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Länderberichte

Machtspiele an der Moldau

von Matthias Barner, Alena Reslová

Die Demokratie in der Tschechischen Republik steht vor einer Bewährungsprobe

Die von Premierminister Bohuslav Sobotka eingeleitete Regierungskrise hat zu verwirrenden politischen Zuständen in Prag geführt. Auch wenn sich die Regierung fünf Monate vor den regulären Parlamentswahlen doch noch einmal zusammenraufen würde, legen die Vorgänge die Risse im Zusammenspiel der demokratischen Institutionen offen und könnten ein Vorzeichen für unruhige politische und gesellschaftliche Zeiten in Tschechien sein.

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Prager Burg, Moldau u. Karlsbrücke

Von außen betrachtet gab es keine Notwendigkeit für den Regierungsrücktritt. Die Koalitionsregierung bestehend aus der sozialdemokratischen CSSD, der liberal-populistischen ANO („Aktion unzufriedener Bürger“) und der christdemokratischen KDU-ČSL kann auf eine recht erfolgreiche Arbeit in den letzten drei Jahren zurückblicken, brachte die von vielen Tschechen erhoffte Stabilität und das Land steht wirtschaftlich gut da. Die zunehmend in der Öffentlichkeit ausgetragene Konfrontation zwischen Ministerpräsident Bohuslav Sobotka (CSSD) und Finanzminister Andrej Babiš (ANO) war zwar nicht mehr zu leugnen, doch es stehen ohnehin Wahlen vor der Tür, die bereits auf den 20./21. Oktober terminiert waren.

Beobachter in Prag gehen daher davon aus, dass es dem politisch-taktischen Kalkül von Sobotka geschuldet war, weshalb er diesen für alle überraschenden Schritt der Regierungsauflösung einleitete. Als Parteichef der CSSD nicht unumstritten und in den Umfragen mit weitem Abstand hinter der ANO gelegen, stand er mit dem Rücken zur Wand und sah in diesem Manöver offenbar die Chance eines Befreiungsschlages. In einer Pressekonferenz warf Sobotka seinem Finanzminister dubiose Geschäfte und den Verdacht des Steuerbetrugs vor. Dafür wolle er als Regierungschef nicht länger die Verantwortung tragen. Damit Babis nicht zum „Märtyrer“ werde, solle die gesamte Regierung den Rücktritt einreichen, so Sobotka.

Doch dieses Manöver wurde schnell zum Rohrkrepierer. Der Milliardär Andrej Babiš ist nicht nur Finanzminister, sondern er verfügt über einen Großkonzern mit 250 Unternehmen in 18 Ländern, zu dem auch zwei der auflagenstärksten tschechischen Tageszeitungen gehören. Dieser gravierende Interessenkonflikt und die Gerüchte über unklare Eigentumsverhältnisse sind nicht neu. Sobotka regierte mit ihm trotzdem über drei Jahre zusammen. Insofern hat sein Schritt erst zum jetzigen Zeitpunkt ein Glaubwürdigkeitsmanko.

Peinliche Posse auf der Prager Burg

Entscheidend war aber, dass Sobotka mit der Rücktrittsankündigung das Heft des Handelns an Staatspräsident Miloš Zeman weitergab. Zeman wird eine tiefe Abneigung gegenüber Sobotka und eine Nähe zu Babiš nachgesagt. Was sich dann im politischen Prag abspielte, war ein verwirrendes Szenario, was die angesehene Zeitung „Hospodarske noviny“ zum Kommentar veranlasste, dass die Tschechische Republik zum „Zentrum der Peinlichkeit“ werde. Kurzum: Zeman wollte nur den Rücktritt Sobotkas akzeptieren, nicht den der ganzen Regierung. Vor laufenden Kameras ließ er ihn auf der Prager Burg, seinem Dienstsitz, einfach stehen. Sobotka änderte dann seine Meinung und beantragte die alleinige Abberufung des Finanzministers. Es entwickelte sich ein Verfassungsstreit, da Zeman sich zunächst weigerte, dem Entlassungsgesuch Folge zu leisten. Nachdem der Staatspräsident dann am vergangenen Donnerstag zu einem Besuch nach China abreiste, signalisierte Babiš, dass er notfalls nicht im Wege stehen werde und benannte für seine mögliche Entlassung schon die Vize-Finanzministerin als seine Nachfolgerin. Doch diese hat Ministerpräsident Sobotka bereits abgelehnt.

Täglich gibt es neue Wendungen in diesem machtpolitischen Verwirrspiel, in denen sich nicht nur die Parteien, sondern auch die demokratischen Institutionen gegeneinander bekriegen. So wurden abgehörte Audio-Aufnahmen an Nachrichtenportale geschickt, in denen Babiš einem Journalisten seines Medienkonzerns gezielt instruiert, obwohl er stets behauptet hatte, keinen Einfluss auf die Berichterstattung der ihm gehörenden Medienhäuser zu nehmen. In einer Resolution bezichtigte das Abgeordnetenhaus den Finanzminister daraufhin der Lüge und warf ihm vor, seine politischen Gegner mit Hilfe seiner Medien zu kompromittieren.

Es lassen sich schwer Voraussagen machen, wie das alles enden wird. Eine mögliche Lösung wäre, dass Zeman die Entlassung des Finanzministers doch vollzieht und die Regierungskoalition sich bis zum Wahltag mit einem neuen Finanzminister noch einmal zusammenrauft. Doch das hängt letztendlich von Staatspräsident Zeman ab, der für seinen rustikalen und unberechenbaren Politikstil bekannt ist. In letzter Konsequenz können daher vorgezogene Neuwahlen nicht ausgeschlossen werden. Fest steht aber, dass der Tschechischen Republik in den nächsten Monaten ein heißer und polarisierender Wahlkampf bevorsteht. Entscheidend wird sein, ob und wie sich die Machtspiele innerhalb der politischen Klasse in Prag auf die Menschen im Land, insbesondere auch fern der Hauptstadt, auswirken.

„Die politische Kultur und das moralische Klima beschädigt“

In Prag und anderen Städten sind vergangene Woche spontan Zehntausende von Menschen auf die Straße gegangen. Die Proteste richteten sich gegen Präsident Zeman und ANO-Chef Babiš, denen Machtmissbrauch und Unwahrhaftigkeit vorgeworfen wird. Einer der Redner auf dem Prager Wenzelsplatz sagte: „Das unverschämte Verhalten eines Politikers, gegen den ernsthafte Beschuldigungen erhoben werden, und dessen Beschützer auf der Prager Burg, beschädigen stark die politische Kultur und das moralische Klima im Land.“

Ob sich diese Ansicht im Land weiter verbreiten wird, ist aber alles andere als ausgemacht. Denn das politische Erfolgsrezept des ursprünglich aus der Slowakei stammenden Andrej Babiš war gerade sein unkonventioneller Umgangston und sein Image als Macher und Unternehmer, und eben nicht als Politiker. Ein junger Bürgeraktivist aus dem Protestlager meinte demzufolge zu den Babiš-Wählern: „Sie unterstützen ihn nicht, sondern bewundern ihn.“ In den Meinungsumfragen lag die Bewegung ANO kurz vor dem Ausbruch der Regierungskrise mit 33% der Stimmen unangefochten an der Spitze, gefolgt von der CSSD mit abgeschlagenen 18%. Es lief alles darauf hinaus, dass Andrej Babiš nach den Wahlen der neue Ministerpräsident Tschechiens wird. Meinungsumfragen in den kommenden Wochen werden erste Indizien geben, ob es dabei bleibt oder nicht. Die langfristige Strategie der Bewegung ANO, sich als eine Alternative zum politischen Establishment zu positionieren, war auch nach drei Jahren Regierungs- und Parlamentszugehörigkeit immer noch wirksam. Andrej Babiš vermochte es gleichzeitig, das Gefühl des Regierungserfolges auf seine Person zu lenken. Diese Doppelstrategie, sozusagen als „Opposition in der Regierung“, gelang mit einer Mischung aus populistischer Rhetorik und professionellem politischen Marketing. Wenn Babiš nun bis zu den Wahlen nicht mehr dem Kabinett angehören würde, könnte es diesen Effekt noch weiter verstärken.

Präsidentschaftswahlen 2018 im Visier

Einen besonderen Einfluss auf die politischen Geschehnisse hat Staatspräsident Miloš Zeman. Denn auch er wird sich gleich Anfang des nächsten Jahres erneut zur Wahl stellen, wenn Präsidentschaftswahlen stattfinden. Auch weil er das Recht zur Ernennung des Premierministers hat, pflegt Andrej Babiš gute Beziehungen zum Präsidenten. Babiš wiederum hat bereits angekündet, keinen eigenen ANO-Kandidaten für die Präsidentschaftswahl gegen Zeman aufzustellen. Von den bisherigen Gegenkandidaten erscheinen Jiří Drahoš, der ehemalige Präsident der Akademie der Wissenschaften und Michal Horáček, ein Künstler und ehemaliger Inhaber einer Lottogesellschaft als diejenigen, die Zemans Wiederwahl im Wege stehen könnten. Doch beide kandidieren als unabhängige Persönlichkeiten ohne parteiliche Unterstützung. Gestärkt durch die Direktwahl hat sich Zeman immer wieder in die Tagespolitik eingemischt und eine aktive politische Rolle, oftmals auch im Gegensatz zur Regierungslinie, eingenommen. In der tschechischen sowie internationalen Presse wird er als „Putins Stimme“ innerhalb der EU bezeichnet. Seine rechte Hand, Martin Nejedlý, war der Geschäftsführer von Lukoil Aviation Czech und soll enge Kontakte mit Russland pflegen.

Bewegung im Mitte-Rechts-Spektrum

Abzuwarten bleibt, ob das zersplitterte bürgerliche Lager um die Mitte-Rechts-Parteien von den jüngsten Entwicklungen profitieren wird. Die liberal-konservative Bürgerpartei ODS und vor allem die konservative TOP 09 haben als Oppositionsparteien schon seit längerem einen harten Anti-Babiš-Kurs gefahren und ihn als Bedrohung für die Demokratie in Tschechien bezeichnet. Doch mit Blick auf die Meinungsumfragen hat sich das bisher nicht ausgewirkt. Falls die jüngsten Ereignisse doch der Popularität von Babiš schaden, könnten sie davon profitieren.

Ein besonderes Augenmerk richtet sich auf die christdemokratische KDU-ČSL als dritter Koalitionspartner in der Regierung. Der Parteivorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Pavel Belobradek hat einerseits Verständnis für das Handeln von Ministerpräsident Sobotka gezeigt, gleichzeitig aber auch betont, dass er sich eine Fortsetzung der Regierungsarbeit bis zum Wahltermin wünscht. Die KDU-ČSL kann mit Belodradek als Vize-Regierungschef und zwei weiteren Ministern eine solide Regierungsbilanz vorlegen. Bewusst hat man sich in den vergangenen Jahren nicht an allen politischen Streitereien beteiligt und sich auf gute inhaltliche Regierungsarbeit konzentriert.

Die Christdemokarten und die Partei der Bürgermeister

Mit Blick auf die kommenden Parlamentswahlen hat die Parteiführung einen mutigen Schritt unternommen und ist eine Wahlkoalition mit der kleineren, regionalen „Bewegung der Bürgermeister und Unabhängigen“ (STAN) eingegangen. Dieser Schritt soll gemeinsam zu einem besseren Ergebnis führen. Gleichwohl birgt er Risiken, da damit die Hürde für den Einzug in das Parlament auf 10 Prozent gestiegen ist. STAN kommt laut Umfragen derzeit auf 2-3 Prozent, die Christdemokraten stehen bei 7-8 Prozent. Laut internen Umfragen der KDU-ČSL liegt das Wählerpotenzial bei über 20 Prozent. Auch wenn die tatsächliche Wahlunterstützung deutlich darunter liegen wird, steht das Kalkül dahinter, sich jenseits der vor allem aus Mähren stammenden christlich geprägten Stammwählerschaft neuen, säkularen Wählerschichten zu öffnen. Gelingt der Einzug in das Parlament trotz 10%-Hürde, dann hätte die KDU-ČSL die große Chance, ihr Image als „kleines Anhängsel“ abzulegen und sich als gefestigte politische Kraft, als „Stimme der Vernunft“ in der tschechischen Parteienlandschaft weiter zu etablieren. Voraussetzung ist aber, dass es der Führung in den kommenden Wochen gelingt, die Partei hinter die eingegangene Wahlkoalition mit der Bürgermeister-Bewegung zu versammeln. Die Entscheidung dafür wurde in einer Delegiertenversammlung nur mit einer knappen Mehrheit von 39:31 Stimmen gefällt. Die Parteibasis der KDU-ČSL war in dieser Frage lange gespalten, vor allem in den Hochburgen im mährischen Landesteil.

Wunsch nach starker Führung

Mittelfristig wird die politische Entwicklung im Lande sehr davon abhängen, ob die Mehrheit der Menschen sich weiter dem Duo der beiden „starken Männer“ Zeman und Babiš verbunden fühlt oder ob angesichts der jüngsten Ereignisse die Unterstützung für beide bröckelt. Einer neuen Umfrage zufolge glauben 53% der Befragten Babiš‘ Unschuldsbekundungen im Zusammenhang mit seinen Affären nicht. Und Zemans Verhalten in der Regierungskrise kritisieren sogar 61%. Kenner des Landes sagen gleichwohl, dass angesichts einer Welt, die aus den Fugen geraten und wo vieles im Wandel ist, bei vielen Menschen in Tschechien der Wunsch nach klarer und starker Führung bestehe, auch wenn dabei die Einhaltung von Recht und Gesetz oder andere demokratische Gepflogenheiten mal ein wenig auf der Strecke bleiben. Zu berücksichtigen ist auch, dass gerade in einem Transformationsland wie Tschechien, die Gesellschaft verständlicherweise immer noch in einem Findungsprozess ist. Dies wirkt sich auch auf das Vertrauen in die demokratischen Institutionen aus. Durch die Umverteilung des Kapitals in den Wendejahren sind zudem auch in Tschechien große Kapitalgruppen entstanden, die einen starken Einfluss auf breite Sphären nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Politik, der Justiz und Medien haben. Berichte, dass hinter den maßgeblichen politischen Akteuren die Interessen einer Handvoll reicher Persönlichkeiten stehen, gehören nahezu zur Tagesordnung. Auch vor diesem Hintergrund stehen die Institutionen der tschechischen repräsentativen Demokratie vor einer Bewährungsprobe.

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12. Oktober 2016
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