Botschafter Christian Strohal, ehem. Sonderbeauftragter des österreichischen OSZE-Vorsitzes, ehem. Direktor des ODIHR, sowie Botschafterin Gesa Bräutigam, Leiterin der Ständigen Vertretung der Bundesrepubik Deutschland bei der OSZE, diskutierten unter der Moderation von Stephanie Liechtenstein, freie Journalistin, die Hoffnungen und Realitäten, die damals mit der Pariser Charta einhergingen. Haben die Prinizipien aus der Charta heutzutage Geltung? Die Charta bildet weiterhin eine wichtige Handlungsgrundlage. Beide Redner erinnerten an die damalige Zeit des Aufbruches, auf die Hoffnung auf ein friedliches Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Die schon unmittelbar danach ausbrechenden blutigen Konflikte und der mit Gewalt verbundene Zerfall des ehemaligen Jugoslawien zeigten allerdings, dass ein friedliches Europa nicht garantiert ist. Als Konsequenz wurde die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) vor 25 Jahren zur OSZE institutionalisiert. Damit war ein permanenter Dialog unter den teilnehmenden Staaten sichergestellt.
Es wurde daran erinnert, dass es von Anfang an unterschiedliche Vorstellungen der teilnehmenden Staaten, einschließlich der beiden Großmächte, zur Sicherheitsarchitektur in Europa gab; und damit auch eine unterschiedliche Auffassung zur Rolle der OSZE. Die sicherheitspolitische Lage hat sich seit der Verabschiedung der Pariser Charta verändert. Alte Konflikte bestehen weiter, neue Konflikte in Europa sind hinzugekommen. Dazu wurde die Frage diskutiert, wie viel Handlungsmöglichkeiten internationale Organisationen zur Konfliktlösung haben. Die beiden Botschafter verwiesen darauf, dass man die OSZE als unvollkommen ansehen kann, doch als größte regionale Sicherheitsorganisation, die eine Region von Vancouver bis nach Wladiwostok einschließt, ist sie unersetzlich. Die OSZE übernimmt beispielsweise mit der Special Monitoring Mission in der Ukraine seit 2014 eine sehr wichtige Aufgabe zur Befriedung dieses Konflikts. Keine andere Organisation könnte das leisten. Des Weiteren veröffentlichte die OSZE Anfang November 2020 einen Bericht zu möglichen Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Präsidentschaftswahlen in Weißrussland, der Handlungsempfehlungen enthält. Die OSZE ist eine Organisation, deren Arbeit in der Öffentlichkeit oftmals unbekannt ist. So werden beispielsweise im Border Management Staff College in Zentralasien Grenzbeamte ausgebildet, in das auch Afghanistan einbezogen ist.
Was sich immer wieder zeigt, ist ein tiefes Mißtrauen und ein unzureichender Dialog unter den teilnehmenden Staaten, insbesondere im wöchentlich stattfindenen Ständigen Rat. Wie in jeder multilateralen Organisation spiegeln sich in diesem Mißtrauen die Beziehungen der teilnehmenden Staaten untereinander wider. Viele Aufgaben warten auf die OSZE, sei es die Neubesetzung der vier OSZE-Spitzenpositionen, die durch das Konsensprinzip der Zustimmung aller 57 teilnehmenden Staaten ernannt werden, einschließlich der Stelle des Generalsekretärs, oder die Neuausrichtung der Struktur der Rüstungskontrolle.
Läßt sich eine konstruktive Stimmung wiederherstellen, wie sie zum Zeitpunkt der Pariser Charta herrschte? Die OSZE ist eine Organisation vieler, kleiner Schritte. Veränderungen passieren nicht über Nacht. Die Zukunft wird zeigen, ob im Jahr 2025 ein OSZE-Gipfel zu einer realistischen Bestandsaufnahme möglich ist, darüber, was in den 50 Jahren nach der Schlussakte von Helsinki erreicht wurde.