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Freddie Everett / gemeinfrei

Länderberichte

Ein Gipfel für die Demokratie - Motor oder Spaltkeil?

von Magdalena Jetschgo-Morcillo, Andrea Ellen Ostheimer, Denis Schrey, Dr. Olaf Wientzek

Joe Biden verbindet beim Summit for Democracy den Kampf für die Demokratie im eigenen Land mit Bemühungen der Demokratieförderung in der Welt

Am 9. und 10. Dezember 2021 fand der erste Gipfel für die Demokratie des US Präsidenten Joe Biden statt. An diesem pandemiebedingt virtuell durchgeführten Treffen nahmen über 100 Staaten teil, repräsentiert zum Teil auf höchster Ebene durch ihre Staatspräsidenten oder Premierminister. Am Gipfel und in den thematischen Diskussionsrunden, die sich neben den Kernthemen vor allem auch der Medienfreiheit und den Auswirkungen der Digitalisierung und künstlicher Intelligenz auf die Resilienz von Demokratien widmeten, wirkten auch Vertreter der Zivilgesellschaft, des Privatsektor, Repräsentanten lokaler Regierungsebenen wie auch ehemalige Leiter von demokratierelevanten Institutionen wie Wahlkommissionen mit.

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Bereits kurz nach seiner Amtsübernahme im Januar 2021 kündigte US-Präsident Joe Biden die Organisation eines Demokratie-Gipfels durch die Vereinigten Staaten an. Angesichts der Erosion der amerikanischen Demokratie unter Trump, die in der Nicht-Akzeptanz des Wahlergebnisses und der Erstürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger kulminierte, kam dieses Projekt nicht überraschend.

Es kam allerdings von einem Politiker, der im Laufe seiner Karriere den idealistischen Ansätzen des State-Building und der Demokratieförderung immer sehr kritisch gegenübergestanden hatte, und sich damit von überzeugten Demokratieförderern wie George W. Bush unterschied.

Allerdings musste Joe Biden sein Amt zu einem Zeitpunkt antreten, in dem bereits aufgrund der seit Jahren zu beobachtenden Erosionserscheinungen in selbst etablierten Demokratien klar wurde, dass der Siegeszug des liberalen Demokratiemodells neu zu bewerten ist. Die diversen quantitativen und qualitativen Demokratie-Indizes von Freedom House, V-Dem oder auch der Bertelsmann Transformationsindex weisen die zunehmende demokratische Regression bereits seit mehreren Jahren nach.

Vor diesem Hintergrund ist der erste Gipfel für die Demokratie (Summit for Democracy) vor allem auch als Versuch zu bewerten, gemeinsame Strategien zu entwickeln, mit denen Angriffe auf Demokratien von innen wie auch von außen abgewehrt und die Resilienzen demokratischer Systeme gestärkt werden können.

„As a global community for democracy, we have to stand up for the values that unite us. “

(US-Präsident Joe Biden in seiner Eröffnungsrede des Demokratie-Gipfels am 9.12.2021)

Mit dem Demokratie-Gipfel versuchte der US-Präsident auch, einen Schulterschluss Gleichgesinnter herbeizuführen, um dem Versuch autoritärer Regime, etablierte Demokratien gezielt zu destabilisieren und ihre eigenen Gesellschaftsmodelle als die überlegeneren zu verkaufen, zu trotzen.
Im Kontext der geopolitischen Rivalitäten USA-China trafen sowohl die Kernthemen des Gipfels (Verteidigung gegen autoritäre Regime, Kampf gegen die Korruption, Stärkung der Achtung der Menschenrechte) wie auch die Einladungsliste einen neuralgischen Punkt bei der chinesischen Regierung. Diese reagierte prompt, organisierte ihr eigenes Demokratie-Forum und veröffentlichte ein Weißbuch mit dem Titel „China: Democracy That Works“. Auch, dass der Führungsanspruch der USA bei der Verteidigung des liberalen Demokratiemodells von ca. hundert Staaten goutiert und der Einladung Folge geleistet wurde, konnte China nicht entzücken.

Es wurde vielfach betont, dass der Demokratie-Gipfel nicht als Anti-China- oder Anti-Russland-Allianz zu verstehen sei; nichtsdestotrotz ist nicht zu übersehen, dass Präsident Biden in seinen Plädoyers für die Demokratie im gleichen Atemzug fast immer den Systemwettbewerb mit China erwähnte.

Aufgrund der Flecken auf der eigenen Demokratie-Bilanz wie auch vor dem Hintergrund des Scheiterns amerikanischer Demokratieförderung in Afghanistan oder dem Irak gab sich der Gastgeber bescheiden und verwies immer wieder auf die Möglichkeiten des Gipfels, um voneinander zu lernen.

Diese Haltung kommt gepaart mit einem neuen, zumindest proklamierten Fokus der US-Außenpolitik auf die Stärkung von Demokratisierungsprozessen und Menschenrechten. Inwieweit diese Prioritätensetzung allerdings aufrechterhalten bleibt, wenn sie mit nationalen Sicherheitsinteressen kollidiert, mag noch dahingestellt sein.

„We ask no more of other countries than we ask of ourselves.“

(Anthony Blinken, Secretary of State, in a diplomatic cable sent to US Embassies in July 2021)

Um das eigene Engagement zur Stärkung der Demokratie weltweit zu unterstreichen, verkündete Präsident Biden während des Gipfels die Presidential Initiative for Democratic Renewal, die im Bereich der Außenpolitik weltweit demokratische Resilienzen und Menschenrechte stärken soll. 424 Millionen US Dollar sollen für Projekte zu transparenter und verantwortlicher Regierungsführung, dem Kampf gegen Korruption, zur Unterstützung demokratischer Reformer, des Schutzes von freien und fairen Wahlen, dem Schutz der Pressefreiheit, der Förderung der Rechte von Frauen, der LGBTQ-Community sowie für Demokratie fördernde Technologien zur Verfügung stehen. Ein von USAid gemanagtes Partnership for Democracy Program soll vor allem jenen Partnern weltweit zur Verfügung stehen, die die Demokratie an vorderster Front verteidigen.

Mit einem besonderen Augenmerk auf den Mediensektor schuf die Biden-Administration auch einen internationalen Fonds für unabhängige Medien des öffentlichen Interesses, sowie einen US Defamation Defense Fund für investigative Journalisten, die sich aufgrund ihrer Arbeit vor Gericht sehen.

Kurz vor dem Gipfel veröffentlichte die Regierung erstmals eine US-Strategie zur transnationalen Korruptionsbekämpfung, sowie eine erste Nationale Strategie zu Gender-Gleichstellung und -Teilhabe. Eine Demokratie-Strategie, die von vielen in der Gemeinschaft der Demokratieförderer erwartet worden war, und welche nicht nur einen normativen, sondern auch überprüfbaren Rahmen gesetzt hätte, blieb die Biden-Administration allerdings schuldig.

Insgesamt gab sich der Gastgeber nicht nur bescheiden und im Zuhör- und Lernmodus, auch bei den möglichen Verpflichtungen (committments) der Eingeladenen zu konkreten Aktionen der Stärkung demokratischer Werte und Institutionen hielt man sich mit Verbindlichkeiten und konkreten Verpflichtungen zurück. Während der Planungen zum Gipfel hatte man noch einen konkreten Maßnahmenkatalog diskutiert, der beispielsweise die Verpflichtung auf größtmögliche Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen und Immobiliengeschäften zur Korruptionsbekämpfung, Schutzmaßnahmen für die Zivilgesellschaft oder auch Garantien für eine ununterbrochene Nutzung des Internets vorsah. Am Ende setzte man lediglich auf freiwillige Verpflichtungen für das im Anschluss des Gipfels anvisierte Aktionsjahr.

Sicherlich spielte auch die Zusammensetzung der Gästeliste eine Rolle bei der wenig ambitionierten Formulierung von konkreten Erwartungen und Resultaten des Gipfels.


Das Teilnehmerfeld – Geopolitik sticht Demokratiequalität

Die letztlich Ende November veröffentlichte Liste der Geladenen (Ebene waren in der Regel Staats- und Regierungschefs) sorgte – wie erwartet – für einige Diskussionen.

Da die Veranstaltung nicht als Gipfel der Demokraten, sondern als Gipfel für die Demokratie konzipiert wurde, standen auch Staaten auf der Einladungsliste, deren demokratische Bilanz und Achtung der Menschenrechte äußerst schwach sind. Sicherlich könnte man der Argumentation der Biden-Regierung folgen und argumentieren, dass man zum einen den Verlauf eines Demokratisierungsprozesses berücksichtigen müsse, reformorientierten Politikern den Rücken zu stärken habe und nur gemeinsam Herausforderungen für die Demokratie durch globale öffentliche Güter wie das Internet adressieren könne.

Allerdings drängt sich auch der Verdacht auf, dass ein sehr idealistischer Blick auf einige Staaten geworfen wurde und man die Gefahr, dass Lippenbekenntnisse und bereits die Einladung zum Gipfel von einigen Staatsführern mit autoritären Zügen zur eigenen Legitimation missbraucht werden können, ausblendete.

Nimmt man die Bewertung der Nichtregierungsorganisation Freedom House als Maßstab, waren von den 110 geladenen Ländern 31 nur "teilweise frei". Drei weitere (Angola, Irak, Demokratische Republik Kongo) werden gar als "nicht frei" eingestuft. Auch das Rating des schwedischen V-Dem-Instituts von 2021 stufte 14 der eingeladenen Staaten als elektorale Autokratien ein. Unabhängig von der Gewichtung solcher Indizes bleibt festzuhalten, dass ein substantieller Anteil des Teilnehmerfeldes nicht oder nur sehr eingeschränkt als funktionierende Demokratien betrachtet werden kann. Neben der demokratischen Qualität der Länder haben mithin augenscheinlich noch andere Kriterien eine Rolle gespielt. Beobachter und Kommentatoren nennen hier unter anderem regionale Dynamiken, strategische und geopolitische US-Interessen (v.a. auch mit Blick auf Schlüsselakteure gegenüber China) oder auch Rücksichtnahme auf den Wahlkalender einiger Länder. Sowohl die Zahl wie die Auswahl der Länder kann durchaus als Signal der Machtdemonstration gegenüber Peking aufgefasst werden. Die Teilnahme des demokratischen Taiwans, das China als abtrünnige Provinz ansieht, war dabei das klarste Zeichen an China.

Unter den geladenen Ländern war mit Pakistan auch ein Staat, der einer der zentralen Verbündeten Chinas in der Region und weltweit ist – was ein weiterer Grund für die gereizte Reaktion aus Peking im Kontext des Treffens ist. Pakistan – beileibe nun keine Vorzeige-Demokratie – ist jedoch auch für die USA ein wichtiger Partner in Sachen Terrorismusbekämpfung. Umso stärker applaudierte China, als sich Pakistan entschied, nicht am Gipfel teilzunehmen und dies mit dem Versuch der Amerikaner begründete, eine neue geopolitische Zweiteilung der globalen Ordnung wie während des Kalten Krieges herbeiführen zu wollen. Für eine solche Lagerbildung wolle man sich nicht instrumentalisieren lassen. Beobachter mutmaßten allerdings, dass andere Gründe (Druck aus Peking, Frustration über zu geringe Beachtung durch die Biden-Administration seit ihrem Amtsantritt) den Ausschlag gegeben haben könnten.

Zur Überraschung vieler Beobachter kündigte auch Südafrika an, nicht teilzunehmen. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte, dass Ungarn als einziges EU-Land nicht eingeladen war. Ungarn, dessen Ministerpräsident Viktor Orban häufig vom Leitmodell einer "illiberalen Demokratie" spricht, wurde in der Tat 2021 von Freedom House nur noch als teilweise frei eingestuft, doch waren insgesamt 30 Länder geladen, die schwächer abschneiden als Ungarn.

Interessant: mehrere europäische demokratische Kleinstaaten (Andorra, Liechtenstein, San Marino) wurden nicht eingeladen – pazifische Inselstaaten ähnlicher Größe wie Tuvalu wurden jedoch durchaus berücksichtigt.

Blickt man auf das Verhalten in multilateralen Organisationen, so gehören zahlreiche der geladenen Ländern nicht zu den engen Verbündeten des freiheitlich-demokratischen Lagers: Viele der Teilnehmer orientieren sich in ihrem Stimmverhalten im Menschenrechtsrat mehr an China als an freiheitlich-demokratischen Ländern, die Philippinen und Pakistan stimmten 2019 im Menschenrechtsrat sehr häufig mit China ab . Pakistan gilt generell – gerade auch durch seine Schlüsselrolle bei der Organisation für Islamische Zusammenarbeit – als zentraler Verbündeter Chinas zur Mobilisierung von Allianzen gegen Kritik an Menschenrechtsverletzungen Pekings in Xinjiang, Hongkong oder Tibet. Allein 14 der beim Gipfel teilnehmenden Länder signierten bei der 47. Sitzung des Menschenrechtsrats im Juni /Juli 2021 ein entsprechendes Statement. Auch beim Umgang mit dem demokratischen Taiwan gehören einige der Teilnehmer zu den engsten Bündnisgenossen Chinas. Beachtenswert: viele der teilnehmenden Länder unterstützen regelmäßig von China eingebrachte Resolutionen, die eine Veränderung des Menschenrechtsnarrativs hin zu kollektiven Rechten zum Ziel haben.

Kontroversen über die Zusammensetzung des Teilnehmerfelds waren wohl unvermeidlich. Insgesamt zeigt sich jedoch, dass die demokratische Verfasstheit nur eines von mehreren Kriterien war. Die schlussendliche Teilnehmer-Gruppe teilt, wenn überhaupt, nur begrenzt ein gemeinsames Verständnis von Demokratie und Menschenrechten. Abgesehen von zahlreichen umstrittenen Entscheidungen bei der Auswahl der Länder bot der Gipfel allerdings auch Raum für Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Zivilgesellschaft, Pressevertretern und auch von Sozialpartnern. Ein deutliches Signal für die Demokratiebewegung in ihrem Land war zudem die (herausgehobene) Teilnahme von Swetlana Tichanowskaja sowie anderer Vertreter der demokratischen Opposition in Belarus und auch Hongkongs.

 

Die gemeinsame Wertebasis verteidigen – Europäische Demokratieförderung im Kontext des Gipfels

Für die Europäische Union, die in ihrem aktuellen Haushalt 15% des Gesamtbudgets (ca. 95 Mrd. EUR) für die Förderung von Menschenrechten und Stärkung demokratischer und rechtstaatlicher Strukturen vorsieht, wurde die selektive und nicht ganz nachvollziehbare Auswahl der Teilnehmer zu einem Problem.

Da Ungarn als einziges EU Land nicht zum Gipfel eingeladen war, legte die ungarische Regierung ein Veto zur Teilnahme der gesamten EU ein. Daraufhin warnte der juristische Dienst des Europäischen Rates die Botschafter, dass es wegen der Einstimmigkeitserfordernisses in allen außenpolitischen Fragen keine gemeinsame EU-Präsenz auf dem Gipfel geben könne. Dies war ein erneutes Beispiel dafür, wie handlungsunfähig die EU auf Grund ihrer Einstimmigkeitsregeln in außen- und sicherheitspolitischen Fragen ist. Letztendlich war der Kompromiss, dass Ursula von der Leyen und Charles Michel am Gipfel teilnahmen und zu "already agreed positions" sprechen durften. Die Entscheidung wurde dabei auf Artikel 21 des “Treaty on the European Union” zurückgeführt:

"The Union shall seek to develop relations and build partnerships with third countries, and international, regional or global organisations which share [those] principles.”

Die EU-Kommission begrüßte die Durchführung des US-Demokratiegipfel zwar grundsätzlich, allerdings warnte sie auch davor, die Erwartungen an die Ergebnisse des Gipfels zu hoch zu stecken. Man wünsche sich insbesondere in den Partnerländern eine stärkere Zusammenarbeit zwischen gleichgesinnten Partnern. Diese Aussage kann indirekt auch als Kritik an der Auswahl der teilnehmenden Staaten, dem oftmals selbstbezogenen Vorgehen amerikanischer Demokratieförderung in Partnerländern sowie am stark symbolischen Charakter des US-Gipfels verstanden werden. Aus Sicht der Kommission seien daher besonders die Abstimmung und Zusammenarbeit in den Partnerländern vor Ort zwischen der EU, den EU-Mitgliedstaaten, den Durchführungsorganisationen und gleichgesinnter Partner zu konkreten Themen (Rechtsstaatsentwicklung, demokratische Teilhabe, Parteien und Parlamentsberatung, Medienförderung, Wahlen) zu intensivieren. Nur so könne man Wirkung und Effizienz globaler Demokratieförderung erhöhen. Die Team Europe-Initiative der EU-Kommission leiste hierzu von EU-Seite bereits einen grundsätzlichen Beitrag.

Angesichts der komplexen Gemengelage innerhalb der EU und den Erosionserscheinungen des Acquis Communautaire erscheint es daher fraglich, ob sich die EU in dem „Follow Up“-Prozess zum Gipfel weiter engagieren wird. Schließlich sind auch die Ressourcen in Brüssel begrenzt, eine weitere internationale Initiative diplomatisch und inhaltlich zu begleiten. Ursula von der Leyen legte in ihrer Rede den Schwerpunkt auf den Kampf gegen Desinformation und Hassreden und warb für mehr Partizipation und freie Medien, insbesondere mit Blick auf die steigende Cyberkriminalität und der Untergrabung europäischer Werte durch Cyberangriffe und Falschinformation durch Russland und China. Gleichzeitig musste sie anerkennen, dass unabhängige und regierungskritische Berichterstattung in einigen EU Mitgliedsstaaten eingeschränkt wird.

Im Gegensatz zur USA besitzt die EU zumindest einen European Democracy Action Plan zur Stärkung der Demokratie in Europa. Aber wie auch die USA bleibt Europa trotz des wertebasierten Ansatzes in der Außen- und Sicherheitspolitik gefangen in den eigenen geostrategischen Interessen.

Zwar heißt es in vielen Dokumenten: „Im internationalen Systemwettstreit gilt es, unsere Werte entschlossen mit demokratischen Partnern zu verteidigen und auch in Partnerländern zu fördern.“  Allerdings zwingen globale Herausforderungen wie der Klimaschutz oder auch die eigenen Handelsinteressen die EU immer wieder zu strategischen Kooperationen mit autoritären Staaten. Dieses Spannungsgefüge wird sich auch nicht mit weiteren Demokratie-Gipfeln diesseits und jenseits des Atlantiks auflösen lassen.

 

Ein Demokratie-Gipfel ist noch keine Demokratie-Strategie

Eine Bewertung des Erfolges dieses ersten Demokratie-Gipfels wird erst in einigen Monaten sinnvoll sein. Der Gipfel ist als Ausgangspunkt für das nun folgende Aktionsjahr gedacht. Ob er als Erfolg bezeichnet werden kann und welche Wirkung er haben wird, wird stark davon abhängen, wie das „year of action“ ablaufen wird: Sind die Zusagen der teilnehmenden Staaten konkret, einsehbar und werden sie von den jeweiligen Ländern auch verfolgt? Wie sieht das Follow-up seitens der US-Regierung aus? Welche Möglichkeiten hat die Zivilgesellschaft, die Gipfel-Zusagen nachzuhalten und deren Umsetzung auch einzufordern?

Wie konkret sind die geplanten Maßnahmen überhaupt und sind sie mit längerfristigen Strukturen der Demokratie-Förderung oder gar konkreten Maßnahmen (inkl. deren Finanzierung) verzahnt?

Die US-Regierung selbst ist mit gutem Beispiel vorangegangen und hat konkrete finanzielle Zusagen zur Stärkung der demokratischen Widerstandsfähigkeit in den USA und weltweit, zur Stärkung freier und unabhängiger Medien und zur Förderung des politischen Engagements von Frauen und Mädchen gemacht.

Neben den konkreten Zusagen wird jedoch auch genau beobachtet werden, wie sich die US-Regierung während dieses Aktionsjahres im Ausland verhält und wie es mit wichtigen Partnern „mit Demokratie-Defiziten“, wie beispielsweise Indien, Brasilien oder den Philippinen umgeht. Die Augen der Welt werden auch auf den Zustand der Demokratie in den USA gerichtet sein: kann die Biden-Regierung glaubhaft vermitteln, gegen demokratische Rückschritte in den USA etwas zu unternehmen? Und werden die politischen Machtverhältnisse es zulassen, dem politischen Willen auch Taten folgen zu lassen?

Der Planungsstab des Demokratie-Gipfels wäre des Weiteren gut beraten, jeglichem Anschein einer „Zweispaltung der Welt“, wie sie im Vorfeld des Gipfels auch seitens China stark thematisiert wurde, entgegen zu halten. Gerade das „Freund-Feind-Schema“ einer Kalten-Krieg-Mentalität sollte vermieden werden.

 

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel

Hinsichtlich des zweiten Gipfels am Ende des Aktionsjahres bleibt das Dilemma der inhaltlichen Fragen, die bei so einem Gipfel besprochen werden können, bestehen: weltweite Herausforderungen wie Klimaschutz, Rüstungskontrolle oder Pandemie-Bekämpfung können nicht nur unter Demokratien verhandelt und angegangen werden – sie würden einen „Gipfel für die Demokratie“ aber auch inhaltlich überfrachten. Will man den Gipfel als „Gipfel für die Demokratie“ etablieren – und nicht als „Gipfel der Demokraten“ –, sollte man bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Folge-Gipfels den Fokus auf Kernthemen der Demokratieförderung legen und die großen globalen Herausforderungen in den entsprechenden Foren, in denen Demokratien und Nicht-Demokratien zusammenarbeiten, diskutieren.

Trotz zunehmender externer Einflussnahme zur Destabilisierung von Demokratien, sind Bestand, Erosion und die Konsolidierung demokratischer Systeme primär nationale Herausforderungen und somit vom politischen Willen der relevanten Akteure und Entscheidungsträger abhängig.

Entscheidend wird daher sein, dass mit den Selbstverpflichtungen der Staaten, nicht nur ein Benchmarking und Monitoring der Umsetzung während des Aktionsjahres einhergeht, in dem vor allem die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen kann und alle internationale Unterstützung dabei benötigen wird. Es müssen sich auch Konsequenzen für die Zusammensetzung der nächsten Einladungsliste ergeben, für einen Gipfel, der dann in persona stattfinden soll und damit nochmals eine andere Bedeutung erhalten wird.  

Im "year of action" sollten daher möglichst überprüfbare Selbstverpflichtungen zur Einhaltung konkreter demokratischer Kernstandards im Vordergrund stehen. Das Statement von den USA, Australien, Dänemark und Norwegen zur Erarbeitung gemeinsamer Leitlinien für die Exportkontrolle bei Technologien, die möglicherweise für schwere Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden könnten , ist ein Beispiel.

Der nächste Gipfel am Ende des „year of action“ könnte außerdem weniger regierungszentriert organisiert werden und weit mehr als bisher auch Oppositionsparteien einbinden. Genauso würde eine noch breitere Einbindung der weltweiten Zivilgesellschaft und ein ausdrücklicher Multi-Stakeholder-Ansatz, der Städte und Kommunen, Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft, Gewerkschaften und Interessensverbänden, aus der Philanthropie und viele andere mehr, ins Boot holt, die Glaubwürdigkeit des Gipfels stärken.

Dieser Gipfel – wenn auch nur online abgehalten – sollte ein Momentum für Demokratie schaffen. Das ist legitim und angesichts der demokratischen Rückschritte weltweit bitter nötig.

Dies beinhaltet allerdings auch, dass Akteure der Demokratieförderung sich auf allen Ebenen – strategisch-global bis hin zu operativ-lokal – weitaus stärker als bisher abstimmen und solche Foren des Austausches, wie den Demokratie-Gipfel, zumindest für die globale und regionale Ebene nutzen. Foren der like-minded, wie das Treffen der G7-Staaten, könnten darüber hinaus Themen eines Demokratie-Gipfels aufgreifen, sodass diese nicht isoliert für sich diskutiert werden, sondern durch die internationale Aufmerksamkeit und strategische Orientierung dieser Treffen erneut aufgewertet werden.

Deutschland könnte diesbezüglich im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft, die es Anfang kommendes Jahres übernimmt, gleich mit gutem Beispiel vorangehen.

Gleichzeitig sollten im Nachgang des Gipfels Schritte für eine bessere Koordination der Bemühungen gegen die Versuche autoritärer Länder unternommen werden, das Narrativ zu Demokratie und Menschenrechten in internationalen Organisationen, wie dem UN-Menschenrechtsrat in ihrem Sinne zu verändern.  

Die Kernfrage ist schlussendlich: Können die Demokratien die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger befriedigen, also „liefern“, und ihnen ein Leben in Frieden, Wohlstand und Freiheit sichern? Auf die Frage, wie diese sogenannte Output-Legitimität von Demokratien erhöht werden kann, gilt es, Antworten zu finden. Ob der Summit for Democracy dazu einen Beitrag leistet, bleibt abzuwarten.

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