Welthandelsorganisation – Offenes Rennen um Führungsposten
Nach dem überraschenden Rücktritt von WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo zum 31. August rückte die Nachfolgefrage in den Fokus. Bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 8. Juli reichten insgesamt acht Kandidaten, davon drei Frauen, ihre Bewerbung ein. Gleich drei Kandidaturen kommen aus Afrika: Ngozi Okonjo-Iweala (Nigeria), Amina Mohamed (Kenia) und Abdel-Hamid Mamdouh (Ägypten). Weitere Kandidaten sind: Jesus Seade Kuri (Mexiko), Yoo Myung-hee (Rep. Korea), Tudor Ulianovschi (Moldau), Mohamed Maziad Al-Tuwaijri (Saudi-Arabien) und Liam Fox (Vereinigtes Königreich).
Die Entscheidung über die Kandidatur muss im Konsens fallen. Von Experten ist der Leitsatz zu vernehmen, dass ein Kandidat gleichzeitig für die USA, die EU und China akzeptabel sein müsse, und von Indien nicht blockiert werden dürfe – eine hohe Hürde. Entsprechend spielen bei der Kandidatenwahl neben der fachlichen Qualifikation, dem politischen Gewicht auch geographische Überlegungen eine erhebliche Rolle: Einige Länder forderten nach dem Brasilianer Azevedo einen Kandidaten aus einem Industrieland. Hingegen argumentierte nicht nur die afrikanische Gruppe, dass es Zeit für den ersten afrikanischen Generaldirektor der WTO sei. Wieder andere Stimmen fordern, es sei Zeit für die erstmalige Wahl einer Frau.
Auffällig: Aus der EU wird kein Kandidat ins Rennen geschickt, obwohl die Namen mehrerer hochrangiger Frauen und Männer im Gespräch waren. Auch der irische EU-Handelskommissars Phil Hogan (EVP), hatte durchaus sein Interesse an dem Posten durchblicken lassen. Als in Genf bereits mit der Kandidatur gerechnet wurde, erklärte Hogan jedoch seinen Verzicht. Eines ist sicher: Er wäre der wohl aussichtsreichste europäische Kandidat und auch im engeren Favoritenkreis gewesen. Seine Wahl wäre jedoch sowohl angesichts der ebenfalls starken Konkurrenz als auch aufgrund geopolitischer Überlegungen kein Selbstläufer. Zudem droht eine Hängepartie. Eine Einigung ist frühestens im Spätherbst oder gar zu Jahresbeginn 2021 zu erwarten. Auch ohne „eigenen“ Kandidaten ist davon auszugehen, dass sich am Ende des Auswahlprozesses die EU geschlossen hinter einen Kandidaten stellen wird. Aus nicht wenigen europäischen Hauptstädten war zu vernehmen, dass weniger die Herkunft des Kandidaten, sondern vor allem seine Vision für eine Reform der WTO von Bedeutung sei. Einige Beobachter gehen davon aus, dass sich viele EU-Länder mit einem afrikanischen Kandidaten anfreunden könnten.
Das Rennen für die Position scheint völlig offen: Zu den leichten Favoriten werden Amina Mohamed und von vielen auch Ngozi Okonjo-Iwaela gezählt. Beide, insbesondere die vormalige Weltbankdirektorin Okonjo-Iwaela, sind politische Schwergewichte. Ein wichtiges Kriterium: Die künftige WTO-Spitze muss auf Augenhöhe mit den wichtigsten Staats- und Regierungschefs verhandeln können. Als Minus wird der lange favorisierten nigerianischen Kandidatin allerdings ihre fehlende Handelsexpertise ausgelegt. Hingegen hat Amina Mohamed als Außenministerin der WTO-Ministerkonferenz 2015 in Nairobi vorgesessen. Beide werden aber mit dem Hindernis zu kämpfen haben, dass aus der afrikanischen Gruppe gleich drei Kandidaten ins Rennen gehen. Nicht weit dahinter wird Yoo Myung-Hee gehandelt. Es folgen Mamdouh und Seade Kuri, die beide als exzellente Fachleute und interne Kenner der WTO angesehen werden. Demgegenüber wird der vergleichsweise wenig erfahrene Uliano-vschi als Außenseiter angesehen. Geringere Chancen werden auch al-Tuwajri und dem britischen Kandidaten Liam Fox eingeräumt. Letzterer erfreut sich zwar des demonstrativen Wohlwollens Washingtons, genau dies könnte aber zur Ablehnung u.a. durch China führen. Auch in der EU wird sich die Begeisterung über den Brexit-Hardliner Fox in Grenzen halten.
Die hohe Zahl der Kandidaten, aber auch die schnelle Parteinahme der USA für Fox könnte den Auswahlprozess verzögern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die WTO-Leitung künftig in den Händen einer Frau (aus Afrika) liegen wird. Jedoch kann die Kandidatenkür zu einem Abnutzungskampf werden, aus dem letztlich ein Kompromisskandidat hervorgehen könnte.
Bis zum 7. September haben die Kandidaten nun Zeit, bei den WTO-Mitgliedstaaten für sich zu werben. Den Auftakt bildeten einzelne Pressekonferenzen mit den Kandidaten vom 15.-17. Juli. Danach wird ein dreiköpfiges Gremium unter dem Vorsitz des neuseeländischen Botschafters David Walker (Vorsitzender des Allgemeinen Rats der WTO) Konsultationen mit den Mitgliedstaaten führen, um den aussichtsreichsten Kandidaten zu eruieren. Diese Phase soll maximal zwei Monate dauern und würde also am 7. November enden. Einige Beobachter gehen allerdings von einem längeren Prozess aus. Für die Zeit nach dem Rücktritt Azevedos kann der Allgemeine Rat der WTO einen der vier stellvertretenden Generaldirektoren zum Interimschef ernennen. Der Deut-sche Karl Brauner hätte hier wohl die besten Chancen.
Das Kandidatenfeld ist insgesamt gut besetzt – sechs der acht Kandidaten waren zuvor Minister, die beiden weiteren Kandidaten gelten als exzellente Kenner der Materie. Entsprechend hart dürfte der Konkurrenzkampf ausfallen. Die Erwartungen sind hoch: Die Kandidaten müssen bei der Vorstellungsrunde ein glaubhaftes Konzept für die Reform der WTO darlegen. Des Weiteren muss die Nachfolge Azevedos das Streitschlichtungssystem reformieren und gordische Knoten bei schwierigen Verhandlungsdossiers zerschlagen – insgesamt eine wahre Herkulesaufgabe. Viele Beobachter warnen, dass in den nächsten Jahren die Zukunft der WTO auf dem Spiel stehe.
Neben der Personaldebatte kommt langsam auch in Verhandlungsdossiers Bewegung: Am 25. Juni legte der Leiter der Fischereiarbeitsgruppe, der kolumbianische WTO-Botschafter Santiago Wills, einen ersten Verhandlungstext vor. Die Zielvorgabe war ursprünglich eine Einigung noch im Jahr 2020 in diesem für die Nachhaltigkeitsagenda (Agenda 2030) entscheidenden Dossier.
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