Welche Impulse hat der virtuelle Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vom 18. Juni 2020 für die Weiterentwicklung der Östlichen Partnerschaft (ÖP) gebracht? Wo stehen die Ukraine und Europa in ihrer wirtschaftlichen und energiepolitischen Zusammenarbeit zu Beginn des neuen Jahrzehnts? Und wohin wollen sie gelangen? Diesen und anderen Fragen gingen die Teilnehmer der Online-Veranstaltung am 21. Juli nach.
Einleitend drückte Mychailo Honchar, Präsident des Zentrums für Globalistik „Strategie XXI“, seine Hoffnung auf strategische Impulse für die ÖP durch die deutsche Ratspräsidentschaft aus und begrüßte die Aussagen des deutschen Außenministers Heiko Maas, wonach die Unterstützung der Stabilität in ÖP-Staaten eine der zentralen Prioritäten Berlins sein würde. Außerdem verfolge man gerade auch in den ÖP-Ländern die Diskussion rund um die Ausarbeitung eines European Green Deal sehr genau. Honchar hob aber gleichzeitig Problemfelder hervor, sei es die zunehmende Aktivität Russlands in ÖP-Staaten, der Bau der Pipeline Nord Stream 2 oder das Fehlen eines klaren strategischen Ansatzes für die ÖP in der Vergangenheit.
Auch wenn der virtuelle Gipfel des Europäischen Rates im Juni nicht die Hoffnungen auf konkrete Schritte zur Weiterentwicklung der ÖP erfüllt habe, blicke man nun auf den nächsten Gipfel zur ÖP, der im März 2021 stattfinden soll und ambitioniertere Ziele formulieren könne, so Wasyl Bodnar, Vizeaußenminister der Ukraine. Er sehe eine Vielzahl von Möglichkeiten zur sektoralen Zusammenarbeit zwischen der EU und den ÖP-Staaten, gerade in den Bereichen digitaler Binnenmarkt, Energie (hier insbesondere die Themen Green New Deal und Wasserstoff), Transport, Informationssicherheit und hybride Bedrohungen, europäischer Verteidigungszusammenarbeit und Luftfahrt.
Hier müsse die Ukraine mit ihren Partnerländern aktiv mitgestalten während Bodnar seitens der EU eine höhere Responsivität für Initiativen aus der Nachbarschaft anmahnte. Dies sei gerade auch deshalb wichtig, weil Russland auf vielen Kanälen Reformbemühungen zu stören versuche.
Die Vorzüge der ÖP für beide Seiten hob Jan Pieklo, der Botschafter Polens in der Ukraine von 2016-19, hervor. Er betonte, dass gerade auch die EU von der Zusammenarbeit mit den ÖP-Ländern profitiere und das Format auch Anziehungskraft auf andere Länder wie zum Beispiel Belarus entwickelt habe. Gerade auch im Sicherheitsbereich habe die großes ÖP Potential, transatlantische und europäische Ansätze in der Region effektiv zusammenzuführen. Jedoch mahnte er an, dass wie im Falle des Westlichen Balkans eine klare Beitrittsperspektive formuliert werden sollte, um noch stärkere Anreize für Reformen zu setzen. Gerade auch das Beispiel Polens zeige hier, dass dies eine erfolgreiche Entwicklung begünstigen könne.
Pavlo Klimkin, ehemaliger Außenminister der Ukraine (2014-19), zeigte sich insgesamt zufrieden mit der Einigung des Europäischen Rates über ein Stimuluspaket gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise aufgrund des Coronavirus (Covid-19). Die EU zeige sich so handlungsfähig und in der Lage, der Jahrhundertherausforderung zu begegnen. Er schlug den Bogen der Neuausrichtung der ÖP seit 2008 und rief die erfolgreiche Zusammenarbeit der ÖP-Länder in politischen, technischen und grundsätzlichen Fragen in Erinnerung.
Allerdings brauche es in Zukunft mehr politischen Willen, um die ÖP als inklusive Plattform positionieren zu können, die sich als kompetitive Alternative für Länder wie Aserbaidschan und Belarus präsentieren und dabei auf non-lineare Herausforderungen und Entwicklungen der Region flexibel reagieren könne. Die Ukraine könne und sollte hier eine Führungsrolle einnehmen und eine solche weiter anstreben. Genauso wichtig sei die Unterstützung Deutschlands, insbesondere auch über die Ratspräsidentschaft hinaus.
Aus Deutschland nahm Oliver Morwinsky, Referent der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Wettbewerbsfähigkeit Europas, teil und berichtete zunächst ausführlich über die schwierigen Verhandlungen innerhalb der Europäischen Institutionen für ein wirtschaftliches Rettungs- und Stimuluspaket, das die europäische Wirtschaft gleichzeitig global wettbewerbsfähig und emissionsarm ausrichten solle. Dabei zeige aber gerade auch der mehrjährige Finanzrahmen der EU, dass sich die Union hinsichtlich ihres Anspruches und ihrer Aufgaben fundamental weiterentwickelt habe. Gerade auch der Diskurs rund um eigene Einnahmequellen für die EU sei hier bezeichnend.
Die finanziellen Zusagen der EU gegenüber der Ukraine und der ÖP im Rahmen der Coronakrise und darüber hinaus spiegelten dabei weiterhin ein Bekenntnis zur Bedeutung der Nachbarschaft wider, auch wenn der Bereich im nun vom Europäischen Rat verabschiedeten Stimuluspaket weniger Geld als zunächst vorgesehen erhalten solle. Da beispielsweise das Europäische Parlament noch einbezogen werden müsse, sei das letzte Wort hier noch nicht gesprochen.
Auch auf ukrainischer Seite habe man neben der Notwendigkeit, die direkten Effekte der Coronakrise beizulegen, den großen Themenkomplex der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft aufgenommen und angegangen. Dies führte Weronika Movtschan, akademische Direktorin des Kiewer Institute for Economic Research and Policy Consulting, aus. Man habe sich entschieden, hier nicht das Ende der Diskussion innerhalb Europas abzuwarten und erst dann zu reagieren. Stattdessen versuche man, bereits jetzt voll in den Diskurs einzusteigen und zu handeln.
Denn gerade beim Emissionshandel und anderen Mechanismen wolle die Ukraine nicht ein externer Akteur bleiben, sondern in europäische Systeme integriert sein. Gerade in den Bereichen Energie, Digitales und Transport bestehe hier großes Potential, welches aber auch gemeinsam mit den anderen Partnern der Ukraine in der ÖP koordiniert und aktiv eingebracht werden sollte. Außerdem sei in diesen Fragen bisher hauptsächlich das Außenministerium aktiv, während eine Strategie der gesamten Regierung von Nöten sei.
Dass der Aspekt der Energie in der ÖP aufgrund der großen Abhängigkeit der EU von einem monopolitischen Exporteur via Transportrouten durch die Region schon immer sehr wichtig gewesen sei, unterstrich Ihor Stukalenko, der im Zentrum für Globalisik „Strategie XXI“ das Energieprogramm leitet. Deshalb habe es bereits wiederholt Absichtserklärungen und Aufforderungen im Hinblick auf eine viel engere Kooperation in diesem Sektor gegeben, die bis hin zu einem komplett integrierten, gemeinsamen Energiemarkt gingen. Ein gemeinsamer Rechts- und Normenrahmen solle dabei Sicherheit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit deutlich verbessern.
Das zentrale Problem stelle aber die nicht ausreichende Koordinierung der nationalen und regionalen Energiestrategien dar. Verbesserte Absprachen bei Planung und Durchführung könnten den ÖP-Ländern auch noch größere Potentiale im Anschluss an die Strategien der EU zur Importdiversifizierung, Gasspeicherung, Dekarbonisierung und der Wasserstoffstrategie bieten. Stukalenko wies jedoch darauf hin, dass gerade die Ukraine trotz dieser Problematiken gerade im Gasbereich große Fortschritte erzielt habe und am weitesten in den entsprechenden EU-Markt integriert sei. Gerade auch im Bereich des „Unbundling“, also der Entmonopolisierung der Energieproduktion, des - transports und der –verteilung habe es zuletzt große Schritte nach vorne gegeben. Zu nennen sei weiterhin viel Bewegung bei Interkonnektoren für Gas an den ukrainischen Westgrenzen und eine Vielzahl von Abkommen unter den Gasnetzwerkbetreibern der ÖP-Länder sowie den westlichen Nachbarstaaten. Dadurch werde die Interoperabilität des Netzwerkes gestärkt und die Rolle von Gasprom vermindert. In diesem Zusammenhang stelle der Abschluss des neuen Liefervertrages mit dem russischen Energiegiganten ebenso einen großen Fortschritt dar, da dieser erstmals EU-rechtskonform sei.
Aufgrund dieser Fortschritte und der Tatsache, dass die Normensetzung der EU in Energiefragen schon lange über die Grenzen der Union hinauswirke, regte Stukalenko die Aufnahme der Ukraine als vollwertigen Partner in das Energiesystem der EU an. Das Land würde durch seine Standortfaktoren und Infrastruktur den Markt stärker und dynamischer machen und somit eine symbiotische Beziehung ermöglichen.
Der ambivalente Ausblick auf die Zukunft der ÖP fasste Mychailo Honchar abschließend als „nicht wirklich optimistisch, aber auch nicht hoffnungslos“ zusammen. Auch wenn angesichts der innen- und außenpolitischen Umstände nicht mit einer fundamentalen Öffnung der EU für die ÖP-Staaten zu rechnen sei, stünden doch in einigen Politikbereichen eine Vielzahl an Kooperationsmöglichkeiten offen. Hier müssten beide Seiten aktiv werden und den gegenseitigen Austausch intensivieren.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier auf Ukrainisch.