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Erik Gieseking (KfZG)

Veranstaltungsberichte

„LIBERTAS“

Luigi Sturzo, Über italienischen Faschismus und Totalitarismus.

Ein in Deutschland weithin vergessener italienischer Name hat drei deutsche Institutionen zu einer gemeinsamen Veranstaltung bewogen: Die Kommission für Zeitgeschichte zur Erforschung des Deutschen Katholizismus (KfZG) und die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) luden am Abend des 12. März 2019 gemeinsam zu einer Buchvorstellung ein.

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Die vielfach ausgewiesenen Wissenschaftler, der Historiker Günther Heydemann, Emeritus der Universität Leipzig, und der Extremismusforscher Uwe Backes, Professor der TU Dresden, haben die deutschsprachige Edition der Schriften des katholischen Priesters, Parteigründers und leidenschaftlichen Mussolini-Gegners Luigi Sturzo (1871 bis 1959) bei Vandenhoek und Ruprecht in Göttingen 2018 herausgebracht und mit einer Einleitung zu Leben und Werk des beeindruckenden Sizilianers versehen.

Die Vita des tief gläubigen ‚Antifaschisten‘ der ersten Stunde sowie seine weitsichtigen, ersten Theorien zum Totalitarismusbegriff sind zuvor am 22. Januar 2019 bereits in Dresden vorgestellt worden. Im Bonner Albertinum, dem Theologenkonvikt des Erzbistums Köln, wo die Kommission für Zeitgeschichte seit einigen Jahren beheimatet ist, wurde das Buch nun in Bonn in passendem Ambiente vorgestellt. Das neugotische Gebäude wurde 1892 fertiggestellt, zwei Jahre vor der Priesterweihe Luigi Sturzos in Rom.

Für die Kommission für Zeitgeschichte begrüßte Privatdozent Dr. Frank Kleinehagenbrock, Geschäftsführer des KfZG, unter den Anwesenden insbesondere den Spiritus Rektor der Veranstaltung, den Vorsitzenden des Trägervereines der Kommission für Zeitgeschichte Herrn Dr. Hans Reckers; dem ehemaligen Staatssekretär und früheren Büroleiter Gerhard Stoltenbergs ist die Initiative zu der wissenschaftlich wie politisch inspirierenden Veranstaltung zu verdanken. Obwohl die KfZG sich auf den deutschen Katholizismus konzentriere, so Kleinehagenbrock, sei doch heute angesichts beunruhigender weltweiter Entwicklungen zu Ungunsten demokratischer Strukturen die erneute Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus von großer Bedeutung und eine allzu enge Bezugnahme auf ihre nationale Provenienz wenig sinnvoll. Die problematische Erodierung des Demokratischen reiche an Europa heran und in Europa herein, wie Systemveränderungen der Türkei, in anderer Weise auch Ungarns zeigten und wie dies auf propagandistischer Ebene zudem in den Agitationen populistischer Parteien in ganz Europa zum Ausdruck komme.

Für die Konrad-Adenauer-Stiftung begrüßte Dr. Wolfgang Tischner, Abteilungsleiter Wissenschaftliche Publikationen/Bibliothek der KAS, die Anwesenden herzlich und dankte für die Kooperation mit der Kommission für Zeitgeschichte und dem Hannah-Arendt-Institut. Wenn sich die Konrad-Adenauer-Stiftung als politische Stiftung auch für die politische Willensbildung im Sinne der christlich-demokratischen Idee engagiere, sei die solide wissenschaftlich-historische Fundierung doch von wesentlicher Bedeutung für ihre Glaubwürdigkeit und Wirkung. Die breite Vernetzung in den Wissenschaftlichen Bereich hinein und die Verknüpfung politisch aufklärerischen, bildenden Arbeitens mit historischer und politikwissenschaftlicher Forschung ist ein besonders wichtiges Anliegen der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik.

Die Vorträge von Günther Heydemann und Uwe Backes zeichneten zunächst den Lebensweg des bedeutenden Vordenkers der Christlichen Demokratie nach: 1897 kehrte der 26jährige Luigi Sturzo nach einer Eliteausbildung in Rom in die Heimat Sizilien zurück. Hier versuchte er die Erkenntnisse seiner theologischen und soziologischen Studien an der Georgiana und die erschütternden Eindrücke aus dem damaligen römischen Armenviertel Trastevere – dort war Luigi Sturzo bei Haussegnungen dem ganzen Ausmaß der Verelendung der Arbeiterschicht begegnet - in seelsorgerisches, soziales vor allem aber politisches Handeln umzusetzen; fünfzehn Jahre lang bekleidete er das Bürgermeisteramt seiner Geburtsstadt Caltagirone und suchte seine politischen Konzepte mittels der Gründung der PPI (Partito Populare Italiano) auch auf nationaler Ebene umzusetzen. Dabei orientierte er sich an der katholischen Soziallehre und der Enzyklika „Rerum Novarum“. Sturzos Biographie beeindruckt durch seinen enormen Gestaltungswillen aus christlicher Überzeugung, aber auch durch sein Durchhaltevermögen und seine Unbeugsamkeit unter den dann folgenden dramatischen Umständen des Faschismus, die ihm politisches Handeln unmöglich machten und ihn zwangen, sich auf sein publizistisches Wirken zu konzentrieren. Die explizite Gegnerschaft zu Benito Mussolini und die Verweigerung jeder Kooperation mit dem ab 1922 regierenden faschistischen Regime bringt Sturzo in eine Außenseiterposition innerhalb seiner überwiegend kooperationswilligen Partei und führt ihn schließlich 1924 (nach der Ermordung Giacomo Matteotti durch die Faschisten am 10. Juni), im Folgejahr seines Deutschlandbesuches und eines Zusammentreffens mit Konrad Adenauer, ins britische Exil. Dort erscheint bereits 1926 „Italy and Fascism“.

Auch im Vatikan ist sein Ansehen ambivalent: Die traditionelle und in der Bulle von 1874 manifestierte Kluft zwischen Kirche und italienischem Staatswesen – von Heydemann plastisch geschildert - ist in Sturzos Jugend noch höchst virulent und bedeutete nicht zuletzt eine große Distanz der Kurie zu allen politischen Aktivitäten. Erst 1918 gibt der Papst seinen Widerstand gegen eine katholische Partei auf und erklärt 1919 die Teilnahme an demokratischen Wahlen wieder für angebracht. Während der fast gleichaltrige Romolo Murri, ein ebenfalls in der sozialen Frage engagierter Theologe und Publizist, 1909 exkommuniziert wird, bleibt eine apostolische Anhörung Sturzos ohne Konsequenzen, auch wenn er sich provokativ mit „Herr Bürgermeister“ statt mit der üblichen Anrede „Bruder“ begrüßen lassen muss. Die Rezeptionsgeschichte Sturzos im Vatikan ist nach wie vor ein Desiderat, das intensive Archivarbeit erfordert.

Anders als Murri stand Sturzo allen Variationen marxistischen und sozialistischen Gedankengutes ablehnend gegenüber. Dies schlägt sich nicht zuletzt in seiner Totalitarismus-Analyse nieder: Als erster vergleicht er Faschismus und Bolschewismus unter totalitaristischen Aspekten. Schon 1935 legt er die entscheidenden Kriterien vor: extreme Zentralisierung, Militarisierung, religionsförmige Bewegungen mit subhumanem Prinzip, Eindringen des Staates in alle Lebensbereiche einschließlich der Wirtschaft. Uwe Backes machte überzeugend deutlich, dass sich diese hellsichtige Analyse aus einem zutiefst liberalen und modernen Staatsverständnis speist, das keineswegs im Widerspruch stehe zu Sturzos Liberalismuskritik. Backes widerlegte mit dem Hinweis auf die eindeutige Bejahung von Parteienpluralismus, Rechtsstaat, Gewaltenkontrolle, Parlamentarismus etc. linke Sturzo-Rezeptionen, die seinen Totalistarismusbegriff als Produkt eines autoritären Katholizismus zu deuten versuchen.

An die Vorträge schloss sich ein Gespräch zwischen Zuhörern und Editoren an. Es bot die Gelegenheit, u.a. die Umstände der Emigration Sturzos noch eingehender zu betrachten: Das vom Vatikan besorgte Visum war ausschließlich auf Großbritannien ausgestellt, wo Sturzo zunächst nicht einmal die Sprache des Exillandes sprach; die näher gelegene Schweiz wurde nicht in Betracht gezogen. Alle bisher verfügbaren Quellen belegen das Interesse des Vatikans nicht allein an einer Rettung von Leib und Leben ihres Priesters, sondern ebenso an einer Abschiebung und an einem Schweigen Sturzos; er sollte einer begrenzten Kooperation mit Mussolini, die 1929 zum Vertrag zwischen dem faschistischem Staat und Papst Pius XI. führte, nicht im Wege stehen. Mit seinem offensiven Widerstand gegen den Faschismus entsprach Luigi Sturzo dem Anspruch der PPI „an die Freien und Starken“ (so die Überschrift des Gründungsmanifestes), erfuhr jedoch weder in seiner Partei noch in seiner Kirche eine seiner politischen Weitsicht und Charakterstärke adäquate Unterstützung. Erst nach 22 Jahren und einem Aufenthalt in New York kehrte er im April 1946 nach Italien zurück, wo sein früherer Mitarbeiter und Nachfolger im Amt des Generalsekretärs der PPI De Gasperi eine intensivere Einflussnahme Sturzos auf die 1943 neu gegründete und wesentlich aus der PPI rekrutierte Democrazia Cristiana verhinderte. Mit seinem heroischen Vorhaben gegenüber dem Faschismus und seiner Enttäuschung über die Unzulänglichkeiten der Angepassteren war er ein Stachel im Fleische der italienischen christdemokratischen Bewegung und musste sich vom 17. September 1952 an mit der politisch wenig einflussreichen und dennoch ehrenvollen Rolle eines Senators auf Lebenszeit zufrieden geben.

In einer Zeit, in der die Religionen und ihre Institutionen in weiten Teilen Europas an einem enormen Ansehensverlust, insbesondere in Hinsicht auf ihre ethische Orientierungsfähigkeit leiden, ist das Leben und Denken Sturzos mehr als nur fesselnd: Es macht wieder bewusst, wie intensiv Freiheitswille, soziales Engagement und Gottesbezug miteinander verknüpft sein können und woraus die Christliche Demokratie ihre antitotalitäre Kraft bezieht. Die Wirksamkeit dieser Kraft ist sowohl ein faszinierendes historisches Phänomen als auch eine aktuelle Hoffnung.

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