Auf diesem erfolgreichen Weg durch sieben Dekaden musste auch die Sozialdemokratie – manifest bereits im Beschluss des Godesberger Programms - den Vorteil einer prinzipiell zwar freien doch ordnungspolitisch flankierten Wirtschafts- und Sozialordnung gegenüber sozialistisch grundierten Wirtschaftskonzepten konzedieren. Der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft führte jedoch zu der bekannten historischen Paradoxie, dass Wissen um und Bewusstsein über ihre konkreten Gesetzmäßigkeiten und Wirkungsweisen mehr und mehr verloren gingen, während sich der undifferenzierte Gebrauch des Begriffes ausweitete.
Diesem Verlust und seinen tiefgreifenden politischen Konsequenzen versucht die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) seit einigen Jahren entschieden entgegen zu treten, um das Spezifische des Konzeptes der Sozialen Marktwirtschaft für die politische Praxis wieder fruchtbar zu machen. Auf dieses Ziel ausgerichtet ist eine Kooperation der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich Demokratische Politik der KAS unter Leitung von Dr. Michael Borchard mit der Ludwig-Erhard-Stiftung. So haben beide Stiftungen gemeinsam das Format eines auch in der überregionalen Presse positiv rezipierten Fachkolloquiums zum Thema Soziale Marktwirtschaft aufgelegt, das zuletzt am 11. Dezember 2019 stattfand und sich diesmal dem zentralen Aspekt der Vermögenspolitik widmete.
In der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin wurde das Auditorium von Professor Ulrich Blum, seit Juni 2008 stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung sowie Gründer und Beiratsvorsitzender ihres Wissenschaftlichen Beirates, begrüßt und vor einem weitgespannten Hintergrund in das Thema eingeführt[RT1] . Der Professor für Volkswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg machte lebhaft deutlich, dass das in Diskussion stehende Thema keineswegs eine randständige Fachfrage sei, denn der Umgang mit der Vermögensfrage reiche in ihren Konsequenzen tief in die Freiheitsräume der Bürger wie auch in die realen Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Solidarität hinein. So drohe etwa eine monoperspektivische Fixierung des Staates auf seine Ökobilanz den Einzug von etwa einem Drittel des Vermögens seiner Bürger zu bewirken. Um aber Solidarität überhaupt üben zu können, bedürfe es eines potenten, d.i. vermögenden Solidars. Die Soziale Marktwirtschaft stelle hier das quasi daoistische Modell einer Verbindung von Gaspedal – der Unterstützung des freien Vermögenserwerbs – und Bremse – der Regulierung der Marktmacht durch Kartellrecht – dar, das dem Wirken des Citoyens seinen Lauf lasse, ohne es einerseits zu gängeln und andererseits in Willkür und Missbrauch des geldwerten Eigentums abgleiten zu lassen. Sie stehe auf der Grundlage kantischer Ethik und katholischer Soziallehre: „Wohlstand für Alle“, also die Maxime des ökonomischen Nutzens Aller, ist ein Prinzip, dem der Einzelne zu seinem Nutzen folgen und zugleich wollen kann, dass es allgemeines Gesetz werde, wie es der kategorische Imperativ Kants fordert. Die physiokratische, auf Leibniz fußende Rückbindung aller Werte an ihre naturgegebenen Grundlagen bilde die Basis des Ordoliberalismus.
Ihre Übereinstimmung in diesen Grundlagen, insbesondere in der katholischen Auffassung einer frei und subsidiär zu übenden Solidarität, machten die enge Verbindung zwischen Adenauer und De Gaulle und damit die Entwicklung einer neuen Idee von Europa möglich, so Blum, während wir heute feststellen müssten, dass Europa in verschiedene Wirtschaftsnationen zerfalle. Zeitgleich wirke jedoch die globale Vermögensverteilung in die nationale hinein und das früher lokalisierte Vermögen sei volatil geworden. Das „Dagiat“, die ungehemmte Vermehrung von Zentralbankgeld, treibe dabei die Vermögenspreise weltweit und speziell in der Eurozone in die Höhe.
Nicht nur die Einführung zeigte die Komplexität des Themas Vermögenspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft auf, auch die drei nun folgenden Panels mit jeweils drei zwanzigminütigen Vorträgen und einer anschließenden moderierten Diskussion bildeten sie ab: Ihre inhaltlichen Schwerpunkte waren I. Vermögenspolitik auf dem Prüfstand, II. Eigentum verpflichtet…Aber wen und wozu?, III. Eigentum für Alle: Vermögensaufbau als Ziel der Politik?
Der prominenteste Gastredner, der den ersten Vortrag des zweiten Panels bestritt, war Professor Hans-Jürgen Papier, der von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichtes war und bereits 1970 über „Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip“ promovierte. Seine Ausführungen gaben den wirtschafts-, geschichts- und politikwissenschaftlichen Aspekten des Themas Vermögenspolitik mit dem eindringlichen Blick auf ihre juristische Relevanz eine verfassungsrechtliche und rechtsphilosophische Tiefenschärfe; Papiers Analysen ließen keinen Zweifel an der Tatsache, dass die Vernachlässigung finanz- und vermögenspolitischen Wissens und faktenbasierten Handelns bisweilen demontierende Konsequenzen für das gesamte Staatswesen haben kann.
Vermögenspolitik auf dem Prüfstand
Dr. Wolfgang Tischner, Historiker, zusammen mit dem Geschäftsführer der Ludwig Erhard-Stiftung Dr. Lars Vogel einer der Initiatoren der Veranstaltung und Leiter der Abteilung Publikationen der Wissenschaftlichen Dienste/Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung, erläuterte unter der Überschrift „Deutsche Vermögenspolitik im Rückblick“ die historischen Hintergründe und Voraussetzungen, auf denen die aktuellen Debatten fußen, in drei Schritten.
Im ersten Punkt, den Entwicklungslinien 1800 bis 1945, wurde deutlich, dass noch im 19. Jahrhundert der Glaube an die ausschließliche Verantwortung des Einzelnen auch das vermögenspolitische Denken bestimmte; allein die Schaffung eines staatlich kontrollierten Bankensektors mit den heute fast altertümlich wirkenden Sparkassen war ein höchst innovativer Schritt hin zu einer Vermögensbildung breiterer Bevölkerungsschichten. Bei einer großen Spreizung der Vermögen gab es bis zum Ende des Kaiserreiches nahezu keine staatlichen Zuschüsse. Es blieb der betrieblichen Initiative vorbehalten – hierbei trat die Firma Krupp mit ihrem „Sparverein“, der zehn gesparte Taler mit einem weiteren belohnte, hervor – erste sozialpolitische Schritte zu unternehmen. Die Kriegsfinanzierung 1914 jedoch sowie die Inflation 1923 brachte mit dem Verlust hochverzinslicher Staatsanleihen eine Halbierung der deutschen Privatvermögen mit sich. Erst in der Weimarer Republik entwickelte die Zentrums-Partei in Anlehnung an die katholische Soziallehre ein partnerschaftliches Modell zwischen Arbeitsgebern und Arbeitnehmern, das die klassenkämpferische Haltung von SPD und Gewerkschaften ablehnte. Nach der Machtergreifung Hitlers sollte im Sinne der NS-Ideologie die „Zinsknechtschaft“ gebrochen werden, wobei die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik in sich jedoch widersprüchlich war. Die Nationalsozialisten blieben dem Kapitalmarkt feindlich gesonnen und nahmen den Bau von Siedlungshäusern mit Hilfe von Einzahlungen in Bausparkassen vor, die erstmals eine staatliche Förderung erhielten. Allerdings wurde das Sparen nur auf die vom Regime vorgegebenen Ziele erlaubt. Nach Kriegsende 1945 wurden durch Kriegsschäden, Gebietsverluste und Währungsschnitt die Privatvermögen nochmals halbiert. Insgesamt geht man bis zu diesem Zeitpunkt von einer etwa sechzigprozentigen Reduzierung der Privatvermögen aus.
Im zweiten Schritt beschrieb Tischner die Vermögenspolitik der Bundesrepublik bis 2002 und machte darauf aufmerksam, dass 1945 ordoliberale Vorstellungen und die katholische Soziallehre zum Konzept der Sozialen Marktwirtschaft verschmolzen worden seien. Die darin vorgesehene Beteiligung sowohl der Arbeitsgeber wie auch der Arbeitnehmer in einer Sozialpartnerschaft wurde von den Sozialdemokraten zunächst mit großer Skepsis getrachtet und mit einer ambivalenten Haltung beantwortet. Das heute fast vergessene, 1952 unter Adenauer beschlossene Lastenausgleichsgesetz hatte zum Ziel, Deutschen, die infolge des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen Vermögensschäden oder besondere andere Nachteile erlitten hatten, eine finanzielle Entschädigung zu gewähren; seine Umsetzung lief fast schmerzfrei ab, auch weil die Vermögenden im Rahmen einer klugen Strategie effektiv mit nur 1,67 Prozent des Vermögenswertes jährlich belastet wurden. Der Lastenausgleich führte in den fünfziger Jahren beispielsweise dazu, dass sich viele Menschen wieder ein Haus kaufen konnten. Allerdings sei, so Tischner, eine solche Vermögensumverteilung nur nach einer Katastrophe wie jener des zweiten Weltkrieges denkbar gewesen. In der DDR/SBZ ist durch die SED keine vergleichbare Entschädigung erfolgt. Ludwig Erhard habe als Propagandist der Sozialen Marktwirtschaft vor allem auf Franz Etzel gebaut, der schließlich als Bundesfinanzminister 1961 das Vermögensbildungsgesetz auf den Weg brachte. Der DGB lehnt zunächst die Vermögensbildungspolitik ab, da er noch bis zum Beschluss des Godesberger Programms der Sozialdemokraten 1959 auf Sozialisierung des Eigentums setzte. Erst ab 1965 setzte sich die aktive Vermögensbildungspolitik überparteilich durch.
Tischner bemängelte einen falsch verstandenen Liberalismus bei der privatwirtschaftlichen Organisation der Riesterrente, die bis zu 12 Prozent Verwaltungskosten mit sich brachte. Sozial schwache Familien würden so nicht mehr erreicht.
Im dritten Schritt betrachtete er die Entwicklung seit der Finanzkrise. Die Eigenheimzulage wird unter Kanzlerin Angela Merkel bis 2007 schrittweise abgebaut. Verstärkt durch die Finanzkrise 2009 sei Deutschland, so Tischner, mehr und mehr zum finanzpolitischen Entwicklungsland geworden. Heute finde sogar die Rückkehr zu sozialistischen Grundideen und Enteignungsforderungen wieder erschreckend viel Gehör, wie sich u.a. an den Reaktionen auf Thomas Pikettys „Das Ende des Kapitalismus im 21. Jahrhundert“ zeige. Dabei seien die statistischen Fehler seiner Untersuchungen erheblich, was der Popularität seiner Thesen offenbar nicht schade: So setze Piketty etwa die Höhe der Privatvermögen in Deutschland in 1930 und 1950 auf gleicher Höhe an, obwohl dies selbst für fachfremde Leser ein offensichtlich massiver Fehler sei. Dringend erforderlich sei daher ein neues Vermittlungskonzept seitens der Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft, das einem um sich greifenden wirtschaftspolitischen Populismus die Stirn bieten könne.
David Gregosz, Koordinator für Internationale Wirtschaftspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Volkswirt und Politikwissenschaftler, brachte in seinen Vergleich der deutschen Vermögenspolitik mit jener anderer Länder seine Erfahrungen als Leiter des Wirtschaftsprogramms „Soziale Ordnungspolitik“ (SOPLA) mit Sitz in Santiago de Chile von 2013 bis 2018 ein; die derzeit um sich greifenden massiven Protestbewegungen in Südamerika seinen insbesondere auch eine Reaktion auf die enorm ungleiche Vermögensverteilung und deren hoher Konzentration auf wenige Besitzende. Bei der Vorstellung der vergleichenden Statistiken schärfte Gregosz den methodenkritischen Blick der Teilnehmer: Die Erhebungen zur Vermögensverteilung, die auch in Deutschland dem Gini-Koeffizienten nach sehr ungleich verteilt seien, spiegelten nicht zuletzt die Tatsache, dass es eine erhebliche Wechselwirkung zwischen Wohlfahrtsstaat und privaten Vermögen gebe und die Bedeutung des Wohneigentums in Deutschland im internationalen Vergleich eine geringe sei. Eine hohe sozialstaatliche Absicherung beeinflusse die Vermögensverteilung negativ, da sie einen Negativanreiz gegen die Bildung eigenen Vermögens darstelle. Das gelte insbesondere auch für die Anschaffung von Wohneigentum; in Spanien etwa besitzen 83 Prozent der Bürger Wohneigentum, während es in Deutschland nur 44 Prozent sind. Auch die Renten- und Pensionsansprüche beeinflussen die Vermögensverteilung maßgeblich und werden bislang in der statistischen Erfassung nicht als Vermögen erfasst – ein Punkt, der im Laufe des Kolloquiums zu einem intensiven Austausch von Argumenten für und wider eine Änderung der Erfassungsmethodik führte. Gregosz nannte zudem die Beteiligung der Bevölkerung an unternehmerischen Vermögen, die in Deutschland relativ hoch sei, ebenso wie den Einfluss von Erbschaften und Schenkungen.
Jede Bildung von Eigentum, so Greogsz, setze nach einem Diktum Ludwig Erhards Konsumverzicht voraus. Eine Renormalisierung der Geldpolitik habe mit der Führung der Europäischen Zentralbank durch das Team Christine Lagardes nun bessere Voraussetzungen. Gregosz appellierte abschließend dafür, das Unternehmertum wieder in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Debatte zu stellen. Auch müsse das soziale und wirtschaftliche System der Bundesrepublik insgesamt stärker auf die demographische Entwicklung eingestellt werden. Im Wahlkampf werde angesichts dieser Herausforderungen hoffentlich nicht allein von Klima und Rente gesprochen werden, so wichtig diese Themen auch seien!
Dr. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dort wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Staat, Privatdozent für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Potsdam und Autor bei Zeit Online, schloss an den internationalen Vergleich die Binnenperspektive auf die Vermögenssituation in Deutschland an, nicht ohne vorab darauf hinzuweisen, dass die Vermögenssituation in den USA, in Schweden, Brasilien, Indien, Russland und in der Türkei eine größere Ungleichheit aufweise, als in Deutschland. Auch er machte die nur bedingte Aussagekraft von Statistiken etwa durch die Freiwilligkeit von Angaben und entsprechend hohen Verweigerungsquoten deutlich. Erst seit den 2000er-Jahren gebe es regelmäßige Vermögenserhebungen. Man könne aber sicher sagen, dass der Wert der deutschen Privatvermögen das Bruttoinlandsprodukt um ein drei- bis vierfaches übersteige und die obersten zehn Prozent über mehr als 470 000 Euro verfügten, während nur das oberste Prozent über 2.500.000 Euro besitze. Erst in der dünnen Spitze der Vermögen zeige sich somit ein erheblicher Abstand zu den mittleren Werten, was immer noch für eine relative Homogenität spreche. Die Einbeziehung von Rentenansprüchen und Alterssicherungen in die Berechnung des Gini-Koeffizienten würde diesen dramatisch absinken lassen.
Bach kam zu ähnlichen Schlüssen wie Gregosz, indem er die Bedrohung der Altersvorsorge deutlich ansprach, die das Ergebnis gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und demographischer Umbrüche sei. Die Superreichen seien in Deutschland wenig finanzmarktaffin und eher zurückgezogen; ihr politischer Einfluss sei im Vergleich insbesondere zu den USA, England oder den osteuropäischen Staaten wenig spürbar. Obwohl die beiden wesentlichen sozialen Funktionen des Vermögens grundsätzlich Existenzsicherung und Macht seien, halte sich die Ausübung letzterer in der Bundesrepublik in Grenzen und trage mit bei zu einer 2018 demoskopisch gemessenen Lebenszufriedenheit auf Rekordniveau.
Die anschließende von Patrick Bernau, Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Autor des 2012 erschienenen Buches „Euro-Tsunami – Europa wird im Geld ertrinken“, moderierte Diskussion zwischen den Dozenten des Panels und dem Auditorium bewegte sich unter anderem um das Thema Humankapital, das einen Kern des Erhard‘schen Denkens ausmache. Ein spannender milieugeschichtlicher Aspekt kam durch die Frage zutage, ob Vermögen bzw. die Möglichkeit zur Vermögensbildung immer grundsätzlich als etwas Erstrebenswertes anzusehen sei: Bis 1950 galt im katholischen Milieu Geld als etwas eher Unanständiges; erst die Erhard-Devise „Wohlstand für Alle“ habe hier zu einer Umwertung geführt. Berührt wurden zudem die Themenfelder Grundsteuer und Mobile Homes, emotionalisierte Ungleichheitsdebatten bei Steuerfragen allgemein, Wirkungen staatlicher Preisregulierung, politische Vermittelbarkeit einer nüchternen wirtschaftswissenschaftlichen Bestandsaufnahme, Gefährdung der Demokratie durch eine aufgebrachte Mittelschicht, sowie Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen.
Eigentum verpflichtet…Aber wen und wozu?
Die Leitung des zweiten Panels und seiner Diskussion zum Thema „Eigentum verpflichtet…Aber wen und wozu?“ übernahm die bekannte Chefökonomin der Zeitung Die Welt, Dorothea Siems.
Der schon erwähnte Vortrag Professor Hans-Jürgen Papiers begann mit einer philosophisch-literarischen Definition der Freiheit, die er aus Thomas Manns Rede unter dem Titel „Von deutscher Republik“ (am 13. Oktober 1922) aus Anlass des 60. Geburtstages von Gerhart Hauptmann ableitete: Freiheit sei stets in einem Komplementärverhältnis mit Verantwortung verbunden und nie nur als Selbstverwirklichung des isolierten Individuums zu denken; Freiheit sei ebenso wenig ein egoistisches Nutzenkalkül wie eine ausschließliche Gemeinschaftszumutung, sondern der gemeinschaftsgebundenen Person als Aufgabe überantwortet. Eigentum, so Papier, sei wesentlich für die Umsetzung einer so verstandenen Freiheit.
Er erinnerte daran: Im Grundgesetz ist die Relevanz des Eigentums in Artikel 14 näher bestimmt; er schützt in Absatz 1 das Eigentum und das Erbrecht als Grundrecht. In Absatz 2 wird klargestellt, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch der Allgemeinheit dienen solle. Die Sozialgebundenheit des Eigentums in ihrer konkreten Form ist daraus jedoch noch nicht ableitbar, so dass deren Gestaltung im Detail als ein Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen ist. Das bundesdeutsche Recht verweist aber grundsätzlich Eigentumsbeschränkungen in enge Grenzen, so dass Eigentumsgarantie und Sozialbindung immer dem Gebot gerechter Abwägung unterliegen.
Vor dieser Folie betrachtete Papier den aktuell beschlossenen Mietenstopp der Stadt Berlin, der die Art der Mietobjekte in keiner Weise differenziere und letztlich den finanzkräftigen Mietern teurer Objekte zugutekomme und den Bau neuen Wohnraumes behindere. Die vom Gesetz geforderte Wahrung der Privatnützigkeit sei hier nicht mehr gewährleitet. Mit Verve verband sein Vortrag anthropologische Axiome und rechtsphilosophische Grundsätze mit dem politisch heißen Eisen.
Sofern tatsächlich einmal eine Entziehung des Eigentums notwendig werde, so Papier, weil das Gemeinwohl es zwingend erfordere, so müsse dies laut Absatz 3 des Artikels 14 notwendigerweise eine unmittelbare Entschädigung zur Folge haben. Derzeit aber werde das Eigentumsrecht entleert anstatt Enteignungen vorzunehmen, um Entschädigungen zu entgehen.
Nicht weniger tief als der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes gruben auch die Vorträge Professor Ulrich Blums und Prof. Dr. Michael Wohlgemuths, Volkswirt und Direktor der Open Europe Berlin GmbH, die die Auseinandersetzung um die ökonomische Sicht und die historisch-politische Sicht auf den Eigentumsgrundsatz erweiterten.
Professor Blum vertiefte an dieser Stelle die schon in seiner Einführung gegebene Einsicht in die geistesgeschichtliche Bedingtheit und Relevanz eines sozialmarktwirtschaftlichen Eigentumsverständnisses und empfahl den sozialpsychologischen Aspekt von Neiddebatten nicht zu unterschätzen. Bereits 1960 habe Helmut Schoeck in seinem Werk „Der Neid und die Gesellschaft“ grundsätzliche und bis heute gültige Überlegungen und Beobachtungen zu diesem Themenkomplex vorgestellt – gleichwohl sei dieses Buch bezeichnenderweise nicht wieder aufgelegt worden und nur noch antiquarisch zu haben. Mit Verweis auf den Ökonomen und Mitgründer des Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbevereins Daniel Friedrich List (1789 – 1846) setzte Blum den Vermögensbegriff vor seiner Materialisierung an: Die Fähigkeit zur Vermögensbildung sei letztlich wichtiger als das Vermögen selbst. Dessen gesellschaftliche und kulturelle Voraussetzungen müssten stärker in den Blick genommen werden. Die grundgesetzlich vorgegebene Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums stellte Blum vor die Frage einer gesinnungs- oder verantwortungsethischen Deutung.
Bei einem gesinnungsethisch überdehnten Verständnis drohe der Eigentumsanspruch durch die Sozialbindung erdrückt zu werden. Den Staat als ‚Neidausgleicher‘ in Stellung zu bringen sei hoch problematisch, denn durch illegitimes Verhalten des Staates drohe die Moral seiner Bürger zerstört zu werden.
In die historisch-politische Perspektive auf die Sozialbindung des Eigentums führte Professor Wohlgemuth mit einigen überraschenden demoskopischen Fakten ein: So stimmten der Aussage, dass Eigentum Diebstahl sei, in Deutschland aktuell nur ein Prozent der Befragten zu, nur 15 Prozent betrachteten das kapitale Eigentum als Quelle der Ausbeutung, während ganze 67 Prozent meinen, Eigentum bedeute Freiheit. Dass Eigentum verpflichtet halten 42 Prozent für zutreffend und ebenfalls 42 Prozent sind überzeugt, dass Eigentum sowohl der Allgemeinheit wie dem Wohl des Einzelnen diene. Dieses Meinungsbild spiegelt eine umfassende Anerkennung der Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft, die ihre historische Basis insbesondere in der katholischen Soziallehre hat.
Professor Wohlgemuth erinnerte daran, dass Joseph Kardinal Höffner (1906 – 1987) nicht nur 1929 und 1934 die Doktortitel der Philosophie und Theologie (letzteren mit einer Arbeit über „Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe. Versuch einer Bestimmung ihres Wesens“) erwarb, sondern auch 1940 in Freiburg bei Walter Eucken über „Wirtschaftsethik und Monopole im 15. und 16. Jahrhundert“ promovierte, so die Brücke zwischen ordoliberaler Wirtschaftstheorie und katholischer Soziallehre befestigte und die Soziale Marktwirtschaft vorbereitete. Auch Papst Pius XII.(1876 – 1958), der ebenso vor übersteigertem Individualismus wie vor Sozialismus warnte, hatte bereits auf eine Sozialordnung als Garant für ein menschliches Leben in Freiheit und Würde gedrungen. Eucken sah in der gegenseitigen Bedingtheit des Eigentums an den Produktionsmitteln und der staatlich gesicherten Wettbewerbsordnung den erfolgversprechenden Weg zu diesem Ziel und wollte mit dem Haftungsprinzip, das keine Kartellverträge zu Lasten Dritter erlaubte, gewährleisten, dass derjenige, der den Nutzen hat, auch den Schaden tragen müsse – ein weitsichtige Überlegung, die eine Prophylaxe gegen die Verschuldung von Kapital vorsah. Das Eigentum im Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet den Staat wie die Eigentümer zu Haftung und Eigenverantwortung. Klassenkämpferischen Vorstellungen konnte so, ganz im Sinne Ludwig Erhards, der Garaus gemacht werden. Bedauerlicherweise habe der Gebrauch des Begriffes der Sozialen Marktwirtschaft, wie er auch im Artikel 3 der Europaverträge vorkomme, ihn inzwischen zum ‚Wieselwort‘ gemacht.
Eigentum für alle: Vermögensaufbau als Ziel der Politik
Die Intensität, Argumentationsdichte und Informationsfülle der ersten beiden Panels setzte sich im dritten unvermindert fort, auf dem unter Leitung von Oswald Metzger, Publizist und vor seinem Parteiübertritt zur CDU Finanzexperte der Grünen, das Eigentum für Alle – Vermögensaufbau als Ziel der Politik zur Debatte stand. Dr. Hans-Jörg Naumer, der als unabhängiger Publizist zugleich bei Allianz Global Investors in der Position des Director Global Capital Markets tätig ist, und Professor Richard Reichel, Geschäftsführer des Forschungsinstitutes für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, erklärten, wie man Vermögen „richtig“ besteuert und welche desaströsen Folgen die EZB-Zinspolitik für Vermögen hat. Auch hier wurde Klartext geredet: Professor Reichel entlarvte das bewusste Verschweigen dramatischer Fakten zur Zinspolitik selbst in Vorträgen oder Publikationen honoriger Persönlichkeiten als Propaganda, der auch die Behauptung einer nur kurzfristigen Flaute der Zinsentwicklung entspringe. Dabei seien die Folgen erheblich: Die Sparquote sinke, der Vermögenseffekt sei negativ (Besitzer profitieren, potentielle Käufer schwinden), das Risiko von Kursverlusten steige. Von dieser Entwicklung profitiere nur der Staat, die privaten Haushalte, Versicherungen und Banken seien die Verlierer. Wenn der Staat die Finanzstabilität sichere, aber die Axt an die Zinsstabilität lege, sei er zugleich Brandstifter und Feuerwehr. Das Argument der notwendigen Konjunkturunterstützung als einer indirekten Positivwirkung sei zwar zu bedenken, empirisch seien aber die Belege einer tatsächlichen Konjunkturbelebung sehr schwach und unsicher. Die Auswirkungen auf die Vermögensverteilung sind langfristig und werden sich in ihrer ganzen Dramatik erst in etwa zehn Jahren zeigen. Einer erschwerten Vermögensbildung auch bei kombinierten Anlagen könne man, so Reichel, nun nicht mehr ausweichen. Trotz aller gegenteiligen Behauptungen würde sich eine Steigerung des Leitzinses auf zwei bis drei Prozent nicht negativ auf die deutsche Entwicklung auswirken, wohl aber auf jene Italiens etwa. Diese Wahrheiten vorzuenthalten begünstige eben jene Erosion der Volksparteien, die gegenwärtig beklagt werde.
Dr. Naumer eröffnete seine Ausführungen zur richtigen Besteuerung mit dem ernüchternden Hinweis, der 15. Juli jeden Jahres sei eigentlich als Steuerzahlergedenktag zu begehen, denn bis zu diesem Tag jeweils habe der Steuerzahler für den Staat gearbeitet. Grundsätzlich gelte aber: Vermögensbildung solle beim Bürger stattfinden und nicht beim Staat, denn am Ende müsse der Souverän gestärkt werden. Zudem solle die Besteuerung ‚diskriminierungsfrei‘ stattfinden: Kapitalanlagen seien nicht „schmutziger“ als andere Arten der Vermögensbildung oder Altersvorsorge. Zu Naumers orientierenden Grundsätzen gehörte auch die Maßgabe, langfristige Investitionen anders zu besteuern als kurzfristige. Außerdem seien Investitionen deutlich zu unterscheiden von Spekulationen. Prinzipiell, wenn auch indirekt, komme dem Staat die vermögenspolitische Unterstützung seiner Bürger doch selbst zugute - eine Erkenntnis, die Naumer mit dem Zitat von Peer Steinbrück untermauerte „25 Prozent auf x sind besser als 25 Prozent auf nix“! Ein wichtiges ökonomisches Instrument, dessen man sich häufiger bedienen sollte, sei die Kapitalbeteiligung, insbesondere die Mitarbeiterkapitalbeteiligung, die eine Brücke zwischen Kapital und Arbeit schlagen könne. Immer noch sei das atavistische Weltbild einer Aufspaltung in Kapitalisten und Proletarier virulent. Am Beispiel der Finanztransaktionssteuer wurde Naumer sehr konkret: die in ihrer aktuellen Form als „Hasssteuer“ gebrandmarkte Abgabe treffe letzten Endes nicht ihr Ziel, sondern lediglich jene Kleinanleger, die ihr nicht ausweichen könnten.
In der abschließenden lebhaften Diskussion kam unter anderem noch einmal die Situation deutscher Unternehmen zur Sprache, der man mit einer breiten Initiative zur Unterstützung ihrer Übernahme durch die junge Generation zur Hilfe kommen solle; die Übergabe ist oftmals mit großen auch bürokratischen Schwierigkeiten verbunden. Neben den ökonomischen Effekten wäre dies ein Beitrag zur Stabilisierung der Situation auf dem Lande, die teilweise durch die Entvölkerung ganzer Dörfer geprägt ist.
Das Kolloquium zur Vermögenspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft hat den Charakter der Konrad-Adenauer-Stiftung als Think Tank deutlich unterstrichen: Es lieferte eine Fülle von Anregungen sowohl für die weitere wissenschaftliche Befassung mit der Historie und der ökonomischen Wirkungsweise der Sozialen Marktwirtschaft, als auch für die politische Bildung und die konkrete Beratung zu aktuellen vermögenspolitischen Fragen.
Festgehalten werden diese in einem Sammelband der Tagungsbeiträge vom Dezember 2019, der zudem die Vorträge des Vorgängersymposiums von 2017 mit aufnehmen und in der zweiten Jahreshälfte 2020 erscheinen wird.
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