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Veranstaltungsberichte

Die zentrale Mittelmeerroute

Herausforderungen, Trends und Perspektiven

Die humanitäre Notlage in Libyen und die anhaltend hohen Zahlen von Migrations- und Fluchtversuchen sowie die ansteigende Zahl von Menschen mit einem langen Aufenthalt in Libyen war zentrales Thema eines überregionalen Dialogprogramms zwischen dem Regionalprogramm Südliches Mittelmeer, mit Sitz in Tunis, und dem Auslandsbüro in Rom.

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In Anbetracht der humanitären Notlage in Libyen und auf der zentralen Mittelmeerroute sowie den anhaltend hohen Zahlen von Migrations- und Fluchtversuchen von der libyschen Küste aus in Richtung Europa lud das KAS-Regionalprogramm Südliches Mittelmeer in Zusammenarbeit mit der KAS-Abteilung für Migration und Flucht und dem KAS-Auslandsbüro Italien eine Delegation europäischer Migrationsexperten vom 05. bis 09. Februar nach Tunis und Rom ein. Im Rahmen des viertägigen Dialogprogramms „Die zentrale Mittelmeerroute: Herausforderungen, Trends und Perspektiven“ wurde eine 17-köpfige Delegation aus Vertretern deutscher und europäischer Ministerien, Think Tanks sowie wissenschaftlicher Einrichtungen in bilateralen Gesprächsterminen mit Experten aus Regierungsinstitutionen, UN-Agenturen und Nichtregierungsorganisationen über die aktuelle Lage in Libyen und Entwicklungen in Bezug auf Migration über das Mittelmeer und die Erstaufnahme und Verteilung von Migranten und Asylsuchenden auf dem europäischen Festland aufgeklärt.

Durch die inhaltliche Aufteilung des Programms in einen Nordafrika- und einen Europa-Aufenthalt konnten die transnationalen Migrationsrouten von Subsahara-Afrika über Libyen nach Europa nachgezeichnet und ein tiefergehendes Verständnis der Bedingungen, Herausforderungen und Trends von irregulärer Migration über die zentrale Mittelmeerroute ermöglicht werden.

Wie kaum ein anderes Land ist Libyen im Zuge der Flüchtlingsdebatte ins Zentrum der europäischen und deutschen Öffentlichkeit geraten. Das Land, das selbst unter einer prekären Wirtschaftslage, fehlenden staatlichen Strukturen und terroristischen Gruppierungen leidet, ist Haupttransitland für Flüchtlinge, die sich zumeist vom afrikanischen Kontinent unter lebensbedrohlichen Bedingungen über die zentrale Mittelmeerroute in Richtung Europa aufmachen. Wie viele Migranten sich derzeit in Libyen aufhalten ist unklar; Schätzungen schwanken zwischen 300.000 und 1,1 Millionen. Viele von ihnen werden in Internierungslagern unter menschenunwürdigen Verhältnissen und ohne jegliche Rechtsgrundlage festgehalten. Humanitäre Organisationen und die Vereinten Nationen haben nur begrenzt Zutritt.

In Tunis zeichneten Gespräche mit Vertretern der Internationalen Organisation für Migration (IOM), des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), der UN-Unterstützungsmission in Libyen (UNSMIL), der EU-Grenzunterstützungsmission in Libyen (EUBAM), einem ehemaligen tunesischen Minister sowie dem deutschen Botschafter und der Leiterin der EU-Delegation in Libyen ein umfassendes Bild der aktuellen politischen und humanitären Lage in dem Land sowie den Auswirkungen der anhaltenden politischen Instabilität auf die Sicherheit der Länder der Region, insbesondere Tunesien, und Migrationsrouten aus Subsahara-Afrika. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die katastrophalen Bedingungen in den unüberschaubaren offiziellen und inoffiziellen Aufnahmelagern für festgenommene Migranten und Flüchtlinge gelegt. Vertreter von Ärzte ohne Grenzen legten zudem die praktischen Herausforderungen ihrer Arbeit auf dem Mittelmeer dar und schilderten die Risiken humanitärer Seenotrettung in volatilen Konfliktkontexten wie vor der libyschen Küste.

In Rom verschob sich der Blickwinkel der Delegation hin zu einer europäischen Herangehensweise an Migrations- und Fluchtbewegungen aus den Ländern des südlichen Mittelmeeres. In Gesprächen mit Vertretern der italienischen Innen- und Außenministerien, in der Flüchtlingshilfe aktiven religiösen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Souveränen Malteserorden und der Gemeinschaft Sant’Egidio, italienischen und deutschen Migrationsexperten sowie deutschen Verbindungsbeamten aus dem Bundesinnenministerium, der Bundespolizei und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge konnte die Delegation Einblicke in die Aufnahme und Integration von Migranten und Asylsuchenden auf lokaler Ebene in Italien gewinnen, mehr über die Einrichtung sogenannter humanitärer Korridore erfahren sowie die bi- und multilaterale Zusammenarbeit der europäischen Institutionen und Regierungen in Bezug auf Migration diskutieren.

Der sozial und politisch fragmentierte Charakter Libyens als ein Raum begrenzter Staatlichkeit ohne eine von allen Seiten anerkannte Regierung mit effektiver Verfügungsgewalt über die zahlreichen Gewaltakteure im Land oder nennenswerte territoriale Kontrolle stellt europäische Entscheidungsträger besonders im Hinblick auf Migrationsmanagement zunehmend vor eine de facto Handlungsunfähigkeit. Vor dem Hintergrund der inflationären Verbreitung bewaffneter Gruppen und deren Beteiligung an den florierenden Geschäftsmodellen des Menschenschmuggels sowie der Einrichtung inoffizieller Internierungslager für Flüchtlinge und Asylsuchende scheint eine effektive Beeinflussung von Migrationsströmen oder eine Priorisierung eben jener durch libysche Akteure noch in weiter Ferne.

Um Menschenrechtsverletzungen in den dem weitgehend handlungsunfähigen Direktorat zur Bekämpfung Illegaler Migration (DCIM) unterstehenden Internierungslagern auf dem Land sowie zur See durch die von EU und Italien unterstützte umstrittene Küstenwache zu verhindern, müssen Bemühungen für einen stabilisierenden politischen Prozess in Libyen mit dem Ziel einer nachhaltigen Staatenbildung höchste Priorität sein. Die vielfältigen Interessen beteiligter Akteure mit Blick auf Libyen und die unübersichtlichen politischen Verhältnisse im Land verhindern ein mit libyschen Ansprechpartnern koordiniertes Vorgehen gegenüber den Herausforderungen der Migrationsbewegungen. Die international angeprangerten Zustände in den Auffanglagern und Verbrechen gegen Flüchtlinge und Migranten in Libyen erhöhen weiter die Dringlichkeit eines kohärenten Vorgehens seitens der EU.

Während sich die Aussichten auf eine baldige Stabilisierung Libyens kaum merklich bessern, bleiben die Erschwernisse der europäischen Erstaufnahmeländer, vorrangig Italiens, bestehen. Aus italienischer Sicht bedarf es neben einer gemeinsamen Strategie zur stärkeren Bekämpfung von Menschenschmugglern unter Einhaltung völker- und menschenrechtlicher Normen und Werte auch eines klaren Bekenntnisses zur geteilten Verantwortung für schutzbedürftige Migranten und Flüchtlinge aus dem Verständnis einer europäischen Solidarität heraus. Die Unterstützung afrikanischer Partnerländer in interafrikanischen Migrationsfragen sowie die notwendige Öffnung von legalen Einwanderungspfaden nach Europa müssen einhergehen mit dem Wiederbeleben und einer Stärkung der europäischen Institutionen. Migration als ein länder- und regionenübergreifendes Thema verlangt nach kooperativen, europäischen Lösungsansätzen.

Die unterschiedlichen Perspektiven der Gesprächspartner sowie die aus verschiedenen Disziplinen eingebrachten Kenntnisse der Delegationsteilnehmer leisteten einen entscheidenden Beitrag zu einem besseren Verständnis der Vorgänge entlang der zentralen Mittelmeerroute – von den Ländern Subsahara Afrikas über das Transitland Libyen und die lebensbedrohliche Überfahrt zur See bis zu den lokalen Aufnahmegemeinden in Europa. Die Diskussionen betonten insbesondere den dringenden Handlungsbedarf für internationale und europäische Akteure.

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