Länderberichte
Die Abstimmung stellt eine der wichtigsten Etappen des Landes auf dem Weg in die EU dar. Nach der Aufnahme der offiziellen Gespräche am 3. Oktober 2005 konnten diese nach knapp sechs Jahren am 30. Juni 2011 beendet werden. Den Beitrittsvertrag unterzeichneten die beteiligten Parteien am 9. Dezember 2011 in Brüssel. Wenn das Referendum erfolgreich sein wird, kann der Ratifikationsprozess in den 27 EU-Mitgliedsstaaten beginnen bzw. weiterlaufen und am 1.7.2013 in den Beitritt münden.
Die Hinwendung Kroatiens zu Europa und zur europäischen Integration kann man fast als einer der wichtigsten Axiome des kroatischen historisch-politischen Selbstverständnisses interpretieren. Die Loslösung aus der jugoslawischen Föderation hatte – neben der Befreiung vom Kommunismus und dem Aufbau demokratischer Strukturen – immer auch die „Rückkehr“ nach Europa zum Ziel. Daran ließ Franjo Tuđman, der erste Staatspräsident, noch dessen Nachfolger irgendwelche Zweifel. Überhaupt besteht bis zum heutigen Tag ein über (fast) alle Parteigrenzen hinweg stabiler Konsens darüber, den Weg in die westliche Gemeinschaft zu beschreiten. Dies betrifft auch die Haltung der wichtigsten gesellschaftlichen Gruppierungen, von den Arbeitgebern über die Gewerkschaften bis hin zur Katholischen Kirche. Nach dem NATO-Beitritt im April 2009 wäre mit diesem Schritt eines der wichtigsten Ziele der kroatischen Außen- und Sicherheitspolitik erreicht.
Vor diesem Hintergrund ist eigentlich die von den Demoskopen erhobene Zustimmungsquote erstaunlich gering und erklärungsbedürftig. Sie sind nicht erst seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise vergleichweise niedrig, waren aber über die letzten Monate bemerkenswert konstant. Das in dieser EU-Zurückhaltung zum Ausdruck kommende Unbehagen speist sich aus unterschiedlichen Quellen, deren Virulenz nur schwer einzuschätzen ist. Am leichtesten sind noch die Vorbehalte derjenigen zu verstehen, die am unmittelbarsten und direktesten betroffen sein werden. Und das sind vor allem die Bauern und die Mitarbeiter der Werften. Die einen wie die anderen wissen seit langem, dass deren überkommene Strukturen unter erheblichen Anpassungsdruck kommen werden.
Die Beitrittsgegner haben sich zu mehreren Aktionsbündnissen zusammengeschlossen und mit Internet-Auftritten und einigen wenigen öffentlichen Demonstrationen auf sich aufmerksam gemacht, zuletzt am letzten Samstag auf dem größten Platz der kroatischen Hauptstadt, dem Trg Bana Josipa Jelačića. Dort versammelten sich allerdings weniger als ca. 500 Menschen. Der größte Teil der Organisationen hat allerdings nur wenige Mitglieder und noch weniger Einfluss auf die öffentliche Meinung und die dort aktiven Parteien sind nicht im Parlament vertreten und fristen ein Schattendasein am rechten Rand des Parteienspektrums. Deren gemeinsamer Nenner sind die Vorbehalte, die man in den EU-Mitgliedsstaaten auch bei den Euroskeptikern findet: Souveränitäts- und Identitätsverlust, überbordende Bürokratie der Brüsseler Institutionen, Vernichtung von Arbeitsplätzen, Überregulierung und die Ausplünderung Kroatiens. Allerdings ist es diesen Kräften bislang nicht gelungen, nach irischem oder französischen „Vorbild“ die EU-Diskussion dazu zu nutzen, die allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes auf ihre Mühlen umzuleiten.
Die Befürworter hingegen machen darauf aufmerksam, dass Kroatien sich eine außenpolitische Isolierung nach dem Beispiel der Schweiz oder Norwegens schon aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen nicht leisten könne, im Gegenteil. Sie verweisen auf die Chancen, die selbst ein kleines Land wie Kroatien im Markt von 500 Millionen Konsumenten wahrnehmen kann und darauf, dass das Land nun die dringend benötigten direkten und indirekten Investitionen bekommen werde, um der notleidenden Wirtschaft neue Wachstumsimpulse zu geben.
In diesem Zusammenhang hat die kroatische Öffentlichkeit in den letzten Wochen Pro und Contra des Beitritts in einer Intensität diskutiert, die man sich in ähnlicher Weise schon während des gesamten Verhandlungsprozesses gewünscht hätte. Dass dies nicht in ausreichendem Maß geschah, ist der Politik und den Medien gleichermaßen anzukreiden.
Laden Sie sich den gesamten Länderbericht herunten, indem Sie oben auf das PDF-Symbol klicken.