Veranstaltungsberichte
"Was jetzt in den USA passiert, hatte dort keiner auf der Rechnung", so startete der ehemalige Tagesspiegel-Korrespondent in Washington, Dr. Christoph von Marschall seinen Vortrag in Hannover. Der Journalist und Buchautor, der inzwischen wieder in Berlin arbeitet, spielte damit auf die aktuellen Kandidatenauftritte von Demokraten und Republikanern im Vorfeld des eigentliche Präsidentschaftswahlkampfes in diesem Jahr an. Von Marschall fügte eine gewagte These hinzu: "Obama würde die Wahl gewinnen, wenn er heute nochmal kandidieren dürfte".
Von Marschall berichtete über die aktuellen Kandidaten, deren Aussagen und Chancen, wie Bernie Sanders, Hillary Clinton sowie Donald Trump und weiteren Bewerbern bei den Republikanern. In seinem Vortrag analysierte von Marschall die Anhängerschaft und die jeweiligen Kandidatenstrategien.
Erstaunlich sei, dass mit Donald Trump ein Kandidat gänzlich ohne politische Erfahrung für die Republikaner durch das Land zieht. Die Amerikaner würde aber der amerikanische Traum des Selfmademilliardärs besonders beeindrucken. Trump sei, so von Marschall, der erste Präsidentschaftskandidat, der mit seiner Bewerbung und seinem Wahlkampf Geld verdienen würde, während andere immer nur Geld ausgeben würden. So fänden seine Veranstaltungen, finanziert durch Wahlkampfspenden, in ihm gehörenden Trump-Hotels und -Tagungsorten statt, um nur ein Beispiel zu nennen.
Nach Ansicht des Buchautors von Marschall ("Was ist bloß mit den Amis los?", u.a. als Taschenbuch erschienen im Herder-Verlag) hätte gegenwärtig aus der Perspektive im April 2016 Hillary Clinton die größte Chance, Präsidentin der Amerikaner zu werden - "mit der Einschränkung", so fügte er hinzu, "dass ihr nicht die eigene E-Mail-Affäre vor die Füße falle und Anklage erhoben wird". Clinton hatte, so der Vorwurf - dienstliche E-Mails über einen Privataccount geschrieben und empfangen und dies sei in den Vereinigten Staaten in ihrer Funktion unzulässig gewesen - öffentliche Daten gehörten in diesem Fall dem Staat und werden in der Regel archiviert.
Von Marschall erläuterte ausführlich die demographische Entwicklung Amerikas und erklärte das sehr spezielle Wahlsystem. Der Bevölkerungswandel mit einer heterogenen Herkunft und dem Bevölkerungszuwachs kämen grundsätzlich eher den Demokraten zu Gute. Ein Wahlkampf heute gegen "Latinos" zu gewinnen, sei nahezu unmöglich, pronostizierte der Referent des Abends. Hinzu kämen im Jahr 2016 interessante Aspekte der Politischen Kommunikation: Aus den positiven Slogans der Präsidentschaftswahlkämpfe zuvor, man erinnere sich z.B. an "Yes we can", "Hope", "Change", sei in diesem Jahr ein Negativwahlkampf aller Kandidaten zu beobachten. Demokratenkandidaten Sanders, eher ein Sozialist für amerikanische Verhältnisse, sei dort ebenso strategisch unterwegs, wie Donald Trump, der ganze Bevölkerungsgruppen in seinen Kampagnen beleidigt. Von Marschall führt das darauf zurück, dass zahlreiche Menschen nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung dieser Jahre profitieren würden. Erstaunlich sei, dass dieses "negative campaigning" bei guter allgemeiner Stimmungslage stattfände, während das Land wirtschaftlich besser dastünde, als noch Jahre zuvor. Solch ein Wahlkampf fände gegen alle Erwartungen von Kommunikationsexperten statt, wenn man frühere Erfahrungen zugrunde legen würde.
Von Marschall erläuterte noch die Aussichten der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse von Demokraten und Republikanern in Kongress und Senat und resümierte kurz die politische Bilanz der Amtszeit von Präsident Barack Obama, der vor allem wegen seiner Gesundheitspolitik und Sozialversicherung in die Geschichtsbücher eingehen werde.
Zahlreiche Veranstaltungsteilnehmer meldeten sich noch mit Statements und vertiefenden Fragen zu Wort, bevor Dr. Christoph von Marschall noch einige Bücher der Gäste persönlich signierte. Von Marschall wies in seinem letzten Satz des Abends darauf hin, dass in seinem Buch über den aktuellen Vortrag hinaus vor allem dargestellt sei, wieso Deutsche und Amerikaner sich oft missverstehen. So ist auch zu erklären, dass er schlussfolgerte: "Die Amerikaner wählen einen amerikanischen Präsidenten und nicht einen, der Deutschen oder Europäern gefallen könnte."