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Verfassungsreferendum bestätigt Rosa Otunbajewa als Übergangspräsidentin

von Dr. Thomas Kunze, Lina Gronau

Flüchtlinge kehren zurück

Am Sonntag, dem 27. Juni, wurde im krisengeschüttelten Kirgistan gewählt: Die Interimsregierung, die beim Sturz des alten Präsidenten Kurmanbek Bakijew im April 2010 an die Macht gekommen war, wollte ihre Macht legitimieren und wieder Stabilität ins Land bringen. Bei dem Referendum standen die neue Verfassung, die Ernennung Rosa Otunbajewas als Übergangspräsidentin bis zum 01.01.2012 sowie die Transformation des Verfassungsgerichts in eine Verfassungskammer, die dem obersten Gericht angegliedert sein soll, zur Wahl. Wichtigster Punkt: das Land soll eine parlamentarische Republik werden.

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Es war keine Einzelabstimmung möglich, die Bürger konnten nur alle drei Optionen ablehnen oder annehmen.

Inzwischen hat die Zentrale Wahlkommission bekannt gegeben, dass die Wahlbeteiligung bei 69,5 % gelegen habe. Knapp 91 % dieser Wähler hätten für die Verfassung und für Rosa Otunbajewa als Übergangspräsidentin gestimmt. Sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Zustimmung waren höher als erwartet. Im Vorfeld wurde befürchtet, dass sich besonders die ethnischen Usbeken aus Angst vor einer neuen Gewaltwelle kaum an der Wahl beteiligen würden. Sogar die Regierung warnte vor Ausschreitungen, die Stimmung war im ganzen Land sehr angespannt. Die OSZE entsandte aus Sicherheitsgründen keine Wahlbeobachter, diese Aufgabe übernahmen Mitarbeiter, die bereits vor Ort waren.

Trotzdem gaben auch viele Usbeken ihre Stimme ab. Die usbekische Regierung, die in den letzten Wochen mit viel Augenmaß handelte und alles dafür tat, den Konflikt nicht eskalieren zu lassen, erreichte im Vorfeld des Referendums in Verhandlungen mit Kirgistan die Zusage, dass die nach Usbekistan geflüchteten kirgisischen Staatsbürger usbekischer Abstammung sicher nach Kirgistan zurückkehren können. Zur Verwunderung aller internationaler Organisationen, die sich auf ein langes Flüchtlingsdrama an der usbekisch-kirgisischen Grenze eingestellt hatten, sind daraufhin vergangene Woche und am Wochenende in der Tat die Tausenden Flüchtlinge in ihr Heimatorte nach Kirgistan zurückgekehrt. Sie konnten so am Referendum teilnehmen. Die Interimsregierung hatte kurzfristig die Möglichkeit geschaffen, auch außerhalb der Wahllokale wählen zu können, so dass viele Menschen ihre Stimme an mobilen Wahlurnen abgaben. Offenbar lief die Wahl ohne Zwischenfälle oder Ungereimtheiten ab.

Die neue Verfassung ändert einiges im politischen System Kirgistans: Kirgistan ist nun die erste und einzige parlamentarische Republik in Zentralasien. Die Anzahl der Sitze im Parlament wird von 90 auf 120 erhöht. Die Partei mit den meisten Stimmen erhält 65 Sitze, die restlichen 55 Sitze werden prozentual unter den Parteien verteilt, die trotz 5-Prozent-Hürde ins Parlament eingezogen sind. Der Premierminister wird von diesem Parlament gewählt. Der Präsident kann nur noch eine sechsjährige Amtszeit absolvieren und kann vom Parlament abberufen werden. Religion und Staat sollen getrennt bleiben, religiöse und ethnische Parteien werden nicht zu Wahlen zugelassen. Insgesamt liegt nach der neuen Verfassung die Macht wieder in den Händen des Parlaments und nicht mehr beim Präsidenten. Die Opposition bekommt mehr Rechte, etwa bei der Wahl des Präsidenten und die Verfassung enthält Mechanismen, die es einer einzelnen Partei erschweren sollen, zuviel Macht zu erlangen. Die nächste Parlamentswahl ist im Herbst 2010 geplant.

Rosa Otunbajewa bleibt bis zum 1. Januar 2012 Übergangspräsidentin. Die nächsten Präsidentschaftswahlen werden voraussichtlich erst im Herbst 2011 stattfinden, Otunbajewa kann laut der neuen Verfassung dann nicht noch einmal kandidieren. Mit diesem Argument wies die Übergangsregierung den unausgesprochenen Vorwurf zurück, sich mit Hilfe der langen Übergangsperiode dauerhaft die Macht sichern zu wollen und so die „Tradition“ Akajews und Bakijews fortsetzen zu wollen. Nach den Unruhen Mitte Juni erscheinen auch die Vorwürfe, dass die Übergangszeit zu lang sei, in einem anderen Licht: Momentan scheint ein Übergangszustand nicht mehr ungerechtfertigt.

Russlands Präsident Medwedjew äußerte sich skeptisch über die neue Staatsform Kirgistans. Es sei natürlich eine innere Angelegenheit Kirgistans, aber er zweifele daran, dass das parlamentarische System in diesem Land funktionieren wird. Er kritisierte, dass die Regierung und die Behörden einfach zu wenig Autorität besäßen und ein demokratisches System die Ausbreitung radikaler islamischer Kräfte begünstigen könne. Auch kirgisische und ausländische Beobachter äußerten sich besorgt. Prinzipiell begrüße man diesen Schritt in Richtung Demokratie, aber offenbar sei vielen Wählern nicht ganz klar gewesen, wofür sie ihre Stimme abgegeben haben. Viele wähnten sich scheinbar in dem Glauben, für „Frieden und Stabilität“ votiert zu haben, in der Erwartung, dass sich die Lage im Land jetzt schnell bessern werde. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es noch viele Angriffe auf das demokratische System geben wird und auch die Bevölkerung für die neue Ordnung kämpfen muss. Die Erkenntnis, dass eine Demokratie für jeden Bürger Verantwortung und Mitarbeit bedeutet, hat sich noch nicht soweit durchgesetzt, wie es wünschenswert wäre.

Trotz der Unruhen Mitte Juni, die bis zu 2000 Opfer gefordert haben und hunderttausende Menschen in die Flucht trieben, hielt die Übergangsregierung stets am Termin für das Referendum fest. Internationale Beobachter und Diplomaten vor Ort begrüßten diese Haltung: Es sei das einzig richtige, nur eine legitimierte Regierung könne die Lage dauerhaft stabilisieren. Seit dem Ende der Unruhen ist die Situation angespannt, es kam immer wieder zu kleineren Zwischenfällen. Die Menschen sind noch immer verunsichert. In den Tagen vor der Abstimmung erzählte man sich, diejenigen, die die Zusammenstöße in Osch und Dschalal Abad provoziert hätten, planten bereits die nächsten Aktionen. Neue Kämpfer würden nach Kirgistan geschleust, die das Referendum stören sollen. Sogar Vize-Premierminister Tekebajew warnte vor neuen Unruhen.

Wer genau die ersten ethnischen Unruhen am 11. Juni organisiert haben soll, weiß noch niemand, die Regierung kündigte aber umfassende Untersuchungen an. Verschiedene Verdächtige stehen zur Verfügung: Der Bakijew-Klan, die kirgisische Unterwelt, Islamisten, die im Fergana-Tal einen Gottesstaat errichten wollen. Dass jemand die schon seit Jahrzehnten vorhandenen ethnischen Spannungen zwischen Kirgisen und Usbeken benutzt hat, um Auseinandersetzungen zu provozieren, steht mittlerweise aber mehr oder weniger außer Frage.

Nachdem klar war, dass die Bevölkerung die Verfassung angenommen hatte, beschwor Übergangspräsidentin Otunbajewa die Einigkeit des kirgisischen Volkes, das nun eine strahlende Zukunft vor sich habe. Wie sich die Lage entwickeln wird und ob das Land nun zur Ruhe kommt, wird sich zeigen. Die Ursachen für die Spannungen zwischen den Ethnien abzubauen, ist auch Aufgabe der Politik und in diesem Bereich erwarten Kirgisen und Usbeken einiges von ihrer neuen Regierung.

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18. Juni 2010
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