Hybride Bedrohungen gegen Finnland: Kabelschäden in der Ostsee
Die jüngste Beschädigung eines finnisch-estnischen Stromkabels am ersten Weihnachtstag 2024 durch ein Schiff der russischen Schattenflotte führt Europa erneut die Verwundbarkeit seiner kritischen Unterwasserinfrastruktur vor Augen. Als Reaktion darauf wurde auf dem NATO-Gipfel der Ostseeanrainerstaaten im Januar 2025 eine neue NATO-Mission zur Bekämpfung solcher Sabotageakte beschlossen. Kurz darauf debattierte das Europäische Parlament über ein Vorgehen gegen Unterwasser-Sabotage durch die russische Schattenflotte. Für Finnland reiht sich der jüngste Schaden in eine immer längere Liste von Sabotageakten gegen Unterseekabel ein, z.B. 2023 gegen die Balticonnector-Pipeline und rückt somit hybride Bedrohungen erneut ins politische Rampenlicht. Auch die finnischen Bürger sind alarmiert: Der kürzlich vom Innenministerium herausgegebene Leitfaden zur Krisenvorsorge hat innerhalb kürzester Zeit eine halbe Million Menschen erreicht. Zivilschutz und psychologische Widerstandsfähigkeit bilden das Rückgrat des ganzheitlichen finnischen Sicherheitskonzepts (Comprehensive Security).
Die vorliegende Zusammenschau beleuchtet das Phänomen hybrider Bedrohungen am Beispiel der jüngsten Serie von Kabelschäden in der Ostsee. Die Beschädigung des finnisch-estnischen Kabels am ersten Weihnachtstag 2024 durch ein Schiff der russischen Schattenflotte dient als Fallstudie. Zudem wird Finnlands ganzheitliches Sicherheitskonzept zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen erläutert und aufgezeigt, welche bewährten Maßnahmen Deutschland und den europäischen Ländern als Anregung dienen können.
Merkmale hybrider Bedrohungen
Das Konzept der hybriden Bedrohungen ist nicht eindeutig definiert und steht in engem Zusammenhang mit hybrider Kriegsführung oder hybriden Operationen, was zu Begriffsverwirrung führt. Die Europäische Kommission definiert hybride Bedrohungen als „ein breites Spektrum von Methoden oder Aktivitäten, die von einem feindlichen Staat oder nichtstaatlichen Akteuren in koordinierter Weise eingesetzt werden, um die Schwachstellen demokratischer Staaten und Institutionen anzugreifen, die jedoch unterhalb der Schwelle einer offiziellen Kriegshandlung bleiben“.
Seit der russischen Invasion in die Ostukraine im Jahr 2014 haben die NATO, die EU und die westlichen Staaten die Gefahr hybrider Bedrohungen erkannt. Solche Operationen haben sich in den letzten zehn Jahren intensiviert und werden voraussichtlich an Intensität und Schwere zunehmen. Die Untersuchung hybrider Operationen gestaltet sich schwierig, da die Aktivitäten im Allgemeinen darauf abzielen, den Absender zu verschleiern. Hybride Bedrohungen nutzen gezielt Schwachstellen des Adressaten aus, und finden in der Grauzone zwischen Krieg und Frieden statt. Hybride Akteure laufen daher keine Gefahr, die kollektive Verteidigung der NATO (Artikel 5) auszulösen. Dies macht es für die betroffenen Länder schwierig, angemessene Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Unterseekabel in der Ostsee als Ziel hybrider Bedrohungen
Finnland und ganz Europa ist in hohem Maße von seiner Unterseekabel-Infrastruktur abhängig. Die jüngste Reihe von Kabelschäden in der Ostsee seit der russischen Invasion in die Ukraine hat die Verwundbarkeit dieser kritischen Infrastruktur in den europäischen Fokus gerückt. Jüngste NATO-Berichte warnen vor zunehmenden verdächtigen russischen Aktivitäten im Umfeld dieser Kabel, insbesondere vor der Ausspähung des exakten Kabelverlaufes.
Unterseekabel sind bevorzugte Ziele für hybride Bedrohungen durch feindliche Akteure, da sie in der Grauzone internationaler Gewässer besonders verwundbar sind. Zum einen befinden sich die meisten Unterseekabel in nichtstaatlicher Hand und verlaufen durch die Hoheitsgebiete mehrerer Länder, was den rechtlichen Schutz erschwert. Zudem ist der Verlauf der Unterseekabel öffentlich einsehbar und der ständige (militärische) Schutz dieser Kabel ist überaus aufwendig. Vorfälle wie die Explosion der Nord Stream Pipelines im Jahre 2022 und die Beschädigung der Balticconnector-Gaspipeline zeigen, wie anfällig Europas Unterwasserinfrastruktur für Sabotageakte ist. Nach der Beschädigung eines Unterwasser-Datenkabels zwischen Finnland und Deutschland im November 2024 warnten die Außenminister, dass die europäische Sicherheit nicht nur durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern auch durch hybride Kriegsführung bedroht sei.
Die russische Schattenflotte: Ein hybrider Aggressor
Am erstem Weihnachtstag 2024 wurde ein Stromkabel zwischen Finnland und Estland beschädigt. Daraufhin beschlagnahmte die finnische Küstenwache den unter der Flagge der Cook-Inseln fahrenden Öltanker Eagle S, der mutmaßlich zu Russlands „Schattenflotte“ gehört. Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben die EU und ihre Verbündeten strenge Sanktionen gegen den russischen Ölsektor verhängt, eine wichtige Einnahmequelle für die Kriegskasse des Kremls. Um das Ölembargo und die Ölpreisobergrenze zu umgehen, hat Russland eine Schattenflotte aufgebaut, die unter Gefälligkeitsflaggen und in undurchsichtiger Trägerschaft den Transport von sanktioniertem russischem Öl aufrechterhält. Die Schiffe sind meist alt und schlecht gewartet, was Umweltrisiken wie das Austreten von Öl birgt. Zudem gefährden illegale Praktiken, wie die Übermittlung falscher Standortdaten, die maritime Sicherheit. Die Ostsee ist ein zentrales Einfallstor für die illegalen Ölexporte Russlands: Für April 2024 schätzte das KSE-Institut, dass 82 % der Ölexporte durch die Ostsee gingen, meist mittels der Schattenflotte.
Die Schiffe der Schattenflotte finanzieren nicht nur Russlands Krieg, sondern können auch als hybride Aggressoren agieren, wie der jüngste Fall des finnischen Kabelschadens zeigt. Die schwedische Marine verdächtigt die Tanker zudem der Spionage. Daher befasste sich der Rat der Ostseestaaten auf seiner Tagung im Juni 2024 mit Russlands hybriden Bedrohungen im Ostseeraum. Der finnische Umgang mit dem jüngsten Kabelschaden ist ein Paradebeispiel für ein entschlossenes Vorgehen gegen hybride Operationen: Die rasche Beschlagnahmung des verdächtigen Schiffes hat eine Untersuchung ermöglicht, die ergab, dass der Schaden von dem schleifenden Anker des Schiffes verursacht wurde. Das derzeitige internationale Recht zum Schutz von Unterwasserinfrastruktur ist nicht darauf ausgerichtet, solche hybriden Operationen zu ahnden. Nach dem jüngsten finnischen Zwischenfall sucht die EU daher nach rechtlichen Möglichkeiten, Schiffe der Schattenflotten in der Ostsee zu beschlagnahmen, ohne eine weitere Eskalation mit Russland zu riskieren.
Hybride Bedrohungen bekämpfen: Finnlands ganzheitlicher Sicherheitsansatz
Der dezentrale Ansatz der NATO zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen weist dem betroffenen Land die Verantwortung für eine angemessene Reaktion zu. Daher wird die Stärkung der Resilienz gegen solche Angriffe zu einer nationalen Sicherheitsfrage. Das in Helsinki ansässige Kompetenzzentrum für hybride Bedrohungen (Hybrid Threats Centre of Excellence) definiert Resilienz als „die Fähigkeit einer Gesellschaft, den negativen Auswirkungen von Bedrohungen und Notfällen zu widerstehen, sie zu absorbieren und sich davon zu erholen“. Der Umgang mit hybriden Bedrohungen übersteigt die konventionellen Methoden und Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich und erfordert stattdessen eine sektorübergreifende Koordinierung.
Finnland und die Nordischen Länder haben reichlich Erfahrung mit gesamtgesellschaftlichen Konzepten zur Stärkung von Resilienz und Sicherheit. Während des Kalten Krieges haben sie Sicherheitsmodelle entwickelt, die weite Teile der Gesellschaft einbeziehen, um die lebenswichtigen Funktionen des Staates während einer (militärischen) Krise aufrechtzuerhalten. Ermöglicht wurde dies durch den traditionell starken sozialen Zusammenhalt und das wechselseitige Vertrauen zwischen Bürgern und Regierung. In dieser Zeit haben Finnland, Norwegen und Schweden das Konzept der Gesamtverteidigung (Total Defense) entwickelt, das militärische Kapazitäten mit zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Ressourcen kombiniert. Im Gegensatz zu den anderen Nordischen Ländern hat Finnland nach dem Kalten Krieg die Schlüsselaspekte seines Gesamtverteidigungskonzepts beibehalten, einschließlich des Fokus auf territoriale Verteidigung, der Wehrpflicht für Männer und der militärisch-zivilen Planung. Daher gilt Finnland international als Vorbild für einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz im Umgang mit hybriden Bedrohungen.
Im Jahr 2017 hat Finnland seine ganzheitliche Sicherheitsstrategie (Comprehensive Security) ausformuliert, welche vitale staatliche Funktionen vor verschiedenen Bedrohungen schützt, einschließlich Cyberangriffen und Naturkatastrophen. Dieser „All-Hazards“-Ansatz integriert staatliche Akteure, die Privatwirtschaft, die Zivilgesellschaft und die Bürger. Diese Akteure kooperieren durch den Austausch und die Bewertung von Informationen, gemeinsame Planung und die Schulungen zur Landesverteidigung. Die psychologische Widerstandsfähigkeit der Bürger und die private Vorsorge der Haushalte für den Krisenfall sind ebenfalls wichtige Eckpfeiler der finnischen Resilienz.
Schlüsselelemente des umfassenden Sicherheitskonzepts sind Versorgungssicherheit und Medienkompetenz. Neben der Bevorratung kritischer Güter stützt sich die Strategie der Versorgungssicherheit auf eine starke öffentlich-private Partnerschaft, um die Resilienz kritischer Dienste und Infrastruktur zu gewährleisten. Dies umfasst verschiedene kritische Sektoren und baut primär auf die freiwillige Mitarbeit des Privatsektors. Die Förderung der Medienkompetenz ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der öffentlich-privaten Zusammenarbeit. Finnland belegt den ersten Platz im europäischen Medienkompetenzindex, der die Resilienz gegenüber Desinformation misst. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da hybride Bedrohungen darauf abzielen, Angst und Verwirrung zu stiften.
Takeaways für Deutschland und europäische Demokratien
Hybride Bedrohungen sind nur wirksam, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen. Aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung mit russischen Bedrohungen haben Finnland und die Nordischen Länder wirksame Strategien zur Sensibilisierung der Gesellschaft und zur Stärkung ihrer Resilienz entwickelt. Trotz der spezifischen gesellschaftlichen Gegebenheiten, die die nordischen Resilienzkonzepte prägen, können sich Deutschland und europäische Demokratien von finnischen und nordischen Best Practices inspirieren lassen. Finnland hat jüngst einige Gesetze verabschiedet, die speziell hybride Bedrohungen ins Visier nehmen, z. B. den Erwerb von Immobilien an strategischen Standorten durch russische Staatsbürger oder ausländische Investitionen in kritische Infrastruktur. Insgesamt ist die öffentlich-private Zusammenarbeit bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen in Finnland besonders effizient. Der Kabelschaden am ersten Weihnachtstag 2024 veranschaulicht die effektive Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren: Kurz nachdem der Netzbetreiber Fingrid den Übertragungsausfall von Estlink 2 gemeldet und auf mögliche Sabotage hingewiesen hatte, hat die finnische Küstenwache das verdächtige Schiff beschlagnahmt. Obwohl die hybriden Bedrohungen gegen Deutschland seit der russischen Invasion der Ukraine zugenommen haben, z.B. bei der Sabotage der Nord Stream Pipelines, hat das Phänomenon bisher nicht die gleiche politische Aufmerksamkeit erregt wie in den Nordischen Ländern. Deutschland könnte bei der Überarbeitung seines Zivilschutzkonzepts von den Erfahrungen der Nordischen Länder profitieren.