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Länderberichte

Eine neue Dynamik in den Beziehungen zwischen Zentralasien und der EU

von Dr. Olaf Wientzek, Igor Bryzhatyi, André Algermißen

Samarkand Summit

Das erste gemeinsame Gipfeltreffen der neuen EU-Spitze mit den Staatschefs von fünf zentralasiatischen Ländern am 3. und 4. April in Samarkand (Usbekistan) war ein politisches Signal für den Ausbau der Beziehungen beider Seiten. Das hochrangige Treffen war der vorläufige Höhepunkt der verstärkten Bemühungen der EU um die Region in den letzten Jahren und Monaten. Die gemeinsame Erklärung ist ein Beispiel für den pragmatischeren und (an wirtschaftlichen) interessenorientierten Ansatz der EU in ihrer Partnerschaftspolitik seit dem Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission Ende 2024.

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Hintergrund

Die EU verabschiedete ihre erste Strategie für Zentralasien im Jahr 2007 unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft[1]. Nach einer detaillierteren Aktualisierung der Strategie im Jahr 2019[2] wurden die Bemühungen der EU für die Region intensiviert, was in einer gemeinsamen Roadmap im Jahr 2023 gipfelte[3]. Während China der größte einzelne Handelspartner ist, fungiert die EU als der größte ausländische Investor in Zentralasien[4]. In den letzten sieben Jahren hat sich der Handelsumsatz zwischen den zentralasiatischen Ländern und der EU vervierfacht und ist auf 54 Milliarden Euro gestiegen. Während ein Teil des Anstiegs, insbesondere zwischen 2022 und 2023, vermutlich auf die Umgehung der EU-Sanktionen gegen Russland zurückzuführen ist, zeigt das stetige Wachstum des Handels zwischen Kasachstan, Usbekistan und der EU bereits vor 2023 eine echte Dynamik. Auch die bilateralen Beziehungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Zentralasien haben sich intensiviert. Auf dem von der EU und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) organisierten Investorenforum Global Gateway im Januar 2024 wurden mehr als 10 Milliarden Euro aufgebracht, um nachhaltige Verkehrsverbindungen zu fördern, die regionale Integration und wirtschaftliche Entwicklung zu stärken und den Containerverkehr zwischen beiden Regionen erheblich zu steigern. Darüber hinaus besuchten in den vergangenen zwei Jahren mehrere Staats- und Regierungschefs aus der EU Zentralasien, unter anderem aus Deutschland und Frankreich. Auch das Engagement für die Zivilgesellschaft hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im Januar 2025 fand in Almaty das fünfte zivilgesellschaftliche EU-Zentralasien-Forum statt, auf dem die Zivilgesellschaft und die Regierungen der Region Ideen zur Förderung der EU-Zentralasien-Strategie und der Prioritäten des Global Gateway einbrachten. Das Gipfeltreffen am 3. und 4. April in Samarkand war der Höhepunkt dieser Bemühungen, die Beziehungen zur Region auf eine höhere Ebene zu heben.

Insgesamt unterscheidet sich das Level der Beziehungen der EU zu den fünf einzelnen Ländern erheblich. Die Beziehungen zwischen der EU und Kasachstan begannen unmittelbar nach der Unabhängigkeit und gipfelten in einem vertieften Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (EPCA), das 2020 in Kraft trat. Das EPCA hat den Handel des Landes mit der EU, die der größte Handelspartner Kasachstans (28 % im Jahr 2023) und auch der erste ausländische Investor ist, erheblich gefördert. Im Jahr 2022 unterzeichneten die EU und Kasachstan außerdem eine Absichtserklärung über strategische Partnerschaften für nachhaltige Rohstoffe, Batterien und erneuerbare Wasserstoff-Wertschöpfungsketten.

Nach einer schwierigen Zeit in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre haben die Beziehungen zwischen der EU und Usbekistan unter Präsident Shavkat Mirziyoyev mit dem Beginn der Verhandlungen über ein EPCA im Jahr 2018 an Dynamik gewonnen. Die wirtschaftlichen Beziehungen haben sich seitdem verstärkt (mit 16 % der usbekischen Einfuhren und etwa 5 % der Ausfuhren im Jahr 2023): Im Jahr 2024 stieg der Handelsumsatz Usbekistans im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 %. Mehr als 1000 Unternehmen mit europäischem Kapital sind inzwischen in Usbekistan tätig, und das Gesamtvolumen der Investitionsprojekte beläuft sich auf 30 Milliarden Euro. Im Jahr 2024 hat die EU ebenfalls eine Absichtserklärung über Rohstoffe unterzeichnet.

Mit Kirgisistan hat die EU seit 1999 ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) geschlossen, und 2024 wurde von beiden Seiten ein EPCA unterzeichnet. Im Vergleich zu anderen zentralasiatischen Republiken lag der Schwerpunkt des Engagements der EU in Kirgisistan - das lange Zeit als demokratischer Vorreiter in der Region galt - stärker auf der Förderung der Rechtsstaatlichkeit (einschließlich eines Programms, das sich auf die Qualität der Gesetzgebung und die Förderung von Jugend, Gleichstellung der Geschlechter und Menschenrechten konzentriert). Insgesamt ist die EU der fünftgrößte Handelspartner Kirgisistans und genießt seit 2016 für 2/3 seiner Produkte im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems (GSP)+- zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Markt.

Tadschikistan unterhält seit 2010 ein PKA mit der EU, profitiert von GSP und hat die Verhandlungen über ein EPCA im Jahr 2024 abgeschlossen.

Die Beziehungen zu Turkmenistan haben sich erst vor kurzem auf der Grundlage eines Interimshandelsabkommens aus dem Jahr 2010 entwickelt. Die EU-Delegation in Turkmenistan wurde vor sechs Jahren eröffnet. Das Europäische Parlament hat sich bisher geweigert, das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu ratifizieren, weil es Bedenken hinsichtlich der Menschenrechtslage im Lande hat.

 

Vorarbeiten und Erwartungen vor dem Gipfel

In den Wochen und Monaten vor dem Gipfel hatte die EU auf verschiedene Weise signalisiert, dass sie stark an einem erfolgreichen Treffen interessiert ist - mit sehr konkreten Ergebnissen. Während eines sechstägigen Besuchs in der Region (13.-18. März) unterzeichnete der kürzlich ernannte EU-Kommissar für internationale Partnerschaften Jozef Sikela eine Reihe von Vereinbarungen im Rahmen der EU-Initiative Global Gateway zur Förderung gemeinsamer Infrastrukturprojekte in der Region[5]. Die neue EU-Aussenbeauftragte und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Kaja Kallas hat die Region im Rahmen des 20. gemeinsamen Ministertreffens am 27. März in Aschgabat ebenfalls bereist. Die EU ist fest entschlossen, die Zusammenarbeit in den Bereichen Infrastruktur und Konnektivität zu verstärken und den transkaspischen Verkehrskorridor auszubauen, der China über Zentralasien und den Kaukasus mit der EU verbindet, aber auch Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu erhalten. Diese Ziele decken sich in hohem Maße mit der allgemeinen Ausrichtung der EU auf einen pragmatischeren und interessengeleiteten Ansatz gegenüber ihren globalen Partnern, was sich auch in der starken Betonung von Global Gateway als Schlüsselinstrument zur Gestaltung ihrer weltweiten Partnerschaften widerspiegelt. Die Teilnahme der fünf Staatsoberhäupter aus den zentralasiatischen Ländern, der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und des EU-Ratspräsidenten Antonio Costa kann ebenfalls als klares politisches Zeichen für den Wunsch nach einer Aufwertung der Beziehungen interpretiert werden.

Auf zentralasiatischer Seite bestand die klare Bereitschaft, insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan zu verstärken, vor allem durch die Unterzeichnung oder Ratifizierung von vertieften Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (EPCAs), aber auch durch die Ausweitung der Zusammenarbeit auf neue Bereiche wie die digitale Konnektivität und den verstärkten Technologietransfer. In einem Interview betonte auch der gastgebende usbekische Präsident Shavkat Mirziyoyev sein Interesse an einem konsequenten Ausbau der Handels- und Investitionsbeziehungen mit der EU. Andererseits ist man in Zentralasien besorgt, durch eine Verschlechterung der Beziehungen der EU nicht nur zu Russland, sondern auch zu China in Bedrängnis zu geraten. Nach Ansicht der zentralasiatischen Länder würden angespannte Beziehungen zwischen der EU und China ernsthafte Risiken für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den zentralasiatischen Ländern und China mit sich bringen und könnten sich folglich negativ auf ihre Volkswirtschaften auswirken. Außerdem sind mehrere Unternehmen aus diesen Ländern bereits von Sanktionen der EU und der USA betroffen. Die zentralasiatischen Länder mussten zudem europäische Forderungen nach einem stärkeren Engagement gegen die Umgehung der EU-Sanktionen gegen Russland erwarten. Während die Global-Gateway-Initiative der EU in den zentralasiatischen Ländern auf großes Interesse stößt, insbesondere als potenzielle Alternative zu chinesischen und russischen Investitionen, ist das Verständnis der nationalen Akteure für die Funktionsweise des Global Gateway mit Blick auf die Ziele und die praktische Umsetzung begrenzt; selbst EU-Vertreter hatten anfangs mitunter Schwierigkeiten, die Initiative zu erklären. Dies wurde auch auf dem 5. Forum der Zivilgesellschaft EU-Zentralasien im Januar 2025 in Almaty zum Ausdruck gebracht[6]. In Kirgisistan wurden kürzlich ähnliche Bedenken von Ministerien und Institutionen geäußert, die einen Mangel an Informationen über den Umfang, das Budget und die Zugangsmodalitäten des Global Gateway anführen. Nichtsdestotrotz besteht ein beachtliches Interesse an Schlüsselbereichen der Global-Gateway-Initiative wie Verkehr und Logistik, digitaler Wandel, grüne Energie, Klimaresilienz und Entwicklung des Humankapitals - einschließlich Bildung, Mobilität und Unternehmertum. Interessenvertreter aus der Zivilgesellschaft und der Regierung haben jedoch auch betont, dass der Global Gateway greifbare Ergebnisse vor Ort liefern muss. Sie sind besonders an Programmen interessiert, die sich auf Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Demokratisierung konzentrieren. In allen zentralasiatischen Staaten besteht ein deutlicher Bedarf an EU-Expertise bei der Entwicklung von Rechtsrahmen sowie an Zusammenarbeit in den Bereichen Umwelt, Klimaanpassung, Frieden und Mediation.

 

Die Ergebnisse: starkes politisches Signal und Fokus auf Wirtschaft

Die Präsenz der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und des Präsidenten des Europäischen Rates Antonio Costa sowie das Gipfeldokument insgesamt senden ein starkes politisches Signal: Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, „die Beziehungen zwischen der EU und Zentralasien zu einer strategischen Partnerschaft auszubauen”.[7] Costa betonte, dass das Gipfeltreffen „den Beginn einer neuen Dimension“ der Beziehungen markiere und „keine einmalige Sache“ sei, und bezeichnete die EU als „berechenbaren und zuverlässigen“ Partner. Die Erklärung selbst deckt mehrere Schlüsselbereiche ab und nennt im Anhang eine Reihe konkreter Vereinbarungen.

Der Schwerpunkt und die konkretesten Vorschläge der Erklärung liegen eindeutig im ökonomischen Bereich: Kommissionspräsidentin von der Leyen kündigte die Mobilisierung von 12 Milliarden Euro durch die EU und ihre Mitgliedstaaten im Rahmen des Global Gateway an, das sich auf die Bereiche Infrastruktur, Verkehr, Klimawandel, Wasser und Energie sowie Rohstoffe und die Verbesserung der digitalen Konnektivität konzentriert. Ein wichtiges Signal war das klare Bekenntnis zur Unterzeichnung des EPCA mit Usbekistan im Jahr 2025 und des EPCA mit Tadschikistan im Jahr 2026. Die EU wird auch weiterhin die Bemühungen um den WTO-Beitritt Usbekistans und Turkmenistans unterstützen. Ein weiteres Investorenforum (Trans-Caspian Transport Corridor Investors Forum) wird 2025 in Usbekistan stattfinden und sich auf kritische Rohstoffe, Bergbau und Energie konzentrieren.[8] Beide Seiten begrüßten auch die künftig verstärkte Präsenz der Europäischen Investitionsbank (EIB) in der Region. Experten erwarten eine Zunahme von Joint-Company-Ventures, die Bergbau- und Produktionsunternehmen aus der EU nach Zentralasien bringen. Die Teilnehmer vereinbarten eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Rohstoffe. Kommissionspräsidentin von der Leyen betonte, dass die EU im Vergleich zu Russland und China einen anderen Ansatz verfolge, um die lokale Industrie zu fördern. Die EU plant, den Bergbau und die verarbeitende Industrie vor Ort zu unterstützen und dadurch einen Mehrwert in der zentralasiatischen Region zu schaffen.[9]

Neben wirtschaftlichen Fragen vereinbarten beide Seiten, die Sicherheitszusammenarbeit gegen Terrorismus, Extremismus, Cybersicherheit und hybride Bedrohungen zu verstärken, um Drogen- und Menschenhandel, aber auch Desinformation (!) zu bekämpfen und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, u.a. durch die Europäische Friedensfazilität, zu eruieren.

Bemerkenswerterweise wird in der Erklärung ein starkes Engagement beider Seiten für den Multilateralismus erwähnt, wobei mehrere Initiativen erwähnt werden, die von zentralasiatischen Ländern in den letzten Jahren vorangetrieben wurden. Trotz des oft unterschiedlichen Abstimmungsverhaltens in der UN-Generalversammlung oder im UN-Menschenrechtsrat stellte Ratspräsident Costa fest, dass die Partner die gleiche Vision bei der Unterstützung der „multilateralen, auf Regeln basierenden internationalen Ordnung“ hätten  Die Erklärung enthält in der Tat eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit für Frieden, Sicherheit und Demokratie sowie die „Grundprinzipien der Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität aller Staaten“.

Ein potenziell strittiges Thema in diesem Zusammenhang war die Frage der Ukraine: das galt insbesondere für die Kritik an den zentralasiatischen Ländern, als Plattform für die Umgehung der EU-Sanktionen gegenüber Russland zu fungieren. Obwohl sich die Zusammenarbeit in letzter Zeit angeblich verbessert hat, blieb dies im Vorfeld des Treffens ein möglicherweise heikles Diskussionsthema. Beide Seiten riefen schließlich „zu einem gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine im Einklang mit den Grundsätzen der UN-Charta“ auf und erklärten sich bereit, die Umgehung der europäischen Sanktionen gegen Russland zu begrenzen.

Die Zusammenarbeit in den Bereichen Klima und Wasser wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen; beide Seiten bekannten sich zum Pariser Abkommen, die zentralasiatischen Länder verpflichten sich, die Methanemissionen zu reduzieren. Im Bereich Wasser wird die EU die Partnerschaft „zur Verbesserung der Situation des Aralsees“ fortsetzen und weiterhin Projekte zur Klimaanpassung und Energiewende wie den (umstrittenen) Rogun-Damm in Tadschikistan und den Kambarate-Damm in Kirgisistan unterstützen. Am Rande des Gipfels erklärte die EBWE auch ihre Unterstützung für die erste grüne Wasserstoffanlage in der Region.

Während der gemeinsame Text die „Förderung und den Schutz der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten“ als gemeinsame Grundwerte erklärt und eine Reihe von Rechten aufzählt, bleiben die Erklärungen recht allgemein, was die konkrete Umsetzung dieser Werte in der Region angeht: Die EU erklärte lediglich ihre Bereitschaft, „Bemühungen“ zur Förderung dieser Grundsätze zu unterstützen. Beide Seiten verweisen auf das zivilgesellschaftliche Forum EU-Zentralasien und begrüßen das bevorstehende Forum für weibliche Führungskräfte.

 

Analyse und Ausblick

Der erste Zentralasien-Gipfel hat erfolgreich das beabsichtigte starke politische Signal gesetzt. Ihm werden nun wahrscheinlich mehrere Investitionsforen, Wirtschafts- und Infrastrukturabkommen sowie der Abschluss von EPCAs mit Usbekistan und Tadschikistan folgen. Die Abkommen dürften den Handelsanteil der EU erhöhen und könnten sie im Falle Usbekistans sogar zum ersten Handelspartner machen.  Fortschritte sind auch bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Rohstoffe und digitale Konnektivität zu erwarten.  Auch wenn die EU mit dem Global Gateway vielleicht nicht das Niveau des chinesisch BRI erreichen kann, werden ihre wahrgenommene Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und die hohen Standards, die mit EU-Investitionen einhergehen, von den zentralasiatischen Partnern als großer Vorteil angesehen. Der pragmatischere Ansatz der EU und der starke Fokus auf Infrastruktur, Konnektivität, Rohstoffe und wirtschaftliche Zusammenarbeit entspricht den Erwartungen der zentralasiatischen Partner und wird wahrscheinlich zu engeren Beziehungen führen.

Nichtsdestotrotz wird Erwartungsmanagement wichtig sein: Während die EU ihr Engagement wirksam verstärkt hat, sollte sie darauf achten, nicht zu viele verschiedene schwerwiegende (Infrastruktur-)Projekte auf einmal zu starten oder zu unterstützen und damit ihre mögliche Wirkung zu verwässern. Zu viel zu versprechen und zu wenig zu liefern bleibt daher ein Risiko für die Beziehungen - auch wenn die Reise von Kommissar Sikela nur wenige Wochen vor dem Gipfel ein Nachweis für die Entschlossenheit der EU war, mehr als nur schön formulierte Erklärungen mitzubringen.

Trotz der verstärkten Präsenz der EU wird sie weiterhin nur einer von mehreren Partnern für die zentralasiatischen Länder sein. Insbesondere China wird unverändert eine sehr wichtige Rolle spielen, und Russland wird wohl ein wichtiger Sicherheitspartner für mehrere zentralasiatische Länder bleiben. Alle zentralasiatischen Länder sind Mitglieder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ/SCO) und drei von ihnen der von Russland geführten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS/CSTO).  Was das Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen und im UN-Menschenrechtsrat betrifft, so stehen die zentralasiatischen Staaten (wenn auch in unterschiedlichem Maße) China immer noch näher als der EU oder Deutschland; entweder vermeiden sie es, Russland in multilateralen Vereinbarungen zu kritisieren, oder sie unterstützen in einigen Fällen sogar Moskaus Positionen.[10] Die EU sollte daher keine überzogenen Erwartungen in Bezug auf die geostrategische Dividende des Gipfels hegen. In geopolitischer Hinsicht behält Russland seinen dominanten politischen und militärischen Einfluss, insbesondere über die Arbeitsmärkte, den Medienraum und die physischen Militärstützpunkte in Tadschikistan, Kirgisistan und Kasachstan. In Kirgisistan spiegelt sich der russische Einfluss zunehmend in der politischen Sphäre wider, insbesondere durch die Verabschiedung restriktiver Gesetze, die auf unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft abzielen, wie z. B. das Gesetz über „ausländische Agenten“. Dieser Trend spiegelt eine breitere Nachahmung des russischen Regierungsmodells wider und trägt dazu bei, dass der Raum für bürgerliche Freiheiten immer kleiner wird. Chinas groß angelegte Infrastrukturinvestitionen, die häufig ohne Governance-Bedingungen erfolgen, stehen im Gegensatz zum Ansatz der EU. Während der Ansatz der EU von Teilen der Bevölkerung geschätzt wird, kann er von staatlichen Akteuren als anspruchsvoller empfunden werden. Die wirtschaftliche Asymmetrie ist eklatant: Die Finanzierung durch Chinas Belt and Road Initiative übersteigt die der EU-Instrumente oft bei weitem. Der Erfolg der Global-Gateway-Initiative der EU wird daher davon abhängen, ob sichtbare, konkrete Ergebnisse vor Ort erzielt werden.

Die Rahmenbedingungen für Unternehmen in der zentralasiatischen Region sind ebenfalls ausbaufähig, wobei Rechtsunsicherheit und selektive Durchsetzung von Vorschriften zumindest in einigen zentralasiatischen Ländern weiterhin Hindernisse darstellen. Selbst etablierte Unternehmen können vor Herausforderungen stehen, insbesondere in strategischen oder rohstoffreichen Sektoren wie Bergbau, Energie und Infrastruktur.

Auch kulturell hat die EU im Vergleich zu Russland, der Türkei und sogar Indien weniger Einfluss, vor allem außerhalb der Hauptstädte. Diese Akteure haben gemeinsame linguistische, religiöse oder historische Bindungen genutzt, um ein tieferes gesellschaftliches Engagement aufzubauen. Die EU wird zwar mit Qualität und Standards assoziiert, aber ihre Botschaften und ihre Sichtbarkeit bleiben begrenzt.

Darüber hinaus erschweren periodische soziale Unruhen, ungelöste Grenzstreitigkeiten und Herausforderungen in den Bereichen Menschenrechte und politische Freiheit die Bemühungen der EU um ein nachhaltiges, langfristiges Engagement. Die EU wird jedoch weiterhin, insbesondere in Kirgisistan, Usbekistan und Kasachstan, als zuverlässiger, wohlwollender und langfristiger Partner wahrgenommen. Obwohl die Zivilgesellschaft erwartungsgemäß der wichtigste Verbündete der EU bei der Förderung ihrer Grundwerte in der Region bleibt, spielten Bedenken über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte bei dem Treffen eine untergeordnete Rolle. Die EU bekräftigte ihr Engagement für das zivilgesellschaftliche Forum EU-Zentralasien als Plattform: Obwohl dieses in den letzten Jahren nur begrenzten Erfolg bei der Bewältigung zentraler Herausforderungen hatte (schrumpfender Raum für die Zivilgesellschaft, Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit), signalisiert es dennoch das Interesse der EU an einer weiteren Unterstützung der Zivilgesellschaft. Die EU hat auch etwas zu bieten, wenn es um die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und integrativen Gesellschaften geht - wichtige Voraussetzungen für dauerhaften Wohlstand und Sicherheit.

Der EU-Zentralasien-Gipfel war ein historischer Meilenstein sowohl für die EU als auch für Zentralasien. Dies ist vor allem im aktuellen geopolitischen Kontext von Bedeutung, in dem es für die zentralasiatischen Länder immer schwieriger wird, sich gegen den wachsenden Einfluss Chinas, Russlands, Indiens und der Türkei zu behaupten, während die EU versucht, neue Wirtschaftspartnerschaften aufzubauen und in neue Märkte zu expandieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Der Erfolg des Gipfels wird von der Umsetzung der Projekte vor Ort abhängen. Messbare Ergebnisse von gemeinsamen Unternehmungen, Infrastrukturprojekten, Wirtschaftspartnerschaften und ein auf Rechtsstaatlichkeit basierendes Umfeld werden entscheidend sein.

 


 

[1]Rat der EU (2007): The EU and Central Asia: Strategy for a new partnership.

[2]Rat der EU (2019): New EU strategy on Central Asia.

[3]Rat der EU (2023): Joint Roadmap on deepening ties between the EU and Central Asia

[4]https://www.consilium.europa.eu/en/infographics/eu-central-asia-trade/#:~:text=The%20European%20Union%20remains%20the,(over%20%E2%82%AC100%20billion).

[5]Bulletin Quotidien Europe 15 March 2025: Global Gateway, Jozef Síkela begins visit to region to strengthen cooperation and connectivity

[6]https://www.eeas.europa.eu/delegations/kazakhstan/5th-eu-central-asia-civil-society-forum-kicks-almaty-kazakhstan_en

[7]Die Gipfelerklärung ist hier nachzulesen: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-7745-2025-REV-1/en/pdf

[8]https://x.com/SamuelJsdv/status/1908141376367137176

[9]Siehe das Pressegespräch mit Kommissionspräsidentin von der Leyen im Nachgang des Gipfels

[10]Beispiele für das Abstimmungsverhalten finden sich hier, hier und hier.

 

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Dr. Olaf Wientzek

Olaf Wientzek bild

Leiter des Multinationalen Entwicklungsdialogs Brüssel

olaf.wientzek@kas.de +32 2 669 31 70

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