Asset-Herausgeber

Ninni Andersson/Regeringskansliet

Länderberichte

Herausforderungen für Schweden ein Jahr nach Regierungsbildung

von Dominik Hauser

Regierung verliert an Zustimmung, Schwedendemokraten legen zu

Die Regierung Kristersson ist seit einem Jahr mit Unterstützung der rechtsnationalen Schwedendemokraten im Amt. Die schwedische Politik steht vor großen Herausforderungen, insbesondere in der Sicherheitspolitik. Das Land wird von einer Gewaltwelle erschüttert und der Beitritt zur NATO steht weiterhin aus. Während die Regierungsparteien an Zustimmung verlieren, können die Schwedendemokraten von ihrer Rolle zwischen Regierung und Opposition profitieren.

Asset-Herausgeber

Seit Oktober 2022 ist die durch Ministerpräsident Ulf Kristersson geführte Minderheitsregierung aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen im Amt. Gemeinsam erreichen die drei Regierungsparteien nur 103 der 349 Sitze im schwedischen Riksdag und sind somit auf die politische Unterstützung der rechtsnationalen Schwedendemokraten angewiesen. Diese kamen bei der Wahl auf 73 Mandate, allerdings verließ eine Abgeordnete die Partei im Mai 2023 und sitzt nun als fraktionslose Abgeordnete im Parlament. Zusammen mit den Rechtspopulisten kann sich die Regierung aktuell auf eine denkbar knappe Mehrheit von 175 Sitzen im Riksdag stützen.

Die konkrete Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den Schwedendemokraten ist durch das sogenannte Tidö-Abkommen geregelt. Außerhalb des Abkommens ist eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien möglich und durchaus vorgesehen. Die Schwedendemokraten stellen zwar keine Minister, haben aber politische Beamte in der sogenannten Koordinierungsstelle („samordnigskansli“) innerhalb der Regierungskanzlei. Dadurch können sie mittelbar erheblichen politischen Einfluss nehmen.

 

Moderate verlieren, Schwedendemokraten im Aufwind

Alle Regierungsparteien haben seit der Riksdagswahl im September 2022 an Zustimmung verloren. Gemäß einer aktuellen Umfrage von Novus haben mehr als die Hälfte der Schweden kein Vertrauen in die Regierung. Die Moderaten verloren in den letzten Monaten immer weiter Stimmanteile, während die Schwedendemokraten einen Zugewinn verzeichnen. Momentan stehen die Moderaten bei 17,4% während die Schwedendemokraten bei 22,1% liegen.
Daten von Novus

Danach gefragt, welche Partei in Bezug auf zehn konkrete Sachfragen die besten politischen Antworten hat, kann im November 2023 keine der Regierungsparteien den ersten Platz erreichen. Zuvor hatten die Moderaten zumindest noch die höchsten Kompetenzwerte für Recht/Ordnung. In Bezug auf Einwanderung wird den Schwedendemokraten weiterhin die höchste Kompetenz zugesprochen. Den Grünen traut man die beste Politik für Klima und Umwelt zu. In allen anderen Fragen (u.a. Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und Energie) haben die Sozialdemokraten die besten Kompetenzwerte.

 

Gewaltwelle erschüttert Schweden, NATO-Prozess stockt

Seit August 2023 gilt in Schweden die zweithöchste Terrorwarnstufe. Das Jahr 2023 stellt mit 143 polizeilich erfassten Sprengstoffexplosionen bis Ende November bereits einen traurigen Rekord auf. In diesem Zeitraum gab es außerdem 346 Vorfälle mit Schusswaffen und 52 Tote. Ein Ende der Gewalt ist bislang nicht abzusehen.

Unterdessen ist der NATO-Prozess Schwedens weiter am Stocken. Regelmäßig stellt der türkische Präsident Erdogan neue Bedingungen für die türkische Ratifizierung des schwedischen NATO-Beitritts. Zuletzt wurde bekannt, dass die Türkei die Schließung einer gegenüber der türkischen Regierung kritischen Website verlangt. Gerade für die Moderaten ist der NATO-Beitritt Schwedens schon lange sehr wichtig, die Verzögerung ist daher mit erheblichem Frust verbunden. Wenn Schweden schließlich in den Kreis der NATO-Mitglieder aufgenommen wird, werden die Moderaten davon profitieren.

 

Schwedendemokraten: Provokation und Kooperation

Auf dem Parteitag der Schwedendemokraten im November hielt ihr Vorsitzender Jimmie Åkesson eine Rede, in der er forderte, dass keine neuen Moscheen in Schweden gebaut werden sollen. Sofern in Moscheen antidemokratische, antischwedische, homophobe oder antisemitische Propaganda verbreitet werde, sollten diese abgerissen werden.  Die Rede sorgte für deutliche Reaktionen. „In Schweden reißen wir keine Gotteshäuser ab“, sagte Ulf Kristersson. Es ist davon auszugehen, dass die Åkesson-Rede sowohl die Sicherheitslage Schwedens als auch den schwedischen NATO-Beitritt weiter erschweren wird.

Die Jugendorganisation der Schwedendemokraten fordert „rote Linien“ gegenüber der EU zu ziehen, die eine weitere Übertragung nationaler Kompetenzen an die EU ausschließen. Falls diese Linien überschritten werden, soll als Konsequenz der „Swexit“ stehen. Die Parteiführung der Schwedendemokraten unterstützt diesen Vorschlag nicht, möchte aber eine umfassende Bewertung der schwedischen EU-Mitgliedschaft durchführen. Neben all dieser öffentlichen Provokation findet eine aktive Kooperation mit der Regierung statt.  So haben sich die Schwedendemokraten im November 2023 hinter die Klimaziele der Regierung gestellt, mit denen Schweden 2045 Klimaneutralität erreichen soll.

 

Christdemokraten und Liberale unter 4% Hürde

Düster sind die Aussichten für die „kleinen“ Regierungspartner. In den Umfragen kommen die Christdemokraten auf 2,8%, die Liberalen auf 2,7%. Beide Parteien würden damit an der 4% Hürde scheitern und den Einzug in den Riksdag verpassen. Die Stimmung innerhalb beider Parteien ist entsprechend angespannt.

Bei der Aufstellung der Wahlliste der Christdemokraten für die Europawahl wurde der Streit um den ersten Listenplatz zwischen Sara Skyttedal und David Lega offen ausgetragen. Die Parteiführung setzte Sara Skyttedal durch, obwohl sich David Lega zuvor bei einer Befragung der Parteimitglieder durchsetzen konnte. Dies hat für große Unzufriedenheit innerhalb der Christdemokraten geführt. Mit dem sogenannten „samhällsbyggarkommitté“ wollen die Christdemokraten neue Ideen für das gesellschaftliche Zusammenleben entwickeln und dadurch der Partei neuen Schub verleihen. Ergebnisse sollen Anfang 2025 präsentiert werden.

Für die Liberalen ist die Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten ein internes Streitthema. Vor den Riksdagswahlen hatten die Liberalen eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten ausgeschlossen, tragen aber seit dem Tidö-Abkommen die indirekte Regierungsbeteiligung der Schwedendemokraten mit. Dies hat zu Stimmverlusten geführt und innerhalb des sozialliberalen Flügels wird gefordert, dass die Liberalen die Regierung verlassen. Vor den nächsten nationalen Wahlen wollen die Liberalen mit einem klaren Profil auftreten und sich alle Koalitionsmöglichkeiten offenhalten.

 

Sozialdemokraten: Zwischen Umfragehoch und „Terrorromantik“

Die Sozialdemokraten führen die Umfragen mit 37,8% deutlich an und stellen in der Opposition die stärkste Stimme dar. Die Regierungszusammenarbeit wird regelmäßig scharf kritisiert. Intern gibt es Konflikte zum Beispiel wegen des geplanten Geschlechtszugehörigkeitsgesetzes, das eine Änderung des Geschlechtseintrags erleichtern soll. Die Christdemokraten haben sich deutlich gegen das Gesetz positioniert, so dass die Moderaten und die Liberalen als Befürworter auf die Unterstützung der Sozialdemokraten angewiesen sind.

Die Sozialdemokraten stehen in der Kritik wegen islamistischer und antisemitischer Verbindungen. Der Ministerpräsident sagte dazu, dass in gewissen Kreisen innerhalb der Sozialdemokraten eine „Terrorromantik“ existiere. Im Mittelpunkt dieser Vorwürfe steht der Abgeordnete Jamal El-Haj, der im Frühjahr 2023 an einer durch den Hamas Finanzierer Amin Abu Rashid organisierten Konferenz teilnahm. Die Debatte hat sich in Folge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 weiter verschärft. El-Haj veröffentlicht fortlaufend Beiträge auf Facebook, z.B. am 18. Oktober 2023, dass Israel das Al-Ahli Arab Krankenhaus bombardiert und dadurch 500 Menschen kaltblütig ermordet hätte. Es handelt sich dabei um eine direkte Übernahme von Hamas Angaben. Trotz entgegenstehender Beweislage findet sich der Beitrag weiterhin auf El-Hajs Facebook Seite.

 

Kleine Oppositionsparteien suchen Anschluss

Die Grünen haben ihre Position zum NATO-Beitritt Schwedens geändert. Im Fall des schwedischen NATO-Beitritts wollen sie sich nicht länger dafür einsetzen, dass Schweden die NATO wieder verlässt. Unverändert verfolgt man den Ausstieg aus der Kernkraft. Die Beteiligung an einer Regierung, die Kernkraftwerke baue, sei für die Grünen ausgeschlossen. Dies stellt einen deutlichen Unterschied zur derzeitigen Position der Sozialdemokraten dar, die neue Kernkraftwerke bauen wollen. Andererseits hat sich die Grüne Jugend bereits offen für Kernkraft ausgesprochen. Bei einem Umfrageergebnis von 4,2% ist es für die Partei jedoch besonders wichtig keine Stammwähler zu verlieren.

Die Linke steht bei stabilen 7,7% und wird im nächsten Jahr ein neues Grundsatzprogramm beschließen, welches einige zentrale Forderungen anpasst. Das alte Grundsatzprogramm von 2004 enthielt etwa noch die Auflösung der NATO und einen Austritt Schwedens aus der EU als Ziel. Von diesen extremen Forderungen hat man sich schon länger distanziert und damit die Anschlussfähigkeit für eine zukünftige Regierungsbeteiligung erhöht. Die Linke will aber weiter dafür eintreten, dass der Beschluss zum schwedischen NATO-Beitritt rückgängig gemacht wird.  Intern gibt es Diskussionen über die Bewertung der Hamas. Über Jahre hinweg hatte das Hilfswerk der Linken Geld für Projekte der palästinensischen Organisation DFLP gezahlt, die nach eigenen Angaben am Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt war.

Muharrem Demirok ist seit Februar 2023 Parteivorsitzender der Center Partei. Bislang ist es ihm nicht gelungen sein Profil zu stärken und eigene Themen zu setzen. Mit 4,2% in den letzten Umfragen, muss sich die Partei Sorgen bei den nächsten Wahlen machen.  Einig ist man sich in der Ablehnung der Schwedendemokraten. Doch gerade die Positionen der Center-Partei und der Linken unterscheiden sich diametral. Nach einem Treffen der Opposition im Oktober 2023 achtete Demirok z.B. darauf nicht gemeinsam mit der Vorsitzenden der Linken Dadgostar fotografiert zu werden.

 

Fazit

Die Europawahl im nächsten Jahr wird von den Schweden zur Bewertung der bisherigen Regierungs- und Oppositionsarbeit genutzt werden. Schweden hat im Herbst 2023 eine Gewaltwelle erlebt, die mitursächlich für die gesunkenen Zustimmungswerte der Regierung ist.  Besonders die Christdemokraten und die Liberalen werden in den Umfragen abgestraft und liegen unter der 4% Hürde. Auch die hohen Zustimmungswerte für die Opposition zeugen von der Unzufriedenheit der Wähler über die Regierungsarbeit. Die Europawahl könnte dieses Stimmungsbild bestätigen. Es handelt sich jedoch um eine Momentaufnahme. Bei den nächsten Riksdagswahlen wird nicht nur über die Regierung abgestimmt, sondern auch über die Frage, ob die Opposition tatsächlich die besseren Antworten auf die wichtigen Fragen liefern kann. Den Schwedendemokraten gelingt es jedenfalls bislang, ihre Rolle als Opposition in der Regierung gewinnbringend zu nutzen. Wer davon ausgegangen war, dass eine Einbindung der Rechtspopulisten in die Regierungsarbeit diese mäßigen könnte, muss sich nach einem Jahr Tidö-Abkommen – und immer wieder neuen Provokationen der Schwedendemokraten – eines Besseren belehrt fühlen.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Christine Leuchtenmüller

Christine Leuchtenmüller bild

Leitung Regionalprogramm Nordische Länder

christine.leuchtenmueller@kas.de +49 0151 18828623

comment-portlet

Asset-Herausgeber