Freiheit bedingt Sicherheit
„Ohne Sicherheit ist keine Freiheit“ – diese These von Wilhelm von Humboldt bringt im Kern das Experten-Gespräch der Konrad Adenauer-Stiftung vom 12. Oktober im Thüringer Landtag auf den Punkt. Fünf Sicherheitsexperten aus den wichtigsten Sicherheitsbereichen standen den rund 60 Teilnehmenden vor Ort und den digital Zugeschalteten Rede und Antwort: Björn Stahlhut, Experte für Sicherheit im Gesundheitswesen, Martin Lammert, Experte und Buchautor für Sicherheitspolitik, Raymond Walk, Innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Oberstleutnant Michael Weckbach, Leiter Informationsarbeit Landeskommando Thüringen der Bundeswehr, Lars Oschmann, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes.
Michael Weckbach erläuterte die Zeitenwende, den Paradigmenwechsel der Bundeswehr. Nach Artikel 87a des Grundgesetzes stellt „der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Die Einbindung der Bundeswehr in die NATO und EU ist Ausdruck der werteorientierten Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland. Die Bundeswehr ist strikt den Grundsätzen des Völkerrechts verpflichtet. Auslandseinsätze sind jeweils an eine UN-Friedensmission geknüpft.
Die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr als Antwort auf Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine und die feste Zusage der Bundesregierung, das zwei-Prozentziel der NATO zu erfüllen, also zwei Prozent des Bruttoinlands-Produkts (BIP) für die Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, dies ist ein klares Zeichen für die Aufwertung der lange vernachlässigten Bundeswehr. Das Motiv und Ziel dafür, das ist – so Presseoffizier Weckbach, keine Aufrüstung, sondern Ausrüstung. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, eine an das Mandat des Bundestags gebundene Armee.
„Die Zeiten der Friedensdividende, die Zeiten fehlender Bedrohung sind vorbei“, so Weckbach. Die damals entspannte sicherheitspolitische Lage habe neben der Wehrungerechtigkeit damals zur Aussetzung, nicht zur Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland und zur Aufstellung einer Berufsarmee geführt.
Die Streitkräfte – so Weckbach – können innere und äußere Sicherheit nicht alleine garantieren. Sie sind auf die enge Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen, mit der Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk angewiesen. Seit dem Ukrainekrieg hat sich in der Bundeswehr eine Zeitenwende vollzogen: nicht mehr Auslandseinsätze, nicht mehr Terrorbekämpfung, nicht mehr Hilfseinsätze, sondern die Landesverteidigung bilden wieder den Schwerpunkt. Und hier ist eine engere Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen gefragt. Also vom internationalen Krisenmanagement stärker hin zur Landesverteidigung, dies sei der neue Auftrag der Bundeswehr.
Raymond Walk reklamierte ein Recht der Bevölkerung auf Sicherheit. Dies betrifft Polizei und Bundeswehr gleichermaßen. Ohne Sicherheit könne es keine Freiheit gaben. Gute Vorbereitung auf Krisen und optimale Führung seien neben optimaler technischer Ausstattung im militärischen Sektor entscheidende Erfolgsfaktoren. Dazu komme immer wieder das Mantra: üben, üben, üben. Die Anforderungen an die Sicherheitsorgane haben sich, so Walk, heute grundlegend gewandelt. Das sicherheitspolitische Szenario habe sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet: Terrorismus, zwischenstaatliche Systemkonflikte, Schwächung demokratischer Systeme, Klimawandel, humanitäre Konflikte, illegale und unkontrollierte Migration, Cyber-Attacken, hybride Kriegsführung, Rückkehr des Krieges nach Europa, das sind die neuen Herausforderungen für innere und äußere Sicherheit.
Gute Sicherheitspolitik lebt von der Glaubwürdigkeit, vom Vertrauen der Bürger in Politik und Sicherheitsorgane. Gute Sicherheitspolitik bekämpft Bedrohungen möglichst dort, wo sie entstehen. Die internationale Ordnungspolitik sei im Umbruch. Dies macht deutlich: Sicherheit ist nicht alles. Aber ohne Sicherheit ist alles nichts. Der Klassiker der Antike, Cicero, kommt einem in den Sinn: “Die Sicherheit des Menschen soll das höchste Gesetz sein.“ Heute gilt: Der Preis für Freiheit ist Sicherheit. Wir haben – so Walk – heute kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem in der Sicherheitspolitik. Politische Willensbildung sei nun einmal in Demokratien schwieriger als in autokratischen Systemen wie Russland und China.
Heute, wo in der Sicherheitspolitik alles hoch dynamisch sei, müsse man – so Gesundheitsexperte Björn Stahlhut – angesichts breiter Verunsicherung in der Bevölkerung wieder die Frage nach den Konstanten stellen. Frieden und Gerechtigkeit etwa seien zwei dieser zentralen Konstanten und Leitbilder freiheitlicher Sicherheitspolitik. In der heutigen Zeit kommen mehrere Krisen und Bedrohungen oft gleichzeitig: Klimawandel, Pandemie, Krieg, Cyberattacken. Weg vom bürokratischen Ressortdenken, weg vom Zuständigkeits-Denken, das ist die Forderung von Björn Stahlhut. Nicht mehr die Wahrscheinlichkeiten, sondern die Möglichkeiten – z.B. die Wahl bei der Strom- und Energieversorgung zwischen Gas, Kernkraft, Kohle – seien die zentralen Parameter. Vernetzte Sicherheit, das sei die Lösung. Die Pandemie habe gezeigt: Zusammenarbeit aller Kräfte und Ebenen also zwischen Kommune, Land, Bund, EU, Hilfsorganisationen und Sicherheitsorganen führe zum Erfolg. Für Gesundheit gebe es aber kein Sicherstellungsgesetz.
Sicherheitspolitiker Martin Lammert stellte die Frage: Was ist Sicherheit? Weit mehr als Abwesenheit von Krieg und Gewalt, so seine Antwort. Ressortübergreifende Zusammenarbeit sei ebenso wichtig wie Kooperation der internationalen Bündnissysteme. Kollektive Sicherheit sei unerlässlich. Vollkaskomentalität nach dem Motto, der Staat solle alles regeln, sei ein überholtes sicherheitspolitisches Denken. Sicherheit gehe alle an. Der Staat sei der Sicherheitsgarant, die Kommunen sorgen für die richtigen Rahmenbedingungen.
Lars Oschmann, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbandes erinnerte an die gestiegenen Aufgaben und Herausforderungen der Feuerwehren, etwa an die zahlreichen Waldbrände oder Überschwemmungen als direkte Folgen des Klimawandels. Nirgendwo sei das Ehrenamt so ausgeprägt wie bei der Feuerwehr. Rund 1,3 Millionen Angehörige in Freiwilligen, Jugend-, Berufs- und Werkfeuerwehren in bundesweit 30.000 Feuerwachen und Feuerwehrhäusern – damit sind die Feuerwehren eine starke Gemeinschaft und ein verlässlicher Partner für Sicherheit. Die flächendeckende Gefahrenabwehr trägt der dichten Besiedlung Deutschlands Rechnung und bringt den Bürgern schnelle Hilfe an jedem Ort.
Das Fazit dieses Experten-Gesprächs der KAS zur inneren und äußeren Sicherheit:
„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“ (Benjamin Franklin). Demokratien stehen wie nie zuvor in einem Systemkonflikt mit autokratischen und diktatorischen Systemen. Ging im Kalten Krieg vorrangig um militärische Dominanz zwischen den beiden Blöcken, so geht es bei den heutigen Konflikten um Technologieführerschaft, um Infrastruktur, um Wirtschaft und Wohlstand, um humanitäre Fragen, um soziale Gerechtigkeit und um natürliche Bedrohungen von Pandemie bis hin zum Klimawandel. Innere und äußere Sicherheit haben gleichermaßen an Bedeutung zugenommen.
Dies wurde bei diesem Expertengespräch der KAS Erfurt deutlich. Doch was ist die Lösung für die Zukunft? Für den demokratischen und freiheitlichen Westen gilt es, in Krisenzeiten die Handlungsfähigkeit zu sichern. Entschlossenes Handeln, Klartext und nicht Zögern und Zaudern sind daher in der Sicherheitspolitik gefragt. Und dies, ohne die Grundwerte der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der individuellen Freiheit in Frage zu stellen. Im Inneren vereint, nach außen handlungsfähig, das muss die Devise für EU und NATO sein.
Die EU muss endlich weltpolitikfähig und handlungsfähig werden. Das ist auch das Ergebnis der Konferenz zur Zukunft Europas. In globalen Systemkonflikten müssen wir mutig und entschlossen unser Freiheitsmodell und unser Wertesystem verteidigen. Die EU, einst zum Schutz voneinander gegründet, muss sich zum Schutzschild füreinander wandeln.
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