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Länderberichte

Sieg von SPOLU - Und wie geht es jetzt weiter?

von Marcel Ladka

Sieg des Bündnisses aus bürgerlichen Demokraten ODS, Christdemokraten KDU-ČSL, liberal-konservativer TOP09 über die ANO-Bewegung von Babiš.

Nach den Wahlen am 8. und 9. Oktober ist klar, dass der derzeitige Premierminister Andrej Babiš nicht in der Lage sein wird, eine Mehrheitsregierung mit Vertrauen zu bilden.

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Die siegreiche Koalition SPOLU (die bürgerlichen Demokraten  ODS /ECR/, die Christdemokraten KDU-ČSL /EPP/, die liberal-konservative TOP09 /EPP/) hat gleich nach Veröffentlichung der Endergebnisse ein Memorandum über die gemeinsame Zusammenarbeit mit der Koalition aus „Piráti a Starostové“ (Piraten und Bürgermeister) unterschrieben. In diesem Dokument wird eindeutig der Wille bekundet, eine gemeinsame Regierung aus 5 Parteien zu bilden. Des Weiteren wird darin Präsident Miloš Zeman aufgefordert, den ODS-Vorsitzenden Petr Fiala mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Zugleich haben sich die Koalitionen verpflichtet, mit keinem weiteren politischen Subjekt über die Regierungsbildung zu verhandeln.

Die Koalition SPOLU hat im 200 Mitglieder starken Abgeordnetenhaus 71 Mandate erzielt, insgesamt hat sie 1 493 905 Wählerstimmen erhalten. Die zweite Partei ANO (Renew) wählten 1 458 140 Bürger. Wegen der jüngst erfolgten Änderung des Wahlgesetzes erhielt ANO trotz einer geringeren Stimmenzahl jedoch 72 Mandate. Ins Parlament schafften es zudem die Koalition aus Piraten und Bürgermeistern mit 37 Mandaten sowie die extremistische „Svoboda a přímá demokracie“ (Freiheit und direkte Demokratie - SPD / ID) mit 20 Mandaten. Dank der Vorzugsstimmen auf der Kandidatenliste der Koalition erhielt die Bürgermeisterpartei (STAN / EPP) 33 Mandate sowie die Piraten (Greens/EFA) nur 4 Abgeordnete (gegenüber 22 in der Wahlperiode 2017–2021). Die aktuelle Zusammensetzung des Parlaments ist ziemlich konservativ, die Sozialdemokraten und Kommunisten haben nicht die 5%-Hürde geschafft. Eine Herausforderung für die neue Regierung mit Vertrauen wird es sicherlich sein, die (Mitte-)Linkswähler, die sich möglicherweise von den Christdemokraten mit ihrem sozialen und familienfreundlichen Programm angesprochen fühlen, sowie die liberalen Wähler nicht zu „vergessen“. STAN könnte diesen mehr Aufmerksamkeit widmen. Ansonsten würde ANO in der Gunst dieser Wähler definitiv steigen, sodass die Situation bei den nächsten Wahlen eine Wendung erfahren könnte.

Entwicklung nach den Wahlen noch in den Händen des Präsidenten

Präsident Zeman wurde am Sonntag, den 10. Oktober nach einem Treffen mit Babiš ins Krankenhaus auf die Intensivstation eingeliefert. Über seinen Gesundheitszustand hat die tschechische Öffentlichkeit keine zuverlässigen Informationen. Der Senat hat vorgeschlagen, über den Gesundheitszustand des Präsidenten zu sprechen und ihm seine Exekutivbefugnisse zu entziehen, die auf den Vorsitzenden des Senats und den Vorsitzenden des Parlaments übergehen würden. Bisher ist dies das letzte Mittel der Wahl. Im Senat besitzt die sich neu bildende Regierung die Mehrheit. Wie es um die Gesundheit von Zeman bestellt ist, wird sich beim Staatsfeiertag am 28. Oktober zeigen, an dem der Präsident traditionell Auszeichnungen verleiht. Innerhalb von 30 Tagen nach den Wahlen beruft der Präsidenten der Republik eine Sitzung des neuen Parlaments ein. Wenn er das nicht tut, kommt das Parlament am 30. Tag nach dem Tag der Wahlen zusammen. Der Kanzler des Präsidenten Vratislav Mlynář hat angekündigt, dass der Präsident das Parlament am 8. November, also am 30. Tag nach dem Tag der Wahlen, einberufen werde. Bisher war das offiziell noch nicht der Fall. Danach sollten Babiš und die derzeitige Regierung zurücktreten.

In der Zwischenzeit wird die Führung der Parlamentsfraktionen gebildet. Zum Vorsitzenden der Fraktion der KDU-ČSL wurde Marek Výborný gewählt, welcher ehemals den Parteivorsitz der KDU-ČSL innehatte, aber nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau im Jahr 2019 von seiner Funktion zurückgetreten war, um sich seinen Kindern zu widmen. Vizevorsitzende sind Vít Kaňkovský, Experte fürs Gesundheitswesen, Marie Jílková, Stadträtin in Brno und Expertin für Soziales, sowie Jiří Navrátil aus der Mährisch-Schlesischen Region. Die Leitung der TOP09-Fraktion TOP09 übernimmt Jan Jakob, der Vizevorsitzende von TOP09. Zu Vizevorsitzenden wurden Helena Langšádlová, Expertin für Sicherheitsfragen, sowie Michal Kučera, Abgeordneter für die Region Ústí, ernannt. Zbyněk Stanjura, Chef des Wahlstabes der Koalition SPOLU und ehemaliger Verkehrsminister, wurde erneut zum Fraktionsvorsitzenden der ODS gewählt, erste Vizevorsitzende ist Jana Černochová, Bürgermeisterin von Prag 2, weitere Vizevorsitzende sind Ivan Adamec, Jan Bauer, Marek Benda und Jan Skopeček. Die STAN-Fraktion hat seinen bisherigen Fraktionsvorsitzenden Jan Farský gewählt, die Vizevorsitzenden sind Věra Kovářová, Petr Gazdík, Josef Cogan und die neue Abgeordnete Michaela Opltová. Die Parlamentsfraktion der Piraten wird von Jakub Michálek geführt.

Am 13. Oktober fanden die ersten offiziellen Gespräche der Vertreter von SPOLU und Piraten und Bürgermeistern statt. Man vereinbarte, dass man bis 8. November einen Text über den Koalitionsvertrag ausarbeiten wolle. Es werden 6 Teams gebildet, die über Themen verhandeln, die für die Regierung Priorität haben werden. Über die Verteilung der Ministerien gibt es bisher nur Spekulationen, die Parteivorsitzenden sagen klar, dass man sich zuerst in Fragen der Besetzung des Parlaments, des Koalitionsvertrags und der Prioritäten einigen wolle.

Der Prozess der Regierungsbildung mit Vertrauen kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. Die tschechische Verfassung gibt keine klaren Termine vor, bis wann der Präsident den Premierminister ernannt haben muss und wann er zurücktreten muss. Welche möglichen Zukunftsszenarien gibt es derzeit? 

  1. Präsident Zeman beauftragt Andrej Babiš mit der Regierungsbildung.  Nach früheren Aussagen des Präsidenten heißt es, dass er den Vertreter der stärksten Partei beauftragen würde, nicht jedoch einer Koalition. Babiš behauptete am 12. Oktober, dass Zeman ihm vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus versprochen habe, ihn mit der Regierungsbildung zu betrauen. Babiš wird versuchen, Verhandlungen mit der ODS und STAN aufzunehmen. Beide Parteien lehnen jedoch Verhandlungen ab. Babiš bildet eine Minderheitsregierung, die nicht das Vertrauen des Parlaments erhält. Präsident Zeman beauftragt Babiš erneut und versucht, sich mehr in die Verhandlungen einzubinden. Doch weder will jemand mit Babiš verhandeln noch wird ihm beim zweiten Mal das Vertrauen ausgesprochen. Beim dritten Versuch wird der Regierungsvorsitzende vom Vorsitzenden des Parlaments (einem Mitglied der ODS) ernannt. In diesem Fall wird Fiala ernannt. Dieses Szenario kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. Nach den Wahlen im Oktober 2017 wurde der Regierung erst im Juni 2018 das Vertrauen ausgesprochen.
     
  2. Präsident Zeman beauftragt Babiš mit der Regierungsbildung. Doch dieser lehnt den Auftrag ab. Er weiß, dass er nicht in der Lage ist, eine Regierung mit Vertrauen zu bilden. Präsident Zeman ernennt Petr Fiala zum Premierminister, der in einem kurzen Zeithorizont eine Mehrheitsregierung bildet und so das Vertrauen des Parlaments erlangt. SPOLU hat ANO und Babiš gewarnt, den Prozess der Bildung einer neuen Regierung nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Wenn dies der Fall sein sollte, ist SPOLU bereit, keine Vertreter von ANO in die Führung des Parlaments und der Ausschüsse zu wählen. In diesem Szenario würde Babiš zum Oppositionsführer werden, der gegenüber der Regierung sehr kritisch auftritt.
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  3. Der Gesundheitszustand des Präsidenten Zeman verschlechtert sich, der Senat und das Parlament beauftragen den Vorsitzenden des Senats und den Vorsitzenden des Parlaments mit der Ausübung der Funktion. Der Senat und das neue Parlament werden von den Koalitionen der künftigen Regierung beherrscht. Fiala wird zum Premierminister ernannt. Dieser Schritt könnte nach einer Besserung des Gesundheitszustands des Präsidenten vor dem Verfassungsgericht angefochten werden.


​​​​​​​Im Allgemeinen ist mit einer Entwicklung zwischen dem ersten und zweiten Szenario zu rechnen. Babiš hat am 15. Oktober verkündet, dass er bereit sei, die Regierung ohne Obstruktionen an die 5-Parteien-Koalition zu übergeben und in die Opposition zu gehen, und dass er die Ernennung zum Premierminister ablehnen werde. SPOLU und Piraten und Bürgermeisterhaben klar gezeigt, dass sie bereit sind, rasch die Führung des Parlaments zu bilden und eine funktionierende Parlamentsstruktur festzulegen. Zeman hat sich in den Verhandlungen nach den Wahlen immer durchgesetzt, vor allem im Sommer 2017 und 2018, als er im Prinzip eine Unterstützung der Minderheitsregierung von Babiš und den Sozialdemokraten aushandelte. Letztendlich wurde die Regierung im Juni 2018 von den Kommunisten unterstützt. Doch nun liegt eine andere Situation vor – im Parlament gibt es eine klare Mehrheit. Diese Mehrheit hat gesagt, dass die Verhandlungen nach den Wahlen äußerst kurz sein könnten und der Präsident dabei nur eine sehr kleine Rolle spielen könnte.

Vielleicht ist die neue Regierung und ihre klare Mehrheit bereit, einen Streit mit dem Präsidenten zu beginnen und seine Befugnisse und seine Machtposition möglichst einzugrenzen. Zum Beispiel durch eine Kürzung der Haushaltsmittel der Präsidentenkanzlei und eine Beschränkung von Auslandsreisen. Zugleich gibt es sowohl im Parlament als auch im Senat eine Mehrheit, die eine Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht gegen den Präsidenten einreichen und seinen Rücktritt in die Wege leiten kann. Die Koalition SPOLU muss eine eindeutige Stellung gegenüber Babiš und Zeman beziehen.

Niemand darf sich erlauben, eine Regierung mit Babiš zu bilden, da sich beide Koalitionen klar von seiner Politik abgegrenzt haben und eine Wende in der tschechischen Politik herbeiführen wollten. Aktuelle Umfragen zeigen, dass 50 % der Befragten sich wünschen würden, dass Zeman Fiala zum Premierminister ernennt. Bei den Anhängern von SPOLU sind es sogar 92 %. Ein Drittel der Befragten wünscht sich eine Regierungsbildung durch SPOLU und Piraten und Bürgermeister, 19 % wünschen sich eine Regierung durch SPOLU und STAN ohne Beteiligung der Piraten. Diese Regierung hätte eine Mehrheit von 104 Abgeordneten inne.

Die neue Regierung hat sich auch von der extremistischen SPD abgegrenzt, indem sie sagte, dass Extremisten in der Führung des Parlaments nichts zu suchen hätten. Die SPD wurde laut einem Bericht des Sicherheits- und Nachrichtendienstes als extremistische Organisation eingestuft.

Inländische und europäische Aufgaben der neuen Regierung

Tschechien erlebt einen sehr hohen Preisanstieg, die Inflation gewinnt immer schneller an Fahrt. Die Preise für Wohnen steigen und eine Eigentumswohnung wird für den Großteil der Bevölkerung zu einem unerreichbaren Traum. Das Thema Wohnen für alle (mit Fokus auf jungen Menschen) war eines der wichtigen Wahlthemen. Aktuell werden in Tschechien weniger Wohnungen als vor dem Jahr 1989 gebaut und die Ökonomen sind sich einig, dass dieses Problem vor allem durch einen schnellen Wohnungsbau gelöst werden kann – sei es in Form einer Förderung durch den Staat oder die Gemeinden oder aber durch eine Beschleunigung des Bauverfahrens für private Bauträger. Wegen des hohen Preisanstiegs für Energie hat eines der größten Unternehmen auf dem Markt seine Tätigkeit einstellen müssen. 900 000 Menschen haben somit ihren Energieversorger verloren. Diesen Leuten droht nun eine reale Steigerung der Lebenskosten. Premierminister Babiš hat zu einer Deckelung der Energiepreise und einer Befreiung der Energiepreise von der USt aufgerufen. Dieser Schritt steht jedoch vermutlich im Widerspruch zu einer Verordnung der Europäischen Kommission.

Die Staatsschulden der Tschechischen Republik betragen Ende 2021 voraussichtlich 2,53 Billionen CZK. Nach einem mehrjährigen Rückgang in Folge der Corona-Pandemie wird ein rasanter Anstieg verzeichnet. 2021 könnte das staatliche Haushaltsdefizit bis zu 500 Milliarden betragen. Die Koalition SPOLU plant einen ausgeglichenen Haushalt zu bilden und die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren. Bei manchen sozialen Gruppen (Rentner, sozial schwächere Bewohner) weckt dieser Schritt die Befürchtung, dass ihr Lebensniveau sinken und dass zum Beispiel das Rentenwachstum gestoppt werden würde.

Ab Mitte 2022 übernimmt Tschechien den Vorsitz der Europäischen Union. Die derzeitige Regierung von Babiš hat diesem Ereignis nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet, die Vorbereitungen für den Vorsitz werden nicht ausreichend koordiniert und gelenkt. In den Debatten vor den Wahlen waren sich die Vertreter von SPOLU und Piraten und Bürgermeister einig, dass das Vorbereitungsteam personell ausgeweitet werden müsse, das Budget des Vorsitzes aufgestockt werden müsse und dass der Vorsitz für Tschechien von entscheidender Bedeutung sei und das Land daher sehr gut darauf vorbereitet sein müsse. Es wäre eine Möglichkeit, wie sich Tschechien in einem positiven Licht präsentieren könnte und nicht als ein Land, das von einem Premierminister mit einem Interessenskonflikt regiert werde.

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