Country reports
Senegalesische Journalisten hatten in Japan ein Interview mit dem senegalesischen Präsidenten genutzt, um ihn zu einem gesellschaftspolitischen Problem von hoher Aktualität zu befragen - die Forderung nach einer Ă„nderung des senegalesischen Familienrechts im Sinne des islamischen Rechts. Wieder zurĂ¼ck in der senegalesischen Hauptstadt, bekräftigte Wade seine Position, indem er die Initiatoren des Komitees zur Reform des Familienrechts (Circofs) öffentlich hart kritisierte.
Der Circofs hatte Anfang April eine Kampagne zur Reform des senegalesischen Familienrechts mit der BegrĂ¼ndung gestartet, es trĂ¼ge den moralischen Ăœberzeugungen der Mehrheit der senegalesischen Bevölkerung nicht genĂ¼gend Rechnung: mehr als 90 Prozent der Senegalesen seien Muslime und mĂ¼ssten somit ein islamisches (also an der Scharia) orientiertes Familienrecht bekommen – fĂ¼r die Christen könne ja weiterhin das laizistische Familienrecht gĂ¼ltig sein.
Zwei Familienrechtsversionen in einem Land – diese Idee rief empörte Reaktionen in weiten Teilen der senegalesischen Bevölkerung hervor. Die groĂŸen Frauenorganisationen Senegals stellten sich demonstrativ gegen die "reaktionäre und frauenfeindliche" Forderung des Circofs, sie kĂ¼ndigten groĂŸe Protestaktionen an. Viele andere Organisationen der Zivilgesellschaft warnten eindringlich vor der Gefahr einer Spaltung der senegalesischen Gesellschaft. Sie betonten, dass Senegal fĂ¼r das harmonische Zusammenleben von Mitgliedern der verschiedenen Religionen, Ethnien und sozialen Gruppen in ganz Afrika bekannt ist und dass eine Destabilisierung dieses fragilen Gleichgewichts unĂ¼bersehbare Folgen haben könnte. Auch die Vertreter der christlichen Kirchen gaben ihrer BefĂ¼rchtung Ausdruck, die geforderte Reform könne ein Schritt in Richtung auf eine islamische Republik werden.
Auch zahlreiche muslimische Frauen, und nicht nur aus intellektuellen Kreisen, verurteilten die Initiative des Circofs als hoffnungslos rĂ¼ckständig. Das aktuelle senegalesische Familienrecht, das im Jahr 1972 in Kraft trat, bedeutete damals einen relativen Fortschritt fĂ¼r die Frauen, und eine Anpassung an die Scharia sei effektiv ein RĂ¼ckschritt und käme einer Katastrophe gleich.
Im Gegenteil, das aktuelle Familienrecht mĂ¼sse noch stärker modernisiert werden und der neuen Rolle der Frauen in der senegalesischen Gesellschaft Rechnung tragen. Denn noch heute gilt der Ehemann als "Familienvorstand" und beispielsweise ist nur der Mann rechtlich in der Lage, seine Frau und Kinder zu versichern. Eine Frau hat nicht die Möglichkeit, ihren (eventuell arbeitslosen) Mann und ihre Kinder bei der staatlichen Versicherung anzumelden! Anstatt also diesen Anachronismus im Familienrecht zu beseitigen, wollten die Islamisten des Circofs die Rechte der Frauen noch mehr beschneiden, empörte sich die nationale Fraueninitiative Siggil Djigeen.
Bereits vor dreiĂŸig Jahren hatte der Circofs eine Ă„nderung des Familienrechts gefordert, die damals aber vom Präsidenten Senghor kategorisch abgelehnt wurde. Damals wie heute weigerte sich die StaatsfĂ¼hrung, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einzureichen. Zwar kann auch die Legislative (Parlament) einen Gesetzesvorschlag einbringen, jedoch ist eine solche Initiative nach einer eindeutigen und ablehnenden Stellungnahme der Regierung aussichtslos, zumal im derzeitigen Parlament sich die Regierungskoalition auf eine Dreiviertelmehrheit stĂ¼tzen kann.
Präsident Wade wurde noch deutlicher: Er unterstelle dem Circofs politische Hintergedanken, denn dieser habe ja schlieĂŸlich dreiĂŸig Jahre Zeit gehabt, seine Forderung nach einer Familienrechtsreform in die politische Diskussion einzubringen, habe sich aber nie in dieser Hinsicht geäuĂŸert. Warum also käme er gerade jetzt wieder auf die politische Tagesordnung? Sei dies nicht vielmehr ein Versuch des ausgedienten Politikers Babacar Niang, sich auf diese Weise wieder in das politische Rampenlicht zu stellen?
In der Tat stellt sich vielen Senegalesen die Frage, warum der WortfĂ¼hrer des Circofs, der ehemalige Kommunist und Mitkämpfer des senegalesischen Wissenschaftlers und Politikers Cheikh Anta Diop, plötzlich von der Religion beflĂ¼gelt sein sollte. Niang war zunächst bekennender Kommunist, dann ebenso bekennender senegalesischer Patriot im Kampf gegen Kolonialismus und Neokolonialismus. Woher rĂ¼hrt also dieser plötzliche Frömmigkeitsanfall? Die Vermutung liegt nahe, dass Niang seine RĂ¼ckkehr in die politische Szene plant und, da von den mehr als 70 politischen Parteien Senegals schon alle Probleme und Themen hinreichend bedient werden, er einen neuen Aufhänger finden musste. Was kommt da gelegener als die Religion, in einer Zeit schwelender islamistischer Bewegungen weltweit und angesichts einer zunehmenden Verarmung der senegalesischen Bevölkerung?
Jedoch hatte Niang nicht mit der vehementen Ablehnung der Bevölkerung und der Regierung gerechnet. Wade schlug ihm vor, er solle doch bei den nächsten Präsidentschaftswahlen die Scharia in sein Wahlprogramm stellen und abwarten, ob er damit mehr Erfolg habe als bei den Präsidentschaftswahlen 1993 (als Niang noch nicht einmal ein Prozent erhalten hatte). So bissig und aufgebracht hatte man Staatschef Wade lange nicht mehr gesehen.
Abdoulaye Wade selbst wurde seit Beginn seiner Regierungszeit von vielen Seiten eine zu groĂŸe und zu offensichtliche Nähe zur muslimischen Bruderschaft der Mouriden vorgeworfen. Tatsächlich begibt sich der Staatspräsident gelegentlich vor wichtigen politischen Entscheidungen in die Hauptstadt der Mouriden, Touba, um den Khalifen um seine Gebete zu bitten. Während der erste senegalesische Staatschef, der Katholik Senghor, gleichmĂ¤ĂŸig gute Beziehungen zu allen muslimischen Kongregationen Senegals gepflegt hatte und Abdou Diouf, Angehöriger der Tidianenbruderschaft, ebenfalls sehr auf religiöse Neutralität bedacht war, geht Wade anscheinend recht unbedacht mit dieser Frage um. Seine allzu offen zur Schau getragene Nähe zur Mouridenkongregation bescherte ihm schon diverse harte Kritik von Seiten der senegalesischen Presse sowie UnmutsäuĂŸerungen der FĂ¼hrer der anderen muslimischen Kongregationen.
Jedoch kann der äuĂŸere Eindruck täuschen. Die aggressive Ablehnung des Vorschlags des Circofs steht in einer deutlichen Reihe zahlreicher antiislamistischer Stellungnahmen Wades. Tatsächlich beweist der senegalesische Staatschef immer wieder sein eindeutiges Bekenntnis zum laizistischen Staat – einmal abgesehen von seinem erfolglosen Versuch vor drei Jahren, das Wort Laizismus aus der Verfassung zu streichen, mit der BegrĂ¼ndung, es sei nicht notwendig, es sei doch selbstverständlich, dass die senegalesische Republik laizistisch sein. Nach vehementen Protesten der Parteien und der Zivilgesellschaft blieb das Wort schlieĂŸlich in der Verfassung stehen.
Am Tag nach dem 11. September 2001 verurteilte Wade aufs Härteste den islamistisch beeinflussten Terrorismus und alle islamistischen Gewalttaten. Er grĂ¼ndete die afrikanische Antiterrorismus-Initiative und schlug innenpolitisch eine härtere Gangart gegen Islamisten ein.
Charakteristikum des senegalesischen Islam ist das harmonische Zusammenleben in und mit dem laizistischen Staat. Er ist sufistischer Ausrichtung und betont vor allem die mystischen Elemente, wobei sich dies nicht nur auf die Relation des Gläubigen zu Gott, sondern auch zu seinem religiösen FĂ¼hrer, dem Khalifen oder Marabout, bezieht. Diese haben häufig eine recht Ă¼berhöhte Bedeutung fĂ¼r die Gläubigen, mischen sich aber in der Regel nicht in das politische Leben ein, von einigen Ausnahmen abgesehen.
Die groĂŸen Wallfahrten der Tidianen nach Tivavouane und der Mouriden nach Touba mobilisieren jährlich Hunderttausende von Anhängern, die friedlich und nicht nur aus religiösen GrĂ¼nden die Pilgerfahrt antreten. Diese Wallfahrten sind immer auch konjunkturfördernd fĂ¼r Transporteure, Händler aller Art sowie Verkäufer religiöser Objekte und Dienste.
Jedoch – von Fundamentalismus oder Integrismus keine Spur. Im Gegenteil, dem senegalesischen Islam wird manchmal vorgeworfen, zu "folkloristisch" und zu "afrikanisch" zu sein, zu wenig konform mit dem Islam arabischer Herkunft. Diese Kritik berĂ¼hrt die Mehrheit der senegalesischen Gläubigen nicht im Geringsten. Mit Stolz pilgern die Mouriden nach Touba und vertreten die Meinung, ihre religiöse Hauptstadt sei einer Pilgerschaft ebenso wĂ¼rdig wie Mekka, nur nicht so weit und nicht so kostspielig.
Der "Schwarze Islam", wie er genannt wird, ist eine originelle Verbindung von vorkolonialen Herrschaftsstrukturen und Religion. Der Islam galt in Westafrika teilweise als Befreier von feudalen Strukturen (Ausbeutung der Landbevölkerung durch die Königshäuser) und manche zum Islam bekehrten Herrscher werden noch heute als Helden des antikolonialen Widerstandes verehrt. Dieser Mythos hat sich erhalten, aber paradoxerweise Ă¼bernahmen die Khalifen genau die Strukturen, gegen die sie zunächst gekämpft hatten. Heute sind die muslimischen Kongregationen nach dem dynastischen Prinzip strukturiert und es ist nicht Ă¼bertrieben zu behaupten, dass innerhalb der Bruderschaften ansatzweise regelrecht feudalistische ZĂ¼ge zu finden sind. Dieses "weltliche" Element ist allerdings ein Faktor der sozialen Kohäsion und trägt zum gesellschaftlichen Gleichgewicht in Senegal bei. Es verhindert eine Radikalisierung des Glaubens, da die Marabouts immer wieder als Katalysatoren fĂ¼r gesellschaftliche und religiöse Bestrebungen fungieren.
So ist denn auch bezeichnend, dass die Verantwortlichen der groĂŸen muslimischen Kongregationen sich nicht zu dem Vorschlag des Circofs geäuĂŸert haben. Das islamistische Komitee Circofs setzt sich vor allem aus Verfechtern eines "reinen" Islam arabischer Prägung zusammen. Tatsächlich gibt es in Senegal einige Strömungen innerhalb der Muslime, die nicht den groĂŸen senegalesischen Bruderschaften angehören, sondern sich zum "egalitären" Islam ohne Klerus und Hierarchie bekennen. Allein in diesen Kreisen kommt es zeitweise zu islamistischen Bestrebungen, die jedoch von den Vertretern der Bruderschaften und den meisten Gläubigen abgelehnt werden.
Die Bruderschaften genieĂŸen nicht selten eine privilegierte Stellung im Leben der laizistischen Republik und gelegentlich kommt es auch vor, dass Marabouts Freiheiten genieĂŸen, die nicht mit den Prinzipien des Rechtsstaates zu vereinbaren sind. Während die Khalifen der Bruderschaften in der Regel den Ruf "heiliger Männer" genieĂŸen, die sich um weltliche Belange nicht kĂ¼mmern, kann es vorkommen, dass "kleinere" Marabouts ihre Stellung ausnutzen, um beispielsweise in den Genuss eines Bankkredits zu kommen, der dann nicht zurĂ¼ckgezahlt wird. Aus besagtem Grund mussten schon 1989 in Folge eines Bankenskandals mehrere Geldinstitute Bankrott anmelden, und kĂ¼rzlich erhitzten sich die GemĂ¼ter Ă¼ber den Fall eines Mouridenmarabouts, Serigne Khadim Bousso, der der Bank fĂ¼r Handel und Industrie die Lappalie von 2 Milliarden CFA Franken (ca. 3 Mio Euro) nicht zurĂ¼ckzahlen wollte – oder konnte.
Wenn Vertreter von Justiz und Regierung frĂ¼her in ähnlichen Fällen teilweise beide Augen zugedrĂ¼ckt haben, um die religiösen Dynastien und vor allem ihre Anhänger nicht zu erzĂ¼rnen und damit eventuell etliche Wähler zu verlieren, griffen sie dieses Mal hart durch. Bousso wurde inhaftiert, wurde krank, kam in eine Spezialabteilung im Krankenhaus – und flĂ¼chtete von dort mit Hilfe von mouridischen Krankenpflegern. Nach mehreren Wochen Flucht, in deren Verlauf Bousso stets von treuen Mouridenanhängern versteckt wurde, kam die Polizei ihm auf die Spur und schickte sich an, ihn festnehmen. In diesem Moment machte Bousso seine Selbstmorddrohung wahr und rief damit Differenzen innerhalb der Bruderschaft hervor: Durfte er in der heiligen Stadt Touba beigesetzt werden oder nicht? Letztendlich Ă¼berwog, wie in den meisten Konfliktfällen in Senegal, die senegalesische Kunst der Diplomatie und es wurde eine halbtheologische BegrĂ¼ndung fĂ¼r seine Beerdigung in Touba gefunden, an der jedoch die höchsten WĂ¼rdenträger der Bruderschaft nicht teilnahmen.
Dem Khalifen der Mouridenbruderschaft muss zu Gute gehalten werden, dass er sich auch in diesem Fall nicht in die staatlichen Belange einmischte, er selber hatte Bousso der Polizei ausliefern lassen, indem er ihm den Aufenthalt in seinem Haus untersagte. Damit unterstrich der Khalif sehr deutlich sein Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat, in dem Menschen aus religiösen Motiven weder bevorzugt noch benachteiligt werden dĂ¼rfen.
Während einige seiner Vorgänger beispielsweise noch explizit Wahlempfehlungen an die Mitglieder der Kongregation herausgegeben haben, sind die Khalifen aller Bruderschaften sei mehreren Jahren mit derartigen Ă„uĂŸerungen sehr zurĂ¼ckhaltend, lediglich "kleinere" Marabouts versuchen noch heute, ihre religiöse Autorität fĂ¼r weltliche Belange einzusetzen. Der Khalif von Touba ruft zudem seine Anhänger regelmĂ¤ĂŸig dazu auf, ihrer Steuerpflicht gegenĂ¼ber dem Staat nachzukommen, was in der Regel effizienter ist als die Bestrebungen der staatlichen Finanzbeamten.
Das Zusammenspiel staatlicher und religiöser Autoritäten ist in jedem Fall durch die beiden letzten Episoden gestärkt worden. Der Staatspräsident Abdoulaye Wade bezieht eindeutig und unmissverständlich Position fĂ¼r die absolute Neutralität des Staates in religiösen Belangen und gegen die Einmischung der Religion in den demokratischen Rechtsstaat. Die religiösen WĂ¼rdenträger halten sich ihrerseits aus der Diskussion um Rechtsfragen völlig heraus, wobei sie durch ihr Schweigen die wenigen militanten Islamisten ins Abseits stellen. Die Absage der StaatsfĂ¼hrung an islamistische Tendenzen und die vorbehaltslose UnterstĂ¼tzung der westlichen Antiterrorismuspolitik hat allerdings auch dazu gefĂ¼hrt, dass Senegal nun auf der Liste der potentiell durch den islamistischen Terrorismus gefährdeten Ländern steht.
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