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Was ist Gerechtigkeit

του Markus Ruschke
Podiumsdiskussion unterstützt mit einer TED-Abstimmung

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Was ist Gerechtigkeit? Um diese Frage zu diskutieren, lud das Bildungswerk Erfurt gemeinsam mit der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung am 21. Mai in die Rosensäle der Friedrich-Schiller-Universität ein. Mit Hilfe eines TED-Abstimmungssystems konnten die ca. 90 Gäste den Diskussionsverlauf aktiv mitbestimmen.

Auf dem Podium nahmen Vertreter aus Wissenschaft und Politik Platz. Der Generalsekretär der CDU Thüringen Dr. Mario Voigt, Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, Ministerialdirigent im Bundeskanzleramt Matthias Graf von Kielmannsegg sowie der Lehrstuhlinhaber für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden Prof. Dr. Werner Patzelt bildeten eine überaus interessante Diskussionsrunde. Die Moderation übernahm der stellvertretende Hauptabteilungsleiter für Politik und Beratung Nico Lange.

Die Landesbeauftragte für Thüringen und Leiterin des Bildungswerks Erfurt Maja Eib begrüßte zu Beginn die Referenten und Gäste und leitete mit einigen Daten aus aktuellen Untersuchungen („Jungwähler: Hoffnungslos verloren?“ sowie „Zwischen Stabilität und Fragilität“) in das Thema ein. Diese Ergebnisse brachten einige widersprüchliche Aspekte zum Vorschein. So sei zwar die Angst vor einem sozialen Abstieg sehr groß, jedoch ist die Bereitschaft zu politischer Beteiligung, um über ein gerechteres System zu diskutieren eher gering, so Eib. Nico Lange nahm diesen Aspekt bei seiner ersten Frage auf und erkundigte sich bei Prof. Dr. Böhmer nach seinen Erfahrungen. Aus seinen persönlichen Erlebnissen heraus gab Böhmer an, dass viele Bürger vielleicht sagen würden, sie hätten kein Interesse. Bei bestimmten Fragen allerdings, die sie persönlich betreffen zeigen sie ein sehr starkes Interesse. Dr. Mario Voigt stimmte dem zu, grenzte jedoch ein, dass vielmehr eine Politiker- statt einer Politikverdrossenheit in der Bevölkerung herrsche. Graf von Kielmannsegg vertrat ebenfalls wie Wolfgang Böhmer die Auffassung, dass das Interesse der Bevölkerung an Politik nicht zurückgehen würde. Als Hinweis dafür nannte er die zahlreichen Briefe aus der Bevölkerung, die täglich im Bundeskanzleramt eintreffen und oftmals auch mit viel Sachverstand bestimmte Probleme aufgreifen. Prof. Patzelt zeigte einen anderen Aspekt auf. Er deutete Desinteresse als Zeichen von Zufriedenheit. Schließlich wählt die Bevölkerung Politiker, die sich der Probleme und Aufgaben im Staat annehmen und sich mit wichtigen Fragen beschäftigen gerade damit sich der einzelne Bürger nicht darum kümmern muss. Erst wenn die Bevölkerung mit der Arbeit der Politik nicht zufrieden ist, beschäftigt sie sich mit bestimmten Themen.

Zwischen den Redebeiträgen wurden Fragen an das Publikum gestellt. Diese wurden auf eine Leinwand projiziert und anschließend konnte man die Fragen nach eigener Gefühlslage per Knopfdruck beantworten. Das Ergebnis wurde sofort nach dem Abstimmungsprozess ebenfalls angezeigt. So kam es, dass beispielsweise nach der vierten Frage 53,5 % der Anwesenden der Meinung war, die Politik versage regelmäßig in entscheidenden Fragen.

Lange gab diese Frage an die Gesprächsteilnehmer weiter. Böhmer antwortete darauf pragmatisch. In erster Linie könne man es nicht jedem immer recht machen. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass, wenn die Bevölkerung sehr hohe Maßstäbe und Erwartungshaltungen habe, dieser Teil regelmäßig enttäuschter von den Ergebnissen sein wird. Prof. Patzelt wies darauf hin, dass die jeweilige Perspektive von der aus man Politik betrachtet entscheidend für das Urteil sei und dabei es Auslegungssache ist, was „die entscheidenden“ Fragen für jeden Einzelnen in der Politik sind. Anschließend wurde das Publikum aufgefordert sich zu äußern, wo nach ihrer Meinung die Politik versagt habe. Einige sehr interessante Punkte, wie die hohe Staatsverschuldung oder die Reform des Steuersystems wurden dabei angesprochen.

Durch den Wechsel zwischen Expertengespräch, Abstimmung und Dialog mit dem Publikum entwickelte sich eine dynamische Diskussion, die schließlich zum Kernthema des Abends gelangte. Dabei kam der entscheidende Impuls aus dem Publikum mit der Frage „Über welche Gerechtigkeit man rede?“. Wiederum war es der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, der die Stoßrichtung vorgab, indem er zwischen formaler und sozialer Gerechtigkeit unterschied, wobei er darauf hinwies, dass der Grad der formalen Gerechtigkeit in Deutschland sehr hoch sei. Er schränkte allerdings ein, dass die Marktwirtschaft nie gerecht sein kann, da es immer Verlierer in ihr gäbe. Deswegen sei Deutschland den richtigen Weg gegangen und flankiert dieses Wirtschaftssystem mit einer ausgeprägten Sozialgesetzgebung. Weitere Formen von Gerechtigkeit, die unterschieden wurden waren Bildungsgerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit sowie die Einzelfallgerechtigkeit. Letztere wurde von Graf von Kielmannsegg speziell auf das Steuersystem bezogen. Zwar nütze das bisherige System vor allem dem, der sich damit auskennt, aber auf der anderen Seite gab von Kielmannsegg zu bedenken, dass jede Form der Vereinfachung auch einen Wegfall von Sonderleistungen für den Einzelnen bedeuten würde. Da sich die Bevölkerung jedoch mittlerweile daran gewöhnt habe, macht jede Anstrengung einer Steuerreform die Leute skeptisch.

Dr. Mario Voigt lenkte schließlich den Blick noch auf die Generationengerechtigkeit, da aus dem Publikum zu vernehmen war, dass insbesondere der Hohe Stand der Staatsschulden für die heutige Generation zwischen 25 und 49 Jahren nicht gerecht sei. Grundsätzlich stimmte Voigt zu, dass die jetzige Generation von den staatlichen Einsparungen stärker betroffen ist. Durch die Schuldenbremse des Bundes und die der einzelnen Länder könnte sich die Gesellschaft nicht mehr so viel leisten wie früher. Allerdings gab Voigt zu bedenken, dass der heutige Lebensstandard ohne die früher getätigte Schuldenaufnahme ein gänzlich anderer wäre. Dadurch entstehe auch eine verzehrte Wahrnehmung, in der eine abstrakte Vorstellung von Gerechtigkeit auf individuelle Bedürfnisse herunter gebrochen werde.

Prof. Patzelt machte zum Schluss deutlich, dass der Begriff Gerechtigkeit eher ein Regenschirmbegriff sei, unter dem jeder etwas anderes versteht, je nach welchem Blickwinkel er betrachtet wird. Dies sei gut so, da in einer demokratischen Gesellschaft über solche Begriffe immer wieder diskutiert werden muss, um sie neu zu bestimmen und der dynamischen Entwicklung einer Gesellschaft anzupassen. Hierbei nahm Patzelt die politischen Parteien in die Verantwortung, die ihre Sichtweisen über Gerechtigkeit mit klareren Konturen versehen müssen, um sich voneinander abzugrenzen.

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