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Gekaufte Treue?

von Tinko Weibezahl

Zur Meuterei der Sicherheitskräfte in der Elfenbeinküste

Die seit nunmehr drei Wochen periodisch auftretenden Streiks und Meutereien der Sicherheitskräfte und des öffentlichen Dienstes in der Elfenbeinküste offenbaren eine tief sitzende Unzufriedenheit von Teilen des öffentlichen Sektors mit der Regierung des westafrikanischen Staates. Diese hat nicht nur finanzielle Ursachen und könnte mittelfristig die grundsätzlich positive Entwicklung des Landes seit dem Ende des Bürgerkrieges im Jahre 2011 empfindlich stören.

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Zur aktuellen Lage

In der Nacht zu Freitag, den 06. Januar 2017 gegen 00:30 Uhr verließen in Bouaké, der nach Abidjan zweitgrößten Stadt der Elfenbeinküste, hunderte Soldaten ihre Kasernen, besetzten wichtige strategische Punkte und begannen damit, Straßensperren zu errichten. Am nächsten Morgen teilte das ivorische Verteidigungsministerium mit, dass eine „Gruppe von Militärs“ Forderungen erhoben hätte und sich die Kommandeure der 2. und 3. Militärregion sowie der Kommandeur eines örtlichen Artilleriebataillons in Verhandlungen mit dieser Gruppe befänden. In der Erklärung waren als zentrale Punkte die Zahlung von versprochenen Prämien, die Anhebung der Gehälter sowie die Verkürzung der Stehzeiten im Dienstgrad, sprich: schnellere Beförderungen enthalten. Das kurze Dokument, unterzeichnet von Verteidigungsminister Alain-Richard Donwahi endete mit dem Aufruf an alle Soldaten, in ihre Kasernen zurückzukehren und Ruhe zu bewahren, bis gemeinsam eine tragfähige Lösung für die Situation gefunden würde.

Bereits einen Tag später traf Minister Donwahi in Bouaké ein, um die Verhandlungen selbst zu führen, „mit seinen Männern zu sprechen“, wie er erklärte. In der Zwischenzeit hatten die Soldaten ein Waffenlager in Bouaké geplündert. In Abidjan, der größten Stadt und Wirtschaftsmetropole, stürmten meuternde Soldaten das Verteidigungsministerium und errichteten Straßensperren entlang einer in der Nähe gelegenen Kaserne. Darüber hinaus gab es Meldungen, dass die Unruhen sich auch auf andere Städte in der Elfenbeinküste ausgeweitet hätten. Opfer waren bis dato keine zu beklagen, es wurden lediglich „Schüsse in die Luft“ dokumentiert.

Noch am selben Abend verkündete Präsident Ouattara, der sich am Beginn der Unruhen zur Amtseinführung des neuen Staatsoberhauptes im Nachbarland Ghana befand und sofort nach Abidjan zurückgekehrt war, in einer Fernsehansprache eine Einigung. Die Forderungen der Soldaten nach Prämienzahlungen und besseren Lebensbedingungen würden "berücksichtigt", sagte Ouattara. Details nannte er nicht. Auch er forderte alle Soldaten auf, in ihre Kasernen zurückzukehren, damit seine Entscheidungen "in Ruhe" umgesetzt werden könnten. Für kurze Zeit sorgte im Nachgang der Deklaration eine Meldung für Unruhe, dass Minister Donwahi mitsamt seiner Delegation in der Residenz des Vize-Präfekten in Bouaké, dem Ort der Verhandlungen mit den Soldaten, festgesetzt worden sei. Vor dem Gebäude hatten sich aufgebrachte Soldaten versammelt und die sofortige Auszahlung der vereinbarten Sonderzahlungen gefordert. Einer der meuternden Soldaten, die den Minister festhielten, sagte der Presse: "Der Präsident muss uns sagen, wann wir bezahlt werden und wie viel wir kriegen." Einige Stunden später konnten der Minister und seine Mitarbeiter jedoch wie geplant die Stadt verlassen und nach Abidjan zurückkehren. In den folgenden Tagen kehrte wieder Ruhe ein – die Soldaten kehrten nach der Zusage erster Zahlungen für den folgenden Montag landesweit in ihre Stützpunkte zurück, das Leben normalisierte sich. Vorsorglich geschlossene Geschäfte wurden wieder geöffnet, die Menschen gingen zum Alltag über.

Am Montag nach den Unruhen unter den Soldaten konstituierte sich das im Dezember 2016 neu gewählte Parlament. Unmittelbar zuvor hatte Ministerpräsident Daniel Kablan Duncan wie vorgesehen den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Das Parlament wählte zunächst seinen Präsidenten, Guillaume Soro, erneut in sein bisheriges Amt. Zwei Tage später gab Staatspräsident Ouattara, wie erwartet, die Zusammensetzung seines Kabinetts bekannt: der bisherige Ministerpräsident übernahm den im Rahmen eines Verfassungsreferendums neu geschaffenen Posten des Vizepräsidenten, der Generalsekretär des Präsidenten, Amadou Gon Coulibaly, wurde zum neuen Premier ernannt. Überraschenderweise wurden – offenbar im Zusammenhang mit der Meuterei - auf Anweisung des Präsidenten zuvor die Chefs der Armee, General Soumaila Bakayoko, der Gendarmerie, General Gervais Kouakou Kouassi und der Nationalen Polizeibehörde, Bredou M’Bia, mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern abgelöst.

In den folgenden Tagen wurden Einzelheiten der Vereinbarungen mit den meuternden Soldaten bekannt. Demnach soll 8.500 ehemaligen Rebellen, die während des Bürgerkrieges auf Seiten des jetzigen Präsidenten kämpften und mittlerweile in die regulären Streitkräfte integriert worden sind, ein einmaliger Betrag von 12 Millionen Franc (rund 18.000 Euro) ausbezahlt werden, beginnend mit einer ersten Rate von jeweils 7.500 Euro, deren Auszahlung unmittelbar beginnen soll. Der gesetzliche Mindestlohn in der Elfenbeinküste liegt bei knapp 100 Euro/Monat, der monatliche Sold eines Soldaten nur geringfügig höher.

Nur eine Woche nach Ende der ersten Unruhen kam es am Dienstag, den 17. Januar zu einer zweiten Meuterei von Angehörigen der Sicherheitskräfte.

In mehreren Städten demonstrierten dieses Mal jene Soldaten und Gendarmen, die nicht von der ursprünglichen Vereinbarung zu Sonderzahlungen profitierten. Neben rund 15.000 Armeeangehörigen betrifft dies einerseits auch ehemalige Rebellen, die in andere Bereiche des öffentlichen Dienstes – wie etwa Zoll und Feuerwehr – integriert wurden, andererseits natürlich jene Gendarmen, Polizisten und Soldaten, die während des Bürgerkrieges nicht Angehörige der Rebellentruppen waren. In der ivorischen Hauptstadt Yamoussoukro wurden im Laufe der Proteste zwei Soldaten, mutmaßliche Meuterer, durch Angehörige der Republikanischen Garde, einer unmittelbar dem Präsidenten unterstehenden Elitetruppe, getötet.

Wiederum sagte die Regierung sofortige Verhandlungen zu, die seither andauern. Verschärft wird die Situation dadurch, dass in der Zwischenzeit auch Angehörige anderer Behörden, etwa der Feuerwehr, in den Streik traten, um ihrerseits Forderungen nach Sonderzahlungen, höheren Gehältern und besseren Arbeitsbedingungen zu erheben. Die für lokale Verhältnisse erheblichen Beträge der „ersten Verhandlungsrunde“ wirkten hierbei als Katalysator für die Unruhe unter den Streikenden. Zeitgleich kam es zu Arbeitsniederlegungen bei Lehrern und anderen zivilen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die noch nicht beendet sind – zahlreiche Schulen sind seit Tagen geschlossen und die öffentliche Verwaltung arbeitet nur sehr begrenzt.

Der neue Chef der Streitkräfte, Generalmajor Touré Sékou, begann am 23. Januar eine Tour durch die Kasernen des Landes, um Gespräche mit den Soldaten zu führen. Er zeigte im Zusammenhang mit den Forderungen zu Beförderungszeiten und Lebensbedingungen Gesprächsbereitschaft, betonte aber, dass die Entscheidung über Sonderzahlungen nicht in der Kompetenz des Verteidigungsressorts läge. Die dahingehenden Wünsche der Soldaten würden „gehört und weitergeleitet“. Im Übrigen, so der General weiter, würde sich jeder Soldat, der seinen Pflichten nicht nachkomme, „ernsthaften disziplinarischen Sanktionen“ aussetzen.

Hintergrund

Die Unruhen innerhalb der ivorischen Sicherheitskräfte sind eine unmittelbare Folge der Regierungskrise von 2010/2011, als sich nach den Präsidentschaftswahlen vom Oktober (erste Runde) bzw. November 2010 (Stichwahl) der bisherige Amtsinhaber Laurent Gbagbo und der jetzige Präsident Alassane Ouattara gegenseitig des Wahlbetruges bezichtigten. Gbagbo gewann zwar die erste Runde, die „Unabhängige Wahlkommission“ (Commission Électorale Indépendante de Côte d’Ivoire, CEI) erklärte jedoch den damaligen Oppositionsführer Ouattara zum Sieger der Stichwahl. Der seinerzeit als regierungstreu geltende Verfassungsrat (Conseil Constitutionnel) wiederum kürte Gbagbo zum Sieger, der kurz darauf vor eben diesem Gremium einen Amtseid ablegte. Auch Ouattara legte diesen – in Form eines Briefes an den Verfassungsrat – ab, so dass die Elfenbeinküste bis April 2011 zwei miteinander konkurrierende Präsidenten hatte.

Alassane Ouattara konnte, im Gegensatz zu Gbagbo, auf massive internationale Unterstützung setzen. Die Entscheidung des Verfassungsrates zugunsten Gbagbos wurde international scharf kritisiert. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte Gbagbo auf, seine Niederlage einzugestehen. Die Afrikanische Union zeigte sich „tief besorgt“ über die Entwicklung im Land. US-Präsident Barack Obama und der französische Präsident Nicolas Sarkozy gratulierten Ouattara zum Wahlsieg und forderten Gbagbo auf, das offizielle Ergebnis der Wahlkommission anzuerkennen. Die Europäische Union und weitere Länder schlossen sich dieser Position an. Schließlich forderte der UN-Sicherheitsrat alle Beteiligten auf, das von der Wahlkommission verkündete Wahlergebnis zu respektieren.

In den Monaten danach kam es zu schweren Kampfhandlungen hauptsächlich entlang der alten Waffenstillstandslinie, die 2007 im Vertrag von Ouagadougou bestimmt wurde, als das Land in einen nördlichen und einen südlichen Abschnitt geteilt war. Auch in der Metropole Abidjan kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Der Konflikt nahm an Intensität zu, bis hin zur Eskalation in bürgerkriegsähnliche Zustände im Februar 2011. Auf Seiten von Ouattara kämpften die Forces Nouvelles de Côte d’Ivoire (FN), die seit Ende des Bürgerkriegs 2007 den Norden des Landes offiziell kontrollierten, wo auch der aus dem Norden stammende Ouattara seine Machtbasis hat. Die bisherigen regulären Streitkräfte des Landes und insbesondere die Republikanische Garde unterstützten hingegen Gbagbo, der seine Hausmacht im Süden des Landes wusste.

Auf dem Gebiet der Elfenbeinküste befanden sich seinerzeit auch Soldaten der Vereinten Nationen im Rahmen der Opération des Nations Unies en Côte d’Ivoire (ONUCI) und französische Elitekräfte der Opération Licorne, einer Unterstützungstruppe für die UN-Mission, außerdem verantwortlich für den Schutz französischer Staatsbürger im Land. Diese Einheiten spielten im Verlauf des Konfliktes eine zunehmend aktive Rolle bei den Kämpfen.

Ouattaras Truppen, im März 2011 in Forces Républicaines de Côte d’Ivoire (FRCI) umbenannt und durch zu ihm übergelaufene Regierungssoldaten ergänzt, begannen Ende März 2011 eine erfolgreiche Offensive, die Anfang April mit der Einnahme großer Teile Abidjans endete. Gbagbo selbst verschanzte sich mit einigen hundert Gefolgsleuten in seiner Residenz, seine verbliebenen Truppenteile leisteten im Zentrum Abidjans erheblichen Widerstand. Es folgten intensive Kämpfe, bei denen alle Seiten schwere Waffen im Stadtgebiet einsetzten. Die ONUCI und Einheiten der französischen Streitkräfte griffen entscheidend auf Seiten Ouattaras ein, was schließlich am 11. April 2011 zur Festnahme Gbagbos führte. Dieser wurde am 30. November an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt. Gbagbos Lager löste sich auf. Die ersten Wahlen nach der Krise am 11. Dezember 2011 verliefen friedlich und endeten mit einem deutlichen Sieg der Partei Rassemblement des Républicains (RDR) des nunmehr einzigen Präsidenten Alassane Ouattara.

Nach dem Ende der Krise wurden die beiden existierenden Armeen, die Forces Républicaines (FRCI) und die ehemalige „Armée nationale“ (FANCI) zu einer neuen Armee, den „Forces Armées de Côte d’Ivoire“ (FACI) zusammengeführt. Ouattara berief sich bei der Gründung der neuen Streitkräfte auf den – bereits erwähnten – Vertrag von Ouagadougou von 2007, dessen Artikel 3 die Entwaffnung und Demobilisierung der bewaffneten Milizen, den Neuaufbau einer nationalen Armee und Integration der demobilisierten Soldaten in diese Armee forderte. Dieses Vorhaben wurde umgesetzt, insgesamt 40.000 Bewaffnete wurden in der Folgezeit demobilisiert. Heute bestehen die Streitkräfte aus ca. 23.000 Soldaten, davon etwa 1.000 Offiziere, 14.000 Unteroffiziere und 8.000 Mannschaftsdienstgraden.

Den nunmehr in die Armee integrierten ca. 8.500 ehemaligen Kämpfern der Forces Nouvelles wurden im Rahmen der Kämpfe 2011 offenbar Zusagen hinsichtlich Sonderzahlungen gemacht, sollte die militärische Auseinandersetzung erfolgreich sein, was angesichts der seinerzeit völlig unsicheren Lage auch als nachvollziehbarer Schritt angesehen werden kann. Offenbar hat die Regierung es in den vergangenen sechs Jahren aber versäumt, eine klare Strategie zum Neuaufbau der Streitkräfte zu entwickeln, diese auf ein vernünftiges Maß zu verkleinern, die Dienstgradstruktur anzupassen und die Proliferation der zahlreichen im Umlauf befindlichen Waffen effektiv zu verhindern. Hochrangige Militärs sprechen davon, dass parallel existierende Kommandostrukturen und auch der mangelnde politische Willen der Regierung, die Neustrukturierung der Armee schnell voranzutreiben, zur jetzigen Situation geführt hätten. Die Regierung hat sich stattdessen darauf beschränkt, periodisch aufkeimende Unzufriedenheit unter den Militärs mit „Sonderzahlungen“ mittelfristig zu beruhigen, zuletzt im November 2014, als schon einmal ehemalige Rebellen ausstehende Zahlungen forderten – wenn auch in weitaus bescheidenerem Rahmen als in der momentanen Situation.

Bewertung und Ausblick

Seit Ende der Krise von 2011 ist es Präsident Ouattara und seiner Regierungsmannschaft relativ schnell gelungen, die wirtschaftlichen Folgen des langjährigen Konfliktes zu überwinden und die Elfenbeinküste auf einen – zumindest ökonomischen – Erfolgskurs zu bringen. Seit Jahren geht es wirtschaftlich aufwärts – etwa als weltweit größter Produzent von Kakao. Mit einer jährlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von knapp neun Prozent von 2012 bis 2015 ist das westafrikanische Land laut Internationalem Währungsfonds auf dem Weg, Afrikas am schnellsten wachsende Volkswirtschaft zu werden – eine Erfolgsgeschichte, die angesichts der massiven Probleme in anderen Staaten der Region wie etwa Mali oder Niger ihresgleichen sucht und von der Internationalen Gemeinschaft entsprechend honoriert wird. Präsident Ouattara hat es geschafft, zahlreiche ausländische Investoren mit seinem Fokus auf wirtschaftliche Reformen und Wachstum ins Land zu holen. Dazu trug freilich auch seine persönliche Historie als in den USA ausgebildeter, ehemaliger Direktor des Internationalen Währungsfonds in Washington bei, die nahelegte, dass es sich bei Ouattara um eine weltgewandte, in Fragen der Ökonomie bewanderte Persönlichkeit handelte, die sich der Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft als „würdig“ erweisen würde. Als „ökonomisch-politischer Erbe“ des in der Elfenbeinküste legendären ersten Staatspräsidenten Félix Houphouët-Boigny, der als Minister und Mitautor der Verfassung der 5. Französischen Republik im Kabinett von Charles de Gaulle diente, als Sieger über den international isolierten Laurent Gbagbo, übernahm er das Land, konfrontiert mit großen Erwartungen und ausgestattet mit „Vorschusslorbeeren“ zahlreicher Staatschefs der Welt, wie etwa Barack Obama oder Nicolas Sarkozy. Der Erfolg schien ihm Recht zu geben – ein Bauboom in Abidjan, Einkaufszentren und zahlreiche produzierende Gewerbe etablierten sich in den vergangenen fünf Jahren in der größten Metropole des Landes. Auch die innenpoli tische Situation sprach für Ouattara – große Teile der Bevölkerung, des Krieges und der politischen Auseinandersetzung müde, unterstützten seine Politik in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die letzten Präsidentschaftswahlen im Oktober 2015 bestätigten Ouattara mit bemerkenswerten 83 Prozent der abgegebenen Stimmen im Amt. Nach den jüngsten Parlamentswahlen im Dezember 2016 gingen zahlreiche internationale – auch deutsche – Diplomaten davon aus, dass die Folgen von Bürgerkrieg und Krise nun endgültig überwunden wären.

Bei aller Euphorie um die Elfenbeinküste als „Leuchtturm“ Westafrikas wurde jedoch zum einen außer Acht gelassen, dass eine signifikante Mehrheit der Bevölkerung nicht am wirtschaftlichen Aufschwung des Landes partizipiert und es zum anderen an einer kohärenten Strategie fehlt, die ehemals verfeindeten Gruppen des Bürgerkrieges zusammenzubringen – inklusive der Sicherheitskräfte. Die Wachstumsrate der Bevölkerung beträgt im Schnitt 2,4 Prozent pro Jahr; das heißt auch, dass jedes Jahr etwa eine halbe Million junge Menschen neu auf den Arbeitsmarkt drängt, für die es trotz guter Wirtschaftszahlen bei weitem nicht genügend Arbeit gibt. Die Anzahl der Menschen in absoluter Armut hat sich – gegenläufig zur Gesamtentwicklung in Subsahara-Afrika sogar noch erhöht und stellt für das Land ein erhebliches (und wachsendes) Problem dar. Die nur schleppend vorangekommene Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während der Bürgerkriegsjahre trägt ihrerseits dazu bei, die Gesamtbilanz der Regierung Ouattara einzutrüben.

Die Unzufriedenheit bei Soldaten, Gendarmen, Polizisten und anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zeigt sich seit Jahren in periodisch ausbrechenden Streiks und Meutereien. Bis heute hat die Regierung keine kohärente Strategie entwickelt, um solche Vorkommnisse wirksam zu unterbinden. Sämtliche bisherigen Unruhen wurden mit – zum Teil stattlichen – Einmalzahlungen beruhigt, ohne jedoch die tieferliegenden Ursachen einer genaueren Analyse zu unterziehen. Zwar hat die Regierung einen ehrgeizigen Plan zur Modernisierung der Streitkräfte bis zum Jahr 2020 vorgelegt - unter anderem sollen für 1,2 Milliarden Euro neue Ausrüstung beschafft werden und auch die Streitkräfte personell reformiert werden – die Lebensbedingungen der Soldaten und Gendarmen sind jedoch oftmals prekär. Hohe Militärs äußern in Hintergrundgesprächen ihre Besorgnis ob der derzeitigen Taktik der Regierung, meuternde Soldaten mit Sofortzahlungen zu besänftigen – sie kritisieren die „Appeasement-Politik“ der Regierung („toujours la politique de la carotte et non celle du bâton“). Nicht nur tragen die hohen Kosten in keiner Weise zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation der Streitkräfte bei – die sofort einsetzende Debatte über Ungleichbehandlung verschiedener Bereiche des öffentlichen Dienstes schränkt die Handlungsfähigkeit des Staates in erheblichem Maße ein.

Ouattara beschränkt mit dieser Taktik in zunehmendem Maße seine eigenen Handlungsoptionen. Die staatlichen Ressourcen sind endlich, nicht jeder Beschäftigte im öffentlichen Dienst kann allein aus finanziellen Gründen mit vergleichbar großzügigen Zahlungen rechnen. Dazu kommt das fatale Signal an Nachahmer, die sehen, wie schnell Meutereien bisher zum Erfolg im Sinne einer großzügigen finanziellen Zuwendung geführt haben. Eine andauernde Unzufriedenheit innerhalb der Sicherheitskräfte bedroht jedoch nicht nur die Position der Regierung, sondern auch die bisher erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Ausländische Investoren dürften kaum bereit sein, in einem Land langfristige Investitionen zu tätigen, in dem die staatlichen Sicherheitsorgane selbst ein nicht geringes Stabilitätsrisiko darstellen. Seit 1990 hat es nicht weniger als elf Meutereien ivorischer Soldaten gegeben, eine davon, die 1999 als Disput um Gehälter begann, endete mit einem Staatsstreich, der den damaligen Präsidenten Henri Konan Bedié aus dem Amt fegte und in einer Militärdiktatur endete. Man braucht also in der Geschichte des Landes nicht allzu weit zurück zu blicken, um die Risiken für die Stabilität des Landes zu sehen. Mittelfristig kommt hinzu, dass sich Präsident Ouattara in der Mitte seines zweiten – und nach der Verfassung letzten – Mandates befindet. Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind für 2020 vorgesehen und es wäre dringend geboten, den Prozess der nationalen Versöhnung bis dahin signifikant voranzubringen, um Konflikte entlang der alten politischen Fronten von vornherein zu vermeiden. Ebenso empfiehlt es sich, den Angehörigen der Sicherheitskräfte eine klare, berechenbare Perspektive zu bieten, um mögliche Meutereien mit ungewissem Ausgang im Vorfeld oder Verlauf der Wahlen auszuschließen.

Das Risiko für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Elfenbeinküste ist durchaus real. Die positive Entwicklung der letzten Jahre ist keineswegs so stabil, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt als unumkehrbar gelten könnte. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Bürgerkrieges nicht sehr hoch ist, so besteht doch die Möglichkeit, dass ausländische Investitionen angesichts unklarer Zukunftsperspektiven schnell austrocknen könnten. Insbesondere für eine Rohstoffökonomie, die die Elfenbeinküste noch immer ist, wäre dies langfristig fatal.

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2. Februar 2017
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