Die politischen Spannungen waren bereits über Monate deutlich spürbar, und so war in Malaysia kaum jemand überrascht, als Premierminister Muhyiddin Yassin am 16. August 2021 beim malaysischen König seinen Rücktritt einreichte. Kurz zuvor hatte Muhyiddin in einer Live-Übertragung im malaysischen Fernsehen noch versucht, mit Reformversprechen die Unterstützung der Opposition zu erlangen, sollte es zur Stellung der Vertrauensfrage im Parlament kommen. Insgesamt 15 UMNO Abgeordnete hatten Muhyiddin bereits Anfang August ihre Unterstützung entzogen.
Die politische Koalition Barisan Nasional (übersetzt: Nationale Front) hatte unter der Führung der konservativen, malaiisch dominierten UMNO, Malaysia von 1957 bis 2018 ununterbrochen regiert. Als bei den Nationalwahlen im Mai 2018 überraschend zum ersten Mal in der Geschichte Malaysias die Oppositionskoalition Pakatan Harapan (übersetzt: Allianz der Hoffnung, PH) bei den Wahlen siegte, war die Hoffnung auf ein ‚neues Malaysia‘ der Reformen, des Aufschwungs und des politischen Wandels groß. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch schon im Februar 2020 abrupt, als die PH-Regierungskoalition unter Premierminister Mahathir bin Mohamad überraschend nach nicht einmal zwei Jahren zerbrach.
Die darauffolgende neue konservativ-nationalistische Regierungskoalition Perikatan Nasional (übersetzt: Nationale Allianz, PN) unter dem 8. Premierminister Muhyiddin Yassin, litt stets unter dem Stigma einer ‚Backdoor‘ Regierung (übersetzt: Regierung durch die Hintertür), da sie nie durch demokratische Wahlen ins Amt gewählt wurde und sich Malaysias Bevölkerung um ihren erst kürzlich gewählten Wandel betrogen fühlte. Perikatan Nasional bestand wieder aus den Parteien der Koalition Barisan Nasional, der Parti Pribumi Bersatu Malaysia (übersetzt Vereinigte Indigene Partei Malaysias, kurz: Bersatu) und – erstmals - der islamistischen Parti Islam Se-Malaysia (übersetzt Islamische Partei Malaysias, PAS). Die UMNO jedoch fühlte sich als Teil der Barisan National Koalition nie ganz wohl mit ihrer untergeordneten Rolle in der neuen, von Bersatus Muhyiddin angeführten Regierung.
Diese Instabilität der neuen Regierung gepaart mit dem beinahe zeitgleichen Ausbruch der Covid-19 Pandemie, führten in Malaysia in den letzten 17 Monaten zu einer Reihe von demokratischen Rückschritten. Die von der Opposition und der Öffentlichkeit seit dem Frühjahr 2020 geforderte Stellung der Vertrauensfrage im Parlament, die hätte zeigen können, ob die PN-Regierung unter Muhyiddin wirklich über eine Mehrheit verfügte, wurde nie zugelassen. Stattdessen wurden über Wochen hinweg in den ersten Monaten der damals neuen Regierung Parlamentssitzungen unter dem Vorwand von Vorsichtsmaßnahmen aufgrund der Covid-19 Pandemie vertagt und die wahren Umstände des plötzlichen politischen Machtwechsels im Februar 2020 so verschleiert.
Demokratierückbau unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung
Es wurde schnell deutlich, dass die PN-Regierung unter Muhyiddin versuchte, mit allen Mitteln eine Vertrauensabstimmung im Parlament zu umgehen. Schon in den ersten Monaten wurden demokratische Vorgaben mehrfach ausgehebelt, wie z.B. die Absetzung des Sprechers des Parlaments und seines Stellvertreters, ohne der Opposition die Möglichkeit zu geben, eigene Kandidaten vorzubringen, da man ohne Gegenkandidaten das Parlament zu diesem Prozess gar nicht erst befragen musste. Bereits im Oktober 2020 versuchte die Regierung den malaysischen König zur Ausrufung eines nationalen Notstands auf Grund von Covid-19 Pandemie und die damit verbundene Aussetzung der Parlamentssitzungen zu bewegen. Man hoffte so, kritische Auseinandersetzungen im Parlament zu umgehen.
Im Januar 2021 schließlich stimmte der König überraschend einem neuen Gesuch Muhyiddins zu. Der erst zweite nationale Notstand in der Geschichte des Landes wurde am 12. Januar 2021 bis Anfang August 2021 ausgerufen. Als offizieller Grund wurde zwar die verschlimmerte Covid-19 Situation angegeben. Allerdings war deutlich erkennbar, welch Interesse die Regierung tatsächlich daran hatte, das Parlament auszusetzen, die Stellung der Vertrauensfrage zu umgehen und die seit Frühjahr 2020 längst überfälligen Nationalwahlen aufzuschieben. Dabei hatten die Wahlen 2018 klar gezeigt, dass sich das malaysische Volk Reformen wünscht, z.B. was die Unabhängigkeit von Institutionen, Korruptionskontrolle, Pressefreiheit, Limitierung der Immunität der Polizei, die Amtszeitregulierung für das Amt des Premierministers; Regeln der Parteifinanzierung oder die Garantie ziviler Freiheiten angeht.
Während der gesamten Amtszeit Muhyiddins war nicht zu beobachten, dass die nötigen Reformen im Land weiter angestoßen wurden. Zu sehr schien die Regierung mit sich selbst, ihrem Machterhalt und dem Umgang mit der Pandemie beschäftigt. Die Meinungsfreiheit im Land wurde seit 2020 deutlich eingeschränkt und so fanden der Sedition Act und auch der Communications and Multimedia Act von 1998 wieder inflationär Anwendung. Auch das Fake-News-Gesetz, das von der PH-Regierung eigentlich bereits aufgehoben wurde, ist von der PN-Regierung im März 2021 im Rahmen der Notstandsverfügung wieder ins Leben gerufen worden. Mit ihm wurden kritische Stimmen, vor allem in sozialen Medien, wegen angeblicher Kritik an Polizei, König und/oder Regierung oder angeblicher Verbreitung unwahrer Nachrichten im Zusammenhang mit der Ausrufung des Notstandes und dem fragwürdigen Pandemiemanagement verfolgt, polizeilichen Befragungen unterzogen und somit ausgeschaltet. Die Freiräume der Malaysier wurden so weiter eingeschränkt.
Da man vor allem Kritik unter der Jugend Malaysias erkannte und befürchtete, früher oder später zu Nationalwahlen gedrängt zu werden, nahm die Regierung im März 2021 vorsorglich auch das von der Vorgängerregierung erlassene Wahlrecht ab 18 Jahren (statt vorher ab 21 Jahren) zurück und erklärte, dass dies für die nächsten Nationalwahlen noch nicht gelten würde. Damit nahm sie 1,2 Millionen malaysischen Jugendlichen zwischen 18 und 20 das Recht, bereits an der nächsten Nationalwahl ihre Stimme abzugeben. Dies führte zu zahlreichen lautstarken Demonstrationen unter Jugendlichen.
Nach Monaten der Kritik in der Bevölkerung und auf Drängen des malaysischen Königs tagte in der Woche vom 26. Juli 2021, nach sechs Monaten Zwangspause und kurz vor Auslaufen des nationalen Notstandes, das Parlament in einer fünftägigen Sondersitzung, um die Abgeordneten über den neuen National Recovery Plan zu informieren. Es wurde aber vorab erklärt, dass die Sondersitzung des Parlaments sich ausschließlich mit der Pandemie befassen würde, keine Abstimmungen oder andere Anträge zugelassen würden und die reguläre Parlamentssitzung erst im September wiederaufgenommen würde. Laut Verfassung hätten alle Notstandsverordnungen und -proklamationen des Königs beiden Kammern des Parlaments vorgelegt werden müssen. Umso größer war die Überraschung, als die Regierung bekannt gab, bereits fünf Tage zuvor alle Notstandsverordnungen aufgehoben zu haben.
Schlechtes Pandemiemanagement
Neben all den oben genannten Faktoren war es vor allem das Handling der Pandemie, das der Regierung Muhyiddin viel Kritik einbrachte. Auf den Punkt gebracht: Trotz des umstrittenen Notstandsgesetzes unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung stiegen in Malaysia die Covid-19 bedingten Fall- und Todeszahlen. Innerhalb des Zeitraums des nationalen Notstandes hatten sich die täglichen Neuinfektionen fast verzehnfacht und die zu beklagenden Todesfälle waren am Ende des Notstandes fast 23 Mal so hoch.
Für den Großteil von 2020 schien Malaysia die Pandemie gut im Griff zu haben. Ein früher strenger Lockdown (oder Movement Control Order, MCO) Mitte März 2020 half, die täglichen Neuinfektionen niedrig zu halten. Vor allem durch die Regionalwahlen in Sabah Ende September 2020, bei denen vor allem Politiker im Land ungehindert umherreisten, stiegen die Fälle Ende des Jahres landesweit deutlich an. In der ersten Januarwoche 2021, trotz vielerorts erneut verhängter sogenannter Conditional Movement Control Order (CMCO), waren die Covid-19 Fallzahlen insgesamt mehr angestiegen, als alle Fälle bis dahin zusammengerechnet. Zum Zeitpunkt des Ausrufens des Notstandsgesetzes am 12. Januar 2021 lagen die täglichen Neuinfektionen bei 2.232 Fällen, es gab 28.554 aktive Fälle im Land und die Zahl der Todesfälle lag bei 555 insgesamt. Die Regierung rief für die folgenden zwei Wochen einen erneuten vollen MCO aus, was kurzzeitig zu wirken schien. Allerdings führten verfrühte Lockerungen dazu, dass Anfang Juni, zum ersten Mal überhaupt seit Beginn der Pandemie, die Zahl der Neuinfektionen bei über 9000 Fällen lag. Im Juli waren es bereits beinahe täglich etwa 20.000 Neuinfektionen. Malaysias Gesundheitssystem war längst an seine Grenzen gestoßen.
Dazu kommt der sehr langsam anlaufende nationale Impfplan, der im Februar 2021 begann und vorsieht, dass bis Februar 2022 insgesamt 80 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft seien. Jedoch erhielten bis Mitte Juni erst etwa zehn Prozent der Bevölkerung ihre erste Impfung und es häuften sich die Fälle, bei denen sich Personen überhaupt erst in den Impfzentren mit Covid-19 infizierten.
Viel Kritik löste vor allem die unübersichtliche, sich stets kurzfristig ändernde und widersprüchliche Kommunikation der pandemiebedingten SOPs (Standard Operation Procedures) aus. Durch ständige Änderungen und nicht einheitliche oder unvollständige Kommunikation der SOP war es der malaysischen Bevölkerung oft nicht möglich, vollständige Informationen dazu zu finden, was aktuell erlaubt war und was nicht. Auch schien es beinahe Widerstand gegen das Lernen aus Maßnahmen, die nicht funktioniert haben, zu geben. Und malaysischen Unternehmen und Gastronomiebetrieben wurde es unnötig erschwert, vorausschauend zu planen.
Hinzu kam die allgegenwärtige Korruption im Land. Viele hinterfragten, warum es ausgerechnet die großen Fabriken sind, die Hauptinfektionsherde für viele Covid-19 Cluster waren, die Sondergenehmigungen für den Weiterbetrieb erhielten. Die kleinen und mittelständigen Unternehmen des Landes hingegen, die beinahe 80 Prozent der malaysischen Wirtschaft ausmachen, haben unter den monatelangen strengen Lockdowns schwer zu leiden. Lieferketten wurden unterbrochen und viele Betriebe schafften es nicht durch die Pandemie, die Arbeitslosigkeit steigt und mit ihr die Armut im Land.
Neue Impulse oder ‘same old, same old’?
Die UMNO erkannte, dass der Moment gekommen war, Muhyiddin Yassin zum Rücktritt zu drängen, und mit Ismail Sabri bin Yaakob wieder einen UMNO-Mann an der Spitze der malaysischen Regierung zu sehen. UMNO-Parteipräsident Ahmad Zahid Hamidi rief Anfang August die UMNO Abgeordneten explizit dazu auf, aus der PN-Regierung auszutreten, da die Regierung in der Pandemiebekämpfung gescheitert sei. In der Folge entzogen insgesamt 15 UMNO Abgeordnete Muhyiddin ihre Unterstützung, was dazu führte, dass dieser nicht länger über eine Mehrheit im Parlament verfügte. UMNO ist die größte Partei in der PN-Allianz, war aber unzufrieden damit, gegenüber Bersatu in der zweiten Reihe zu stehen. Die UMNO war dennoch größter Teil der PN-Regierung und damit genauso wie Bersatu und die anderen Koalitionspartner für das Pandemiemanagement verantwortlich. Jetzt Muhyiddin allein dafür zur Rechenschaft zu ziehen, zeigt deutlich ihr politisches Kalkül. Sie überzeugten den malaysischen König davon, dass Ismail Sabri die Unterstützung von 114 Gesetzgebern hätte, was eine knappe Mehrheit für ihn bedeuten würde. Er erhielt also offensichtlich die Unterstützung von derselben Koalition, die noch vor nicht mal einer Woche zerbrochen war. Viel wird sich daher nicht ändern, denn Ismail Sabri war in der PN- Regierung zuvor bereits federführend für das Pandemiemanagement verantwortlich. Seine Ernennung erweckt darum kaum Hoffnung, dass sich das Management der Pandemie verbessern wird. Nach den Tumulten der letzten Tage ruft nun ausgerechnet die UMNO lautstark zu mehr Stabilität im Land auf. König Abdullah Shah hatte wegen der Covid-19 Pandemie eine Wahl ausgeschlossen und stattdessen einen Kandidaten ernannt, von dem er glaubt, dass er die Mehrheit der Gesetzgeber auf seiner Seite habe. Davon unbenommen bleibt es eine Notwendigkeit, dass bei der nächsten Sitzung des Parlaments im September die Mehrheitsfrage gestellt wird.
Doch trotz des politischen Wechsels wird in Malaysia weiter gegen kritische Stimmen vorgegangen. Am 19. August verhafteten die Behörden über 30 Demonstranten, die eine Mahnwache bei Kerzenlicht abhielten, um die Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 zu betrauern. Ihnen allen wurde später ein Bußgeld von 2.000 Ringgit (etwa 400 Euro) verhängt, weil sie gegen die Covid-19 Auflagen verstoßen hätten. Menschenrechtsgruppen erkennen darin bereits ein unheilvolles Zeichen dafür, dass die Unterdrückung der Versammlungsfreiheit im Land auch unter einer neuen Regierung weitergehen wird.
Der Regierung unter Muhyiddin fehlte es an ausreichender Kompetenz und sie arbeitete nicht wirklich kohärent zusammen. Noch sind die insgesamt 72 Minister- und stellvertretenden Ministerposten nicht vollständig neu besetzt, aber es ist zu befürchten, dass die Regierung unter Ismail Sabri im Wesentlichen eine Fortsetzung der vorherigen Regierung darstellen wird. Auch bleibt abzuwarten, wie es mit den Korruptionsvorwürfen gegen einige UMNO-Mitglieder weitergeht, nun da die Partei wieder die Führung des Landes übernimmt.
Dabei wäre es den Malaysiern zu wünschen, dass eine verantwortungsbewusste Regierung wirksame Maßnahmen gegen die Pandemie ergreift, die Wirtschaft mit gezielten Programmen wieder auf die Beine bringt, strukturelle Probleme aktiv angeht, mit politischer Stabilität wieder ausländische Investoren anzieht, und der Bevölkerung den Wunsch nach Reformen erfüllt, den sie schon in den Wahlen 2018 zum Ausdruck gebracht hatte.
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.