Mit den Kommunalwahlen, die in zwei Wahlgängen am 17. Oktober und 14. November, in der Republik Kosovo stattfanden, wurden 2021 auch auf der dritten politischen Ebene neue Repräsentanten bestimmt. Die zu Beginn der Wahlkampagne siegessichere und mit absoluter Mehrheit ausgestattete Regierung Albin Kurtis und seiner Vetëvendosje-Bewegung konnte nicht an die Erfolge der Parlamentswahl anknüpfen und kam nur auf den 3. Platz, während die größten Oppositionsparteien PDK und LDK die meisten Rathäuser gewannen. Schwer wiegt dabei der Verlust der Hauptstadt Prishtina, welche nun von der LDK regiert wird.
Kommunalwahlen im Zeichen demokratischer Kontinuität
Nach den Wahlen zur Gemeindeversammlung und zum Bürgermeister am 17. Oktober fand im Kosovo am 14. November 2021 die zweite Runde der Bürgermeisterwahlen statt. Das Wahlsystem des Kosovo sieht vor, dass in Fällen, in denen keiner der Kandidaten 50% + 1 der Stimmen erreicht, muss zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen ein zweiter Wahlgang stattfinden. Der zweite Wahlgang fand in 21 Gemeinden statt, während in 17 anderen Gemeinden die Wahlen bereits im ersten Wahlgang entschieden waren. Die zurückliegenden Wahlen waren die vierten Wahlen auf kommunaler Ebene seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahr 2008.
Die durch die erste Wahlrunde bestätigten Ergebnisse und die vorläufigen Ergebnisse der zweiten Runde zeigen, dass die serbische Liste 10 Gemeinden, LDK 8 Gemeinden, PDK 8 Gemeinden, AAK 5 Gemeinden, Vetëvendosje 4 Gemeinden und NISMA, Die Demokratische Türkische Partei des Kosovo und die Bürgerinitiative für Obiliq jeweils eine Gemeinde gewonnen haben.
Auf der Ebene der Gemeindeversammlungen gewann LDK 205 Sitze, PDK ebenfalls 205, Vetëvendosje 194 und AAK 120.
Die Wahlen wurden als ruhig und ohne ernsthafte Zwischenfälle beschrieben, die das Ergebnis einer der Parteien beeinträchtigen könnten. Lediglich bei der Auszählung und Übersendung von Diasporastimmen kam es zu Unregelmäßigkeiten, welche ggf. noch Wahlkommissionen beschäftigen werden. Dennoch bestätigte das Kosovo bei der Organisation und Durchführung von Wahlen eine weiter gewachsene demokratische Reife, was auch durch den vorläufigen Bericht des Monitoring-Teams der Europäischen Union bestätigt wird.
Die Erwartungen vor der Wahl bestätigten sich nicht
Die Wahlen im Oktober 2021 fanden nur wenige Monate nach dem grandiosen Sieg der Vetëvendosje-Bewegung mit über 50% statt, ein Ergebnis, das in der politischen Szene im Kosovo beispiellos ist, da erstmals eine politische Kraft über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt. Es wurde erwartet, dass Premierminister Albin Kurti und seine Vetëvendosje-Bewegung auch bei den Kommunalwahlen einen überwältigenden Sieg davontragen würde. Kurti selbst ist nach wie vor der populärste Politiker mit großen Charisma im Land und hat mit Präsidentin Vjosa Osmani eine starke Verbündete im Rücken. Dass das Ergebnis letztlich deutlich anders ausfiel hat sicher mehrere Gründe: Der nun seit über einem halben Jahr mit absoluter Mehrheit regierende Kurti kann bis jetzt kaum innenpolitische Initiativen und Erfolge vorweisen und ist vielfach, aus Misstrauen gegenüber der angestammten Verwaltung, mit Personalaustauschen beschäftigt. Dazu werden vielfach Entscheidungsträger aus der Diaspora rekrutiert und Parallelstrukturen geschaffen, was die Arbeitsfähigkeit der Regierung bisher nicht verbessert. Da diese häufig nur über wenig Erfahrung im Regierungsgeschäft verfügen, müssen viele Angelegenheiten von Kurti persönlich vorangetrieben werden, was stringente Maßnahmen verhindert. Auch wenn Kurti bereits über Regierungserfahrung verfügt, bleibt manchmal doch der Eindruck, dass er den Switch vom Oppositionsführer einer Bewegung zum Regierungschef teilweise noch nicht geschafft hat.
Ein weniger gutes Ergebnis zeichnete sich für Vetëvendosje bereits nach Start der Wahlkampagnen Ende August ab. Auch wenn der sorglose Umgang mit Covid während der hunderttausendfach stattfindenden Diasporabesuche im Sommer eine dramatische neue Pandemiewelle auslöste, vermuteten nicht wenige Beobachter im Kosovo, dass der Vorschlag des Nationalen Gesundheitsinstituts, die Kommunalwahlen aufgrund der Pandemie zu verschieben, rein politisch motiviert war. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass im Vorfeld der Parlamentswahlen am 14. Februar ebenfalls eine dramatische Pandemielage herrschte, hier aber Vetëvendosje einen Wahlkampf organisierte, der Schutzmaßnahmen weitestgehend ignorierte und überdies tausende Diaspora-Kosovaren mit Bussen aus ganz Europa zur Wahl ins Kosovo gebracht worden sind.
Der Vorschlag, der mit Kurti verbündeten Präsidentin Vjosa Osmani, die Wahlen zu verschieben, wurde bei einem von ihr einberufenen Gesprächstermin Mitte September im Präsidentenamt von allen Parteien außer Vetëvendosje daher abgelehnt.
Außen- und Innenpolitische Maßnahmen der Regierung im Vorfeld der Wahl
Unter dem Eindruck der schlechten Umfragewerte können auch die Maßnahmen der Regierung Kurti gegenüber Serbien gesehen werden, welche im September/Oktober zu einer neuerlichen Eskalation im Verhältnis beider Länder führten. Die Regierung Kurti kündigte bereits im Wahlkampf zur Parlamentswahl an, im Falle der Regierungsübernahme sogenannte „Reziprozitätsmaßnahmen“ anzuwenden, d.h. in Bereichen wo Serbien aufgrund der Nichtanerkennung der Unabhängigkeit des Landes Hoheitszeichen oder staatliche Souveränität des Kosovos nicht anerkennt, mit gleichen Gegenmaßnahmen zu reagieren. Dies geschah Ende September mit der Entscheidung, dass serbische Autokennzeichen analog zu kosovarischen in Serbien nicht mehr anerkannt werden und daher abgenommen oder abgedeckt sein müssen und durch einen provisorischen kosovarischen Papieraufkleber in der Heckscheibe ersetzt werden müssen. Da die serbische Minderheit im Kosovo nahezu ausschließlich serbische Kennzeichen verwendet, führte dies zu massiven Protesten, Zerstörung von Grenzeinrichtungen und martialischen Bildern von Sicherheitskräften auf beiden Seiten. Nachdem die EU vermitteln konnte den Status Quo ante wieder in Kraft zu setzen, kam es zu einer weiteren Zuspitzung im Nordkosovo, nachdem kosovarische Sicherheitskräfte eine Razzia in Nord-Mitrovica gegen Schmuggel mit Festnahmen durchführten. Erneut kam es zu Eskalationen mit dem Aufmarsch Bewaffneter auf beiden Seiten, die nur mühevoll deeskaliert werden konnten. Aus kosovarischer Sicht sind diese Maßnahmen durchaus mit der Autorität eines souveränen Staates zu rechtfertigen. Gleichwohl ließen Zeitpunkt und die plakative Art und Weise wie man agierte doch Vermutungen zu, dass hiermit außenpolitisch von innenpolitischen Situationen abgelenkt wurde im Vorfeld der Kommunalwahlen. Dies insbesondere unter der Prämisse, dass sich auch die kosovarischen Oppositionsparteien im Konfliktfall mit Serbien hinter der Regierung versammeln und Kritik als unpatriotisch durch die Kosovarinnen und Kosovaren angesehen würde. Dies ist in Wahlkampfzeiten eine durchaus kommode Situation für eine Regierung.
Innenpolitisch versuchte die Regierung Kurti auch durch kurzfristige politische Maßnahmen das Ruder bei den Umfragewerten herum zu reißen. Die Förderung von Sozialhilfeprogrammen, die Abschaffung der Studiengebühren, die Erhöhung der Sozialhilfe für einige Kategorien waren weitere Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden können. Dies ist insofern auch pikant, da Vetëvendosje, als sie noch in der Opposition war, Vorgängerregierungen harsch für entsprechendes Handeln kritisiert hatte.
Bemerkenswert war auch, dass Albin Kurti persönlich den kosovarischen Wahlregeln zuwiderhandelte, indem er sich innerhalb der letzten 24h vor Stimmabgabe in drei Städten mit den Bürgermeisterkandidaten der Vetëvendosje öffentlich zusammentraf, was nach kosovarischem Wahlrecht nicht erlaubt ist. Nach einer Beschwerde vor der Wahlkommission wurde Vetëvendosje zu einer Strafe verurteilt.
Kritisch zu hinterfragen ist auch das indirekte Eingreifen der Präsidentin Vjosa Osmani, die sich gemäß ihrer verfassungsmäßigen Rolle strikt neutral verhalten müsste. Dennoch posteten Vetëvendosje-Aktivisten Fotos von ihr und dem Bürgermeisterkandidaten der Vetëvendosje Arben Vitia am Wahltag. Übertretungen dieser Art sind in der Vergangenheit auch bei den anderen Parteien immer vorgekommen, doch muss an Vetëvendosje und Osmani der eigene Maßstab angelegt werden, dass man ein Gegenentwurf zu den Parteien der früheren Regierungen sein kann. Wenn man dennoch ähnliche Mittel verwendet, kratzt dies an den selbst postulierten Zielen.
Revitalisierung der Oppositionsparteien in den großen Städten
Vetëvendosje wurde in Prishtina, der Hauptstadt und dem wichtigsten Zentrum des Kosovo, abgewählt, obwohl man mit Arben Vitia, dem ehemaligen Gesundheitsminister, einen über Parteigrenzen hinweg neuen und starken Kandidaten aufgestellt hatte. Vetëvendosje führte zwar nach dem ersten Wahlkampf klar, wurde aber durch eine engagierte und mutige Kampagne der LDK und ihres Kandidaten Përparim Rama - ein Kandidat außerhalb der Parteistruktur und bekannter Architekt aus der Diaspora in London, im zweiten Wahlgang überholt. Dieser Sieg war auch eine zusätzliche Bestätigung für den im März neu gewählten neuen Parteivorsitzenden Lumir Abdixhiku und seinen Reformkurs in der Partei. Rama galt klar als Kandidat des Parteivorsitzenden, der mit der Nominierung auch persönliches Risiko einging. Auch an anderen Orten siegten die Kandidaten Abdixhikus, der dadurch seine Position in der Partei ungemein stärken konnte.
Auch die PDK war sehr erfolgreich und konnte sich zu Parlamentswahl im Februar erholen und sie wechselte in diesem Jahr ebenfalls ihre Führung. Die Rückgewinnung von zwei großen Gemeinden wie Mitrovica und Prizren, in denen sie in direkter Konkurrenz zu Vetëvendosje stand, hat der Partei, die mit den Folgen der langen Regierung und zahlreichen Skandalen des Landes im Zeitraum 2007-2020 und der Abwesenheit der langjährigen Führer Hashim Thaçi und Kadri Veseli, die in Den Haag vor dem Kosovo-Sondertribunal unter Anklage stehen, ein politisches Comeback verschafft.
Reaktionen und Perspektiven im Kosovo
In einer Pressemitteilung nach dem zweiten Wahlgang machte Premier Kurti die parteiinternen Defizite und die Tatsache, dass sich alle Parteien gegen Vetëvendosje verbündet hätten, für das schlechte Ergebnis verantwortlich. Diese Behauptung wiederholt das selbst gewählte Image, dass man als politische Kraft allein gegen das alte politische Establishment kämpfen müsse. Damit verschwieg er jedoch, dass Vetëvendosje in den Gemeinden, in denen man gewann, durchaus auch Unterstützung von anderen Parteien erhielt und eine angenommene Einheitsfront der Opposition gegen ihn so nicht existiert.
Das Wahlergebnis ist sicher ein herber Dämpfer für Kurti, gerade unter dem Eindruck, dass er auch als Regierung mit absoluter Mehrheit großen Herausforderungen gegenübersteht. (steigende Inflation, Auswirkungen der Energiepreise) und der Dialog mit Serbien, und damit verbunden Annährung an die EU, nicht vorankommt. Gleichwohl sollte man ihn nicht unterschätzen, denn gerade in der jungen Generation verfügt er nach wie vor über sehr großen Rückhalt. Der von ihm und auch Präsidentin Osmani erwartete Umbruch zu absoluten Mehrheiten auf kommunaler Ebene fand indes nicht statt. Albin Kurti wird daher mehr denn je eine Wandlung zum Regierungspolitiker mit konstruktiver und sachlicher Arbeit vollziehen müssen, anstatt weiterhin die Rhetorik eines Aktivisten und Oppositionspolitikers zu verwenden. Noch besitzt er genügend politischen Kredit.
Für die stärksten Oppositionsparteien LDK und PDK waren die Kommunalwahlen ein politisches Comeback, bei welchem man auch von einer gut vorhandenen Organisationsstruktur zehren konnte im Land. Weitere Modernisierungsprozesse sind auch hier unumgänglich, aber die Kommunalwahlen haben bereits gezeigt, dass man dafür auch vom Wähler belohnt wird, was sicher Rückenwind gibt für die Zukunft.
Für die politische Kultur im Kosovo sind dies positive Perspektiven.
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.