Länderberichte
Weitgehend klar ist, dass der oder die
Täter ein mit Sprengstoff beladenes Auto auf das Polizeigelände
lenkten und dort zur Detonation brachten. Die betroffene Polizeistation
war offenbar für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens
zuständig. Nur zwei Tage später, am 5. September, soll es in der
Hauptstadt Duschanbe eine Bombenexplosion in einem Nachtklub
gegeben haben, bei der mindestens vier Menschen verletzt worden
sein sollen. Die Informationslage zu den Ereignissen ist allerdings
dürftig, die tadschikischen Behörden halten sich bedeckt. Nur einige
russische und zentralasiatische Internetzeitungen haben bisher Artikel
über den Anschlag veröffentlicht. So vermutete beispielsweise die
russische Ausgabe des „News Service Voice of America“ eine
eventuelle Verbindung der beiden Vorfälle miteinander, auch wenn die
tadschikischen Behörden sich dazu bis jetzt nicht ausführlich geäußert
haben. Auch ein Zusammenhang des Chodschenter Anschlags mit
dem Ausbruch von 25 mutmaßlichen Islamisten aus einem
Hochsicherheitsgefängnis in Duschanbe am 23. August wird in Betracht gezogen. Das tadschikische Innenministerium hat den
Verdacht geäußert, dass die „Islamische Bewegung Usbekistans“
(IBU) hinter dem Anschlag stecke.
Die Internetseite „CA-News“ berichtete indes, eine bisher unbekannte,
in Tadschikistan beheimatete Terrorgruppe namens „Jamaat
Ansarullah“ habe sich zu dem Anschlag in Chodschent bekannt. Die
Aktion sei „eine Rache für die Ermordungen und die Demütigungen
der muslimischen Brüder in der ganzen Welt“, soll die Gruppe in ihrem
Bekennerschreiben an die Redaktion der Website „Echo des
Kaukasus“ geschrieben haben. Die Terroristen sollen außerdem
behauptet haben, dass mindestens 50 Menschen bei dem Anschlag
verletzt worden seien.
Ein Artikel der News-Seite „Centrasia.ru“ weiß detaillierter über den
Ablauf des Anschlags zu berichten: Ein Wolga vom Typ GAZ-24 habe
das Tor des Polizeigeländes durchbrochen, sei dort in ein
Dienstfahrzeug gerast und sofort explodiert. Die Anzahl der
Todesopfer beträgt laut dieser Quelle vier. Außerdem wird hier der
Umgang der Behörden mit dem Vorfall kritisiert: Am Ort des
Geschehens eingetroffene Journalisten seien für mehrere Stunden
festgehalten, sämtliches Ton- und Bildmaterial beschlagnahmt
worden. Die Behörden täten alles, um die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit abzulenken. Die Veröffentlichung von Informationen, die
nicht vom Staat herausgegeben wurden, sei verboten. Dass die IBU
bzw. Al-Kaida offiziell des Anschlags verdächtigt werden, sei typisch
für das moderne Tadschikistan: Alle negativen Ereignisse im Land
würden ausländischen Terroristen in die Schuhe geschoben, der
tadschikische Staat entledige sich so der Verantwortung für viele hausgemachte Missstände. Die russische Webseite „Wremija
Nowastej“ vermutet hinter den Anschlägen die unterdrückte
tadschikische Opposition. Die Gegner der heutigen
Regierung, die schon im tadschikischen Bürgerkrieg in den 90er
Jahren gekämpft haben, brächten so ihre Solidarität für die
Gefängnisflüchtlinge zum Ausdruck - unter denen sich auch
Oppositionelle ohne terroristische Verbindungen befinden sollen.
Auch die Internetzeitung „Eurasianet.org“ berichtet von
Repressionen der Behörden gegenüber Journalisten und dass von
offizieller Seite sofort reflexartig die IBU verdächtigt würde. Letzteres
rühre auch daher, dass unter den flüchtigen Gefängnisausbrechern
tatsächlich Extremisten mit Verbindungen zur IBU seien. Dennoch sei
die Tendenz der Regierung, stets alles auf die Islamisten zu schieben,
selbstgerecht. Eurasianet stellt ebenfalls eine Verbindung zwischen
der IBU (die nach dem Verbot in Usbekistan in den neunziger Jahren
in Tadschikistan Zuflucht gefunden habe) und der hauptsächlich
islamischen Opposition in Tadschikistan, die schon im Bürgerkrieg
zusammen gearbeitet hätten, her. Unter Berücksichtigung der
Explosion in einem Nachtklub in Duschanbe wirft die Website sogar
die Frage auf: „Brechen Tadschikistans Sicherheitsmechanismen
zusammen?“ Sie gibt zu bedenken, dass für alle drei Vorkommnisse
nicht, wie von den Behörden behauptet, die IBU oder Al-Kaida
verantwortlich sein müssen, sondern auch der tadschikische Staat
Fehler gemacht haben könnte, besonders in Bezug auf den
Gefängnisausbruch vom 23. August.
Schon seit einiger Zeit wird
darüber geklagt, dass Präsident Rachmon vorzugsweise Personen
aus seinem Heimatbezirk in den Staatsdienst hole und persönliche
Loyalität und Clanpolitik die Einstellungskriterien seien. Das habe dazu geführt, dass im Rechts- und Polizeiapparat zunehmende
Inkompetenz herrsche und wichtige Positionen mit fachlich völlig
ungeeigneten Personalien besetzt würden. Im Rechtsapparat
herrsche außerdem Willkür, immer öfter würden Oppositionelle und
Rachmon nicht genehme Personen zu langen Gefängnisstrafen
verurteilt, während Korruption und Vetternwirtschaft bei den
Günstlingen der Regierung weitgehend ungestraft blieben. So gebe
es unter den Gefängnisausbrechern, entgegen der Behauptung der
Regierung, auch Personen aus der politischen Opposition und deren
Verwandte, nicht nur Islamisten.
Die Website „Centralasiaonline.com“ berichtet von einer weiteren
staatlichen Theorie, wer hinter dem Selbstmordanschlag von
Chodschent gesteckt haben könnte: Ein Sprecher des
Innenministeriums habe gesagt, der Anschlag habe den laufenden
Ermittlungen im Fall der Ermordung eines Mafia-Bosses gegolten. Der
oder die Attentäter seien an dessen Erschießung beteiligt gewesen
und wollten nun die Ermittlungen sabotieren. Sie hätten aber
vermutlich auch Verbindungen zu religiösen Extremisten gehabt.
Alles in allem lässt sich sagen, dass es kaum verlässliche
Informationen zu den Ereignissen in Tadschikistan gibt. Die
verschiedenen Quellen sind sich jedoch offenbar darin einig, dass die
von den tadschikischen Behörden veröffentlichten Informationen nur
eingeschränkt vertrauenswürdig sind. Bisher gab es in Zentralasien
kaum Selbstmordanschläge, da islamistische Terroristen hier aufs
Schärfste verfolgt werden. So hat zum Beispiel Usbekistan seine
Grenze zu Afghanistan extrem gut gesichert und konnte auch
islamistische Tendenzen der eigenen Bevölkerung bisher erfolgreich unterbinden. Sollten die Vorfälle in Tadschikistan tatsächlich auf das
Konto von Islamisten gehen, gleich, aus welchem Land sie kommen,
wäre ein rasches Handeln des tadschikischen Staates nötig, um
derartige Tendenzen von Anfang an einzudämmen.