Veranstaltungsberichte
„Europa im Wandel: Literatur, Werte und europäische Identität“ – mit dieser Formel verbanden die Eröffnungsredner des ersten Abends vor allem Hoffnung und Zuversicht. Als idealer Gastgeber und Tagungsort erwies sich Hermannstadt, wurde die Stadt doch 2007, im Jahr des rumänischen EU-Beitritts, mit dem Titel der Europäischen Kulturhauptstadt geehrt. Auch zuvor seien die Rumänen jedoch längst Europäer gewesen, erinnerte der KAS-Vorsitzende Prof. Dr. Bernhard Vogel und verwies auf Gemeinsamkeiten und Verbindungslinien der Geschichte: Im zwölften Jahrhundert wurde Hermannstadt von deutschen Siedlern gegründet, und die Auszeichnung der Kulturhauptstadt teilte sich Sibiu – so der rumänische Name der Stadt am Fluss Zibin – vor zwei Jahren mit Luxemburg. „Dieser Brückenbau ist ein Hoffnungszeichen für Europa“, so Vogel.
Ein Pionier dieses Brückenbaus durfte auf dieser europäischen Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung nicht fehlen: Klaus Johannis, der seit 2000 Bürgermeister von Hermannstadt ist und 2004 mit fast 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, bei Rumänen und der deutschen Minderheit also gleichermaßen Zuspruch findet. „Ich hoffe, man erkennt auch zwei Jahre später noch den Geist der Kulturhauptstadt“, sagte Johannis in seinem Grußwort. Wie eine Bestätigung wirkte die Lesung der aus dem rumänischen Banat stammenden Schriftstellerin Herta Müller. Ihr Essay über Verfolgung und Existenzangst während der Ceausescu-Diktatur präsentierte den brisanten Inhalt in großer atmosphärischer Dichte und erinnerte alle Anwesenden daran, dass die Freiheit Europas keine Selbstverständlichkeit ist.
Kein Wunder also, dass das Thema „Vergangenheit“ auch in den nachfolgenden Tagen präsent blieb. „Es wird kein gutes Europa geben ohne die Erinnerung an die Verbrechen“, sagte Prof. Dr. Wolfram Hilz (Bonn), und Prof. Dr. Peter Zajac (Bratislava) warnte vor der „Entwertung und Entpluralisierung der Politik“. Die Frage, ob Kunst und Literatur vor diesem Hintergrund eher eigene Wege gehen und ihre Freiheit nutzen oder politisch Stellung beziehen sollten, entschied Prof. Dr. Jean-Marie Valentin von der Sorbonne eindeutig. „Das utilitaristische Verständnis der Literatur geht einher mit der Negation der Kunst“, sagte der Ehrenpräsident der Internationalen Vereinigung für Germanistik, „dabei kann sie nur über Umwege wirken und hat mehr Gehalt als Schlagzeilen.“ Das Vergessen von Literatur und anderen Werten führe „zwangsläufig zum Triumph des Nihilismus.“
Andere Teilnehmer, denen die Wirklichkeit der Diktatur noch unmittelbar vor Augen stand, verschoben den thematischen Schwerpunkt auf die Frage, welche Rolle Literatur und Kunst in der Vergangenheitsbewältigung und im Kampf für ein geeintes Europa spielen – und spielen können. Dabei vertrat Dr. Horatiu Gabriel Decuble (Bukarest) die These, dass die Literatur in der Vergangenheit stärker das Verhältnis von Individuum und Geschichte beleuchtet habe, diese Aufgabe jedoch heute weitgehend an den Film weitergegeben habe. Decuble lobte das Engagement von Verlagen wie Polyrom (Bukarest), der gezielt junge Autoren aus Rumänien fördert.
Infrastrukturen und ein intaktes Verlagswesen sind wichtig, können aber die Sorgfalt der Beobachtung und Auseinandersetzung nicht ersetzen. Der rumänische Kulturminister Theodor Paleologu wies auf die Notwendigkeit umsichtiger Begriffsarbeit hin und warnte vor dem unbedachten Umgang mit dem Wort „Werte“: „Wann immer man etwas aufwertet, wertet man etwas anderes ab“, gab er zu bedenken. Auf ähnliche Weise plädierten andere Referenten für die Aktualisierung sozialer und politischer Begriffe. Prof. Dr. Ingeborg Fiala-Fürst (Olmütz) warb für eine Erweiterung des Diktaturbegriffs über das Politische hinaus und schlug vor, als Diktatur jeglichen Versuch zu bezeichnen, „einem autonomen Menschen eine Herrenmentalität aufzuoktroyieren.“ Demnach könne man auch die Unterwerfung unter ökonomische Zwänge als Diktatur verstehen. Dass auch der Begriff der Identität überprüfungsbedürftig sei, zeigte Prof. Dr. Klaus Manger von der Universität Jena. Wie auch der Schriftsteller Joachim Wittstock wollte Manger zwischen persönlicher und politischer Identität analytisch unterscheiden. Erst diese Trennung der Begriffe gebe überhaupt der aktuellen Frage Raum, wer die politische Identität formuliert und öffentlich vertritt.
Überblickartige Vorträge über den Heimatbegriff der österreichischen Literatur, über aktuelle Identitätsvorstellungen in Ungarn, Polen und Lettland und über europäische Autoren vom Rang Paul Celans rundeten die Tagung ab. Besonderen Reiz gewannen diese Beobachtungen durch Lesungen so unterschiedlicher Autoren wie Eginald Schlattner und Richard Wagner. Die gemeinsame Basis der Debattenteilnehmer definierte schließlich in seinem Abschlussvortrag der Präsident des Österreichischen Nationalrates a.D., Prof. Dr. Andreas Khol: „Unsere Aufgabe ist es, einen europäischen Sockel zu stiften und zu verteidigen.“ Wie dieser Sockel aussehen mag, hat die Tagung nicht vorgeben können, und das war auch nicht ihre Aufgabe. Dafür bot sie reichhaltige Denkansätze und leistete die erforderliche Sensibilisierung – ein Ertrag, den kein Tagungsort wirksamer hätte illustrieren können als das rumänische Hermannstadt.