Der MLC-Präsident, Senator und Herausforderer Präsident Kabilas in den Wahlen 2006 hatte sich nach den militärischen Auseinandersetzungen zwischen seinen Milizen und den kongolesischen Streitkräften im März 2007 nach Portugal ins Exil begeben, bewegte sich bis dato jedoch frei in Europa. Ursprünglich mit dem Argument ausgereist, sich einer medizinischen Behandlung unterziehen zu müssen, wurde Jean-Pierre Bemba zunächst von seiner Anwesenheitspflicht im Senat freigestellt. Da die Geschäftsordnung des Senats jedoch lediglich eine nicht-autorisierte Absenz für zwei Sitzungsperioden vorsieht, wies das Senatspräsidium seinen Kollegen bereits im April 2008 schriftlich daraufhin, dass ein Nicht-Erscheinen in der laufenden Sitzungsperiode zum Mandatsentzug und damit auch zum Verlust der Immunität führen wird. Vor diesem Hintergrund, aber auch im Kontext der bevorstehenden Wahl des offiziellen Sprechers der Opposition spekulierte man in Kinshasa bereits in der letzten Woche, ob Jean-Pierre Bemba möglicherweise nicht bereits zum Monatsende sein Exil verlassen könnte. Seine Partei MLC beansprucht als grösste Oppositionspartei die im Oppositionsstatut festgeschriebene Position des Sprechers. Aufgrund der Abwesenheit ihres Präsidenten konnten sich die MLC-Abgeordneten bisher jedoch nicht gegen ihre Kollegen im Oppositionslager durchsetzen, die zu Recht die örtliche Präsenz eines solchen Oppositionsführers einfordern. Von der Verhaftung Bembas profitieren somit vor allem die weiteren in aller Munde diskutierten Kandidaten und hier vor allem Gilbert Kiakwama (CDC) als Führer der christdemokratischen Parlamentsgruppe sowie Azarias Ruberwa vom Rassemblement Congolais pour la Democratie (RCD).
Die Verhaftung stellt daher nicht nur die politische Karriere Jean-Pierre Bembas in Frage, sondern auch die politischen Chancen der MLC. Diese hatte sich bis dato stets hinter ihren Präsidenten gestellt, der auch vom Exil aus das Ruder in der Hand zu behalten schien. Ein Kronprinz, der an seine Stelle treten könnte, hatte sich in den letzten 12 Monaten nicht herausgebildet und sicherlich wird die Partei mittelfristig auch von Diadochenkämpfen in der Parteiführung nicht verschont bleiben. Denn selbst wenn zum jetzigen Zeitpunkt noch stets die Unschuldsvermutung zugunsten des Angeklagten zu leisten ist, eine mehrmonatige Untersuchungshaft und ein zäher Verhandlungsprozess werden sowohl dem Politiker Bemba als auch seiner Partei enormen Schaden zufügen.
Ein interessanter Aspekt der Verhaftung stellt auch die zeitliche Koinzidenz und die Konstellation der Akteure dar. Just zu einem Zeitpunkt, in dem die kongolesisch-belgischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreichten, nachdem Aussenminister Karel de Gucht wiederholt zum Ausdruck brachte, dass die ehemalige Kolonialmacht aufgrund ihres wirtschafts- und entwicklungspolitischen Engagements sehr wohl eine moralische Verpflichtung habe, sich zu internen Angelegenheiten der DR Kongo (hier vor allem zur Korruption) zu äußern und Präsident Kabila daraufhin seinen Botschafter abziehen und das Konsulat von Anvers schliessen lässt, sind es belgische Behörden, die dazu beitragen, dass einen Tag später Kabilas größter Gegenspieler verhaftet und dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben wird.
Für die Regierung Kabilas bedeutet die Verhaftung des in Kinshasa populären MLC-Führers zunächst erneute politische Instabilität in der Hauptstadt und in der Provinz Equateur. Die generelle Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einer Regierung, die in eineinhalb Jahren nicht sichtbar zur Verbesserung der Lebenssituation beigetragen hat und die monatlich steigenden Transportkosten und Lebensmittelpreise bilden ein Unruhepotential, das sich leicht an einem solch Funken, wie der Verhaftung eines in den Quartiers von Kinshasa populären Politikers entladen kann. Demonstrationen und möglicherweise Ausschreitungen sind zu erwarten.