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Bangkoks Gouverneurswahlen 2022

von Dr. Céline-Agathe Caro, Sarita Piyawongrungruang

Der Erdrutschsieg des unabhängigen Kandidaten Chadchart hat Signalwirkung für die Parlamentswahlen 2023

Der 22. Mai markiert normalerweise den Jahrestag des Militärputsches von 2014 in Thailand. In diesem Jahr fiel er jedoch mit den Gouverneurswahlen in Bangkok zusammen – den ersten Lokalwahlen in der Hauptstadt seit neun Jahren und damit seit der Machtergreifung durch das Militär. Ende März 2022 wurde offiziell angekündigt, dass die Wahl des Gouverneurs von Bangkok zwei Monate später stattfinden würde. Der offizielle Wahlkampf war daher kurz, aber lebhaft: 31 Kandidaten bewarben sich um das Amt. Viele Umfragen hatten den Sieg des unabhängigen Kandidaten Chadchart Sittipunt vorhergesagt, aber nicht sein Rekordergebnis. Auch bei den parallel stattfindenden Stadtratswahlen gab es Überraschungen: Die beiden größten Oppositionsparteien, Pheu Thai und Move Forward, erhielten zusammen mehr als zwei Drittel der Sitze.

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Der Gouverneur und die Stadtverwaltung von Bangkok sind dem Innenministerium unterstellt und haben nur begrenzte Befugnisse. Bangkok ist auch nicht repräsentativ für Thailand und es wäre irreführend, aus diesen Wahlen Schlussfolgerungen über die politische Stimmung im gesamten Land zu ziehen. Diese Wahl ist aber trotzdem besonders, denn nur in Bangkok und Pattaya werden die Gouverneure und Stadtratsmitglieder gewählt, und nicht wie sonst in dem Rest des Landes von der Zentralregierung ernannt. Der lebhafte Wahlkampf und die unerwarteten Ergebnisse dieser lokalen Wahlen zeigen zudem einige politische Trends auf, die sich auf die nächsten Parlamentswahlen – voraussichtlich im Frühjahr 2023 – auswirken könnten.

 

Der Wahlkampf

Bereits vor der offiziellen Bekanntgabe des Wahltermins hatten mehrere Parteien ihre Kandidaten vorgestellt. Die meisten Wahlkampfprogramme enthielten Maßnahmen zur Abfallentsorgung, zum Schutz vor Überschwemmungen, zur Verbesserung der Fußwege, der Bangkoker Verkehrslage und der Luftqualität sowie zu besserem öffentlichen Gesundheitswesen und hochwertiger Bildung.

Viele Politikwissenschaftler haben angemerkt, dass die Hauptkandidaten für die Gouverneurswahlen grob in zwei Kategorien eingeteilt werden können: das konservative, etablierte Lager, das den Status quo verteidigt, und die progressive, pro-demokratische Bewegung, die politische Reformen befürwortet.

Palang Pracharat, die Partei des Militärs und des Premierministers Prayut Chan-o-cha, hatte offiziell keinen Kandidaten für das Gouverneursamt nominiert. Sie nahm aber an den Stadtratswahlen teil.

Unter den Hauptkandidaten für die Gouverneurswahlen gab es nur eine Frau, Rosana Tositrakul. Die 68-jährige ehemalige Senatorin hat sich einen Namen im Bereich Verbraucherschutz gemacht. Sie ist im konservativen Lager einzuordnen.

Die anderen prominenten Kandidaten auf der konservativen Seite waren Aswin Kwanmuang, Sakoltee Phattiyakul und Suchatvee Suwansawat. Sie alle haben enge Verbindungen zur derzeitigen Regierung.

Aswin Kwanmuang, 71, ist ein pensionierter Polizist und der amtierende Gouverneur von Bangkok. Er wurde 2016 von dem Militär in dieses Amt berufen.

Sakoltee Phattiyakul, 44, ist ein ehemaliger stellvertretender Gouverneur von Bangkok und ein ehemaliger Protestführer des People's Democratic Reform Committee (PDRC), einer royalistisch-konservativen Bewegung, die eine entscheidende Rolle beim Sturz der gewählten Regierung im Jahr 2014 spielte.

Suchatvee Suwansawat, 50, ist der ehemalige Präsident des King Mongkut's Institute of Technology Ladkrabang. Er kandidierte unter dem Banner der ältesten politischen Partei Thailands, der Demokratischen Partei. Ihre Ausrichtung ist royalistisch und liberal bis konservativ.

Auf der Seite der Progressiven waren Chadchart Sittipunt und Wiroj Lakkana-adisorn die Hauptkandidaten. Alle zwei stehen mit den derzeitigen Oppositionsparteien in Verbindung.

Chadchart Sittipunt, 55, ist ein ehemaliger Verkehrsminister und ehemaliger Premierministerkandidat von Pheu Thai, der größten Oppositionspartei. Chadchart kandidierte aber als Unabhängiger und begann seinen Wahlkampf zwei Jahre im Voraus – als noch niemand wusste, wann die Wahlen wirklich stattfinden würden. Dieser frühe Start erlaubte ihm, das bei weitem umfassendste Programm vorzulegen: Neun Hauptthemen, die in 214 Unterthemen unterteilt sind.

Wiroj Lakkana-adisorn, 44, ist ein ehemaliger Abgeordneter der Move Forward Partei (MFP), der progressivsten Oppositionspartei Thailands, die sich klar für eine Verfassungsreform, Korruptionsbekämpfung und mehr soziale Gerechtigkeit ausspricht.

Laut Siripan Noksuan Sawasdee von der Fakultät für Politikwissenschaften an der Chulalongkorn Universität war – neben dem Programm und dem Vertrauen – das politische Lager der Kandidaten der wichtigste Faktor bei den Wählern für die Auswahl eines Kandidaten. Viele Beobachter interpretierten daher diese Bangkoker Wahl als einen Test, um die Popularität des regierenden, etablierten Lagers und der pro-demokratischen Opposition im Vorfeld der Parlamentswahlen, die 2023 stattfinden müssten, zu messen.

 

Die Ergebnisse

Nach Angaben des Bangkok Metropolitan Administration (BMA) gab es für beide Wahlen (Gouverneurs- und Stadtratswahlen) rund 4,4 Millionen Wahlberechtigte. Die Wahlbeteiligung – rund 60 Prozent – war ziemlich niedrig für diese erste Lokalwahl nach neun Jahren.

Für die 50 Sitze/Bezirke des Stadtrats von Bangkok:

Die Pheu Thai Partei lag mit 20 Sitzen an erster Stelle, gefolgt von der Move Forward Partei (14 Sitze), der Demokratischen Partei (9 Sitze), der Thai Sang Thai Partei (2 Sitze), der Palang Pracharat Partei (2 Sitze), der Rak Krungthep Gruppe (2 Sitze) und einem unabhängigen Kandidaten.

Die beiden wichtigsten Oppositionsparteien – Pheu Thai und Move Forward – errangen zusammen 34 von 50 Mandaten, d.h. 68 % der Sitze im Rat. Die beiden größten Regierungsparteien wiederum – die Palang Pracharat von Prayut und die Demokratische Partei, deren Hochburg traditionell im Großraum Bangkok und in Südthailand liegt – kamen zusammen auf nur elf Sitze und erlitten damit eine herbe Niederlage. 

Für den Gouverneur von Bangkok:

Chadchart Sittipunt gewann diese Wahl mit 51,85 Prozent der abgegebenen Stimmen (über 1,3 Millionen Stimmen). Alle Kommentatoren in den thailändischen Medien sprachen am nächsten Tag von einem Erdrutschsieg.

Seine Gegner waren weit abgeschlagen: Suchatvee Suwansawat von der Demokratischen Partei wurde mit 9,52 Prozent der Stimmen (etwa 250.000 Stimmen) Zweiter, gefolgt von Wiroj Lakkhana-adisorn von der Move Forward Partei (9,49 Prozent), und dann Sakoltee Phattiyakul (8,62 Prozent) und Aswin Kwanmuang (8,03 Prozent), den beiden Kandidaten, die dem Militär nahestehen.

Die Zahl der Stimmen, die Chadchart erhielt, stellt einen neuen Rekord bei den Gouverneurswahlen in Bangkok dar und übertrifft das Ergebnis von Sukhumbhand Paribatra von der Demokratischen Partei im Jahr 2013 (1,2 Millionen Stimmen).

Kurz nachdem sich abzeichnete, dass er mit großem Vorsprung gewinnen würde, gab Chadchart eine Pressekonferenz und wählte einen versöhnlichen Ton in einem ansonsten sehr polarisierten politischen Umfeld. "Ich bin bereit, jedermanns Gouverneur zu sein. Ob Sie nun für mich gestimmt haben oder nicht. Ich werde Ihnen allen gleichermaßen dienen. Ich möchte, dass wir gemeinsam voranschreiten. Wir mögen unterschiedliche Standpunkte haben, aber lassen Sie uns keine Abneigung oder Wut gegeneinander entwickeln.“, sagte er als zukünftiger Gouverneur. Nachdem er den Wahlkampf als Unabhängiger geführt hatte und keine Stadtratsmitglieder seiner Bewegung angehören, fügte Chadchart hinzu, dass er bereit sei, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten.

 

Signale für die nächsten Parlamentswahlen?

Trotz landesweiter politischer Resonanz ist diese Bangkoker Wahl aus sozialen, demografischen und politischen Gründen nicht repräsentativ für das ganze Land und kann daher zu keiner Aussage über die Beliebtheit der Regierung in der gesamten Bevölkerung führen. Sie hat aber eine starke Signalwirkung und könnte möglicherweise eine Auswirkung auf die nächsten Parlamentswahlen haben. Insbesondere die folgenden Entwicklungen sind in den nächsten Monaten weiter zu beobachten:

Der Gouverneurswahlkampf in Bangkok war überraschend lebendig. Die Kandidaten haben sehr frei agiert. Viele haben es sogar gewagt, heikle Themen wie den Umgang mit königlichen Wagenkolonnen und Straßenprotesten oder Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Coups d‘Etat zu diskutieren. Keine Partei und kein Kandidat wurde von der Wahl ausgeschlossen und diese wird generell von Wahlbeobachtern als Erfolg für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Thailand betrachtet. Die Wahl wurde im ganzen Land aufmerksam verfolgt. Viele Bürger außerhalb Bangkoks äußerten anschließend den Wunsch, an einem ähnlichen demokratischen Prozess teilzunehmen. Sie diskutierten ihr Recht, die Gouverneure der Provinzen zu wählen.

Diese lokale Wahl sendet ein negatives Signal an die derzeitige Regierung und Politik Prayuts. Beobachter wiesen darauf hin, dass mehrere Faktoren zu dem schlechten Abschneiden des etablierten Lagers beigetragen haben könnten: mangelndes Engagement im Wahlkampf mit detaillierten politischen Vorschlägen und einem klaren Spitzenkandidaten, Spaltungen und interne Streitigkeiten innerhalb der regierenden Mehrheit, das Entstehen einer neuen politischen Landschaft seit 2019 mit einer neuen starken Oppositionspartei (Move Forward) sowie Missmanagement der Pandemie und anhaltende wirtschaftliche Probleme.

Die progressiven Fraktionen mit demokratischen Werten sind bei dieser Wahl deutlich stärker geworden. Dies spiegelt das gestiegene Bewusstsein für Grundsätze der Demokratie in der Bangkoker Öffentlichkeit wider, insbesondere in der jungen Generation, die in den letzten Jahren politisch erheblich an Signifikanz gewonnen hat. So waren beispielsweise bei den Gouverneurswahlen in Bangkok rund 700.000 Erstwähler registriert.

 Die politischen Erwartungen der Bürger in der Bangkoker Metropole scheinen sich langsam zu verändern. Die Menschen konzentrieren sich weniger auf Themen der nationalen Sicherheit als früher. Stattdessen fordern sie Wohlstand und bessere Lebensbedingungen. Experten kommen daher zu dem Schluss, dass Parteien, denen es gelingen würde, das Vertrauen der Bürger im Hinblick auf ihre Fähigkeit, das Land zum Wohlstand zu führen, bei den nächsten Parlamentswahlen mehr Erfolgschancen haben könnten.

Chadchart hat diese Wahl gewonnen, nachdem er sich als "dritter Weg" zwischen dem Lager der Etablierten, die den Status quo verteidigen, und der pro-demokratischen Fraktion um Move Forward präsentiert hat. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Hauptstadt nach zwei Jahren direkter und zum Teil gewaltsamer Auseinandersetzungen – auf der Straße und vor Gericht – zwischen der Regierung auf der einen Seite und der Move Forward Partei sowie den Demonstranten auf der anderen Seite einen moderaten und schrittweisen Wandel anstrebt. 

Obwohl Pheu Thai, die derzeit wichtigste Oppositionspartei, einen großen Prozentsatz der Sitze im Stadtrat von Bangkok gewonnen hat, sind ihre Erfolgsaussichten bei den nächsten Wahlen noch unklar. Die Ergebnisse dieser Bangkoker Wahl zeigen, dass die Move Forward Partei in den letzten zwei Jahren stärker geworden ist. Sie könnte Pheu Thai teilweise ihre traditionelle Wählerbasis wegnehmen und mehr Erfolg unter den Erstwählern und der jungen Generation haben.

Das gute Abschneiden der Move Forward Partei hat ihre Popularität bei der jungen Generation erhöht. Infolgedessen läuft die Partei Gefahr, entweder vor oder nach den nächsten Parlamentswahlen vom Verfassungsgericht aufgelöst zu werden, wie es bei ihrer Vorgängerpartei, der Future Forward Partei, im Jahr 2020 geschah.

An den nächsten Parlamentswahlen werden sich Parteien beteiligen, die für die Gouverneurswahlen in Bangkok keine Rolle gespielt haben. So war beispielsweise die Bhumjaithai Partei, ein wichtiger Koalitionspartner von Palang Pracharat, bei dieser Wahl in Bangkok nicht vertreten, da ihre traditionelle politische Heimat im Nordosten des Landes liegt. Ihr Erfolg bei den nächsten Parlamentswahlen wird sowohl für die konservativen als auch für die progressiven Parteien entscheidend sein, um Koalitionen zu bilden und eine Mehrheit zu erlangen.

Schließlich sind die 250 derzeitigen Senatoren immer noch die Personen, die 2019 von der Junta ernannt worden sind. Zusammen mit den 500 Mitgliedern der Nationalversammlung werden sie an der Wahl des nächsten Premierministers teilnehmen. Die Pheu Thai Partei wünscht sich einen Erdrutschsieg bei den nächsten Parlamentswahlen, in der Hoffnung, dass es einige Senatoren dazu bringen könnte, sie anschließend zu unterstützen. Ohne die Unterstützung dieser Senatoren wird es für die Oppositionsparteien, ähnlich wie nach den Parlamentswahlen 2019, unmöglich sein, den nächsten Premierminister zu wählen, da sie mehr als 375 Abgeordnetenmandate gewinnen müssten, um eine Mehrheit zu bilden.

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